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Veröffentlicht am 22.10.2019

Atmosphärischer Familienroman zum Abtauchen

Die Zeit der Weihnachtsschwestern
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Der neue Weihnachtsroman/Familienroman von Sarah Morgan fällt, wie schon ihr letztes Buch "Die Stunde der Inseltöchter" ein bisschen "erwachsener aus, als ihre Manhattan Reihe, die wirklich reine Liebesromane ...

Der neue Weihnachtsroman/Familienroman von Sarah Morgan fällt, wie schon ihr letztes Buch "Die Stunde der Inseltöchter" ein bisschen "erwachsener aus, als ihre Manhattan Reihe, die wirklich reine Liebesromane sind. Und das gefällt mir sehr gut!

In "Die Zeit der Weihnachtsschwestern" lernen wir die drei Schwestern Posy, Beth und Hannah kennen, die verschiedenartiger nicht sein könnten. Alle drei haben ihr Leben nach einem Unglück völlig unterschiedlich gemeistert.
Posy lebt bei ihren Zieheltern Suzanne und Stewart in den schottischen Highlands. Sie ist aktives Mitglied bei der Bergrettung und hilft Suzsanne im Café, einem beliebten Treffpunkt für Touristen und Einheimische. Posy würde gerne die Welt kennenlernen und mehr klettern, möchte aber ihre Eltern nicht alleine lassen.
Beth und Hannah sind beide in den USA geblieben, wo sie ursprüngliche geboren wurden. Beth ist Hausfrau und Mutter zweier Töchter. Während ihr Mann Jesse von einem dritten Kind träumt, aber kaum zuhause ist, möchte Beth endlich wieder in ihrem alten Job arbeiten. Als Beth ihren Mann darauf anspricht, kommt es zu einem großen Streit. Beth packt ihre Koffer und reist früher nach Schottland, als geplant.
Auch Hannah ist mit ihrem Leben nicht gänzlich zufrieden. Sie ist zwar sehr erfolgreich im Job, aber privat hat sie kaum soziale Kontakte. Sie hat eine richtige Mauer um sich herum aufgebaut und lässt kaum Gefühle zu.
Alle drei Schwestern haben sich die letzten Jahre gefühlsmäßig auseinander gelebt und treffen sich fast nur mehr zu Weihnachten in Schottland. Suzanne möchte ihnen zu dieser Zeit ein ganz besonders liebevolles Zuhause bieten, denn zu dieser Jahreszeit jährt sich das furchtbares Unglück, das ihr aller Leben vor 20 Jahren sehr verändert hat. Das Geheimnis um diesen Wendepunkt in ihrer aller Leben erschließt sich erst Stück für Stück und hält die Spannung aufrecht.

Wie die meisten Romane von Sarah Morgan war ich sofort mitten in der Geschichte. Man fühlt sich heimelig in den schottischen Highlands, riecht die gebackenen Köstlichkeiten in Suzannes liebevoll gestalteten Caféi-Imbiss und friert im Schnee bei einer lustigen Schlittenfahrt. Die Landschaftsbeschreibungen sind malerisch und der Weihnachtszauber wird immer mehr spürbar. Auch der Humor bleibt nicht auf der Strecke, obwohl die Kernpunkte des Romans von Ängsten, Verlust und Vergangenheitsbewältigung erzählen. Aber auch ein bisschen Liebe und Romantik bilden wie gewohnt den ganz besonderen Mix von Sarah Morgans Romane, die mit ihrem herzlichen und kurzweiligen Stil zu einer meiner Lieblingsautorinnen geworden ist.

Abwechselnd wird aus der Sicht von Posy, Beth oder Hannah in der Gegenwart erzählt. Jedes Kapitel steht für eine andere Schwester. Dem Leser fällt es somit sehr leicht die unterschiedlichen Ängste, Wünsche und ihre Charaktere besser kennenzulernen und sie auf ihren Wegen zu begleiten.
Zusätzlich erhalten wir aus Suzannes Sicht einige Rückblicke in die Vergangenheit und in das Trauma, das alle vier Frauen noch immer nicht wirklich verarbeitet haben. Jede von ihnen geht unterschiedlich damit um und versucht es mehr oder weniger zu verdrängen.
Die Figuren sind so facettenreich und realistisch gemalt, dass man sie trotz ihrer Macken einfach mögen muss. Einzig die Männer, die im Leben der McBride Frauen eine Rolle spielen, sind kleine Märchenprinzen, die mir im wahren Leben noch nicht begegnet sind ;) Hier muss man eben ein Auge zudrücken...oder zwei.

Wie schon in ihrem letzten Roman hat Sarah Morgan auch diesmal als Hauptthema die Vergangenheitsbewältigung und die Beziehung zwischen Mütter und Töchter als roten Faden verwendet. Gespickt wurde das ganze noch mit winterlichen und weihnachtlichen Flair und einer Prise Romantik. Bezaubernd!

Fazit:
Ein wunderschöner und atmosphärischer Familienroman mit einem Hauch Weihnachtsflair, in dem es um Verzeihen und Vertrauen geht. Eine Geschichte zum Abtauchen und perfekt für die Vorweihnachtszeit. Ich empfehle diesen neuen Roman von Sarah Morgan für entspannte und gemütliche Lesestunden auf der Couch.

Veröffentlicht am 11.10.2019

Breite deine Flügel aus und flieg...

Wenn Schmetterlinge fliegen lernen
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"Wenn Schmetterlinge fliegen lernen" ist mein zweites Buch der Autorin und konnte mich noch mehr begeistern als ihr Debütroman "Wie Nebel in der Sonne". Die geborene Schweizerin, die auf Mallorca lebt, ...

"Wenn Schmetterlinge fliegen lernen" ist mein zweites Buch der Autorin und konnte mich noch mehr begeistern als ihr Debütroman "Wie Nebel in der Sonne". Die geborene Schweizerin, die auf Mallorca lebt, hat einen ausgesprochenen bildhaften und ausdrucksstarken Schreibstil.
Astrid Töpfers neuer Roman punktet nicht nur mit einem traumhaften Cover, sondern auch mit emotionalen und vielschichtigen Inhalt.

Olivia ist eine junge Frau, die bereits einige Schicksalsschläge hinter sich hat. Ihre Eltern, beides Wissenschafler, sind gestorben, als sie noch ein Kind war. Olivia ist bei ihren strengen und lieblosen Großeltern in Zürich aufgewachsen. Als sie volljährig ist, verlässt sie die Schweiz und will ihr altes Leben hinter sich lassen. Niemand und nichts hält sie mehr in der alten Heimat. Rastlos reist sie durch die Weltgeschichte. Schlussendlich landet sie in Ägypten, wo sie Rashida kennenlernt, die zu ihrer "Seelenfreundin" wird. Als sich ihre Großmutter immer mehr in ihrer eigenen Welt einer Demenzkranken verliert, wird Olivia von dessen Haushälterin und Freundin Marie gebeten nach Zurück zurückzukommen und sich mit ihrer Großmutter auszusöhnen. Auch Rashida spricht ihr ins Gewissen und es kommt zu einem Streit, der eine weitere Tragödie in Olivias Leben auslöst. Daraufhin kehrt sie nach Zürich zurück, doch so einfach ist es nicht sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen. Als sie auf Tom trifft, ihren Freund aus Kindheitstagen, und sich ein früherer Assistent ihrer Eltern bei ihr meldet, der sie zum Unfalltod ihrer Eltern interviewen möchte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen....

Olivia ist nach außen hin eine selbstbewusste junge Frau, die das Abenteuer sucht. Sie liebt das Meer und das Tauchen und möchte der kalten Schweiz am liebsten sofort wieder den Rücken kehren. Zürich sollte nur eine kurze Etappe sein. Doch innen drinnen weiß sie, dass sie sich endlich der Vergangenheit stellen muss. Olivia hat damals ihre Eltern begleitet, als sie bei einer wissenschaftlichen Reise in Nicaragua ums Lebens kamen. Sie ist seitdem traumatisiert und kann sich an nichts erinnen. Ihre Bindungsangst und ihre Zwänge, wie auch ihre unnahbare und spröde Art, machen es ihr schwer. Olivia ist gefangen in ihren Ängsten und doch innen drinnen zart und zerbrechlich. Auch ihrem Sandkastenfreund Tom gelingt es nicht gänzlich. Außerdem hat er auch so seine Geheimnisse. Seine Schwester Valerie bemüht sich hingegen gar nicht ihre Abneigung Olivia gegenüber zu verheimlichen. Und dann ist noch der etwas kautzige André Edelmann, der früherer Assistent ihrer Eltern, der unbedingt das Geheimnis des seltenen Schmetterlinges wissen möchte, dem ihre Eltern damals auf der Spur waren.
Nach und nach werden die Erlebnisse aus der Vergangenheit, sowohl bei Olivia, als auch bei Erika offenbart. Der Titel des Romans ist gut gewählt, denn es dauert lange bis Olivia ihren Kokon verlässt und ihre Flügel ausbreitet....

Was anfangs noch ein Roman über Trauerbewältung und eine Reise zu sich selbst ist, wandelt sich am Ende zu einer spannenden Stalkergeschichte, wobei sich aber die Themen nicht im Wege stehen, sondern ergänzen.

Schreibstil:
Astrid Töpfner schreibt ausdrucksstark, flüssig und gefühlvoll. Man fliegt förmlich durch die Seiten und fühlt sich den Figuren eng verbunden. Mit viel Empathie und Gefühl beschreibt Astrid Töpfner ihre Charaktere, die allesamt Ecken und Kanten haben. Auch die Alzheimer Erkrankung von Großmutter Erika wird authentisch vermittelt. Die anfangs immer abwechselnden lichten und dunklen Tage dieser Krankheit, deren Zeuge ich selbst wurde, sind einfach erschreckend.
Die Landschaftsbeschreibungen sind lebendig und anschaulich.

Fazit:
Nicht nur ein tiefgründiger Roman mit einigen überraschenden Wendungen, sondern auch ein toller Mix aus Spannung und Unterhaltung, wobei die Aufarbeitung eines Traumas und die Suche nach sich selbst im Vordergrund steht. Durch den lockeren und lebendigen Schreibstil fliegt man durch die Geschichte und erlebt ein wahres Auf und Ab an Gefühlen. Ich fand es wunderbar!

Veröffentlicht am 07.10.2019

Bleibt in Erinnerung

Luzies Erbe
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Dieser Generationenroman basiert teilweise auf wahren Begebenheiten der Familie der Autorin.
Als Luzie Mazur fast hundertjährig zuhause stirbt, hinterlässt sie nur einen Koffer und viele unbeantwortete ...

Dieser Generationenroman basiert teilweise auf wahren Begebenheiten der Familie der Autorin.
Als Luzie Mazur fast hundertjährig zuhause stirbt, hinterlässt sie nur einen Koffer und viele unbeantwortete Fragen. Ihre Tochter Thea und ihre Enkelin Johanne haben sie die letzten Jahre gepflegt und trotzallem war das Schweigen im Hause übermächtig. Die Mazurs lebten am Rande der Gesellschaft - sie gehörten nicht wirklich dazu. Dieses Gefühl ist bereits seit drei Generationen übermächtig. Dabei war Luzie einst eine fröhliche junge Frau, die gerne lachte und tanzte. Sie war mit August verlobt, als der Zweiten Weltkrieg ausbricht. Und in den kommenden Jahren sollte sich für Luzie alles ändern....

In "Luzies Schweigen" erzählt die Autorin auf zwei Zeitebenen. Diese sind nicht wie üblich voneinander getrennt, sondern springen oftmals unkontrolliert hin und her, was ein konzentriertes Lesen erfordert. Allerdings gewöhnt man sich schnell daran. Rückblicke und Erinnerungen der einzelnen Familienmitglieder ergänzen die Geschichte rund um Luzies Leben und die Nachwirkungen, die sich daraus ergeben haben.

Man hat beim Lesen das Gefühl nicht in der Gegenwart, sondern irgendwann in den 50iger Jahren zu stecken. Die Frauen leben in ärmlichen Verhältnissen und nehmen ihr Schicksal ergeben hin. Nur Helen, die Schwester von Thea ist aus dem "Mazurschen Schweigen" ausgebrochen und hat das Dorf in jungen Jahren verlassen. Enkelin Johanne lässt der Kofferinhalt keine Ruhe und sie beginnt nachzuforschen. Sie will endlich die Vergangenheit abschließen. Dabei stößt sie auf den polnischen Zwangsarbeiter Jurek Mazur, der ihr Großvater und Luzies große Liebe war. Die Rassengesetze der damaligen Zeit erlaubten keine Liebe zwischen einer deutschen Frau und einem Zwangsarbeiter einer minderwertigen Rasse. Trotzdem wurden Luzie und Jurek ein Paar und waren vortan vielen Gefahren ausgesetzt. Harte Arbeit und die unterschwellige Angst machten beiden das Leben schwer. Luzie wird ernst und schweigsam. Nach dem Krieg durften sie endlich heiraten, doch an ihrer Lage änderte sich rein gar nichts. Das Dorf ächtete die junge Familie und in Folge auch ihre Nachfahren. Und Johanne fragt sich: Warum hat Jurek Luzie verlassen?

Die Frauen der Familie sind allesamt ohne Vater aufgewachen und haben eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die sich erst bei den Enkelkindern ändert. Ein Krieg, der nicht nur die Generation, die ihn miterleben musste beeinflusste, sondern auch die Kriegskinder und -enkel. Es geht um unerfüllte Träume und Ausgrenzung. Eigene Gefühle sind dabei kaum zulässig, denn jede der drei Frauen versucht mit der mütterlichen Unzulänglichkeit umzugehen. Erst durch Johannes Nachforschungen und durch ihre Tochter Silje wird das Mazurische Schweigen langsam durchbrochen und ein Schicksal, das über Jahrzehnte andauerte, überwunden.

Schreibstil:
Der manchmal poetische und dann wieder nüchterne Schreibstil der Autorin nimmt der Geschichte etwas von der Düsternis und Traurigkeit. Eindringlich beschreibt Helga Bürster die Gefühlswelt der Frauen aus vier Generationen, die nicht aus sich herausgehen können und das Schweigen der Kommunktion gegenüber bevorzugen.
Die plattdeutschen Dialoge geben dem Roman mehr Authentizität und versprüht Lokalkolorit.

Fazit:
Ein nachdenklich machender Roman, der die Auswirkungen des Krieges auf mehrere Generationen einer Familie aufzeigt. Die Geschichte bleibt in Erinnerung und hat mich sehr berührt. Ich gebe gerne eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 30.09.2019

Leseempfehlung für wahre Freunde des historischen Romans

Der Fluch des Blutaltars
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Es sind die Anfangsjahre des Dreißigjähriges Krieges. Im Odenwald ist der Aberglaube tief verwurzelt. Philipp Juncker ist der begabte Sohn eines Bildhauers, der einen Reliquienaltar für die Wallfahrtskirche ...

Es sind die Anfangsjahre des Dreißigjähriges Krieges. Im Odenwald ist der Aberglaube tief verwurzelt. Philipp Juncker ist der begabte Sohn eines Bildhauers, der einen Reliquienaltar für die Wallfahrtskirche in Walldürn bauen soll. Doch bei einem furchtbaren Unglück erblindet Philipp und sein älterer Bruder Zacharias soll nun an seiner statt den Altar schnitzen. Philipp hadert mit seinem Schicksal und fällt in eine tiefe Depression. Er verfällt zusehends in Selbstmitleid und schikaniert seine Familie, bis Zacharias ihm ein Ultimatum stellt....

Ich habe bereits "Das Heilige Blut" der Autorin gelesen und war begeistert. Es ist schade, dass Anne Grießer auch bei Liebhabern des historischen Romans noch sehr unbekannt ist. Sie schreibt fesselnd und versteht Spannung aufzubauen, denn auch in "Der Fluch des Blutadlers" kommt eine kleine kriminelle Prise durch. Auch diesmal greift die Autorin auf das Blutwunder von Walldürn zurück. Neben der Religion, die den einfachen Leuten zu dieser Zeit oft Hoffnung gibt, gewinnt der Aberglauben immer mehr an Bedeutung.
Durch Missernten und den andauernden Krieg verfallen die Menschen immer mehr dem Wunderglauben. Hexenprozesse häufen sich und auch auf dem Bau des Altars scheint ein Fluch zu liegen. Merkwürdige Zwischenfälle, die den Bau immer weiter verzögern, lassen die Menschen immer misstrauischer werden. Heimlich flüstern sie vom Blutaltar, der plötzlich fürchterlich stinken und über und über mit Blut besudelt sein soll. Hat hier etwa der Teufel seine Hand im Spiel?

Die Stimmung im Roman ist düster. Der anhaltende Krieg und der immer stärker werdende Aberglauben stürzt die Menschen oftmals ins Verderben. Zusätzliche Missernten und darauffolgende Hungersnöte sind ebenso Zunder für Hexenprozesse und -verbrennungen. Menschen, die andere anprangeren und sie in den Tod treiben gibt es leider seit Menschengedenken. Ob Philipp seiner großen Liebe Katharina helfen kann, als sie plötzlich ebenfalls als Hexe angeklagt wird? Muss er seine eigenen Überzeugungen nun überdenken?
Und warum bringt der Bau des Reliquienaltars immer wieder ungewollte Verzögerungen mit sich?

Was dahintersteckt und wer hier seine Hände im Spiel hat, müsst ihr aber selber lesen! Ich konnte das Buch - kaum angefangen - nicht mehr aus der Hand legen....

Generell sind die letzten Romane und Krimis, die ich aus dem eher unbekannten Silberburg Verlag gelesen habe, allesamt richtig tolle Bücher gewesen!

Charaktere:
Die Charaktere wurden bis hin zu den Nebenfiguren liebevoll ausgearbeitet und sind lebendig dargestellt. Die Entwicklung der Figuren, vorallem von Philipp, ist absolut gelungen. Emilia, die das Herz auf den rechten Fleck hat und Philipp immer treu zur Seite steht, ist zu meiner Lieblingsfigur geworden. Sie versucht Philipp zu überzeugen, dass hinter jedem mysteriösen Vorfall ein Mensch aus Fleisch und Blut steckt.

Schreibstil:
Anne Grießer schreibt fesselnd und bildhaft. Die Sprache ist der damaligen Zeit angeglichen. Die Charaktere sind facettenreich und lebendig dargestellt, haben Ecken und Kanten. Philipp ging mir anfangs mit seinem Selbstmitleid und seiner Ungerechtigkeit anderen Menschen gegenüber ganz schön auf die Nerven. Er entwickelt sich allerdings bis zum Ende hin weiter und wird erwachsen.

Der Roman wird aus der Sicht eines allwissenden Erzählers in der 3. Person erzählt. Über den jeweiligen Kapiteln stehen Orts- und Zeitangabe. Im Nachwort geht die Autorin noch näher auf die Hexenprozesse, das Stadtbild zu dieser Zeit und die Wallfahrtskirche ein und erzählt was Dichtung und Wahrheit ist.

Fazit:
Ein großartiger historischer Roman mit einer kleinen Kriminote und viel Aberglauben, der uns in die dunkle Zeit des Dreißigjährigen Krieges bringt. Facettenreiche Charaktere runden den fesselnden und bildhaften Schreibstil der Autorin ab. Von mir gibt es eine Leseempfehlung für wahre Freunde des historischen Genres.

Veröffentlicht am 28.09.2019

Auftakt einer tollen Reihe

Die Hafenschwester (1)
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Bewertung: 4 1/2 Sterne

In der Geschichte befinden wir uns im Hamburger Gängeviertel Ende des 19. Jahrhunderts. Martha ist gerade erst 14 Jahre alt geworden, als ihre kleine Schwester Anna an der Cholera ...

Bewertung: 4 1/2 Sterne

In der Geschichte befinden wir uns im Hamburger Gängeviertel Ende des 19. Jahrhunderts. Martha ist gerade erst 14 Jahre alt geworden, als ihre kleine Schwester Anna an der Cholera erkrankt. Sie ist eine der ersten Erkrankten der verheerenden Epidemie, über die zuerst Stillschweigen verbreitet wird. Doch die Zahl der Infiszierten und Toten steigt innerhalb kurzer Zeit in besorgniserreichende Höhe. Als auch Marthas Mutter erkrankt, pflegt sie Martha liebevoll, kann sie aber nicht retten. Ihr Vater beginnt zu trinken und ihr kleiner Bruder Heinrich muss seine Zukunftspläne einer weiteren Schulausbildung begraben.
Martha muss vortan für die Familie sorgen und nimmt den Rat des Arztes an, sich als Krankenwärterin am St. Georg Hospital zu bewerben. Wegen ihrer Pflegekenntnisse wird Martha aufgenommen. Ihr Interesse, ihr logisches Denken und ihr Wille fallen bald einem jungen Arzt auf, der sich für sie einsetzt. Martha erhält einen Platz im Eppendorfer Krankenhaus bei den Erika-Schwestern, der eigentlich nur Töchtern aus gutem Hause "zusteht". Und so sehen es nicht alle wohlwollend, dass eine Frau aus dem Gängeviertel dieselben Chancen erhält....

Die Charaktere sind individuell und entwickeln sich weiter. Martha ist ein starkes Mädchen, das sich aus ihrer Not heraus entwickelt und zu einer engagierten jungen Frau heranwächst. Ihr Vater, gefangen in seiner Trauer, versucht im Alkohol zu vergessen und vergisst dabei seine eigenen Kinder. Vater und Tochter entwickeln sich in gegensätzliche Richtungen, Marthas Bruder versucht sobald wie möglich auf eigenen Füßen zu stehen und aus dem Viertel zu fliehen.
Besonders gut gefallen hat mir die Figur von Millie. Sie ist von Kindesbeinen an Marthas beste Freundin, erwartet jedoch ein schlimmes Schicksal. Ihre Stärke ist bewundernswert und die bedingungslose Freundschaft der Beiden wird oftmals auf die Probe gestellt. Melanie Metzenthin baut neben ihren fiktiven Charakteren auch reale Figuren dieser Zeit geschickt in den Roman ein, wie die Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann oder die Werftsbesitzer Gustav Wolkau und Hermann Blohm.

Melanie Metzenthin, die selbst Medizin studierte, hat sich bei ihrem Roman vom Leben ihrer Urgroßmutter inspirieren lassen. Diese lebte zur selben Zeit wie Martha, überlebte ebenfalls die Cholera-Epidemie, arbeitete aber als Näherin.
Eigentlich dachte ich, dass der Schwerpunkt des Romans im medizinischen Bereich liegt, doch die Autorin hat uns auch in der Leserunde hingewiesen, dass ihr Hauptaugenmerk bei der Cholera-Epidemie und dem größten Hafenarbeiterstreik Deutschlands lag. Es ist das Ende des vorletzten Jahrhunderts und es ist eine Zeit des Umbruchs und des Umdenkens. Die Gesellschaft ist im Aufbruch, denn die Schere zwischen Arm und reich wird immer größer. In der Mitte des Romans nahm mir die politische Sicht, sowie die Reden der Sozialdemokraten, etwas zu viel Raum ein.
Durch die Cholera haben viele Familien ihre Ernährer verloren. Die Armen werden immer ärmer und kaum eine Familie hat mehr genug zu Essen. Die Mieten werden erhöht, ein 72 Stunden-Arbeitstag wird zur "Normalität". Unfälle häufen sich und kaum jemand wird mehr satt. Dies führt zum Streik, der sich immer mehr ausweitet und in die Geschichte als größter deutscher Hafenarbeiterstreik eingeht. Auch Martha unterstützt die Streikenden, engagiert sich für Rechte der Frauen und wird Mitglied bei den Sozialdemokraten. Dort lernt sie bei einer politischen Veranstaltung einen jungen Mann kennen, der dieselben Interessen und Ziele wie Martha vertritt. Als Erika-Schwester ist ihr allerdings der nähere Umgang mit Männern und eine Hochzeit untersagt....

Der erste Teil dieser Reihe konnte mich begeistern und ich freue mich schon auf die beiden Nachfolgebände.

Schreibstil:
Der Schreibstil der Autorin ist fesselnd, atmosphärisch und lässt sich wunderbar lesen. Es ist mein zweites Buch der Autorin und ich bin genauso begeistert, wie schon bei "Mehr als die Erinnerung". Die bildhafte Beschreibung der Stadt Hamburg zu dieser Zeit ließ mich selbst durch das Gängeviertel und den Hafen wandern.
Die Figuren sind lebendig und facettenreich und entwickeln sich weiter. Sie wirken glaubhaft und man fühlt sich ihnen nahe.
Die politischen und historischen Begebenheiten wurden akribisch recherchiert. Die eigenen medizinischen Kenntnisse der Autorin sind wunderbar integriert.
Im Nachwort findet man weitere Erklärungen zur damaligen Zeit bzw. zur Cholera-Epidemie und dem Streik der Hafenarbeiter.

Fazit:
Ein wundervoller Auftakt der neuen Reihe von Melanie Metzenthin, der mich in das Hamburg des vorletzten Jahrhundert katapultiert hat und deren Protagonisten ich gerne begleitet habe. Die interessanten Themen rund um die Cholera-Epidemie und den Kampf der Armen um mehr Rechte und Lohn haben der Geschichte rund um Martha's Leben nochmehr Tiefe gegeben. Ich freue mich schon auf den Folgeband!