„...Die hier vorgestellten Spazierwege durch die Stadt sind ganz sprichwörtlich erst beim Gehen entstanden. Ich kenne keine bessere Methode, sich eine Stadt anzueignen, als nicht allzu zielstrebig draufloszugehen...“
Das Zitat stammt aus dem Vorwort des Buches. Dann folgt die Beschreibung zu dreizehn Spaziergängen durch Wien. Wer nun glaubt, eine trockene Reisebeschreibung zu altbekannten Sehenswürdigkeiten zu lesen, wird schon nach den ersten Seiten angenehm von Inhalt und Schriftstil überrascht.
Zum einen führt mich der Autor durch verschiedene Stadtbezirke von Wien bis weit an den Stadtrand. Zum zweiten lerne ich viele weniger bekannte Seiten der Stadt kennen, seine es Fabriken, Geschäfte, Cafès oder Parkanlagen. Einen breiten Raum nimmt ebenfalls das Rote Wien mit seiner besonderen Architektur ein. Zum dritten bleibt der Autor nicht bei der Beschreibung der Sehenswürdigkeiten stehen, sondern er führt mich stellenweise tief in die Geschichte Wiens, sei es Medizingeschichte, die Entwicklung einiger Manufakturen oder die historischen Veränderungen im Stadtbild. Die Wanderungen sind wohl gewählt und stehen meist unter einem bestimmten Thema.
Bei all dem lässt sich der leichte und lockere Schriftstil gut lesen. Das heißt nicht, dass er auch andere Facetten verwendet. Beim jüdischen Friedhof oder dem Thema Euthanasie in Zusammenhang mit einem Kinderkrankenhaus ist die Betroffenheit in jedem Wort spürbar.
Ab und an durchzieht feiner Humor die Geschichte. Das liest sich zum Beispiel so:
„...Dabei hatte ich vor dem Figarohaus mit Busladungen japanischer Touristen gerechnet, doch die kaufen wahrscheinlich gerade Mozartkugeln am Stephansplatz...“
Auch die eine oder andere Empfehlung hört sich seltsam an. Bei Andreas Gugumuck, der Weinbergschnecken züchtet, gab es folgenden Hinweis:
„...Den Schaum können Sie direkt aufs Gesicht auftragen. Es gibt keine bessere Anti-Aging-Creme...“
Außerdem lerne ich als Leser, um es mit meinen Worten zu formulieren, manch Wiener Original kennen, sei es ein Wahlwiener, der Einheimischen und Touristen besonders hässliche Orte der Stadt zeigt und ausgefallene Ideen für die Umgestaltung hat, oder Menschen, die völlig neue Wege gehen. Dass man aus Gurken Schnaps brennen kann, war mir bislang völlig unbekannt.
Zitate ehemaliger Wiener werden gekonnt in die Beschreibung eingeflochten. Das folgende stammt von Edmund de Waal, der mit seiner jüdischen Familie Wien 1938 verlassen hat.
„...Häuser zu betrachten ist eine Kunst. Man muss sehen lernen, wie ein Gebäude in der Landschaft oder einer Straßenlandschaft situiert ist. Man muss entdecken, wie viel Raum es in der Welt einnimmt, wie viel davon es verdrängt...“
Natürlich wird an passender Stelle der Wiener Dialekt eingearbeitet. Von dem ganz eigenen Humor des Grafen Bobby hätte ich gern mehr gelesen.
Überall, wo es möglich ist, lässt sich der Autor ein Rezept in die Feder diktieren, das er dann mit dem Leser teilt.
Jeder Spaziergang endet mit zwei Übersichten. Das sind zum einen Orte zum Verweilen, zum anderen Orte zum Vertiefen. Gasthäuser, Museen, Marktstände, Sehenswürdigkeiten gehören dazu. Angegeben werden der Name, die Adresse, die Telefonnummer, die Internetadresse, wenn vorhanden, und gegebenenfalls die Öffnungszeiten.
Jeder Spaziergang beginnt mit einer Karte, auf der die wesentliche Haltepunkte markiert und beschriftet wurden. Die Karten sind allerdings vom Format her so klein, dass sie kaum zu verenden sind.
Alle Spaziergänge werden mit einer Vielzahl von Schwarz-weiß-Fotos illustriert. Natürlich wären Farbfotos schöner und ausdrucksstarker, allerdings würde das sich merklich im Preis bemerkbar machen.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich habe viel dazu gelernt und eine Menge Anregungen für meinen nächsten Wienbesuch bekommen. Mit einem Zitat möchte ich meine Rezension abschließen:
„...Was ist der Unterschied zwischen einem Touristen und einem Wiener? Der Tourist ist froh, hier zu sein...“