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Veröffentlicht am 03.10.2019

Für mich nicht gänzlich überzeugend

Der Sprung
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Auf "Der Sprung" war ich sehr gespannt, weil ich den Gedanken, die Geschichten mehrerer Menschen zu erzählen, sie zusammenfließen, sich kurz zu berühren und sich beeinflussen zu lassen, ganz hervorragend ...

Auf "Der Sprung" war ich sehr gespannt, weil ich den Gedanken, die Geschichten mehrerer Menschen zu erzählen, sie zusammenfließen, sich kurz zu berühren und sich beeinflussen zu lassen, ganz hervorragend finde. Auf wie viele Leben kann ein Geschehnis Einfluß nehmen? Eine spannende Frage.

Das Buch berichtet in kurzen Kapiteln über etwa zwei Tage im Leben diverser Menschen, die in dem Ort Thalbach wohnen, oder ihm anders verbunden sind und deren Schicksale durch eine auf einem Dach stehende, vermeintlich zur Selbsttötung entschlossene Frau Wendungen erfahren. Dies beginnt anschaulich, ich las die ersten Kapitel (jedes ist einem anderen der Charaktere gewidmet) mit Freude. Der Stil ist anschaulich, durchschnittlich, recht gut lesbar. Störend sind die für meinen Geschmack zu häufig verwendeten atemlosen Bandwurmsätze, die ich als ausgesprochen leserunfreundlich empfinde und die stilistisch für mich keinen Mehrwert haben.

Wir lernen die ersten - alle vom Leben irgendwie enttäuschten - Charaktere kennen, Dreh- und Angelpunkt gerade am Anfang ist das Restaurant von Roswitha, die ich herrlich geschildert fand. Einige Geschichten machen gleich neugierig, wie die von Felix mit seiner anstrengenden, wie eine Therapiesitzung sprechenden Freundin. Maren, deren Partner dem Self-Care-Wahn verfallen und zum lieblosen Egozentriker geworden ist. Marens Unsicherheiten und Selbstzweifel, ihre Verletzung waren zu Anfang sehr eindringlich. Winnie, für ihre Schulkameraden nicht dünn und hip genug. Den feinsinnigen Hutkreateur Egon, der ausgerechnet in einem Schlachthof arbeiten muß. Es gibt ein Kaleidoskop von Menschen. Manche sind interessant, man will mehr über sie erfahren. Andere fand ich leider von Anfang an uninteressant und ausgerechnet die Person, die nachher auf dem Dach endet, ging mir von Anfang an gehörig auf die Nerven. So waren diese Kapitel also recht schnell ein gemischtes Vergnügen, was einerseits stark von den jeweiligen Personen abhing, andererseits aber auch von der Tendenz der Autorin, sich hingebungsvoll irrelevanten, teils banalen Details zu widmen. So lesen sich manche Passagen unglaublich zäh und ich fragte mich, warum diese dicke Schicht der unnötigen Detailverliebtheit auf manche Geschichten gekleistert werden mußte. Diese Hingabe ans Unwesentliche machte das Buch dann auch mehr und mehr zur Leseaufgabe anstatt zu Lesevernügen. Wirklich gebannt hat es mich zu keinem Zeitpunkt.

Nach und nach entwickeln sich die Geschichten und auch die Persönlichkeiten dieser Menschen. Dabei erfahren wir im Mittelteil ein gerüttelt Maß an Traumata, traurigen Erinnerungen und ähnlichem. Das war schlichtweg eine zu hohe Schicksalsdichte. Überhaupt ist mir bei diesem Buch gleich einiges zu viel: zu viel (unnötiges) Detail, zu viel "Schicksal", zu viel Kitsch, zu viel aufgesetzte Tiefsinnigkeit. Ja, auch wenn man es am Anfang, als noch erfreuliche Alltäglichkeit bei den gewählten Thematiken herrscht, kaum glauben mag, einige Geschichten gleiten sehr ins Kitschige ab. Allen voran der ohnehin nicht in die Geschichte passende italienische Stardesigner, der für ein arg zuckerwattiges Ende einer der Geschichten sorgt. Auch Maren, so schön kantig am Anfang, liefert uns am Ende eine dieser Szenen, die sich wie ein schlechtes "Nimm Dein Leben in die Hand, Du kannst es!"-Selbsthilfebuch lesen und läßt mich angesichts der "Ich miete mir ein Auto, weil ich nicht mehr Beifahrer sein möchte"-platten Symbolik die Augen verdrehen. Die Absurdität des ganzen Dachgeschehens war mir auch zu übertrieben, wenn die Idee an sich originell war.

Manche Geschichten entwickeln sich interessant weiter, vereinzelte sind anrührend - so zum Beispiel ein altes Pärchen in einem kleinen, von der Zeit überholten Gemischtwarenladen oder jene Dame, die beim Anblick der Frau auf dem Dach die Polizei rief. Es sind auch mehrere Berührungspunkte zwischen den Geschichten gut gelungen, oft ganz beiläufig, manchmal lebensentscheidend. Im Gesamten aber ließ mich das Buch nicht zufrieden zurück, fand ich die Umsetzung der so schönen Idee nicht durchweg gelungen.

Veröffentlicht am 17.09.2019

Gemischtes Vergnügen

Die Battenbergs
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Das Buch ist ausnehmend schön und hochwertig gestaltet, vom Hardcovereinband bis hin zum edel-cremefarbenen Papier mit angenehmer Haptik und der dezenten Farbwahl für Überschriften und Bildbeschriftungen. ...

Das Buch ist ausnehmend schön und hochwertig gestaltet, vom Hardcovereinband bis hin zum edel-cremefarbenen Papier mit angenehmer Haptik und der dezenten Farbwahl für Überschriften und Bildbeschriftungen. Vorne befindet sich ein ebenfalls sehr schön gestalteter Stammbaum der Battenbergs. Dieser ist manchmal ein wenig verwirrend, da die Kinder nicht immer in Geburtsreihenfolge aufgeführt werden, was wohl gestalterische Gründe hat. Über ein beiliegendes Lesezeichen freute ich mich zuerst, bis ich feststellte, daß es ein Hinweis auf immerhin 8 falsche Bildunterschriften im Buch ist, die hier korrigiert werden. Das ist eine charmante Art der Fehlerkorrektur, aber ich frage mich schon, wie acht falsche Bildunterschriften durchrutschen konnten - gerade angesichts der hochwertigen Gestaltung fällt so etwas ein wenig unangenehm auf.

Dreizehn Beiträge namhafter Autoren, vorwiegend natürlich Historiker, berichten über die Familie, jeder mit einem anderen Schwerpunkt. Einige Beiträge sind auf Deutsch, andere auf Englisch verfaßt. Sie werden anschließend in der jeweils anderen Sprache zusammengefaßt. Das ist eine gute Idee, aber die Zusammenfassungen sind arg kurz (zB 13 Seiten Artikel auf einer Seite zusammengefaßt) und ich glaube, wenn jemand nicht beider Sprache hinreichend mächtig ist, wird er von dem Buch jeweils nur halb etwas haben. Wie bei Anthologien üblich ist die Qualität der Beiträge wechselnd. Bei einigen merkt man, daß hier ein Wissenschaftler zwar viel weiß, aber es nicht unbedingt interessant darbringen kann. Einige Artikel verlieren sich in ausgesprochen verwickelten politischen Beschreibungen, andere werfen uns mit Namen zu, bis man vor lauter Nachschauen im Stammbaum gar nicht mehr dazu kommt, den Text richtig zu lesen. Die beiden letzten Texte über Prince Philip und seinen Onkel Louis sind stark subjektiv schöngefärbt. Einige Beiträge, gerade zu Beginn, greifen den gleichen Themenkomplex auf und so lesen wir in zwei aufeinanderfolgenden Artikeln letztlich das Gleiche zweimal, sogar mit den gleichen Zeitzeugenzitaten. Hier hätte man die Beiträge vielleicht sorgfältiger auswählen oder editieren können, denn ein nicht unbedingt günstiges Buch, welches einem mehrfach die gleichen Informationen liefert, ist doch ein wenig enttäuschend.

Nun erfährt man aber durchaus auch einiges über die Familie und die Fokussierung auf ein Thema oder einen Themenkomplex pro Artikel hat seine Vorteile. Es gibt zahlreiche interessante Informationen, Facetten einer vielseitigen Familie. Manche Familienmitglieder werden sehr persönlich geschildert und man nimmt Anteil an ihrem Schicksal, weil sie aus dem Stammbaumgewirr als Menschen hinter den Namen heraustreten, wie zB Heinrich "Liko". Zahlreiche Zitate reichern die Texte an, viele Zusammenhänge werden erklärt, die Quellenangaben sind ausgezeichnet und es finden sich ebenfalls viele Abbildungen.

So hing das Lesevergnügen stark von den einzelnen Beiträgen ab und läßt mich mit einem gemischten Eindruck zurück. An der Familie Interessierte werden hier aber in jedem Fall reichlich Informationen finden (wer an den späteren Generationen interessiert ist, sollte des Englischen gut mächtig sein).

Veröffentlicht am 03.09.2019

Bleibt viel zu sehr an der Oberfläche, erzählt zu sprunghaft

Kastanienjahre
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Ich muß gestehen, daß ich erleichtert bin, dieses Buch hinter mich gebracht zu haben. Auf den letzten 100 Seiten habe ich viel nur noch überflogen, weil ich mich leider ziemlich gelangweilt habe.

Der ...

Ich muß gestehen, daß ich erleichtert bin, dieses Buch hinter mich gebracht zu haben. Auf den letzten 100 Seiten habe ich viel nur noch überflogen, weil ich mich leider ziemlich gelangweilt habe.

Der Klappentext ist eigentlich vielversprechend - die Geschichte des Dorfes Peleroich von der Gründung der DDR bis zur Nachwendezeit, dazu "eine fatale Dreieicksbeziehung voller Geheimnisse" (was sich als ziemlich übertriebene Beschreibung herausstellt). Ich lese sehr gerne über das Leben in der ehemaligen DDR, stelle oft fest, wie viel es darüber noch zu erfahren gibt und war sehr interessiert daran, wie diese Dorfgemeinschaft von Peleroich durch jene Jahrzehnte gekommen ist.

Während der Anfang des Buches uns noch eine liebevolle Einführung des Hauptcharakters Elise gibt und wir auch Peleroich im Jahre 1950 neugierigmachend kennenlernen, war ich schon direkt danach ziemlich enttäuscht. In kurzen Kapiteln fliegen wir durch die Jahre. Kaum haben wir die Schulkinder Karl und Christa 1950 kennengelernt, ist es auch schon 1960 und man ist mitten in ihrem Familienleben, nachdem sie in vorherigen kurzen Kapiteln sich rasch verliebt und geheiratet haben. Alles wird nur kurz angerissen, wir lernen die Charaktere nicht richtig kennen, erleben keine Entwicklungen mit. Das sehr interessante Thema der LPG-Gründungen und des Druckes auf die unabhängigen Bauern kommt auf. Darauf war ich gespannt, freute mich schon, etwas dazu zu lesen. Ein paar Seiten später war es in wenigen Sätzen abgehandelt und kam nicht mehr auf.

Und genau so geht es weiter. Während Naturbeschreibungen, Kindergeburtstage, banale Alltagsunterhaltungen in fast ermüdender Ausführlichkeit geschildert werden, finden die wichtigen Ereignisse nur am Rande statt. Die Charaktere bleiben größtenteils Namen für mich, weil wir keine Gelegenheit haben, sie kennenzulernen. Vorne im Buch ist eine Namensliste, die ich auch oft benötigt habe. Ich habe historische Romane mit an die tausend Seiten gelesen, mit 50-60 Charakteren, und brauchte die Namenslisten dort nie, weil die Charaktere so gut eingeführt worden waren, daß ich sie gleich zuordnen konnte. Hier, bei einer Handvoll Dorfbewohner, blieben sie mir größtenteils fremd. Während die Zubereitung von Bratkartoffeln detailliert besprochen wird, finden Unterhaltungen über die Unterdrückungen des DDR-Regimes, das durchaus gewichtige Trauma eines Grenzsoldaten (dazu hätte ich viel, viel mehr lesen wollen), rasch statt, vieles wird uns nur als Rückblick kurz geschildert. Es kam mir vor, als ob ich in einem Zug sitze und nur ab und zu einen raschen Blick in ein Zimmer erhasche - Momentaufnahmen, immer zu schnell, immer zu kurz. Irgendwann im Buch kam es Elise "vor, als wäre sie nicht dabei gewesen, als hätte sie etwas Wichtiges verpasst." So fühlte ich mich das ganze Buch hindurch. Fragen und Themen werden angerissen, bleiben aber, genau wie Charaktere, an der Oberfläche.

Die DDR-Themen kommen vor, sind gut ausgewählt, interessant, aber es hätte so unglaublich viel mehr daraus gemacht werden können. Ich habe in anderen Büchern wesentlich mehr über das Leben in der DDR erfahren. Nach knapp 300 Seiten sind 30 Jahre DDR-Geschichte abgehandelt, rasch, oberflächlich, garniert mit vielen Banalitäten des dörflichen Alltagslebens. Oft werden mehrere Jahre übersprungen und wir bekommen nur einen kurzen Überblick, was geschehen ist. Immer wieder werde ich so aus der Handlung herausgerissen. Um das "große Geheimnis", das Elise nach zwanzig Jahren zurück ins Dorf führt, wird mehr Drumherum veranstaltet, als notwendig gewesen wäre.

Der rote Faden des Dorfes war an sich gut gewählt, wenn es mal um die DDR geht, sind die Einzelheiten gut und glaubhaft dargebracht. Der Schreibstil ist durchschnittlich, liest sich recht leicht. Bei einer (für meinen Geschmack) besseren Gewichtung der Themen und Schwerpunkte hätte ich dieses Buch genossen, aber so war ich leider enttäuscht. Ich habe noch "Kranichland" der Autorin hier liegen und hoffe, daß es besser sein wird.

Veröffentlicht am 22.08.2019

Manifest überlagert Information

Das Leben im Mittelalter
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Robert Fossier möchte in diesem Buch darüber informieren, wie die einfachen Menschen im Mittelalter gelebt haben, unterteilt dies in verschiedene Bereiche, wie "Stadien des Lebens", "Die Natur", "Verhältnis ...

Robert Fossier möchte in diesem Buch darüber informieren, wie die einfachen Menschen im Mittelalter gelebt haben, unterteilt dies in verschiedene Bereiche, wie "Stadien des Lebens", "Die Natur", "Verhältnis zu Tieren", "Gruppen", "Wissen" und "Die Seele". Wie man den Überschriften schon entnehmen kann, wird es manchmal ziemlich philosophisch. Wirklich informativ fand ich eigentlich nur die erste Hälfte, aber das ist Geschmackssache.

Prinzipiell sind die Blicke in das Alltagsleben durchaus interessant, es gibt hier viele Informationen, teils detailliert, teils eher von Allgemeinplätzen geprägt. Es findet sich hier nichts, was sich in anderen Büchern zum Thema nicht auch findet. Das liest sich teilweise unterhaltsam, oft aber ist wenig Information in sehr viele Worte verpackt.

Enervierend fand ich zwei Dinge, die auch zusammenhängen. Der Autor läßt keine Gelegenheit aus, uns seine eigene - sehr schwarz-weiß geprägte - Meinung aufzudrängen. Wenn er jemand verurteilen kann, dann läßt er die Gelegenheit nicht aus und ausgesprochen gerne nennt er andere ignorant. Sein Misanthropismus scheint ständig durch und erschien sogar mir als bekennender Misanthropin übertrieben. ("Hören wir also auf, uns mit Entzücken selbst zu betrachten, wie wir es, die Frauen mehr als die Männer, seit Jahrtausenden tun. Gestehen wir vielmehr ein, dass der Mensch eine hässliche und schwache Kreatur ist." - Dem folgt eine ausführliche Auflistung über unsere abstoßenden Zehen, Ohren und wasweißichnoch. Ich erinnere: Das Buch heißt "Das Leben im Mittelalter", nicht "Der Mensch ist eine traurige Maschine".)

Die Einleitungen zu den einzelnen Themen beinhalten stets einen Blick in die heutige Welt, der nur ansatzweise zum Vergleich mit dem Mittelalter genutzt wird, dem Autor wohl eher die Gelegenheit geben soll, sich über die schlechte Welt auszulassen. Die Einleitung über das Leben in Gruppen (nochmal: es handelt sich hier um ein Buch über das Mittelalter) lamentiert eine Seite lang so: "Vor allem aber in den sogenannten entwickelten Regionen wie den unseren, grüßt man sich nicht mehr auf der Straße und hält niemandem mehr die Tür auf. (...) Dabei verbindet sich der eigene Untertanengeist oft mit der Verleumdung des anderen, ganz zu schweigen von der notwendigerweise seltsamen Verbindung zwischen dem Befolgen aller neuen Trends und einem unbändigen Individualismus, wofür heute Fernsehen und Handy die wohl bezeichnendsten Beispiele sind. Die wütende Verteidigung des eigenen Territoriums..." usw. usf.

Es nervt irgendwann, wenn man eigentlich etwas über das Mittelalter lernen möchte und sich ständig durch das persönliche Manifest des Autors arbeiten muß.

Und so findet sich hier Informatives durchaus, aber ich habe es in anderen Büchern auch gefunden und das auf angenehmere und weniger selbstgefällige Weise. Knappe 3 Sterne für den reinen Informationsgehalt.

Veröffentlicht am 14.08.2019

Beginnt brillant, wird aber zweiten Hälfte banal

Ein Vermächtnis
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Sybille Bedford gewährt uns hier einen stark von ihrem eigenen Familienhintergrund geprägten Blick in zwei deutsche Familien zwischen 1870 und 1914.

Zunächst lernen wir die jüdisch-großbürgerliche Familie ...

Sybille Bedford gewährt uns hier einen stark von ihrem eigenen Familienhintergrund geprägten Blick in zwei deutsche Familien zwischen 1870 und 1914.

Zunächst lernen wir die jüdisch-großbürgerliche Familie Merz in Berlin kennen. In einer herrschaftlichen Villa wohnt das alte Ehepaar Merz recht fern von der richtigen Welt. Wir lernen die Familie Merz durch detaillierte, mit trockenem Humor verfaßte Beschreibungen ihrer Villa, ihres Lebensstils und ihrer Familienbeziehungen kennen. Ein Großteil des Romans besteht aus Dialogen, die uns recht schmucklos präsentiert werden, manchmal nur durch die Dialogzeilen, manchmal durch ein recht einfaches "sagte x", "sagte y", "sagte x". Die Dialoge zu Beginn sind einfach wundervoll, fassen das Wesen der Charaktere ausgezeichnet zusammen, sind in ihrer Knappheit unglaublich komisch.

Die zweite Familie sind die Lanadeligen von Felden aus Baden. Eine Familie mit jahrhundertealter Geschichte, dem Alten verhaftet, der neue Welt gegenüber mißtrauisch. Es wird französisch parliert und mit diesem neuen Deutschland kann man so gar nichts anfangen, mit den Preußen sowieso nicht. Auch hier wieder bemerkenswerte Lebensfremdheit. Man sitzt auf seinem Gut und ignoriert weitgehend, was da so alles draußen vor sich geht. Auch das wird ausgezeichnet beschrieben, trotz knapper Beschreibungen sind die Charaktere fabrig, lebenssecht. Hier wechselt die Tragik des Geschehens (ein Sohn der Familie wird durch die grausamen Praktiken einer Kadettenanstalt fürs Leben gebrochen) mit der Situationskomik, die sich durch die ganz eigene Art dieser Landadelswelt ergibt. Etwas anstrengend fand ich die vielen Sätze auf Französisch und die Tatsache, daß die Charaktere manchmal bei der deutschen Version des Namens genannt werden, manchmal bei der französischen (zB Julius/Jules).

Jules ist derjenige, der durch eine Heirat die beiden Familien Merz und von Felden verbindet. Hier war ich ebenfalls amüsiert durch die auf beiden Seiten bestehenden religiösen Sorgen & Vorurteile, die sich aus einer katholisch-jüdischen Verbindung ergeben. Man taucht wirklich ein in diese Welt des Großbürgertums und Landadels, die erste Hälfte des Buches ist ein großartiges Sittenbild. Julius ist ganz hervorragend im Geldausgeben und auch hier ist das Selbstverständnis jener Welt herrlich charakterisiert, weil es sich einfach von selbst versteht, daß er nicht arbeiten wird, sondern durch ausgesprochen großzügige Zuwendungen der Familien seinen ganz dem Genuß gewidmeten Lebensunterhalt bestreitet.

Nachdem die erste Hälfte des Buches also durch den herrlich pointierten Stil und das Eintauchen in diese Welt erfreut, wurde es in der zweiten Hälfte für mich langweilig. Julius' zweite Ehe mit einer ebenfalls völlig sinnlos dahinlebenden Frau wird hauptsächlich durch Dialogfetzen beschrieben, die - wie das Leben der beiden - ausgesprochen inhaltsleer sind. Das ist sicher Absicht, langweilt aber in dieser Häufung. Wir bekommen unerklärte Häppchen hingeworfen und sehen lesenderweise reichen Leuten beim Sich-Langweilen zu. Die wird zum Handlungsinhalt und das reicht einfach irgendwann nicht mehr aus. Für mich hat sich die Autorin ab der Mitte des Buches zu sehr in der Banalität verloren, das Pointierte verschwand, das Rührende auch. Diese zweite Hälfte war schlichtweg zäh und kein Vergnügen mehr.