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Veröffentlicht am 06.10.2019

Brücke zwischen Generationen

Mino und die Kinderräuber
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Im Rahmen einer Schulaufgabe soll eine Abenteuergeschichte geschrieben werden. Chiara, die noch um den Verlust ihres kürzlich verstorbenen Großvaters trauert, schlägt ihren Freunden Selma und Drago vor, ...

Im Rahmen einer Schulaufgabe soll eine Abenteuergeschichte geschrieben werden. Chiara, die noch um den Verlust ihres kürzlich verstorbenen Großvaters trauert, schlägt ihren Freunden Selma und Drago vor, ein Abenteuer ihres Opas aufzuschreiben, das er selbst als Kind während des Zweiten Weltkriegs erlebt hat. Mit Feuereifer machen sich die drei an eine spannende Erzählung um die Entführung zweier Jungen. Die Kinder schreiben sich selbst als Akteure mit in Nonnos Erlebnis. Wie ihr Abenteuer wohl ausgehen mag?
In kurzen Kapiteln und kindgerechter Sprache erzählt der Autor eine spannende Geschichte mit historischem Bezug. Der Zweite Weltkrieg und seine massiven Einschränkungen und Gefahren, denen speziell die Kinder ausgesetzt waren, werden in - für Leser ab acht Jahren - verständlicher Weise thematisiert. Supino schildert das Geschehen auf sensible Art, so dass es gut eingeordnet und verarbeitet werden kann.
Abgerundet wird der Roman durch zahlreiche, dezente Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Illustratorin Iris Wolfermann. Sie begleiten und verbildlichen den Text.
Supinos Buch bietet reichlich Anknüpfungspunkte, um mit den jungen Lesern auch nach Beendigung der Lektüre ins Gespräch zu kommen. Kein Zweifel: Der Austausch zwischen Jung und Alt kann eine hervorragende Brücke zwischen den Generationen bilden.

Veröffentlicht am 23.09.2019

Eine ambivalente Beziehung

Stella
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Friedrich ist „ein junger Mann mit Geld und einem Schweizer Pass, der gedacht hatte, in diesem Krieg überleben zu können, ohne etwas mit ihm zu tun zu haben.“ Er zieht im Jahre 1942 nach Berlin, schreibt ...


Friedrich ist „ein junger Mann mit Geld und einem Schweizer Pass, der gedacht hatte, in diesem Krieg überleben zu können, ohne etwas mit ihm zu tun zu haben.“ Er zieht im Jahre 1942 nach Berlin, schreibt sich für einen Zeichenkurs ein und lernt darüber das Aktmodell Kristin kennen. Das Wesen der jungen Frau fasziniert ihn, er verliebt sich in sie und schon bald sind sie ein Paar.
Es ist ein geschickter Schachzug des Autors, seinen Protagonisten aus seiner eigenen Perspektive erzählen zu lassen. So bleiben manche Ereignisse um die (übrigens historische) Person Kristin/Stella zunächst rätselhaft; denn Friedrich ist teilweise etwas naiv, teilweise sträubt er sich eine Zeitlang gegen die Wahrheit. Integriert in die einzelnen Kapitel finden sich allerdings Auszüge aus Gerichtsakten, die den Leser wesentlich früher auf die Spur der tatsächlichen Aktivitäten Stella Goldschlags lenken als es dem jungen Fritz selbst möglich ist.
Würger liefert keine Biografie der „Greiferin“, sondern beschreibt sie und ihr Tun aus Friedrichs Sicht: etwas verschwommen und (vielleicht) entschuldbar - durch die sachliche Wiedergabe der Prozessakten jedoch deutlich und hart.
Ebenso sachlich werden zu Beginn eines jeden neuen Kapitels, das jeweils einen neuen Monat schildert, geschichtliche Tatsachen erwähnt, die nicht nur das Jahr 1942 betreffen, sondern auch in die Zukunft weisen: ein stilistischer Dreh Würgers, um Distanz zum Romangeschehen zu schaffen. Ganz ohne Pathos und nüchtern schildert Takis Würger ein Jahr lang Friedrichs Leben mit Stella im Kriegsberlin und den Beobachtungen, die er macht. Möglich, dass Fritz´ Distanz aus der Tatsache herrührt, dass er sich eher als ausländischer Beobachter sieht, als privilegierter Gast. Aber ist das überhaupt möglich - im Jahre 1942 in Berlin als „neutraler Schweizer“ von den Geschehnissen um ihn herum unberührt und neutral zu bleiben? Und ist eine Zukunft mit einer Frau wie Stella, deren Doppelleben er nicht gutheißen kann, überhaupt möglich? Ein Dilemma, das den Leser mit der Frage zurücklässt: Wie hätte ich gehandelt?

Veröffentlicht am 20.09.2019

Ohne falsches Pathos

Die Nickel Boys
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Mehr als als 5 Jahrzehnte und 1800 Kilometer liegen zwischen Elwood Curtis´ Vergangenheit und seinem gegenwärtigen Leben in New York - und doch stellt er fest, dass es ihm nicht möglich ist, seiner ...

Mehr als als 5 Jahrzehnte und 1800 Kilometer liegen zwischen Elwood Curtis´ Vergangenheit und seinem gegenwärtigen Leben in New York - und doch stellt er fest, dass es ihm nicht möglich ist, seiner Vergangenheit zu entkommen. Archäologiestudenten der Tampa-Universität in Florida sind dabei, die Gebeine eines ehemaligen Friedhofs auf einem Baugelände zu bergen und zu untersuchen. Durch Zufall entdecken sie eine weitere, nicht gekennzeichnete, Beerdigungsstätte, die sich auf dem Gelände des ehemaligen Nickel befindet, einer Besserungsanstalt für Jungen. Elwood erfährt durch die Presse von dem Fund und vergangene Schreckensbilder werden wieder lebendig.
Beinahe sachlich erzählt Colson Whitehead die Geschichte Elwoods, der an die Worte Martin Luther Kings und die Bürgerrechtsbewegung glaubt, und seiner Freundschaft zu Jack Turner, die sich zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts im Nickel begegnen.
Dabei verquickt er seine fiktiven Charaktere und ihre Schicksale mit Details aus der Realität: einem Erziehungsheim in Florida , das hundert Jahre lang tatsächlich existierte und für die Zöglinge ein Ort voller Entsetzen war; Hunger, sexuelle Übergriffe, Auspeitschungen waren an der Tagesordnung und es gab niemanden, der ihren Klagen Glauben schenkte. Vielleicht gerade weil Whitehead eine nüchterne Erzählweise ganz ohne Pathos wählt, erscheinen seine Schilderungen so eindrucksvoll und drängend. Mit festem Griff packen sie den Leser bis zum Ende des Romans und wirken noch lange nach.

Veröffentlicht am 12.09.2019

„Vom Kindsein und Schreiben“ …

Der Hamlet und die Schokolinse
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… erzählt Bernd Mannhardt in seinem erst vor kurzem erschienenen autobiografischen Buch. Kindsein im Berliner Kiez Neukölln der 60er und 70er Jahre, das bedeutet für den Autor eine harmonische, behütete ...

… erzählt Bernd Mannhardt in seinem erst vor kurzem erschienenen autobiografischen Buch. Kindsein im Berliner Kiez Neukölln der 60er und 70er Jahre, das bedeutet für den Autor eine harmonische, behütete Kindheit, an den Wochenenden überwacht von der Eintopf kochenden Oma und dem unkonventionellen Opa. In ihrer kleinen Wohnung einer Mietskaserne „Altbau, Hinterhaus, erste Etage links“ hat er Geborgenheit empfunden und eine Menge Erfahrungen gesammelt: sowohl existentielle fürs Leben als auch nicht unbedingt wichtige, wie etwa den „Charlottenburger“.
Liebevoll und mit viel Humor lässt Mannhardt seine Erinnerungen an schöne und weniger gute Tage aufleben. In mehreren kurzen Kapiteln laufen seine „…Gedanken … über einen Querfeldein-Parcours, und kein Weg der Erinnerung ist geradlinig im Niemandsland zwischen Wahrheit und Dichtung.“ So erfährt der Leser, der auch immer wieder direkt angesprochen wird, in launiger Weise von der Entstehung des ersten eigenständig geschriebenen Satzes, inspiriert von Großvaters Fernseher namens „Hamlet“. Weitere Verbindungen werden hergestellt zwischen biografischem Erleben und dem späteren schriftstellerischen Werdegang; sie reichen vom ersten Liebesbrief über Weltschmerzreime der Pubertät bis hin zu ersten Versuchen als Romanautor. Dabei fügt Mannhardt auch unangenehme Erinnerungen ein, die ansonsten ja gerne ausgeblendet werden, und spart dabei nicht an (Selbst-)Ironie.
„Der Hamlet und die Schokolinse“ - eine fröhlich-nachdenkliche Lektüre mit Nostalgiefaktor.

Veröffentlicht am 05.09.2019

Krimi mit Niveau

Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod
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Das gemächliche Leben des pensionierten Kommissar Van Veeteren wird jäh von Schuldgefühlen unterbrochen, als er vom Tod eines jungen Kaplans erfährt: Gassel, der Van Veeteren kurz vor dessen Urlaub vergebens ...

Das gemächliche Leben des pensionierten Kommissar Van Veeteren wird jäh von Schuldgefühlen unterbrochen, als er vom Tod eines jungen Kaplans erfährt: Gassel, der Van Veeteren kurz vor dessen Urlaub vergebens etwas anvertrauen wollte, wurde von einem Zug überrollt. Als eine erwürgte Frau in ihrer Wohnung gefunden und wenig später auch noch die Leiche ihrer Tochter entdeckt wird, rührt sich Van Veeterens kriminalistischer Instinkt. Besteht zwischen den Todesfällen vielleicht ein Zusammenhang?
Auch in diesem neunten Teil der Van Veeteren-Krimis versteht es der Autor, seine Leser von Beginn an zu fesseln. Auf spannende Weise schildert er aus unterschiedlichen Sichtweisen, wie ein literarisch gebildeter Mörder Katz und Maus mit seinen Opfern spielt - symbolisch dargestellt in einer Szene, wie sie der Kommissar bei seiner Katze beobachtet, die eine Schwalbe gefangen hat. Die Beweggründe des Täters bleiben vage, werden nur angedeutet. Soziale Hintergründe dagegen leuchtet Nesser gut aus und entwirft (wie von ihm gewohnt) ein vielschichtiges, kritisches Gesellschaftsbild.
Mein Fazit: ein niveauvoller, lesenswerter Kriminalroman.