Profilbild von Girdin

Girdin

Lesejury Star
offline

Girdin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Girdin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.11.2019

Schmackhafte Rezepte

Rachs Rezepte für jeden Tag
0

Das Buch „Rachs Rezepte für jeden Tag“ von Christian Rach und seiner Co-Autorin Susanne Walter trägt den Untertitel „Große Küche für kleines Geld“, daher erwartete ich von den beinhalteten Rezepten eine ...

Das Buch „Rachs Rezepte für jeden Tag“ von Christian Rach und seiner Co-Autorin Susanne Walter trägt den Untertitel „Große Küche für kleines Geld“, daher erwartete ich von den beinhalteten Rezepten eine einfache Umsetzung im Alltag mit Lebensmitteln, die ich auch in Märkten in der Kleinstadt erhalte, in der ich wohne.

Nach einem kurzen Vorwort mit der Erklärung des Autors zu seinem Motto „Kochen ist einfach und macht Spaß“ werden auf einer Doppelseite die häufigsten benötigten Utensilien und auf einer weiteren die wichtigsten Kräuter gezeigt. Da ich mit beidem bestens ausgestattet bin, freute ich mich auf die nun folgenden Rezepte. In der Inhaltsübersicht sind die Kapitel Salate, Suppen & Eintöpfe, Gemüse, Ofengerichte, Nudeln und Reis, Fisch und Meeresfrüchte, Geflügel und Fleisch sowie Süßes und Dessert aufgelistet.

Jedem Gericht ist eine Doppelseite gewidmet auf der die Zutaten und die Kochanleitung aufgeführt wird, begleitet mit einem großformatigen, einseitigen Foto des zubereiteten Rezepts. Auf einer grauen Steinplatte wird das Gericht auf den Fotos von Wolfgang Schardt jeweils auf einem neutralen hellen Teller, in der Pfanne oder dem Backofenblech gezeigt. Vor diesem schlichten Hintergrund leuchteten mir vor allem die Gemüse- und Kräuterfarben entgegen. Das sieht sehr appetitlich aus und fordert zum Nachkochen auf. Grundrezepte über verschiedene Brühen und Saucen werden nicht in der Anleitung beschrieben, sondern finden sich mit Verweis in einem eigenen Kapitel am Schluss des Buchs.

Der Überschrift folgt ein kurzer Einwurf, in welcher Richtung das Rezept einzuordnen ist wie beispielsweise, ob es würzig-frisch oder deftig, herbstlich oder frühlingsfrisch, mediterran oder asiatisch ist. In einem Kasten links von der Zubereitungsanleitung finden sich die nützlichen Hinweise auf die Zubereitungszeit, die Kilokalorienzahl, die Menge der Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate sowie die Angabe darüber, für wie viele Personen das Gericht geeignet ist. Darunter werden die Zutaten im Einzelnen mit Mengenangaben aufgelistet. Bei Zubereitungen im Backofen steht in der Anleitung die Temperatureinstellung für den Elektroherd mit Ober- und Unterhitze. Auf der letzten Seite des Buchs findet sich der Hinweis, dass weitere Temperaturangaben der Gebrauchsanweisung des eigenen Herds entnommen werden sollen.

Die Zubereitungszeit der Hauptgerichte liegt bei einer Stunde, meistens deutlich darunter, viele Gerichte sind schon nach einer halben Stunde fertiggestellt. Gelegentlich greift Christian Rach zur Vereinfachung auch mal zum fertigen Flammkuchen oder Strudelteig. Beim Durchblättern konnte ich mich davon überzeugen, dass fast alle Zutaten handelsüblich zu erhalten sind beziehungsweise die benötigten Kräuter in meinem Gärtchen wachsen.

Mir ist beim Durchblättern aufgefallen, dass das Buch viele vegetarische Gerichte, mit Ausnahme natürlich in den Kapiteln Fisch und Fleisch, enthält, was ich sehr gut finde. Ich habe verschiedene Rezepte aus „Rachs Rezepte für jeden Tag“ ausprobiert: eine Kürbissuppe mit Flammkuchen, eine Ofendorade mit Kartoffeln, Salat und Zitronen-Kräuter-Vinaigrette sowie ein Bananen-Zimt-Quark. Alles ließ sich nach der jeweiligen Anleitung problemlos zubereiten und das fertige Gericht sah vergleichbar so aus wie auf dem Foto im Buch. Auch die Zubereitungszeit passte jedes Mal ungefähr. Es hat mir und meiner Familie sehr gut geschmeckt und daher empfehle ich das Buch gerne weiter. Einige Rezepte habe ich mir bereits markiert, um bald schon die benötigten Lebensmittel einzukaufen und weitere leckere Gerichte von Christian Rach zuzubereiten.

Veröffentlicht am 16.11.2019

Romantische Komödie: Witzig, mit Charme, viel Liebe und Happy End

Happy End für zwei
0

„Happy End für 2“ ist eine romantische Komödie der Engländerin Rachel Winters mit viel Liebe und Herzschmerz. Im Mittelpunkt des Romans steht die Protagonistin Evelyn, kurz Evie genannt. Sie erzählt die ...

„Happy End für 2“ ist eine romantische Komödie der Engländerin Rachel Winters mit viel Liebe und Herzschmerz. Im Mittelpunkt des Romans steht die Protagonistin Evelyn, kurz Evie genannt. Sie erzählt die Geschichte in Ich-Form. Der Beginn jedes Kapitels ist wie ein Drehbuch gestaltet, mit Handlungsort und -zeit und einem Aufriss der Handlungssituation. Im Prolog konnte ich Evie in einer Umsetzung ihres Vorhabens erleben, „Magische Momente“ aus bekannten RomCom-Filmen (RomCom= romantische Komödien) nachzuspielen und dabei den Mann fürs Leben kennen zu lernen.

Nach dem Ende ihrer Beziehung vor einem guten Jahr ist Evie eigentlich noch nicht bereit für eine neue große Liebe. Aber als langjährige Assistentin in einer angesehenen Filmagentur hat sie mit dem bedeutendsten Klienten einen Deal abgeschlossen. Der oskarprämierte Ezra Chester hat vor über einem Jahr einen Vertrag für das Drehbuch zu einer RomCom abgeschlossen und verweigert nun die Abgabe. Er hat noch nie in dem Genre geschrieben hat, weil er diese Art von Geschichten für nicht realistisch hält. Für Evie steht dabei viel auf dem Spiel, denn wenn Ezra seinen Vertrag nicht erfüllt, ist ihr Job in Gefahr. Sie bietet ihm an, zu beweisen, dass man sich auf die gleiche Weise wie in den bekannten Filmen kennenlernen und verlieben kann, wenn Ezra im Gegenzuge dafür sein Drehbuch abgibt.

Schon von den ersten Seiten an amüsierte ich mich einerseits darüber, wie Evies Umsetzung von Filmszenen zum Kennenlernen eines festen Partners vollkommen schiefläuft, andererseits bemitleidete ich sie, was sich gefühlsmäßig noch dadurch steigerte als ich den Hintergrund ihrer Handlung auf den nächsten Seiten erfuhr. Dadurch bringt die Autorin zwar ein wenig Drama in die Geschichte, ohne bei mir jedoch die überwiegend heitere Stimmung aufzulösen, denn Evie ist sich ihres Tuns durchaus bewusst und auch der sich daraus ergebenden Konsequenzen. Schon viel zu lange ist sie lediglich Assistentin in der Agentur, ohne sich große Hoffnung auf eine Beförderung zur Agentin zu machen. Sie gibt ihrem geringen Selbstbewusstsein dafür die Schuld und den Umständen in Bezug auf ihr Arbeitsverhältnis. Doch im Laufe des Romans entwickelt sie sich durch ihre gewonnenen Erfahrungen und mit der Hilfe ihrer Freunde weiter.

Der Roman läuft, wie bei einer RomCom zu erwarten ist und so wie der Titel es schon andeutet, auf ein Happy End zu, doch schon nach etwa einhundert Seiten wurde deutlich, dass für Evie mindestens drei potentielle neue Partner in Frage kommen, zu denen ich auch den, noch durch den Deal zu gewinnenden neuen Freund zähle.

Die Geschichte „Happy End für 2“ ruft Erinnerungen an viele unvergessliche romantische Komödien aus den letzten vier Jahrzehnten wach, die im Roman erwähnt werden. Es beeinträchtigt den Lesegenuss nicht, wenn man die erwähnten Filme nicht gesehen hat, aber es fordert geradezu dazu auf, sie sehen zu wollen. Rachel Winters schreibt herzerwärmend und erheiternd. Meine Erwartungen an eine romantische Komödie wurden durch den Roman gänzlich erfüllt. Gerne empfehle ich diese unterhaltsame, liebevolle und amüsante Geschichte weiter.

Veröffentlicht am 06.11.2019

Realität mit Fiktion geschickt verknüpft

Metropol
0

Vor acht Jahren hat Eugen Ruge den fiktiven Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ veröffentlicht, in dem er einen Teil der Geschichte seiner Familie verarbeitet hat. Mit dem Buch „Metropol“ hat er erneut ...

Vor acht Jahren hat Eugen Ruge den fiktiven Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ veröffentlicht, in dem er einen Teil der Geschichte seiner Familie verarbeitet hat. Mit dem Buch „Metropol“ hat er erneut einen Roman mit autobiografischem Hintergrund geschrieben, der mich als Leserin mit in das Jahr 1936 nach Moskau nahm.

Im Mittelpunkt steht die Großmutter des Autors, in der Geschichte mit ihrem gewählten Decknamen Lotte Germaine zu finden. Lotte und ihr Ehemann Wilhelm aus Deutschland sind überzeugte Kommunisten und in die Sowjetunion eingewandert. Dort arbeiten sie für den Nachrichtendienst der 3. Kommunistischen Internationale, kurz „Komintern“. Lotte ist stolz auf ihre Fremdsprachenkenntnisse und der Möglichkeit als Frau mit zwei inzwischen erwachsenen Kindern berufstätig zu sein. Während beide sich auf einer mehrwöchigen Urlaubsreise nach Jalta befinden, liest Lotte in einer Zeitung von dem gerade in Moskau stattfindenden Prozess gegen mehrere Volksfeinde. Einige der im Artikel genannten Personen sind ihr bekannt, mit einem von ihnen hatte das Ehepaar näheren Kontakt.

Für die Kommunisten der damaligen Zeit gestaltete es sich schwierig, zwischen Freund und Feind, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und sich danach entsprechend abzugrenzen und zu positionieren. Für Wilhelm und Lotte ist schnell klar, dass sie ihre Bekanntschaft zu dem Prozessangeklagten der Parteileitung melden müssen, denn ein Verschweigen könnte darauf hindeuten, dass sie selbst etwas zu verheimlichen haben und vielleicht den Angeklagten bei seinen Verbrechen unterstützten. Nur kurz nach Einreichen eines entsprechenden Berichts über die Bekanntschaft zum Angeklagten müssen beide ihre bisherige Wohnung räumen, ins angesehene Hotel Metropol ziehen und auf weitere Anweisungen warten.

Für das Ehepaar beginnt eine Zeit der Hoffnung auf eine neue Zukunft, die aber gleichzeitig verbunden ist mit Ungewissheit, Skepsis und zunehmender Vorsicht im Kontakt mit Jedem, dem sie begegnen. Misstrauen macht sich nicht nur von ihrer Seite aus breit, sondern sie spüren auch die Zurückhaltung der Personen zu ihnen.

Eugen Ruge schafft mit der Verknüpfung der realen geschichtlichen Ereignisse, realer Figuren und fiktiven Ausschmückungen, unter der Vorstellung wie es gewesen sein könnte, ein Zeitdokument, das mir als Leser einen Einblick in den sowjetischen Alltag Mitte der 1930er Jahre gewährte. Er vermittelte mir die steigende Unsicherheit der Sowjetbürger im Umgang miteinander.

Während die Haupthandlung auf Lotte und Wilhelm fokussiert, versetzt der Autor sich in einigen Kapiteln in die tragende Rolle des an den Moskauer Prozessen beteiligten vorsitzenden Richters. Auch hier gelingt ihm eine glaubwürdige Darstellung, die mir zeigte, wie weit Menschen in ihrem Streben nach Macht und Anerkennung bei gleichzeitiger Gehorsamkeit zur obersten Führung und eisernem Festhalten an einer Ideologie zu gehen bereit sind.

Außerdem widmet Eugen Ruge noch einer weiteren Mitarbeiterin der Komintern einige Kapitel. Aus ihrem Schicksal wird deutlich, welchen weiteren glücklichen Verlauf das Leben der Großmutter des Autors im Vergleich genommen hat. Der Autor versteht es, kleine Details zur Untermalung besonderer Situationen zu nutzen, die die Intensität des Erzählten verstärken. Manchmal lässt er in Lottes zunehmenden Gedankenkreisel voller Sorgen nahezu lakonisch Bemerkungen einfließen, die den Roman, dessen Unterton durchgehend bedrückend ist, stellenweise ein wenig aufheitern.

Mit „Metropol“ ist Eugen Ruge erneut ein faszinierender Blick auf ein Stück Zeitgeschichte gelungen, das er authentisch in Romanform unter Einarbeitung eines Teils der eigenen familiären Erlebnisse seiner Großmutter verarbeitet hat. Gerne empfehle ich den Roman weiter.

Veröffentlicht am 29.10.2019

Ein Roman über den Traum von Selbstverwirklichung jenseits der eigenen Wurzeln

Wilde grüne Stadt
0

Der Roman „Wilde, grüne Stadt“ ist das Debüt von Marius Hulpe und trägt den Untertitel „Im Labyrinth des entwurzelten Lebens“. Die wilde grüne Stadt ist die westfälische Kreisstadt Soest. Hier spielt nicht ...

Der Roman „Wilde, grüne Stadt“ ist das Debüt von Marius Hulpe und trägt den Untertitel „Im Labyrinth des entwurzelten Lebens“. Die wilde grüne Stadt ist die westfälische Kreisstadt Soest. Hier spielt nicht nur die Haupthandlung, sondern hier wurde auch der Autor geboren. Die Farbbezeichnung im Titel bezieht sich darauf, dass viele Bauten der Stadt aus Grünsandstein bestehen und dieser Stein recht weich und dadurch stark witterungsanfällig ist. Ich habe das bildlich auch in Bezug auf Clara, eine der Protagonisten gesehen. „Wild“ ist die Stadt, weil sie Menschen unterschiedlichster Herkunft und mit verschiedenen Ideologien Heimat gibt und gerade dieser Umstand bildet den Hintergrund für die Erzählung. Marius Hulpe zeigt, wie das Leben selbst auf vielfache Weise den Einzelnen durch Konventionen und Missbrauch von Autorität in ein Labyrinth führen kann, wie man sich dort aber auch durch ruhige, aber permanente Rebellion scheinbar verirrt.

Clara, Reza und ihr gemeinsamer Sohn Niklas sind die Protagonisten des Romans. Clara Matei ist in Soest geboren und aufgewachsen. Aufgrund des fehlenden Stammhalters führt sie das Geschäft ihres Vaters als gelernte Kürschnerin weiter. Anfang der 1970er Jahre wird sie von einem Ausländer schwanger. Den einige Jahre älteren Reza kennt sie durch ihren Freundeskreis. Er ist 1941 im Hamadaner Land im Iran geboren worden. Seine Familie hat ein Gut und er ist dazu vorgesehen später den Besitz weiter zu verwalten. Ende der 1950er widerspricht er in seiner Position als Unteroffizier seinem General. Als Strafe für diesen Widerstand gegen den Willen des Volkes wird er nach Deutschland entsandt, um dort nach seinem Abitur in Baden-Württemberg Agrarmaschinenbau in Soest zu studieren.

Clara und Reza bekommen 1982 den gemeinsamen Sohn Niklas. Reza ist zu dieser Zeit zum Politikstudium in Berlin. Sie führen eine lose Beziehung, die Erziehung des gemeinsamen Sohns Niklas bleibt in den Händen von Clara. Obwohl die drei Hauptfiguren zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Ländern aufwachsen, verbindet sie die Tatsache, dass sie auf ihre eigene Weise nach Freiraum streben, um ihre Lebensträume umsetzen zu können.

Marius Hulpe erzählt seine Geschichte über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrzehnten hinweg. Der Blick auf den jeweils im Mittelpunkt stehenden Protagonisten wechselt meist von Kapitel zu Kapitel, gleichzeitig wechselt dabei auch das Handlungsjahr. Der Autor erzählt nicht in chronologischer Abfolge, sondern in kleinen Erzählstücken über bedeutsame Ereignisse im Leben seiner Hauptfiguren.

Die Charaktere entwickeln sich über die Jahre hinweg weiter. Jede von ihnen unterliegt bestimmten Erwartungen von Kindheit an. Während Reza im Iran zum Gutsherrn erzogen wurde, erhofften sich Claras Eltern von ihrer Tochter die Weiterführung des Geschäfts. Claras Verhältnis zu Männern ist meiner Meinung nach, ein stiller Aufstand gegen die Verhaltensnormen der Soester Kleinbürger, weil ihr der Mut zum offenen Widerstand fehlt und sie dennoch die Geborgenheit, den Rückhalt durch die Familie schätzt. Die Schattenseite ihres Berufs wird Clara durch Proteste immer deutlicher, findet sich dadurch aber auch in ihrer eigenen Ansicht gestärkt.

Niklas wächst in einer, durch Claras Einflüsse liberalisierten Umgebung auf, hat schon früh einen Berufswunsch und dennoch spürt er die alten Konventionen. Allein sein dunkler Teint sorgt gelegentlich dafür, dass er ausgeschlossen wird. Der Autor verführte mich aufgrund der Beschreibungen von sträflichen Handlungen seines Vaters zu einem gedanklichen Transfer auf den Charakter des Sohns und brachte mich so ins Grübeln über schnelle Rückschlüsse, Vorverurteilungen und ungerechtfertigte Anforderungen.

„Wilde grüne Stadt“ ist nicht nur ein Roman über den Traum der Selbstverwirklichung, sondern gewährt gleichzeitig einen Einblick in das soziale Gefüge einer kleinen Mittelstadt. „Im Labyrinth des entwurzelten Lebens“ sind Clara, Reza und Niklas auf der Suche nach einer Möglichkeit des Aufbrechens von althergebrachten gesellschaftlichen Strukturen und Mustern. Gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.

Veröffentlicht am 11.10.2019

Wunderbarer, begeisternder Roman

Der größte Spaß, den wir je hatten
0

In ihrem Debütroman „Der größte Spaß, den wir je hatten“ schreibt die US-Amerikanerin Claire Lombardo über das fiktive ältere Ehepaar David und Marilyn Sorenson und ihre vier Kinder. Bei David und Marilyn ...

In ihrem Debütroman „Der größte Spaß, den wir je hatten“ schreibt die US-Amerikanerin Claire Lombardo über das fiktive ältere Ehepaar David und Marilyn Sorenson und ihre vier Kinder. Bei David und Marilyn wird der Buchtitel zum Motto, denn Ehepartner und Eltern sein ist für sie das Wichtigste in ihrem Leben. Ihre Familie ist vergleichbar mit den Gingkobäumen, von denen Blätter auf dem Cover zu sehen sind und die im Garten des Eigenheims der Familie stehen: sie sind tief verwurzelt und langlebig, besitzen eine feine Struktur und trotzen der Natur auch in schwierigen Zeiten. Doch wie sich im Roman zeigen wird, können weder Familie noch Gingkos sich vor allen Einflüssen schützen und bleiben dadurch angreifbar.

Der Roman spielt in der Gegenwart und beginnt im Frühjahr des Jahrs 2016. Ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich die Geschichte weiter über ein ganzes Jahr und mehr hinweg. Immer wieder wird die Erzählung durch längere Rückblicke unterbrochen, einen ersten Blick auf die Vergangenheit gibt es bereits im Prolog. Obwohl die Autorin die Familienkonstellationen bereits auf den ersten Seiten beschreibt, bringen erst die Retrospektiven ein tieferes Verständnis für die Figuren und ihre Handlungen.

David und Marilyn sind beide über 60 Jahre alt, seit 39 Jahren verheiratet und wohnen in Chicago. Ihre vier Töchter sind inzwischen erwachsen und ausgezogen. Wendy ist die Älteste und wurde noch im gleichen Jahr geboren, in dem ihre Eltern geheiratet habe. Ihre Schwester Violet ist kein ganzes Jahr jünger als sie. Beide wohnen noch in der Stadt genauso wie Liza, die mit einem zeitlichen Abstand von sechs Jahren zu ihrer ältesten Schwester geboren wurde. Erst etwa zehn Jahre nach ihr kam dann Grace zur Welt, die inzwischen in Portland wohnt.

Neben Wendy, die schon einige Verluste in ihrem Leben hinnehmen musste, haben auch die übrigen Geschwister ihre Last zu tragen und jede genießt glückliche Zeiten. Die große Liebe ihrer Eltern ist ihnen immer ein Vorbild, doch es ist schwierig, sie im gleichen Maß zu erreichen. Jonah ist das große Geheimnis von Violet, sie hat ihn nach der Geburt vor 15 Jahren zur Adoption freigegeben. Der Roman erzählt im Folgenden, wie es dazu kam, warum er jetzt wieder Kontakt zur Familie hat und wie die einzelnen Familienmitglieder mit seinem Erscheinen umgehen.

In ihrem Roman schreibt Claire Lombardo über alltägliche Situationen, in denen jeder ihrer Leser sich bestimmt irgendwo wiederfindet. Ihre Geschichte fokussiert auf den einzelnen Charakteren. Die Geschwister beschreibt sie mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften, was den Roman abwechslungsreich gestaltet. Vor allem im Austausch zwischen Wendy und Violet stehen sich immer wieder sehr verschieden Ansichten gegenüber.

Die Szenerie wechselt innerhalb der Kapitel mehrfach zwischen den Personen. Die Autorin beschreibt mit großer Empathie auch die Gefühle ihrer Figuren. Zwar ist die Autorin erst 30 Jahre, dennoch schreibt sie mit einer hohen Lebenserfahrung, die sich sicher auch daraus ergibt, dass sie die Jüngste von fünf Geschwistern ist und eine gute Beobachtungsgabe sowie ein großes Interesse an ihrer Umgebung besitzt.

David und Marilyn haben einander immer respektvoll behandelt und sind fast immer offen mit ihren Meinungen umgegangen. Dennoch sind sie gemeinsam über viele Höhen und durch viele Tiefen gegangen. Sicher wurde ihr Leben dadurch erleichtert, dass es zwar Zeiten gab, in denen ihr Budget gering war, dennoch haben sie immer auf die Unterstützung ihrer Eltern setzen können und später hat David als Arzt sehr gut verdient. Für ihre Kinder sind die beiden der Fels in der Brandung, sie bieten ihnen jederzeit eine Schulter zum Anlehnen. Was sich zunächst nach einer beneidenswerten Basis und Vertrauen anhört, stellt sich wie in der Realität als schwierig dar, weil jede Person unterschiedliche Vorstellungen davon hat, wie viel Privatheit er benötigt und wie viel Nähe er zulassen will. So ist es auch für David und Marilyn eine Gradwanderung, herauszufinden, in welchem Maße jede ihrer Töchter Zuwendung benötigt und zwar nicht nur als Kind, sondern auch im erwachsenen Alter.

Claire Lombardo ist mit „Der größte Spaß, den wir je hatten“ ein wunderbarer, mich begeisternder Roman gelungen, der einfühlsam beschreibt, wie ein Ehepaar über viele gemeinsame Jahre hinweg Sorgen um und Probleme mit ihren vier sehr unterschiedlichen Töchtern meistert, die inzwischen als Erwachsene ihren eigenen Weg gehen und dabei auf ihre Weise mehr oder weniger eigene Lösungen für ihre Schwierigkeiten finden. Die Autorin gewährte mir als Leserin tiefe Einblicke in die jeweiligen Liebesbeziehungen und ließ mich an den kleinen Scharmützeln unter den Familienmitgliedern teilhaben. Unerwartete Wendungen und einige Geheimnisse gestalten den Roman abwechslungsreich. Sehr gerne vergebe ich hierzu eine uneingeschränkte Leseempfehlung.