Hinterm Hasen lauert eine ganz wichtige Message
Wer ist der Hase? Und warum lauert er hinter dem Hasen? Das sind anfangs die essentiell wichtigsten Fragen, die man sich stellt, wenn man das Buch zum ersten Mal in der Hand hält. Das sind die Leitfragen, ...
Wer ist der Hase? Und warum lauert er hinter dem Hasen? Das sind anfangs die essentiell wichtigsten Fragen, die man sich stellt, wenn man das Buch zum ersten Mal in der Hand hält. Das sind die Leitfragen, die sich durch die Handlung ziehen und dem Buch seinen roten Faden geben.
Der Plot ist eigentlich ziemlich einfach gestrickt: Da sind Entführungen, die die Stadt in Angst und Schrecken versetzen. Die neue Schülerin in Finns Klasse, die ein Geheimnis hat. Der neue Nachbar, der irgendwie sonderbar ist. Und plötzlich redet nur noch jeder von dem Hasen, der der Täter sein soll. Finn will herausfinden, wie alles zusammenhängt. Was hat Claire, das neue Mädchen in seiner Klasse, mit den Entführungen zu tun? Und warum liegt unter dem Bett seines neuen Nachbarn diese Hasenmaske?
Ich finde den Plot wirklich sehr gelungen, auch wenn mir leider nicht ganz klar geworden ist, wie Finn auf einmal in die ganze Sache hineingerutscht ist. Beim Lesen kam es mir so vor, als sei Finn, der Protagonist, davon überzeugt, als Einziger diesen seltsamen Fall aufklären zu können, weil alle anderen ja verrückt sind und er als einzig Normaler einen kühlen Kopf bewahren kann. Verrückt sind die anderen Charaktere durchaus, besonders die Lehrer, die über die Maßen streng und respektlos gegenüber ihrer Schüler sind und sie immer wieder zurechtweisen, obwohl sie eigentlich ganz normale Teenager sind, die es nicht in Ordnung finden, wie herablassend mit ihnen geredet wird. Auch die Eltern haben ihre ganz speziellen Charaktermerkmale, durch die sie ziemlich desinteressiert rüberkommen, was auf mich leider sehr unrealistisch wirkt. Bei Teenagern kommt es oft so rüber, als interessieren sich die Eltern und Lehrer nicht für einen und können einen nicht verstehen (ich schätze, dass kennt zweifellos jeder), aber alle Eltern, die Augen im Kopf haben und denen als durchschnittliche Kleinstadtfamilie etwas an ihren Kindern liegt, bekommen die Probleme ihrer Kinder mit - und sprechen diese darauf an, bevor es zu spät ist. Genauso wie Lehrer, die ihre Schüler jeden Tag im Unterricht sehen. Für mich passte das nicht in das anfangs gezeichnete Bild der Familie, die zwar durchaus verrückt und speziell, aber dennoch sehr aufmerksam und liebenswert ist.
Die Erzählerstimme trieft oft vor Sarkasmus und ziemlich dunklem Humor, was zweifelsfrei Geschmackssache ist. Allerdings stellt sich der Protagonist oft so da, als sei er der einzig Vernünftige in der ganzen Figurenkonstellation, was Finn für mich unsympathisch erscheinen lässt. Er behauptet von sich, einen echt genialen Humor zu haben - es ist fraglich, ob die Aussage sarkastisch gemeint ist oder nicht. Teilweise wirkt er unfassbar selbstverliebt und arrogant. Einige Kommentare sind wirklich ziemlich witzig, allerdings gibt es einige Stellen, bei denen fraglich ist, ob Sarkasmus und schwarzer Humor wirklich dahin gehören. Besonders, was Noahs Outing oder die Stelle im Altersheim betreffen. Die Kommentare des Erzählers und Finns Reaktionen machen die Story für mich in einigen Szenen unrealistisch, wodurch ich immer wieder aus dem Buch herausgeschleudert wurde und mich fragte, ob das jetzt wirklich sein muss. Dementsprechend habe ich mich entweder über die Charaktere aufgeregt, oder mitgefiebert. Zwischendurch wusste ich nicht, ob ich das Buch gegen die nächste Wand werfen oder lieben soll. Ich denke, so sollte es sein.
Dafür sind die Dialoge von philosophischen Fragen durchzogen, mit denen ich mich wirklich beschäftigt habe. Wer bin ich eigentlich? Was will ich einmal im Leben machen? Worauf will ich einmal zurückblicken? So viel Tiefsinn und Direktheit, die Finn da an den Tag legt, machen ihn zu einem vielschichtigen Charakter. Auf der einen Seite ist er der Teenager, der alles scheiße findet und alles großkotzig kommentiert. Er wirkt cool, obwohl er keine Freunde hat, was ihn nicht wirklich zu stören scheint. Aber auf der anderen Seite macht er sich wirklich Gedanken über das Leben, über Handlungen oder über das, was andere sagen. Besonders über das, was Claire sagt.
Obwohl ich finde, dass die Figuren oft unangebracht reagieren, unpassende Antworten geben oder durch besonders verrückte Charaktermerkmale und das damit verbundene Auftreten ziemlich desinteressiert wirken, bewundere ich Colin Hadler für die Vielschichtigkeit seiner Figuren. Ich habe selten so ein Buch mit einzigartigen Charakteren gelesen. Auch, wenn mich der Twist am Ende nicht sehr überrascht hat (für mich war es von Anfang an ziemlich offensichtlich, wer der Hase ist) finde ich die Message am Ende unfassbar wichtig. Denn oft vergessen wir wirklich, warum ein Mensch so ist, wie er nun einmal ist und, dass wir eventuell durch unser eigenes Verhalten dazu beigetragen haben, dass er so geworden ist. Wir sehen immer nur das, was andere tun - aber sehen wir auch, was dahinter steckt?
Es gibt sicherlich Vieles, was das Buch als sehr fragwürdig darstellt. Der Stil und die Figuren sind definitiv pure Geschmackssache und auch wegen einiger Szenen in der Handlung sollte ich das Buch vielleicht noch einmal lesen, um sie besser zu verstehen. Aber die Prämisse dahinter ist unfassbar wichtig und originell und erinnert uns an etwas, das man so leicht aus den Augen verlieren kann. Wir beurteilen Menschen nach ihren Handlungen, geben uns aber nicht die Mühe, sie zu verstehen. Wir sehen nur, dass jeder Angst vor dem Hasen hat - aber der Fuchs, der den Hasen bedroht und gegen den sich der Hase wehrt, vergisst jeder. Da ist nur der Hase, der für sich selbst und fürs Überleben kämpft.
Es ist wirklich beeindruckend, dass Colin Hadler schon in seinem Debüt mit so viel Tiefsinn und einer unfassbar wichtigen Prämisse aufblüht. Dafür hat er meinen allergrößten Respekt! Ich bin gespannt auf das, was wir noch von ihm hören dürfen.