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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.10.2019

Großes Verwirrspiel

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
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Wer muss bei diesem Klappentext nicht sofort an einen wilden Genre-Mix aus Agatha Christie und Groundhog Day denken?

Die Familie Hardcastle hat eingeladen zu einem großen Maskenball auf dem Familienanwesen, ...

Wer muss bei diesem Klappentext nicht sofort an einen wilden Genre-Mix aus Agatha Christie und Groundhog Day denken?

Die Familie Hardcastle hat eingeladen zu einem großen Maskenball auf dem Familienanwesen, der tragische Höhepunkt des Abends wird die Ermordung ihrer Tochter Evelyn sein. Dieser Tag wird sich so lange wiederholen, bis einer der Gäste, der sich jeden Tag in einem anderen Körper wiederfindet, den Fall gelöst hat.

Zeitschleifen wurden bisher schon unzählige Male in Filmen, Serien und Büchern umgesetzt; man denke dabei nur an Edge of Tomorrow, Zurück in die Zukunft oder ganz klassisch H.G. Wells Die Zeitmaschine. Allerdings hat sich Stuart Turton förmlich selbst übertroffen und dieses Stilmittel auf eine neue Ebene gehoben. Selten habe ich einen solch komplexe Storyline erlebt, bei der der Leser dermaßen gefesselt und zum Mitdenken angeregt wird.

"Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle" ist definitiv kein Buch für Zwischendurch; als Bettlektüre war es (zumindest für mich) absolut ungeeignet. Man kann nicht mal eben als Lückenfüller ein paar Seiten lesen und das Buch dann wieder weglegen.
Für Evelyn muss man sich ein oder zwei Tage Zeit nehmen, dem Buch Raum zum Wirken geben. Am besten keine Ablenkung in Form von Musik, Fernsehen oder Gesprächen zulassen. Wenn man einmal auf Blackheath angekommen ist und die verwirrende Suche nach dem Mörder (und anderen Schergen) begonnen hat, vergisst man schnell alles andere um sich herum und wird dafür mit einem großartigen, überraschenden Leseerlebnis belohnt!

Veröffentlicht am 12.10.2019

Düster und tiefgründig

Melmoth
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Im Leben von Helen geschehen seltsame Dinge:

Die junge Frau, die ein enthaltsames, zurückgezogenes Leben in Prag führt hat nur wenige Freunde. Als einer dieser Freunde ein seltsames Manuskript erbt, beginnt ...

Im Leben von Helen geschehen seltsame Dinge:

Die junge Frau, die ein enthaltsames, zurückgezogenes Leben in Prag führt hat nur wenige Freunde. Als einer dieser Freunde ein seltsames Manuskript erbt, beginnt dieser Text auch ihr Leben zu beeinflussen. Und so hört sie zum ersten Mal von Melmoth, der Zeugin...

Sarah Perry hat mit diesem Buch einen Schauerroman geschrieben, der mit vielen seiner mysteriösen Elemente und vor allem seinem Schreibstil stark an alte Größen des Genres wie Bram Stoker erinnert. Die Atmosphäre packt einen schnell und lässt nicht mehr los, man kann den Nebel in den Straßen Prags fast auf der Haut spüren.

Aber Melmoth begeistert mich nicht nur aufgrund der Stimmung. Sarah Perry hat eine sprachliche Kunstfertigkeit, die ihre Bücher zu einem besonderen Stück Literatur machen. Ihre Bücher lassen sich vielleicht nicht leicht lesen, man muss ihnen Raum und Zeit zum Wirken geben; sie verlangen die ganze Aufmerksamkeit des Lesers. Aber dafür treffen sie tief und wirken beinahe hypnotisierend.

Abgesehen von ihrem literarischen Unterhaltungswert schaffen sie es aber auch, zum Nachdenken anzuregen. Melmoth, die Zeugin, steht für die Verantwortung aller Menschen, bei Untaten, seien sie klein oder groß, nicht wegzusehen oder untätig zu bleiben. Und vor allem sollen wir uns erinnern, an alle Opfer vergangener Auseinandersetzungen.

"Nein, Thea, es gibt keine Melmoth, niemand beobachtet uns. Wir sind ganz allein, deswegen müssen wir tun, was Melmoth tun würde: Wir müssen hinsehen und bezeugen, was nicht in Vergessenheit geraten darf."

Ich befürchte, dass es "Melmoth" nicht leicht haben wird, Bewunderer zu finden. Dafür wirkt es manchmal zu sperrig und zu düster. Aber wenn man ihm die Chance gibt zu beeindrucken, wird es seine ganze Pracht entfalten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Geschichte
  • Figuren
Veröffentlicht am 10.10.2019

Trotz allem lesenswert

Miroloi
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Wie rezensiert man ein Buch, über das gefühlt schon jeder gesprochen hat? Ich könnte jetzt darüber schwafeln, wie sehr oder auch nicht so sehr "Miroloi" wirkliche eine Ode an den Feminismus ist.

Schließlich ...

Wie rezensiert man ein Buch, über das gefühlt schon jeder gesprochen hat? Ich könnte jetzt darüber schwafeln, wie sehr oder auch nicht so sehr "Miroloi" wirkliche eine Ode an den Feminismus ist.

Schließlich geht es ja um ein Mädchen, dass sich in einer patriarchalen Gesellschaft auflehnt und für ihre Freiheit kämpft.

Stattdessen muss ich eher sagen, dass Karen Köhler hier ein wirklich umfassendes Gesellschaftsbild geschaffen hat, das mit seinen starren Strukturen nicht nur die Frauen unterdrückt, sondern sich umfassend in seiner Entwicklung hemmt und der Wilkür die Tür öffnet. Dabei bedient sie sich Anleihen aus allen möglichen Kulturen und auch Glaubensrichtungen, denn tatsächlich wird hier die Religion als das Macht(misbrauchs)instrument schlechthin dargestellt und schafft so eine universell anwendbare Parabel, die eigentlich zu jeder Zeit und an jedem Ort spielen könnte.

Das ganze ist verpackt in eine wunderbare, außergewöhnliche Bildsprache. Allein der Schriftsatz spiegelt wunderbar das Innenleben der Hauptfigur wieder, ist schlicht gehalten und bildet in seiner Struktur die Gefühle des Mädchens ab.

Man könnte jetzt sagen, dass es dieses Buch zu recht nicht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, zeigt es doch kleine Schwächen in der Handlung, aber das ist für mich auch gar nicht wichtig. Viel wichtiger ist doch, dass es mich einfach furchtbar gut unterhalten hat und was, wenn nicht das, ist denn das Ziel eines Buches?

Veröffentlicht am 02.09.2019

Viel Kraft klein verpackt

Wie man einen Toaster überlistet
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Als ich dieses Buch in meiner neuen Lieblings-Fantasybuchhandlung entdeckt habe, hielt ich es für eine spannende, kurzweilige SciFi-Geschichte. Von der Länge her genau das richtige für eine Zugfahrt oder ...

Als ich dieses Buch in meiner neuen Lieblings-Fantasybuchhandlung entdeckt habe, hielt ich es für eine spannende, kurzweilige SciFi-Geschichte. Von der Länge her genau das richtige für eine Zugfahrt oder einen Wochenendausflug. Umso mehr hat es mich überrascht.

Denn diese Novelle ist so viel mehr als ein Lückenfüller, etwas, das man kurz dazwischenschiebt. Die Geschichte über Küchengeräte, die dank Programmierung nur noch Lebensmittel bestimmter Hersteller akzeptieren, erscheint mir weniger Fiktion als bereits Realität. Man muss dabei doch nur an Amazon oder Netflix denken. Wie weit der Schritt von Luxusartikeln wie Literatur oder Streaming zu Grundnahrungsmitteln ist, kann man sich ja selbst ausrechnen.

Viel wichtiger ist aber der gesellschaftskritische Standpunkt, den das Buch vertritt. So kann man sich den Luxus einer freien Wahl über Lebens- oder Ernährungsweise nur erlauben, solange man die nötigen finanziellen Mittel oder den entsprechenden sozialen Rang hat.

Cory Doctorow schafft es, diese Thematik knapp und unterhaltsam aufzubereiten, ohne dabei schulmeisterlich zu wirken. Er hat seiner Geschichte genau den Raum gegeben, den sie benötigt hat, um seinen Standpunkt klar zu machen. Mehr ist dazu einfach nicht zu sagen!

Veröffentlicht am 21.07.2019

Kindheitserinnerungen

Bell und Harry
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Mit "Bell und Harry" hat der Hanser-Verlag nun eines der frühen Werke von Jane Gardam in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Und so angenehm ihr Schreibstil auch hier schon erscheint, so merkt man dem ...

Mit "Bell und Harry" hat der Hanser-Verlag nun eines der frühen Werke von Jane Gardam in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Und so angenehm ihr Schreibstil auch hier schon erscheint, so merkt man dem Buch die Kinderschuhe sprichwörtlich noch an. Dass das Buch zu seiner Zeit eine bekannte Auszeichnung in der Rubrik Kinderbuch gewonnen hat, sagt meiner Meinung nach viel aus.

Die Geschichte erzählt episodenhaft von der Freundschaft zweier sehr verschiedener Jungen. Ab dem ersten Sommer, in dem Harry mit seiner Familie aus London den Hof Light Trees von Bells Familie gepachtet hat, kann man beobachten, wie sich die Großstädter immer mehr an das Landleben und seine Eigenheiten gewöhnen und wie die beiden familien über die Jahre zusammenwachsen.

Die Geschichte ist ruhig erzählt, enthält aber trotzdem einen feinen versteckten Humor, der lange nachklingt. Durch die kurz gehaltenen Sätze und die recht einfache Wortwahl passt die Einordnung als Kinderbuch aber auch sehr gut.

Fazit:
Ich empfand das Buch als sehr angenehmen Wohlfühlroman, der mich an meine eigenen Kindheitserlebnisse auf dem Land erinnert hat. Ich würd jedem eine solche Freundschaft wie die von Bell und Harry wünschen.