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Veröffentlicht am 28.10.2019

Was bedeutet Familie?

Die Altruisten
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„Die Familie Alter wurde von Feuer geplagt“. Autor Andrew Ridker zieht uns ohne große Umstände gleich zu Beginn seines Buches mitten hinein in die Ereignisse, die das Leben von Francine, Arthur, Maggie ...

„Die Familie Alter wurde von Feuer geplagt“. Autor Andrew Ridker zieht uns ohne große Umstände gleich zu Beginn seines Buches mitten hinein in die Ereignisse, die das Leben von Francine, Arthur, Maggie und Ethan bestimmen. Mit Feuer als unheilvollen Vorzeichen beginnt sein Roman, mit einem die Familie versöhnenden „reinigenden“ Feuer endet er aber auch. Der Hauptteil beschäftigt sich intensiv mit den (sehr verschiedenartigen) Lebensgeschichten und -erfahrungen der einzelnen Familienmitglieder, die nach dem Tod von Mutter Francine ihre eigenen, getrennten Wege gehen. Erst zwei Jahre später bemüht sich Vater Arthur um ein Treffen mit seinen erwachsenen Kindern, zu denen er seit Francines Beerdigung keinen Kontakt mehr hatte. Allerdings hat sein Ansinnen weniger familiäre sondern eher pekuniäre Gründe; denn er ist auf das Erbe von Maggie und Ethan angewiesen, um das gemeinsame Haus weiterhin finanzieren zu können. Welche Wirkung wird dieses Treffen auf die drei Alters ausüben?
Sehr bildhaft und nicht ohne Humor beschreibt der Autor die unterschiedlichen Charaktere und Lebensweisen der Protagonisten, deren einziger gemeinsamer Nenner die (inzwischen verstorbene) Mutter Francine gewesen zu sein scheint. Ridker bedient sich verschiedener Zeitebenen, in denen er neben dem gegenwärtigen Leben seiner „Helden“ Episoden aus der Biografie der einzelnen Charaktere in Rückblenden erstehen lässt, und es dem Leser so ermöglicht, sich ein detaillierteres Bild von den Personen und ihren Verhaltensweisen zu machen. Sein unterhaltsamer, sehr angenehmer Schreibstil, unterlegt mit leichter Ironie, macht das Lesen zu einem Genuss.
Ob die Familie es schafft, wieder zueinander zu finden? Der Schluss des Romans klingt jedenfalls hoffnungsvoll…

Veröffentlicht am 13.10.2019

Mehr Frische im Winter

Ernte mich im Winter
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Umweltbewusstsein - so lautet das Schlagwort unserer Zeit. Eine der Möglichkeiten, achtsam und ressourcenschonend zu leben, bietet der Anbau von Wintergemüse in Garten oder auf dem Balkon. In seinem ...


Umweltbewusstsein - so lautet das Schlagwort unserer Zeit. Eine der Möglichkeiten, achtsam und ressourcenschonend zu leben, bietet der Anbau von Wintergemüse in Garten oder auf dem Balkon. In seinem neuen Buch „Ernte mich im Winter“ ermuntert Wolfgang Palme seine Leser dazu, anstatt weitgereistes oder im Treibhaus angebautes Gemüse im Supermarkt zu kaufen, auf heimische Sorten zurückzugreifen und diese - wo es möglich ist - selbst anzubauen. Dabei berichtet er von den Ergebnissen langjähriger Forschungen auf der Versuchsstation Zinsenhof in Niederösterreich, die belegen, dass viele unserer Gemüsearten widerstandsfähiger sind als bisher angenommen. Eine Reihe von Pflanzensteckbriefen stellt neben einigen der wichtigsten Vertreter von Wintergemüse auch eher unbekannte Arten wie etwa den Butterkohl oder die Winterheckenzwiebel in Wort und Bild vor. Da Anbau bzw. Aussaat für viele Gemüsesorten sowohl im Garten als auch in Balkonkästen oder –töpfen möglich sind, richtet sich Palme ebenfalls an „Stadtgärtner“. Sein Schreibstil ist dabei überraschend narrativ, „blumig“ und humorvoll, was man in einem Ratgeber so nicht unbedingt erwartet.
„Ernte mich im Winter“ ist, denke ich, als Motivation für und Einführung in die Wintergärtnerei gedacht, wie auch die zahlreichen Illustrationen belegen. Interessierte, die sich intensiver mit diesem Thema beschäftigen wollen, finden im Literaturverzeichnis weiterführende Publikationen und Links. Ein Glossar der Fachbegriffe, ein Stichwortregister und ein Verzeichnis der Bezugsquellen vervollständigen das Buch. Mein Fazit: Palmes Buch ist ein engagiertes Plädoyer für die Verlängerung der aktiven Arbeits- und Erntezeit über die übliche Gartenperiode hinaus und ein Ratgeber für Gartenneulinge.

Veröffentlicht am 06.10.2019

Brücke zwischen Generationen

Mino und die Kinderräuber
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Im Rahmen einer Schulaufgabe soll eine Abenteuergeschichte geschrieben werden. Chiara, die noch um den Verlust ihres kürzlich verstorbenen Großvaters trauert, schlägt ihren Freunden Selma und Drago vor, ...

Im Rahmen einer Schulaufgabe soll eine Abenteuergeschichte geschrieben werden. Chiara, die noch um den Verlust ihres kürzlich verstorbenen Großvaters trauert, schlägt ihren Freunden Selma und Drago vor, ein Abenteuer ihres Opas aufzuschreiben, das er selbst als Kind während des Zweiten Weltkriegs erlebt hat. Mit Feuereifer machen sich die drei an eine spannende Erzählung um die Entführung zweier Jungen. Die Kinder schreiben sich selbst als Akteure mit in Nonnos Erlebnis. Wie ihr Abenteuer wohl ausgehen mag?
In kurzen Kapiteln und kindgerechter Sprache erzählt der Autor eine spannende Geschichte mit historischem Bezug. Der Zweite Weltkrieg und seine massiven Einschränkungen und Gefahren, denen speziell die Kinder ausgesetzt waren, werden in - für Leser ab acht Jahren - verständlicher Weise thematisiert. Supino schildert das Geschehen auf sensible Art, so dass es gut eingeordnet und verarbeitet werden kann.
Abgerundet wird der Roman durch zahlreiche, dezente Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Illustratorin Iris Wolfermann. Sie begleiten und verbildlichen den Text.
Supinos Buch bietet reichlich Anknüpfungspunkte, um mit den jungen Lesern auch nach Beendigung der Lektüre ins Gespräch zu kommen. Kein Zweifel: Der Austausch zwischen Jung und Alt kann eine hervorragende Brücke zwischen den Generationen bilden.

Veröffentlicht am 23.09.2019

Eine ambivalente Beziehung

Stella
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Friedrich ist „ein junger Mann mit Geld und einem Schweizer Pass, der gedacht hatte, in diesem Krieg überleben zu können, ohne etwas mit ihm zu tun zu haben.“ Er zieht im Jahre 1942 nach Berlin, schreibt ...


Friedrich ist „ein junger Mann mit Geld und einem Schweizer Pass, der gedacht hatte, in diesem Krieg überleben zu können, ohne etwas mit ihm zu tun zu haben.“ Er zieht im Jahre 1942 nach Berlin, schreibt sich für einen Zeichenkurs ein und lernt darüber das Aktmodell Kristin kennen. Das Wesen der jungen Frau fasziniert ihn, er verliebt sich in sie und schon bald sind sie ein Paar.
Es ist ein geschickter Schachzug des Autors, seinen Protagonisten aus seiner eigenen Perspektive erzählen zu lassen. So bleiben manche Ereignisse um die (übrigens historische) Person Kristin/Stella zunächst rätselhaft; denn Friedrich ist teilweise etwas naiv, teilweise sträubt er sich eine Zeitlang gegen die Wahrheit. Integriert in die einzelnen Kapitel finden sich allerdings Auszüge aus Gerichtsakten, die den Leser wesentlich früher auf die Spur der tatsächlichen Aktivitäten Stella Goldschlags lenken als es dem jungen Fritz selbst möglich ist.
Würger liefert keine Biografie der „Greiferin“, sondern beschreibt sie und ihr Tun aus Friedrichs Sicht: etwas verschwommen und (vielleicht) entschuldbar - durch die sachliche Wiedergabe der Prozessakten jedoch deutlich und hart.
Ebenso sachlich werden zu Beginn eines jeden neuen Kapitels, das jeweils einen neuen Monat schildert, geschichtliche Tatsachen erwähnt, die nicht nur das Jahr 1942 betreffen, sondern auch in die Zukunft weisen: ein stilistischer Dreh Würgers, um Distanz zum Romangeschehen zu schaffen. Ganz ohne Pathos und nüchtern schildert Takis Würger ein Jahr lang Friedrichs Leben mit Stella im Kriegsberlin und den Beobachtungen, die er macht. Möglich, dass Fritz´ Distanz aus der Tatsache herrührt, dass er sich eher als ausländischer Beobachter sieht, als privilegierter Gast. Aber ist das überhaupt möglich - im Jahre 1942 in Berlin als „neutraler Schweizer“ von den Geschehnissen um ihn herum unberührt und neutral zu bleiben? Und ist eine Zukunft mit einer Frau wie Stella, deren Doppelleben er nicht gutheißen kann, überhaupt möglich? Ein Dilemma, das den Leser mit der Frage zurücklässt: Wie hätte ich gehandelt?

Veröffentlicht am 20.09.2019

Ohne falsches Pathos

Die Nickel Boys
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Mehr als als 5 Jahrzehnte und 1800 Kilometer liegen zwischen Elwood Curtis´ Vergangenheit und seinem gegenwärtigen Leben in New York - und doch stellt er fest, dass es ihm nicht möglich ist, seiner ...

Mehr als als 5 Jahrzehnte und 1800 Kilometer liegen zwischen Elwood Curtis´ Vergangenheit und seinem gegenwärtigen Leben in New York - und doch stellt er fest, dass es ihm nicht möglich ist, seiner Vergangenheit zu entkommen. Archäologiestudenten der Tampa-Universität in Florida sind dabei, die Gebeine eines ehemaligen Friedhofs auf einem Baugelände zu bergen und zu untersuchen. Durch Zufall entdecken sie eine weitere, nicht gekennzeichnete, Beerdigungsstätte, die sich auf dem Gelände des ehemaligen Nickel befindet, einer Besserungsanstalt für Jungen. Elwood erfährt durch die Presse von dem Fund und vergangene Schreckensbilder werden wieder lebendig.
Beinahe sachlich erzählt Colson Whitehead die Geschichte Elwoods, der an die Worte Martin Luther Kings und die Bürgerrechtsbewegung glaubt, und seiner Freundschaft zu Jack Turner, die sich zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts im Nickel begegnen.
Dabei verquickt er seine fiktiven Charaktere und ihre Schicksale mit Details aus der Realität: einem Erziehungsheim in Florida , das hundert Jahre lang tatsächlich existierte und für die Zöglinge ein Ort voller Entsetzen war; Hunger, sexuelle Übergriffe, Auspeitschungen waren an der Tagesordnung und es gab niemanden, der ihren Klagen Glauben schenkte. Vielleicht gerade weil Whitehead eine nüchterne Erzählweise ganz ohne Pathos wählt, erscheinen seine Schilderungen so eindrucksvoll und drängend. Mit festem Griff packen sie den Leser bis zum Ende des Romans und wirken noch lange nach.