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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.11.2019

Eine eher fragwürdige Geschichte

Paper Princess
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Liebe Daffy,
an diesem Buch kommt man wohl kaum vorbei, wenn man ein bisschen durch Bookstagram scrollt oder in der Liebesromanabteilung des Buchladens seines Vertrauens stöbert: Paper Princess von dem ...

Liebe Daffy,
an diesem Buch kommt man wohl kaum vorbei, wenn man ein bisschen durch Bookstagram scrollt oder in der Liebesromanabteilung des Buchladens seines Vertrauens stöbert: Paper Princess von dem Autorinnenduo Erin Watt. Unter dem gleichen Titel erschien das Buch 2016 in den USA, bei uns wird es von Piper seit 2017 verlegt.

Inhalt
Ella ist ganz allein seit dem Tod ihrer Mutter. Um über die Runden zu kommen, jobbt die 17-jährige Schülerin in einer Stripperbar. Eines Tages taucht der super reiche Geschäftsmann Callum Royal auf und erklärt Ella er sei ihr Vormund. Von heute auf morgen wird Ella Teil seiner Familie - doch nur was die Gesetzmäßigkeiten angeht, denn Callums Söhne sind alles andere als bereit, die neue „Tochter“ anzuerkennen und machen ihr das Leben schwer. Gibt es trotzdem noch ein Happy End?

Für wen ist dieses Buch und in welchem Genre können wir es ansiedeln?
Ich fange direkt beim Cover an, welches ohne Frage wunderschön aussieht. In pastellgelb gehalten und mit der goldenen, glitzernden Krone, die aussieht wie mit Glitter-Kleber gemalt, hat mich das Buch jedes Mal wieder angesprochen.
Der Klappentext war nicht ganz nach meinem Geschmack, doch ich wollte dem Buch eine Chance geben, nachdem ich es überall in den sozialen Netzwerken gesehen hatte. Was mir nicht so klar war, ist es nun eine Cinderella-Märchenadaption oder nicht? Auch nach dem Lesen könnte ich das nicht beantworten. Es spricht viel dafür wie beispielsweise der Name Ella und ihr Künstlername Cinderella. Auch, dass sie eine arme Waise ist, die vom reichen Geschäftsmann gerettet und in den sozialen Adelsstand erhoben wird.
Doch abgesehen davon, ist es weniger eine Märchenadaption, mehr ein Roman, der mich nachdenklich zurück gelassen hat.
Es gibt Passagen, die mich an Rory Gilmores erste Tage an der Chilton erinnert haben. Die Eliteschule, in der alles picobello aussieht, jede/r SchülerIn hat einflussreiche Verwandte und die Hierarchien sind klar definiert. Rory und Ella teilen den Willen zu lernen und von all den sozialen Umständen zuerst völlig überfordert zu sein, weil sie von einer staatlichen Schule kommen und von einer alleinerziehenden Mutter aufgezogen wurden, die nie großartig Geld zur Verfügung hatte. Doch da hört die charmante Ähnlichkeit zwischen den Gilmore Girls und Paper Princess auch schon auf.
Andere Ähnlichkeiten lassen sich zwischen diesem Buch und Twilight feststellen. Ein überforderter „Neu-Vater“, der versucht, es seiner Tochter recht zu machen, sich aber nicht sicher ist, wie er ein Mädchen zu behandeln hat und dadurch in die rosa-Rüschen-Kiste greift, um ihr Zimmer einzurichten. Die neue Schülerin an der Schule, die sich in den Schulschwarm verguckt, welcher aber unnahbar sein möchte und sie immer wieder von sich stößt, um große Geheimniskrämereien auszupacken und ihr erzählt, er wollte ihr nicht wehtun und müsste sowieso die Stadt verlassen.
Doch auch da hört es mit den Gemeinsamkeiten wieder auf. Warum? Weil die Gilmore Girls eine familientaugliche Fernsehserie sind, die ich bedenkenlos mit einer Sechsjährigen schauen würde. Twilight mag in der Weltansicht was Patriotismus, Frauenrechte und Partnerschaft angeht, überholt sein, doch es war zu jeder Zeit ein Jugendbuch, das auch heutzutage sicher noch junge LeserInnen in den Bann ziehen kann.
Ella ist siebzehn, die Söhne von Callum – zu denen übrigens auch der angesprochene Schulschwarm gehört – zwischen sechzehn und neunzehn. Die Geschichte spielt in der Schule und in einem Familienhaushalt. All das würde es für mich eindeutig zu einem Jugendbuch machen.
Tja, aber dann kommt diese unfassbare Übersexualisierung ins Spiel. Ich spreche hier nicht von Ellas Arbeit als Stripperin, sondern davon, dass sie von ihren neuen Brüdern mehrfach sexuell belästigt wird und ihr mehr oder weniger offensichtlich Vergewaltigung angedroht wird. Ihr wird vorgeworfen, mit ihrem Vormund zu schlafen, um Teil der Familie zu werden bis hin, dass man ihr Sex als Schweigemittel anbietet. Wenn sie mal anspricht, dass es sich um sexuelle Belästigung handelt, wird das Ganze von den Peinigern ins Lächerliche gezogen.
Doch was mich am allermeisten stört, ist, dass einer der schlimmsten in dieser Sache Mister Reed Royal ist; seines Zeichens neuer Bruder Ellas und einer, der ihr Sex aufdrängen möchte. Ebendieser Reed ist der Schulschwarm, in den sich Ella verliebt. Wo kommen wir mit einer #metoo- Bewegung hin, wenn wir Romane vorgelegt bekommen, bei denen Frauen sexuell belästigt werden und sie sich dann trotzdem dem Täter an die Brust werfen? Was genau fasziniert LeserInnen an diesen Geschichten und finden sie dann auch noch empfehlenswert? Ich muss diesem Buch eine Wertung geben, da man keine null Sterne auswählen kann, doch genau das würde ich am liebsten tun. Es kann nicht sein, dass Belästigung romantisiert wird. Da kann Ella noch so selbstbewusst daher kommen und eine große Klappe haben. Wenn es drauf ankommt, ist sie das Schaf, das sich dem Wolf zum Fraß vorwirft und das kann ich nicht akzeptieren. Denn was genau ist dieses Buch nun? Ein Jugendbuch? Eine siebzehnjährige Protagonistin ist wohl eindeutig als Identifikationsfigur für 13-17 Jahre alte Leserinnen gedacht. Wie unfassbar unverantwortlich, dieses Buch einer derartigen Zielgruppe empfehlen zu wollen. Da es in einer Schule spielt, kann ich mir auch kaum vorstellen, dass das Buch in das Genre New Adult oder gar Liebesroman zählt, oder liege ich da falsch? Wenn es doch der Fall sein sollte, hoffe ich, dass dieses Buch reflektierten LeserInnen in die Hände fällt. Ich werde mein Buch nicht behalten, da ich es nicht in meinem Bücherregal stehen haben möchte. Es gibt noch Nachfolgebände, die ich nicht kaufen werde. Auf der anderen Seite würde ich zu gern wissen, ob das Autorinnenduo noch eine Moral aus dieser Geschichte drehen konnte, dieses Buch nur ein Auftakt war und Ella reflektiert gegen sexuelle Belästigung vorgeht.

Deine Daisy

Veröffentlicht am 01.11.2019

Ein eher unschönes Leseerlebnis

Love me in the Dark – Verbotene Sehnsucht
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Liebe Daffy,

es ist wieder soweit: Ein neuer Brief über meine letzte Reise in ein Buch von Kyss. Du weißt, wie sehr ich den Neuerscheinungen dieses Verlags entgegenfiebere seit ich Redwood Love gelesen ...

Liebe Daffy,

es ist wieder soweit: Ein neuer Brief über meine letzte Reise in ein Buch von Kyss. Du weißt, wie sehr ich den Neuerscheinungen dieses Verlags entgegenfiebere seit ich Redwood Love gelesen habe. Dieses Mal ging es für mich nach Paris, in die Geschichte von Mia Asher, welche von Anita Nirschl übersetzt wurde. Sowohl auf Englisch, als auch auf Deutsch lautet der Titel Love Me in the Dark. Im Deutschen gibt es noch den Untertitel: Verbotene Sehnsucht.

Inhalt
Valentina hat ihr Leben ihrem Ehemann gewidmet – genau so fühlt es sich richtig für sie an und sie zögert keinen Augenblick, als er sie mit zu einem Geschäftstermin nach Paris nehmen möchte. Da er noch etwas in den Staaten zu tun hat, soll Valentina schon einmal allein nach Frankreich reisen und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Bei ihren Spaziergängen durch Paris stolpert Valentina in eine geschlossene Veranstaltung. Damit sie nicht hinausgeworfen wird, eilt ihr ein Fremder zu Hilfe. Er küsst sie und behauptet, die beiden seien ein Paar. Doch Valentina ist verheiratet, wieso drehen sich all ihre Gedanken nur noch um diesen Fremden?

Charaktere
Du merkst sicher schon, wir haben es hier mit einer Dreiecksbeziehung zu tun, bei der unsere Protagonistin zwischen zwei Männern steht. Wir erinnern uns, was Johnny Depp einmal gesagt haben soll: “If you love two people at the same time, choose the second. Because if you really loved the first one, you wouldn't have fallen for the second.”
Würde die Protagonistin Valentina das beherzigen, wäre diese Geschichte wohl schnell vorbei gewesen. Und leider muss ich sagen, dass ich das glatt gutheißen würde. Ich finde es nicht schön, eine Geschichte rein negativ betrachten zu müssen, aber leider hat mir hier gar nichts gefallen und ich werde diese Rezension nicht spoilerfrei schreiben können, um meine Meinung genügend darlegen zu können.
Valentina wird als unselbstständige, ihrem Mann hörige Frau in die Geschichte eingeführt. Das wäre eine sehr interessante Ausgangslage, würde die Figur denn eine Entwicklung durchlaufen. Tut sie aber nicht. Sie stellt selbst fest, dass es so nicht weiter gehen kann mit ihrer Abhängigkeit von ihrem Ehemann und dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen muss. Sehr gut! Ja! Wäre das denn der Fall. Valentina sucht sich einen Job (bei einem männlichen Vorgesetzten) und holt sich die Anerkennung dafür, dass sie diesen Schritt geht bei einem anderen Mann – ebendiesem Fremden, der sie auf der Veranstaltung aus heiterem Himmel geküsst hat.
Dieser Mann hat einen schrecklichen Schicksalsschlag erlitten, von dem wir auch direkt zu Beginn des Buches erfahren. Er ist eine gebrochene Persönlichkeit und würde eine ganz hervorragende männliche Gegenseite zu der zerrissenen Figur Valentinas hergeben. Wäre dieser Mann nicht der typische Bad Boy, der sich durch die Pariser Betten schläft und in einsamen Stunden dann der nachdenkliche Stereotyp wird. Natürlich hat er sich direkt in Valentina verliebt und sie ist die Einzige, die ihn retten kann. Denkt er und will sie im nächsten Moment vergewaltigen. (S.114) Ohja, die ganz große Liebe. Sie bleibt an seiner Seite und hilft ihm durch seine dunklen Stunden. Macht man natürlich immer bei einem Typen, der einem gerade Grausames antun wollte.
Doch, das kann Valentina ganz ausgezeichnet. Ihr Ehemann ist nämlich keinen Deut besser. Der kommt irgendwann bei ihr angekrochen – nachdem er nie in Paris angekommen war, was Valentina aber nicht weiter hat stutzig werden lassen – und lügt ihr das Blaue vom Himmel. Die LeserInnen haben hier einen Wissensvorsprung, wissen also schon von Williams Plänen und schauen nun zu, wie Valentina in ihr Verderben läuft. Nach einer Vergewaltigung von ihrem Ehemann findet sie es dann doch mal an der Zeit zu gehen. Gratulation! Warum musste es soweit kommen? Aber es ist nicht so, dass sie dann die Polizei einschaltet oder sich sonstigen juristischen Beistand holt. Sie flüchtet direkt in das Bett von Sébastien – dem (nicht mehr so fremden) Fremden aus Paris. Sie verbringen eine Nacht zusammen, die durchgehend mit biblischen Metaphern gespickt wird (S. 269), um sich dann wieder zu trennen und das berühmte „Wir treffen uns an dem Datum, zu der Uhrzeit, an diesem Treffpunkt, wenn du mich in so und so vielen Monaten noch liebst.“ Von Liebe kann hier wohl kaum die Rede sein, aber das ist kleinlich.

Fazit
Es tut mir leid, dass mein Brief sehr bissig geworden ist, doch ich kann und möchte diese Geschichte in keinster Weise schön reden. Ich habe mich auf eine Liebesgeschichte in Paris gefreut, bei der ich mich direkt nach Frankreich träumen kann und einer sich entwickelnden Romanze zuschaue, die durch einen zufälligen Kuss beginnt. Es waren 302 lange Seiten, bei denen ich es nicht erwarten konnte, dass sie endlich vorbei sind. Die Figuren waren einfach nur schrecklich und haben mir Bauchschmerzen bereitet. Die eher nicht vorhandene Handlung – da keine Charakterentwicklung stattfand – hat mir kein Lesevergnügen bereitet und ich fühlte mich wie eine ungebetene Zuschauerin bei einer sehr unangenehmen Situation.
Dieses Buch kann ich somit leider nicht empfehlen und möchte doch lieber auf die anderen Geschichten von Kyss verweisen. Wenn du den Verlag kennen lernen möchtest und Lust auf romantische Geschichten mit einer gewissen Portion Erotik hast, greif doch zuerst zu Redwood Love. Da folgen Ende des Jahres auch die nächsten Teile der Reihe und ich bin unendlich gespannt darauf wieder nach Redwood zu reisen.

In der Aussicht, dir nächstes Mal einen positiven Brief schreiben zu können,
deine Daisy

Veröffentlicht am 28.10.2019

Unausgereiftes Jugendbuch

Das Medaillon der Erinnerungen
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Liebe Daisy,

wie du weißt, habe ich schon einige Bücher von Impress gelesen und diese gemeinsam mit dir analysiert, doch nun folgt eine Premiere: meine erste niedergeschriebene Rezension zu einem Buch ...

Liebe Daisy,

wie du weißt, habe ich schon einige Bücher von Impress gelesen und diese gemeinsam mit dir analysiert, doch nun folgt eine Premiere: meine erste niedergeschriebene Rezension zu einem Buch dieses Verlages. Es handelt sich um Das Medaillon der Erinnerungen von Teresa Zwirner, das im September 2019 erschienen ist. Ich hatte das Glück, ein Exemplar davon im Rahmen einer Leserunde von Lovelybooks zu gewinnen.


Inhalt

Der Klappentext verspricht ein Buch voller Magie und Intrigen: die Protagonistin Lizz muss von London aufs Land zu ihrem Vater und dessen neuer Frau ziehen. In deren Haus entdeckt sie ein magisches Medaillon, das es ihr ermöglicht, in die Erinnerungen anderer Leute einzutauchen. Doch wie wir bei Once Upon a Time gelernt haben: Jede Magie hat ihren Preis... und sei sie auch noch so unausgereift. Aber dazu gleich mehr, eines nach dem Anderen. Ich möchte an dieser Stelle erst einmal darauf hinweisen, dass die folgende Rezension Spoiler enthält. Ich wollte meine Meinung zu diesem Roman gerne ausreichend erklären und belegen, um konstruktives Feedback geben zu können, deshalb rate ich dir davon ab weiterzulesen, wenn du nicht möchtest, dass ich dir Dinge vorwegnehme. Ansonsten: Dream on!


World Building

Ich möchte zuerst über die Exposition sprechen. Wie schon erwähnt, muss Lizz (gemeinsam mit ihrer Schwester Jules) von London aufs Land ziehen. Es wird nicht näher definiert, wohin, bloß dass sie mit dem Zug fahren. Nachdem ich nicht annehme, dass es sich um den Eurostar handelt, gehe ich davon aus, dass sie weiterhin in England verweilen. Aber warum müssen sie überhaupt zu ihrem Vater und dessen (so findet Jules zumindest) grauenhafter neuen Frau ziehen? In ein heruntergekommenes Haus, das überall staubig und keineswegs für deren Ankunft hergerichtet ist (vgl. S. 21). Die Erklärung wird erst deutlich später (S. 61) nachgereicht: Ihre Mutter fährt für ein Jahr auf „Lesereise“. Sehr merkwürdig, dass sie sich offensichtlich das Sorgerecht erkämpft hat und ihre beiden Töchter dann aus einem so egoistischen Grund abschiebt. Da hätte sich doch etwas Authentischeres finden lassen können.

Wie bereits erwähnt, lässt der Roman darauf schließen, dass sich die Protagonistin noch immer in England befindet. Ich bin jedoch leider immer wieder über Namen von Figuren, die etwa „Herr Gerlinger“ (S. 44) und „Herr Scheuerle“ (S. 59) heißen, gestolpert. Wenn eine Geschichte schon an einem Ort angesiedelt ist (nicht, dass die Örtlichkeit von Relevanz wäre. Es wäre auch ohne gegangen), sollten Dinge wie Figurennamen darauf ausgelegt sein, diese Behauptung zu bestärken und ihr nicht zu widersprechen. Auch Orte, die genannt werden, unterstützen die erzählte Welt nicht unbedingt; so wird etwa vom „Londoner Hauptbahnhof“ (S. 66) gesprochen – seit wann gibt es denn so etwas? Ist das St. Pancras? King’s Cross? Victoria?

Teilweise finden sich zudem Referenzen, um Örtlichkeiten zu etablieren z.B.: „Es sieht hier verdammt ähnlich aus wie in einem der reichen Häuser in Stolz und Vorurteil [...]“ (S. 109). Abgesehen davon, dass es sich dabei um ein Buch handelt und es bestenfalls „wie ich es mir in Stolz und Vorurteil vorstelle“ oder „wie in einer Adaption von Stolz und Vorurteil“ heißen müsste, finde ich es schade, dass die Autorin sich mit solchen Vergleichen helfen musste. Sie hätte besagtes Haus ebenso als viktorianisches Anwesen, etc. beschreiben und somit ohne Verweise auf Werke anderer AutorInnen auskommen können.


Zeitlichkeit

Auch die behaupteten zeitlichen Zusammenhänge sind mir nicht immer klar gewesen. Etwa als Lizzs Vater, ihre Stiefmutter und Schwester für eine Stunde lang unterwegs sind; in dieser Zeit wartet Lizz 55 Minuten (vgl. S. 22) auf eine Pizza, die sie bestellt hat, isst diese, kramt danach in einem Schreibtisch und untersucht dessen Inhalt – alles bevor die drei zurück sind. Wobei ich sagen muss, dass ich den behaupteten Stress des Durchsuchens (vgl. S. 27) generell nicht verstanden habe: Es wurde nie ein Verbot ausgesprochen, in besagtes Arbeitszimmer zu gehen. Ebenso in der anschließenden Szene, in der Lizz sich, sobald die drei zurückkommen, mit dem gefundenen Medaillon in ihrem Zimmer versteckt. „Es dauerte keine fünf Minuten“ (S. 27) bis ihre Schwester hochkommt. Lizz versteckt das Medaillon sobald es klopft – als Leserin frage ich mich doch etwas, warum sie das nicht schon davor gemacht hat, wenn die Dringlichkeit, dass es niemand entdecken darf, so groß ist, wie behauptet wird. Hier wollte die Autorin offensichtlich Spannung aufbauen. Eine analoge Situation findet sich auch später im Buch: Es findet ein geheimes Treffen bzgl. der Medaillons statt, welches Lizz beendet und ein weiteres für den nächsten Tag ansetzt, um weitere Details zu besprechen. In der Zeit zwischen den Treffen versucht sie jedoch in keinster Weise, neue Informationen zu gewinnen – es macht also überhaupt keinen Sinn (außer für den krampfhaften Spannungsaufbau), dass sie ihr Wissen nicht direkt geteilt hat (vgl. S. 102).


Situationen etablieren

Allgemein muss ich sagen, dass ich nicht so begeistert davon war, wie die Autorin Situationen etabliert hat. Ich glaube, das hat auch bewirkt, dass ich die behauptete Spannung oftmals nicht nachvollziehen konnte: Ich hatte das Gefühl, dass die Autorin etwas durch ihre Ideen hetzte. Kaum war eine Situation halbwegs etabliert, wurde diese schon wieder abgewürgt und zur nächsten übergegangen. Die einzelnen Momente hatten leider kaum Zeit sich zu entfalten, wodurch sich (zumindest für mich) weder die Atmosphäre noch die Charaktere wirklich vermittelt haben. Sie blieben mehrheitlich Behauptungen und ich konnte vieles nicht nachvollziehen. Leider. Damit du das etwas besser nachvollziehen kannst, habe ich ein Beispiel rausgesucht: Es gibt eine Stelle, an der die Freundesgruppe den bisherigen Bösewicht besiegt hat; 30 Seiten (in denen kaum erzählte Zeit vergangen ist) danach kommt der Protagonistin folgender Gedanke: „Niemand von uns will sich vorstellen, was es bedeuten würde, wenn Aaron tatsächlich wieder da wäre.“ (S. 284) Ich fand diese Behauptung nicht nachvollziehbar, da der Friede kaum Zeit hatte, sich zu etablieren. Man hatte als LeserIn noch gar nicht die Möglichkeit, sich an die neue Situation ohne Bösewicht zu gewöhnen. Der Gedanke, dass Aaron wieder auftauchen könnte, wirkt nicht halb so schlimm wie behauptet, weil man noch an dessen Anwesenheit gewöhnt ist und annimmt, dass es die Figuren ebenfalls noch sein müssten.


Inkonsequenz innerhalb der Narration

Gleichzeitig gab es auch innerhalb der Dinge, die erzählt werden, solche die keinen Sinn für mich gemacht haben. Etwa, wenn ein Tag beschrieben wird, an dem die gesamte Oberstufe auf Exkursion ist (vgl. S. 140) – dennoch ist in der Cafeteria nur der Platz neben den Toiletten frei; eben jener, der an Lizz’ erstem Tag auch als einziger frei war, als Peter Xaviers Freunde aus der Oberstufe mit ihnen gegessen haben. Was denn nun? Entweder ist die Cafeteria groß genug für Ober- und Unterstufe oder nicht; in jedem Fall zu klein macht nicht unbedingt Sinn. Zumal die Autorin sich nicht ganz sicher zu sein scheint, ob Lizz nun immer in der Schule Mittag isst, oder nicht doch zuhause (vgl. S. 104); zumindest dann, wenn es der Narration nützt.

Ebenso hat mich verwirrt, dass die Freundesgruppe einen Flachmann, den sie „später noch auf[füllen]“ (S. 265) wollen, beim Schulball dabei hat. Ich frage mich etwas, wo die Teenager den Alkohol dort herbekommen wollen – klischeemäßig wird Alkohol ja eher in solche Veranstaltungen hineingeschmuggelt, als vor Ort abgefüllt.

Wo ich gerade von ebendiesem Ball, dem Winterball, um genau zu sein, spreche: mir ist auch nicht klar, wann genau er stattfindet. Erst wird behauptet, er sei direkt vor Heiligabend und deshalb würde Lizz erst so spät zurück nach London fahren (vgl. S. 138), dann wird erwähnt, er sei fünf Tage vor Heiligabend (vgl. S. 283) – wenn dem so ist, warum wollte Lizz denn bis Heiligabend bleiben, zu einer Zeit, zu der sie sich nach nichts mehr gesehnt hat, als nach London? Und warum begrüßt Lizz‘ Mutter Paul, den sie an diesem Abend zum ersten Mal trifft, mit „Ich freue mich dich wiederzusehen.“ (S. 291)?

Davon, wie unlogisch die Romanze für mich war, will ich gar nicht anfangen: Paul behauptet, sich beim Zusammenstoß sofort in Lizz verliebt zu haben (vgl. S. 294) – ein Treffen, auf das er reagiert hat, in dem er weggelaufen ist, während Lizz versucht hat, ihn mit Kampf-Blinzeln zu vertreiben. Ich fand es jedoch auch bedenklich, dass sie mit jemandem rumknutscht, während sie in einer Beziehung mit jemand anderem ist. Oder ist es die wahre Liebe und rechtfertigt deshalb alles? Muss wohl; sie ist nämlich auch innerhalb von zwei Sätzen über Jungen Nr. 1 hinweg, sobald sie Junge Nr. 2 (aka die wahre Liebe) bekommt (vgl. S. 301). Muss Liebe schön sein.


Was ich außerdem nicht verstanden habe, war das Motiv des Bösewichtes im Bezug auf Lizz. Sie hat nichts mit seiner Vergangenheit zu tun und trotzdem will er sie „vernichten“ (S. 178). Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er merkt, dass sie potentiell mit der Magie umgehen kann:

>>Glaube mir, ich hoffe sehr, dass es dir gelingt, die Erinnerungen wiederherzustellen. Denn wenn es dir gelingt, besteht kein Zweifel, dass du diejenige sein wirst, die mir helfen wird!<< (S. 180)

Ich konnte nicht nachvollziehen, warum Aaron ihr so abgeneigt war bzw. warum er nicht versucht hat, sie auf seine Seite zu ziehen. Auch Lizz‘ Reaktion auf seine Übergriffigkeit fand ich befremdlich: sie gib sich kampflos geschlagen (vgl. S. 195). Hat sie sich zuvor noch mit ihrem losen Mundwerk gegen alle behauptet und sich ihnen erhaben gefühlt, erfüllt sie hier das Klischee einer unselbstständigen Maid, die sich retten lassen muss.


Sprache

Ich muss leider sagen, dass mich der Roman auch sprachlich nicht vom Hocker gehauen hat. Die Autorin verwendet viele Idiome auf sehr ungewöhnliche Art (oder ist das Absicht?) z.B.: „von unten bis oben“ (S. 23) oder „[...] und während Vater die Reifen aufheulen lässt [...]“ (S. 289). Sie verwendet umgangssprachliche Ausdrücke z.B.: „In dem Moment, wo ich mich...“ (S. 23) und falsche Pronomen z.B.: „Ich lasse den Blick lieber auf dem Karottengemüse verharren, bevor ich sie [wen? Die Karotte? Wurde nicht etabliert] mir in den Mund schiebe.“ (S. 140). Auch Anglizismen finden sich en masse in dem Text z.B.: „Normalerweise ist sie viel zu tough dafür“ (S. 168) – es gibt das wunderbare deutsche Wort „taff“ mit derselben Bedeutung, das man genauso gut verwenden könnte. Von der Kommasetzung will ich gar nicht anfangen.


Lizz und ihre Beziehungen zu anderen Figuren

Bisher habe ich noch gar nichts zu den Figuren gesagt, das möchte ich jetzt nachholen. Erst einmal gibt es natürlich Lizz, die Protagonistin. Ich habe sie als sehr anstrengend empfunden: sie versinkt durchgehend im Selbstmittleid (z.B.: S. 45) und ist wahnsinnig undankbar für ihren Freund Peter Xavier (warum spricht sie den eigentlich immer mit vollem Namen an? Ist doch merkwürdig für den besten Freund?). Sie fühlt sich ihm erhaben, dabei erbarmt er sich ihrer z.B.: „Der Einzige, der sich meiner annimmt, ist Peter Xavier, der vermutlich ein Oberloser hier ist [sic] und froh ist, endlich jemanden zum Reden zu haben.“ (S. 46) Lizz scheint generell jemand zu sein, der andere Leute schnell verurteilt. So auch, als sie nach einem freien Platz in der Cafeteria sucht und sofort weißt, dass sie sich nicht neben die „Kaugummi-Blasen-produzierende-Tussi“ (S. 47) setzen möchte. Sie ist schrecklich unhöflich Leuten gegenüber, obwohl sie diese gar nicht kennt; etwa Peter Xaviers Stiefmutter gegenüber, welche sie als „Möchtegernprinzessin“ (S. 110) abstempelt, als diese sie bei sich zuhause willkommen heißt und ihr eine Tasse Tee anbietet. Dieses Verhalten ist einfach nur rüpelhaft und unangebracht.

Lizz ist zudem extrem launisch (oder inkonsequent geschrieben): Sie vergeht etwa in einer Sekunde vor Selbstmittleid, ist in der nächsten aber schon wieder schnippisch und vorlaut (z.B.: S. 50). Diese emotionalen Sprünge konnte ich (ob Pubertät oder nicht) nicht nachvollziehen.


Lizz‘ Beziehung zu ihrer Familie fand ich leider auch ganz eigen. Zum einen ist da natürlich ihre Schwester. Lizz scheint diese häufiger zu bestechen (vgl. S. 120), damit sie sich zurückzieht und Lizz ihre Ruhe hat. Obwohl Lizz als sehr unerfahren dargestellt wird, scheint es sich hierbei um Männergeschichten zu handeln, denn „unsere Mutter [war] bei Männergeschichten eigentlich schon immer sehr entspannt [...] “ (S. 288). Allgemein scheint die Mutter sehr lasch in ihrer Erziehung gewesen zu sein: Lizz scheint nie Verantwortungsbewusstsein gelernt zu haben. Als sie mit ihrer jüngeren Schwester, welche die Kreditkarte des Vaters bekommen hat, einkaufen geht, denkt sie: „Aber es ist ja nicht mein Problem, wenn Papa ihr die Karte aushändigt und sie diese am Ende verliert“ (S. 34). Sehr fragwürdig.

Ich fand zudem, dass Lizz ihrer Familie gegenüber sehr barsch war. Zwischendurch ist diese in akuter Gefahr (wobei ich auch hier fand, dass Lizz etwas zu gefasst reagiert hat; ich hätte mir in dieser Situation mehr Emotion gewünscht). Als die Gefahr gebannt ist, ist Lizz kurz erleichtert, bevor sie wieder in alte Verhaltensmuster (vgl. S. 274) verfällt – die Figurenentwicklung ist also leider marginal. Am auffälligsten ist Lizz ablehnende Haltung ihrer Stiefmutter gegenüber. Diese nennt sie abwechselnd bei ihrem vollen Namen „Pauline“ oder einfach nur „die Wasserstoffblondine“ (z.B.: S. 263). Schade fand ich, dass die Wahl der jeweiligen Bezeichnung absolut willkürlich war. Ich hätte es interessant gefunden, hätte sie sie je nachdem, wie die beiden gerade zu einander stehen, benannt; leider war dem nicht so.


Silber ... oder doch Rubinrot? Die Magie.

"Dann, wenn du dort bist, musst du eine Art Schlüssel, Geheimcode, Rätsel, Wache, womit auch immer du deine Erinnerungen schützen möchtest, heraufbeschwören." (S. 125)

Ich weiß nicht, ob du es vielleicht schon aus der bisherigen Rezension herausgelesen hast, aber für meinen Geschmack haben sich in diesem Buch ein paar zu viele Parallelen zu Kerstin Giers Silber gefunden, als dass ich sie ignorieren könnte.

Angefangen bei den Figurenkonstellationen: eine Protagonistin namens Lizz (bei Silber: Liv), die mit ihrer Schwester zu einem Elternteil mit neuem Beziehungspartner ziehen muss; eine Gruppe aus vier Jungs, von denen einer eine Ex-Freundin hat, die einen an der Waffel hat und weggezogen ist; die Protagonistin, die neu an die Schule kommt (ob sie nun nach London oder von dort weg zieht, macht wirklich kaum einen Unterschied) und ein Bösewicht, der sich in Erinnerungen schleichen kann (die gleich aufgebaut sind wie die Träume in Silber (s. Zitat oben)),…

Wobei es auch Hinweise gibt, dass hier einige Anleihen an die Edelsteintrilogie (ebenfalls von Kerstin Gier) genommen wurden. Nicht zuletzt, dass es die Figurennamen Lucy und Paul gibt. Was jedoch meine Hauptparallele zu den Werken von Kerstin Gier ist, ist die Magie. Wie bereits erwähnt, verhalten sich die Erinnerungen zu Beginn des Romans ähnlich wie die Träume in Silber. Personen mit einem Medaillon können dieses nützen, um in die Erinnerungen anderer Leute einzudringen, diese körperlos zu erkunden und zu manipulieren. Ein bisschen so wie bei Harry Potter – eine Parallele, die an manchen Stellen (z.B.: S. 155/157ff.) sehr offensichtlich wird.

Im Laufe der Geschichte wandelt sich die Art der Magie (aus ungenannten Gründen): plötzlich können die Figuren den tatsächlichen Lauf der Geschichte über Erinnerungen verändern: „Weil ich verhindern möchte, dass ich es jemals finde“ (S. 159). Eine Figur wird im Folgenden in einer Erinnerung gefangen (vgl. S. 196): nach der bis zu dieser Stelle etablierten Logik müsste sie als körperlose Gestalt in dieser anwesend sein; sie befindet sich fortan jedoch physisch in der Vergangenheit und tauscht sich mit anderen Figuren aus. Hier kippt es also plötzlich und ohne Erklärung von Silber zu Rubinrot. Etwas, das für mich absolut keinen Sinn macht: Die Figuren konnten bis dahin zwar Erinnerungen verändern, aber nicht tatsächlich geschehene Erlebnisse; sie sind nicht tatsächlich in der Vergangenheit anwesend, sondern nur in einer Erinnerung daran und vermögen es somit eigentlich nicht, den bereits geschehenen Lauf der Dinge zu verändern.

Und dann wird es wirklich abstrus: „Wenn es möglich ist, in die Erinnerung zurückzugehen, ist es dann auch möglich, in die Erinnerung seines späteren Ichs zu gehen, wenn es eindeutig ist, dass derjenige jetzt in der Vergangenheit ist?“ (S. 217) – ich habe mich wirklich bemüht, aber ich verstehe es einfach nicht; per Definition des Dudens (https://www.duden.de/rechtschreibung/Erinnerung), ist eine Erinnerung etwas, das sich in der Vergangenheit befindet. Kein Mensch kann sich an zukünftige Ereignisse erinnern. Das, wovon sie da reden, ist ein Zeitsprung in die Zukunft, der sich mir (außer wenn man einen Chronografen besitzt) nicht erschließt.

Es wird gegen Ende des Buches zudem behauptet, dass alle Magie, die von einer Person gewirkt worden ist, rückgängig gemacht wird, wenn deren Medaillon zerstört wird (S. 254f.). Wenige Kapitel später wird diese Behauptung bereits negiert und behauptet, dass einer von Aarons Zaubern noch wirksam ist (vgl. S. 282). Ob der sich daraus ergebende Konflikt noch notwendig gewesen wäre oder man es nicht bei der bestehenden Unlogik belassen hätte können?


Du merkst bestimmt, dass mich dieses Buch nicht zufriedengestellt hat. Weder von der Idee, die mich zu sehr an die Welten von Kerstin Gier erinnert hat, noch von der Sprache und den Figuren. Dass die Magie so inkonsequent war und sich mir nicht erschlossen hat, war nur noch das i-Tüpfelchen. Ich weiß, dieser Roman hat viele gute Rezensionen bekommen; denen kann ich mich aber leider nicht anschließen.

Deine Daffy

Veröffentlicht am 14.10.2019

Große Erwartungen, die nicht erfüllt wurden

Animant Crumbs Staubchronik
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Liebe Daisy,

huhu, hier bin ich wieder. Wo ich war? In der Vergangenheit natürlich. Genauer gesagt in London, 1890. Wie ich dorthin gekommen bin? Nein, nicht mit einem Chronographen, sondern mit dem Buch ...

Liebe Daisy,

huhu, hier bin ich wieder. Wo ich war? In der Vergangenheit natürlich. Genauer gesagt in London, 1890. Wie ich dorthin gekommen bin? Nein, nicht mit einem Chronographen, sondern mit dem Buch Animant Crumbs Staubchronik von Lin Rina. Das hat sie ursprünglich auf Wattpad veröffentlicht, bevor Drachenmond es verlegt und 2017 in gebundener Form auf den Markt gebracht hat. Und lass dir sagen: das Design ist eine Augenweide!

Der Roman folgt der Geschichte von Animant, die aus einer wohlhabenden Familie stammt und von ihrer Mutter verheiratet werden soll. Das passt ihr aber gar nicht, da sie ihre Zeit lieber mit geistreichen Büchern, als mit stinklangweiliger, sozialer Etikette verbringt. Wie es das Schicksal so will, bietet sich gerade im rechten Moment die Möglichkeit für sie, einen Monat lang nach London zu gehen, um dort in einer Bibliothek zu arbeiten. Als Assistentin des verschrobenen Bibliothekars, was ihre Welt natürlich völlig auf den Kopf stellt.

Klingt soweit eigentlich nach einer ganz spannenden Prämisse, oder? Eine starke Protagonistin, die sich gegen eine patriarchale Gesellschaft durchsetzen möchte. Leider ging das Konzept (für mich) nicht auf. Das lag zum Teil an der Figurenkonstruktion, aber noch viel mehr am Schreibstil.

Aber eins nach dem Anderen, damit du nachvollziehen kannst, wo meine Probleme mit diesem Buch liegen. Erst einmal zu den Figuren. Beginnen wir mit der Protagonistin, Animant: 19 Jahre alt und ihrer Zeit mit ihrem Verhalten weit voraus. Der Klappentext betont, dass sie scharfsinnig und sarkastisch ist. Beziehungsweise sein soll. Ich habe sie als leicht zu beleidigen und selbstbezogen empfunden. Sie handelt oft impulsiv und reagiert stärker als die jeweiligen Situationen es anmuten ließen; zum Beispiel, wenn sie ihren Vorgesetzten anbrüllt, obwohl sie klar im Irrtum ist (S. 118f). Ihre „sarkastischen“ Kommentare waren leider öfter als nicht beleidigend. Ich hatte dabei das Gefühl, dass die Autorin gewisse Charakterzüge zu sehr vermitteln wollte und dabei über das Ziel hinausgeschossen ist. Dadurch entstanden unter anderem absurde Aussagen, die sich bzw. die Figuren nicht richtig einordnen ließen, z.B.: „Aber vielleicht musste das auch sein als Strafe für mich und meinen Frevel an einem verliebten Mann" (S. 267). Hier zeigt sich zudem, wie wichtig Animant sich selbst nimmt. Im Positiven wie im Negativen: Sie denkt, Dinge passieren nur, um sie zu ärgern, und fühlt sich gleichsam verantwortlich für solche, die nichts mit ihr zu tun haben (z.B.: S. 497/501). Dies gilt allerdings nur, wenn es zur Handlung beiträgt (dazu gleich noch mehr); an anderen Stellen sind ihr ihre Freunde nicht einmal wichtig genug, um ihnen zuzuhören: „[Sie] war zum Glück mit ihren eigenen Gesprächsthemen beschäftigt [...]“ (S. 518).

Auch der Forderung nach Scharfsinn wird nachgegangen. Die Figur rühmt sich mit ihrem nüchternen, logischen Blick. Eine Instanz, in der das besonders deutlich zu spüren ist, ist ihr Zugang zu Männern. Sie möchte nicht verheiratet werden und argumentiert sämtliche potentiellen Freier weg. Das gelingt ihr problemlos (zumindest vor sich selbst), weil sie sich den Menschen in ihrer Umgebung mehrheitlich intellektuell überlegen und sich befähigt fühlt, sie entsprechend zu behandeln. Aber glaub bitte nicht, dass sie alle konsequent gleich behandelt. Sie schwärmt durchaus für alle möglichen „jungen Männer“. Zwar stellt sich später heraus, dass diese ein höheres Bildungsniveau zu haben scheinen, doch das, was Animant positiv herausstreicht, beruht meist auf Oberflächlichkeiten (wie oft wir von den verschiedenen Schattierungen der Augenfarbe ihrer zwei Favoriten gehört haben, kann ich dir gar nicht sagen).

Zudem hat Animant ein zweifelhaftes Urteilsvermögen. Als sie an einer Stelle (im wahrsten Sinne des Wortes) in der Klemme steckt, will sie sich nicht helfen lassen, obwohl sich jemand dazu bereit erklären würde. Der Grund dafür ist, dass ihr Rock verrutscht ist und man ihre Unterwäsche sehen könnte (S. 165f.), weswegen sie lieber Knochenbrüche in Kauf nehmen möchte. An einer anderen Stelle, stellt sie einer anderen Figur nach und findet erst etwas Verwerfliches daran, als eine Konfrontation erzwungen wird. Doch ihr Gegenüber reagiert nicht so wie man erwarten würde, sondern tut es mit einem Lächeln ab (S. 381f.). Wie soll man denn Figuren mit so fragwürdigen Moralvorstellungen ernst nehmen?

Die Namen der Figuren wirken zudem sehr gewollt: Die Hauptdarstellerin heißt, wie bereits erwähnt, Animant, vom Lateinischen „animare“, was übersetzt „belebt“ heißt; bestimmt eine Anspielung auf die Charakterzüge, die vermittelt werden sollen. Der Bibliothekar heißt Mr. Reed, eine Studienkollegin Elisa Hemmilton; diese Anspielung an das Musical Hamilton ist nicht gerade subtil. Was mich zu den anderen Charakteren der Geschichte bringt. Die sind leider kaum sympathischer und lesen sich als überaus platte Stereotypen. Bei vielen der Nebenfiguren hatte ich jedenfalls das Gefühl, dass sie reine FunktionsträgerInnen waren, die die Handlung weitertreiben sollten. Sie werden auf einzelne Eigenschaften beschränkt und man erfährt nichts, was nicht unwesentlich zur Haupthandlung beiträgt. Sehr schade, weil vernetzte Geschichten beim Lesen doch mehr Spaß machen als streng lineare. Aber zum Schreibstil erzähle ich eh gleich nochmal mehr. Um nochmal auf die Figuren zurückzukommen: Ich fand Animants potentielle Love Interests leider ebenfalls wenig ansprechend bzw. interessant. Sie sind im Endeffekt Edward, bloß auf zwei Figuren aufgeteilt: der eine vom Verhalten, der andere vom Äußeren; ich sag nur: „und das Gold in seinen Augen wurde flüssig“ (S. 240). Ich habe den Versuch ihnen Tiefe zu geben mitbekommen, aber durch die subjektive Wahrnehmung der Protagonistin (die sehr schwarz/weiß kategorisiert), wurden die beiden ebenfalls auf wenige Charakterzüge reduziert. Die Vermutung, dass sich im Verlauf der Geschichte kaum Charakterentwicklungen ergeben würden hat sich somit leider bestätigt.

Ich hatte auch das Gefühl, dass die Romanze sich nicht natürlich entwickelt. Sie bevormundet und bemuttert den auserwählten jungen Mann die ganze Zeit (z.B.: S. 291), während er sich wie Edward verhält und meint, dass er nicht gut für sie sei. Im Endeffekt sind sie also beide einen Großteil des Buches davon überzeugt, dass er unzureichend für sie ist. Ich kann mich gar nicht erinnern, ob die beiden überhaupt jemals ein vernünftiges Gespräch geführt haben, bei dem sie beide im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten gewesen sind. Nichtsdestotrotz ändert Animant ihre Meinung über ihn schlagartig; ob das angebracht ist, wage ich bei dem Auslöser zu bezweifeln. Dann wird alles plötzlich extrem kitschig und sie beginnt „Sternstruktur[en] in seiner Iris [zu] erkennen“ (S. 442). (Wie gesagt, ich zweifle etwas an ihrer Zurechnungsfähigkeit.) Animant mutiert dann irgendwann vollends zu Bella (S. 536), was mich überlegen lässt, ob das hier generell mal eine Twilight Fanfiktion gewesen ist.

Was mich zum Schreibstil bringt, der meinen größten Kritikpunkt ausmacht; schwer zu fassen, wo die Figuren mich schon so aufgeregt haben, ich weiß. Spürst du meinen Seufzer? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht wirklich am Anfang (danke, Lewis Caroll, für diesen Tipp!): wie bereits erwähnt, ist die Geschichte ursprünglich auf Wattpad erschienen. Laut Website ist das eine „social, on-the-go [storytelling] experience“ (https://www.wattpad.com/about/). Genau so fühlt sich das Buch an. Dass es von Drachenmond entdeckt und adaptiert, oder zumindest lektoriert worden ist, spürt man leider nicht; sage ich, ohne die ursprüngliche Version zu kennen.

Meine Irritation mit dem Schreibstil fängt bei banalen Dingen wie Wortwiederholungen an. Es passiert regelmäßig, dass sich diese innerhalb von zwei Zeilen (z.B.: S. 18), nicht selten direkt untereinander, finden. Etwa: „Etwas verloren stellte ich mich wieder neben den Kamin. Der Platz in jedem Raum, an dem ich mich am wenigsten verloren fühlte.“ (S. 130). Auch eine Vielzahl an Füllworten finden ihren Platz; z.B.: „Sie war eingebildet, blasiert und wirkte zudem auch noch nicht besonders intelligent.“ Zusätzlich verwendet die Autorin stellenweise willkürliche Satzzeichen (z.B.: Fragesätze ohne Fragezeichen) und Bindeworte (S. 177). Gepaart mit willkürlichen Absätzen (z.B.: S. 37 unten), die häufig nur aus einzelnen Sätzen ohne erkennbaren Zusammenhang bestehen, wirkt der Text unrund und ich musste mich oft zusammenreißen, um nicht querzulesen.

Dazu kommen Unklarheiten, die den Lesefluss stören. Teilweise entstehen sie durch grammatikalische Fehler, wie hier: „Mr Reeds Kopf drehte sich sofort in meine Richtung, als er mich so lachen hörte, kniff die Augen prüfend zusammen und ließ dann tatsächlich das Buch sinken.“ (S. 356) Wer ist hier das Subjekt? Richtig, Mr Reeds Kopf. Das macht leider genau so wenig Sinn, wie andere inhaltliche Unklarheiten, etwa „ich hörte die Schritte schon, bevor sie auch von meiner Wahrnehmung erfasst wurden“ (S. 512). Seit wann gehört das Gehör denn nicht mehr zu den Sinnesorganen, die die Wahrnehmung bedingen? Auch Kausalzusammenhänge, die so nicht gegeben sind, werden behauptet: "Ich rutschte mit dem Po ein Stück weiter auf die Stuhlkante, um aufmerksamer zuzuhören [...]" (S. 28).

Strukturell sind ebenfalls Unklarheiten spürbar: Die Geschichte ist in der Erste-Person-Perspektive von Animant geschrieben; zudem handelt es sich um eine Erzählung im Präsens. Die Erzählstruktur erlaubt es also nicht, Dinge vorwegzunehmen, da wir auf die Wahrnehmung und das Wissen der Protagonistin angewiesen sind. Die Autorin bricht jedoch mehrfach mit dieser Struktur. Sie lässt die Protagonistin völlig abgeklärt über Dinge reflektieren, die dieser zu dem jeweiligen Zeitpunkt nicht möglich wären. Etwa, wenn sie nicht im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten ist, aber bereits darüber nachdenkt, dass sie ihr Handeln am nächsten Tag bereuen wird (S. 359/361) Dadurch brechen die etablierten Figuren, die Struktur wird uneinheitlich und der Lesefluss gestört.

Die gerade beschriebene Instanz ist zudem eine, bei der sich zeigt, wie repetitiv das Buch ist: Leserinnen und Leser bekommen haargenau mit, was dazu führt, dass die Protagonistin in so einem Zustand ist und was sich folglich entwickelt. Als sie am nächsten Morgen aufwacht kann sie sich jedoch nicht mehr daran erinnern. Es ergibt sich jedoch kein Mehrwert durch diesen Wissensvorsprung: ich konnte als Leserin beobachten, wie Animant über die nächsten (ca.) 200 Seiten krampfhaft versucht hat, die Löcher in ihrem Gedächtnis zu stopfen. Etwas, das nicht sonderlich spannend zu beobachten war, weil nichts Großes passiert war bzw. sich daraus ergeben hat. Wobei ich sagen muss, dass der gesamte Plot sich sehr dünn anfühlte; aber vielleicht bin ich einfach zu leseerfahren für dieses Buch? Es war jedenfalls wenig reizvoll, die Erlebnisse von diesem Abend drei Mal präsentiert zu bekommen. Viel spannender wäre es gewesen, von dem linearen Prinzip abzuweichen und etwa beim Erreichen des veränderten geistigen Zustandes einen Zeitsprung einzubauen. Dann hätten Rezipienten und Rezipientinnen die Chance, mit der Protagonistin mitzufiebern, was passiert sein könnte und es gemeinsam mit ihr zu entdecken.

Diese inhaltlichen Rekapitulationen von Gesagtem finden sich noch häufiger (z.B.: S. 412/415), auch im kleineren Rahmen. Es werden regelmäßig bereits mehrfach etablierte Dinge (wie etwa die Augenfarben der Herren, pardon, jungen Männer) angesprochen. Oder aber, offenkundige Dinge mitgeteilt, wie hier „ich hatte noch nie in einer Bibliothek gearbeitet.“ (S. 30) Eine Aussage Animants, die an diesem Punkt nichts Neues für uns ist, da wir wissen, dass sie noch nie gearbeitet hat. Diese inhaltlichen Wiederholungen machen wohl einer der Gründe dafür aus, dass mir die zweite Hälfte des Buches irrsinnig lange vorgekommen ist. Ein weiterer könnte darin begründet liegen, dass die Autorin häufig zusammenfassend beschreibt, anstatt die situativen Szenen selbst zu entwickeln. Etwas, das den Figuren sicherlich gut getan hätte, da Leserinnen und Leser sie nicht nur durch Animants Augen gefiltert, sondern häufiger im direkten Gespräch erleben hätten können.

Leider scheint der Autorin und dem Lektorat auch entgangen zu sein, dass Dinge gesagt werden, die später geäußerten widersprechen: Der Bibliothekar weist Animant etwa an: „Dann schlage ich vor, Sie sehen sich ein bisschen um, bis ich so weit bin [...]“ (S.44). Kurz darauf fährt er sie an: „Es ist eine Dreiviertelstunde vergangen, seit ich Sie entlassen habe. Und ich habe wahrlich keine Zeit, Sie im ganzen Gebäude zu suchen“ (S. 48). Auch innerhalb weniger Sätze kommt dies vor. Wenn die Autorin etwa beschreibt, wie der Schnee im Tageslicht glitzert, zwei Sätze später aber erklärt, dass die Figuren den Weg ohne Straßenlaternen nicht finden würden (S. 389).

Solche Vorfälle kommen leider häufiger vor und haben ein unstimmiges Gefühl hervorgerufen. Wie bereits erwähnt, bin ich mir bewusst, dass die Geschichte ursprünglich nicht als Buch geplant gewesen war. Ich habe früher genug Fanfictions gelesen, um zu wissen, dass diese nicht immer komplett logisch kohärent sind/sich wiederholen, weil zwischen dem Schreiben der einzelnen Kapiteln oft viel Zeit vergeht. Entsprechend ist man als Leser und Leserin solcher dankbar, an frühere Ereignisse erinnert zu werden. Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass der Verlag an dieser Stelle eingegriffen hätte. Inhalte wollen eben doch an das jeweilige Medium angepasst werden. Das gilt in diesem Fall auch für die Kapitelüberschriften. Ich kann mir vorstellen, dass die wunderbar für die Onlineversion funktioniert haben: sie tragen die jeweilige Nummer und eine Zusammenfassung des Kapitels im Namen, etwa „Das Erste, oder das, in dem mein Onkel zu Besuch kam“ (S. 8). Online hilft eine Übersicht der vergangenen Kapitel bestimmt, sich zu erinnern, wo man sich in der Geschichte befindet, wenn man länger nicht gelesen hat; oder, um neue Leser und Leserinnen anzuwerben. In Buchform ist das jedoch nicht mehr nötig und nimmt leider viel vorweg, wenn man das Buch nur aufschlägt und nach seinem Lesezeichen sucht.

Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass die Autorin viele Möglichkeiten hat verstreichen lassen (wieder: bei einer Online Plattform, keine Schande. In Buchform, hätte das gerne noch ergänzt werden dürfen). Etwa das Archiv im Keller, von dem ich mir viel versprochen habe, was sich nicht eingelöst hat. Ohne zu viel zu sagen: auch das Ende hätte Potential gehabt (es hätte mich fast dazu gebracht, dem Buch noch einen Stern mehr zu geben). Dann sind aber leider noch die letzten acht Seiten gekommen und ich stand wieder kurz davor, das Buch gegen die Wand zu werfen. Sehr schade.

Ich muss auch sagen, dass ich mit einigen inhaltlichen Dingen nicht ganz zufrieden war. Vieles, etwa Buchtitel, die erwähnt wurden, war gut recherchiert und zu der Zeit schon verfügbar. Anderes war damals schon erfunden gewesen, aber kaum im Umlauf, z.B.: Mineralwasser, was mich stutzig hat werden lassen. Das war einer der Momente, in denen ich unterbrochen und erst einmal recherchiert habe, ob das denn auch alles so stimmt, wie es behauptet wird. Ein interessanter Lerneffekt, der jedoch vermutlich nicht von der Autorin intendiert worden ist. Manche der beschriebenen Dinge waren (so hat meine Recherche gezeigt) in der behaupteten Form jedoch definitiv nicht möglich: heißes, fließendes Wasser zum Beispiel. Oder eine Maschine, die eingravierte Zahlen abtasten, analysieren und mit anderen vergleichen kann (S. 91) – dafür bräuchte es einen Computer. Ich weiß auch nicht, warum es dieses Objekt gebraucht hat. Meiner Meinung nach, wäre die Story auch ohne diesem ausgekommen. Die eine, für die Handlung relevante Sequenz, die damit zu tun hat, hätte man bestimmt auch anders bauen können, um denselben Effekt zu erzielen.

Dasselbe gilt für den Religionskonflikt, der aufgemacht wird: Es handelt sich um ein romantisches Jugendbuch. Warum braucht es den Antisemitismus als nebensächlichen Konflikt? Das kann dem Ausmaß davon doch gar nicht gerecht werden. Sich diese Thematik zu schnappen, um ein Problem zu schaffen, das die Handlung vorantreiben soll, habe ich als äußerst respektlos empfunden. Zumal ich der Ansicht bin, dass die vorherrschende Religion in England zu der Zeit (nämlich seit 1688) die evangelische und nicht die römisch-katholische ist, der Animant hier anzugehören scheint.

Ich muss also leider sagen, dass dieses Buch mich gar nicht überzeugen konnte. Entsprechend verwundert bin ich über den Hype und darüber, wie alleine ich mit meiner Meinung bin. Ich kann mir vorstellen, dass unerfahrenere, jüngere Leserinnen ab zehn Spaß an diesem Buch haben könnten. Aber selbst diesen würde ich zuerst eine Vielzahl an anderen Büchern empfehlen. Leserinnen und Leser mit höherem Anspruch an Schreibstil und Figurenkonstruktion, sowie Entwicklungsbögen dieser, würde ich das Buch auf keinen Fall empfehlen.

Deine Daffy