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Veröffentlicht am 15.10.2019

Welcher Charakter wärst du gewesen?

Metropol
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“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der ...

“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der Autor Eugen Ruge erzählt die Geschichte seiner Großmutter Charlotte.
Was harmlos klingt, wird beklemmend, wenn man die historischen Hintergrund erfährt.

Die deutsche Kommunistin Lotte Germaine ist vor den Nationalsozialisten in die Sowjetunion geflohen. Zunächst arbeitet sie für den Nachrichtendienst Kommintern, gerät jedoch plötzlich selbst ins Visier der Fahnder. Während der Überprüfung werden sie und ihr Mann Wilhelm im berühmten Hotel “Metropol” untergebracht. Erst nach und nach erfährt sie, was ihr zur Last gelegt wird.

Das Hotel Metropol wurde um die Jahrhundertwende im Jugendstil erbaut. Wie andere große Bürgerhäuser wurde es 1918 beschlagnahmt und in ein Haus der Sowjets umfunktioniert.
Gespenstisch, die kargen Mahlzeiten im luxuriösen Saal des Hotels, bei dem die Anwesenden jeden Tag unauffällig nachzählen, ob wieder einer von ihnen verschwunden ist.

Neben Charlotte erzählt der Roman von zwei weiteren Hauptpersonen.

Wassili Wassiljewitsch Ulrich, war der vorsitzender Richter des Schauprozesses im Jahr 1937. In den Moskauer Prozessen von 1936 bis 1938, entledigte sich Stalin seiner vormals engsten Parteifreunde, um seine Alleinherrschaft zu sichern. Tausende von Volksfeinden wurden über die Jahre zum Tode verurteilt oder in Umerziehungslager gesteckt.

“Wenn man einmal drin ist in der Mühle, dann ist es aus. Sagt nicht Puschkin so was Ähnliches? Oder war das Goethe? Es gibt einen Punkt, wo man einfach nicht mehr zurückkann, so ungefähr, nur, dass es sich reimt. Und auch er, Wassili Wassiljewitsch, kann nicht mehr zurück. Er muss weitermachen, weitermachen …”

“Vierhundert Urteile am Tag. Wassili Wassiljewitsch versucht, vierhundert Urteile durch zwölf Arbeitsstunden zu teilen. Sagen wir siebenunddreißig in der Stunde, das heißt weniger als zwei Minuten pro Urteil. Nein, das ist irgendwie nicht seriös.”

Der dritte Handlungsstrang erzählt von Hilde, ihrem Mann Julius und der kleinen Tochter Sina. Sina ist bereits indoktriniert, und die Eltern haben Angst, dass das Kind unbedarft etwas ausplaudert.


Die Erzählstimme des Autors hat mir sehr gut gefallen, ebenso wie seine lakonischen Witze, die den verborgenen Stachel der Ideologie mit einem Lächeln präsentieren.

“Immer mehr Moskauerinnen schminken sich oder färben sich die Haare, und irgendwann begann auch Charlotte, sich zu fragen, ob ihre Abneigung gegen Kosmetik vielleicht ihrer preußisch-protestantischen Erziehung entstamme und also zu überwinden sei.”

Der Terror drang bis ins Privatleben vor.
Make-up und Kleidung. Sex und Seitensprünge (Ist Eifersucht mit dem kommunistischen Ideal vereinbar?).
Man hatte Angst vor jedem falschen Wort. Auch damals schon die Verwirrung, ob bestimmte Begriffe politisch korrekt sind und der herrschenden Ideologie entsprechen. “Menschenmaterial” darf man das sagen? “Das Menschenmaterial aus dem der Sozialismus erbaut werden sollte.”

Erschreckend, wie leicht gesagt wurde “Wir säubern die Partei.” und damit der Tod von Menschen gemeint war.

Das tägliche Leben bestand aus Schlange stehen für Grundnahrungsmittel und warme Stiefel.
“Von hier aus könnte sie mit der Straßenbahn bis Ochotny rjad fahren, aber sie geht lieber zu Fuß, auch wenn Straßenbahnfahren in Russland auf Dauer glatt billiger ist als Schuhe besohlen.”

Dazwischen immer neue Rekordmeldungen in der Prawda: Produktion um 20% gesteigert, Tausende neuer Häuser gebaut… neue Stadien, Schwimmbäder, Metrostationen. Alles was nicht gut lief, wurde auf die Sabotageakte der Trotzkisten geschoben. Selbst die schlechte Übertragungsqualität einer Radiosendung.

Ruge schafft mit wenigen Andeutungen eine bedrückende Atmosphäre. Die ständig verstopften Toiletten deuten daraufhin, dass man versuchte belastendes Material loszuwerden.
Und die fehlenden Hunde auf Moskaus Straßen… Was bedeuten sie?

Dazu die ständigen Selbstüberprüfungen: Habe ich etwas falsch gemacht? Verkehre ich mit den falschen Personen?
Denn der Ideologie nicht zu folgen, bedeutete sich in endlosen Briefen an die Partei rechtfertigen zu müssen, Besserung zu geloben und zu hoffen, nicht irgendwann von den Männern in Lederjacken abgeholt zu werden.

Nach den Zweifeln folgen die Rechtfertigungen vor sich selbst:
Dass die Todesstrafe ab dem zwölften Lebensjahr eingeführt wurde, musste ja seinen Grund haben, fand Charlotte.
Und wenn selbst Lion Feuchtwanger Stalin und die Schauprozesse verteidigte, dann hatte doch alles, seine Ordnung, oder? (Feuchtwanger war Autor des regimekritischen Romans (nicht des Films!) “Jud Süß”.)

Es gab die, die profitierten, die die mitschwammen und den Kopf einzogen, die, die glaubten und die, die starben.

Die anderen “machten weiter” nach dem Schrecken. Spielten Normalität, obwohl sie innerlich vor Angst zitterten.

Der Autor Eugen Ruge schreibt im Nachwort: “Ich weiß nicht, was meine Großmutter wirklich gedacht hat. Ich erfinde, ich unterstelle, ich probiere aus, denn nichts anderes heißt Erzählen: ausprobieren, ob es tatsächlich so gewesen sein könnte.”

Ruges Roman ermöglicht es uns, uns in verschiedene Charaktere hineinzuversetzen, um nachvollziehen zu können, wie schnell man selbst Opfer oder Unterstützer eines Systems aus Terror werden kann.

Veröffentlicht am 15.10.2019

Welcher Charakter wärst du gewesen?

Metropol
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“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der ...

“Man kann ihnen Fakten liefern, man kann sie widerlegen, es hilft nichts. Im Gegenteil, wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt.”

Der Autor Eugen Ruge erzählt die Geschichte seiner Großmutter Charlotte.
Was harmlos klingt, wird beklemmend, wenn man die historischen Hintergrund erfährt.

Die deutsche Kommunistin Lotte Germaine ist vor den Nationalsozialisten in die Sowjetunion geflohen. Zunächst arbeitet sie für den Nachrichtendienst Kommintern, gerät jedoch plötzlich selbst ins Visier der Fahnder. Während der Überprüfung werden sie und ihr Mann Wilhelm im berühmten Hotel “Metropol” untergebracht. Erst nach und nach erfährt sie, was ihr zur Last gelegt wird.

Das Hotel Metropol wurde um die Jahrhundertwende im Jugendstil erbaut. Wie andere große Bürgerhäuser wurde es 1918 beschlagnahmt und in ein Haus der Sowjets umfunktioniert.
Gespenstisch, die kargen Mahlzeiten im luxuriösen Saal des Hotels, bei dem die Anwesenden jeden Tag unauffällig nachzählen, ob wieder einer von ihnen verschwunden ist.

Neben Charlotte erzählt der Roman von zwei weiteren Hauptpersonen.

Wassili Wassiljewitsch Ulrich, war der vorsitzender Richter des Schauprozesses im Jahr 1937. In den Moskauer Prozessen von 1936 bis 1938, entledigte sich Stalin seiner vormals engsten Parteifreunde, um seine Alleinherrschaft zu sichern. Tausende von Volksfeinden wurden über die Jahre zum Tode verurteilt oder in Umerziehungslager gesteckt.

“Wenn man einmal drin ist in der Mühle, dann ist es aus. Sagt nicht Puschkin so was Ähnliches? Oder war das Goethe? Es gibt einen Punkt, wo man einfach nicht mehr zurückkann, so ungefähr, nur, dass es sich reimt. Und auch er, Wassili Wassiljewitsch, kann nicht mehr zurück. Er muss weitermachen, weitermachen …”

“Vierhundert Urteile am Tag. Wassili Wassiljewitsch versucht, vierhundert Urteile durch zwölf Arbeitsstunden zu teilen. Sagen wir siebenunddreißig in der Stunde, das heißt weniger als zwei Minuten pro Urteil. Nein, das ist irgendwie nicht seriös.”

Der dritte Handlungsstrang erzählt von Hilde, ihrem Mann Julius und der kleinen Tochter Sina. Sina ist bereits indoktriniert, und die Eltern haben Angst, dass das Kind unbedarft etwas ausplaudert.


Die Erzählstimme des Autors hat mir sehr gut gefallen, ebenso wie seine lakonischen Witze, die den verborgenen Stachel der Ideologie mit einem Lächeln präsentieren.

“Immer mehr Moskauerinnen schminken sich oder färben sich die Haare, und irgendwann begann auch Charlotte, sich zu fragen, ob ihre Abneigung gegen Kosmetik vielleicht ihrer preußisch-protestantischen Erziehung entstamme und also zu überwinden sei.”

Der Terror drang bis ins Privatleben vor.
Make-up und Kleidung. Sex und Seitensprünge (Ist Eifersucht mit dem kommunistischen Ideal vereinbar?).
Man hatte Angst vor jedem falschen Wort. Auch damals schon die Verwirrung, ob bestimmte Begriffe politisch korrekt sind und der herrschenden Ideologie entsprechen. “Menschenmaterial” darf man das sagen? “Das Menschenmaterial aus dem der Sozialismus erbaut werden sollte.”

Erschreckend, wie leicht gesagt wurde “Wir säubern die Partei.” und damit der Tod von Menschen gemeint war.

Das tägliche Leben bestand aus Schlange stehen für Grundnahrungsmittel und warme Stiefel.
“Von hier aus könnte sie mit der Straßenbahn bis Ochotny rjad fahren, aber sie geht lieber zu Fuß, auch wenn Straßenbahnfahren in Russland auf Dauer glatt billiger ist als Schuhe besohlen.”

Dazwischen immer neue Rekordmeldungen in der Prawda: Produktion um 20% gesteigert, Tausende neuer Häuser gebaut… neue Stadien, Schwimmbäder, Metrostationen. Alles was nicht gut lief, wurde auf die Sabotageakte der Trotzkisten geschoben. Selbst die schlechte Übertragungsqualität einer Radiosendung.

Ruge schafft mit wenigen Andeutungen eine bedrückende Atmosphäre. Die ständig verstopften Toiletten deuten daraufhin, dass man versuchte belastendes Material loszuwerden.
Und die fehlenden Hunde auf Moskaus Straßen… Was bedeuten sie?

Dazu die ständigen Selbstüberprüfungen: Habe ich etwas falsch gemacht? Verkehre ich mit den falschen Personen?
Denn der Ideologie nicht zu folgen, bedeutete sich in endlosen Briefen an die Partei rechtfertigen zu müssen, Besserung zu geloben und zu hoffen, nicht irgendwann von den Männern in Lederjacken abgeholt zu werden.

Nach den Zweifeln folgen die Rechtfertigungen vor sich selbst:
Dass die Todesstrafe ab dem zwölften Lebensjahr eingeführt wurde, musste ja seinen Grund haben, fand Charlotte.
Und wenn selbst Lion Feuchtwanger Stalin und die Schauprozesse verteidigte, dann hatte doch alles, seine Ordnung, oder? (Feuchtwanger war Autor des regimekritischen Romans (nicht des Films!) “Jud Süß”.)

Es gab die, die profitierten, die die mitschwammen und den Kopf einzogen, die, die glaubten und die, die starben.

Die anderen “machten weiter” nach dem Schrecken. Spielten Normalität, obwohl sie innerlich vor Angst zitterten.

Der Autor Eugen Ruge schreibt im Nachwort: “Ich weiß nicht, was meine Großmutter wirklich gedacht hat. Ich erfinde, ich unterstelle, ich probiere aus, denn nichts anderes heißt Erzählen: ausprobieren, ob es tatsächlich so gewesen sein könnte.”

Ruges Roman ermöglicht es uns, uns in verschiedene Charaktere hineinzuversetzen, um nachvollziehen zu können, wie schnell man selbst Opfer oder Unterstützer eines Systems aus Terror werden kann.

Veröffentlicht am 14.10.2019

Ein berührendes und humorvolles Buch über eine ungewöhnliche Frau und ihre gefiederten Freunde

Die Eulenflüsterin
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"Eulen sind sehr gemütlich und entscheiden erst einmal selbst, ob es sich lohnt, Energien zu verschwenden. Bist du zu hektisch in Gegenwart einer Eule, wird sie nicht zu dir kommen.”

Tanja Brandt ist ...

"Eulen sind sehr gemütlich und entscheiden erst einmal selbst, ob es sich lohnt, Energien zu verschwenden. Bist du zu hektisch in Gegenwart einer Eule, wird sie nicht zu dir kommen.”

Tanja Brandt ist Falknerin und Tierfotografin. In der Vergangenheit hat sie bereits verschiedene Fotobücher mit Geschichten über ihre Tiere veröffentlicht. Nun folgt mit “Die Eulenflüsterin” ihre Autobiografie.

Ich durfte das Buch über die Plattform “Lesejury” lesen. Dort beantwortete die Autorin auch unsere Fragen.

Ich kannte Tanja Brandt bisher nicht. Aber das Buch hat mich gleich angesprochen, als ich das Cover gesehen habe. Greifvögel sind für mich beeindruckende, wilde und respekteinflößende Tiere, und ich wollte unbedingt lesen, was Tanja mit den Tieren erlebt hat.

In der ersten Hälfte des Buches schreibt sie von ihrer Kindheit. Ich war erst etwas irritiert, weil ich doch unbedingt von den Eulen lesen wollte! Aber Tanjas Erzählstil und ihre Geschichte hat mich schnell gefesselt.
Ihre Kindheit war nicht besonders schön, nur in der Gegenwart von Tieren fühlte sich sich sicher und angenommen.

“Ich war fasziniert von Bussarden, von Greifvögeln überhaupt, von Geparden, Hyänen, Wölfen. Von Tieren, die sich etwas Wildes bewahrt hatten, sich nicht wirklich domestizieren ließen. Sie spiegelten eine Seite von mir … dieses Einzelkämpfer-Dasein, das ich führte, auch wenn ich selten allein war. Es war schwer, wirklich an mich heranzukommen, obwohl ich Menschen liebte und Beziehungen einging. Vielleicht fehlte mir das Vertrauen. Das Vertrauen, mich ganz fallen zu lassen und aufgefangen zu werden.”

Die Autorin schreibt, als würde sie mit dem Leser am Kaffeetisch sitzen und von ihrem Leben erzählen. Dadurch entsteht eine große Nähe.
Ich war erstaunt, darüber wie verletzlich sie sich macht und auch über ihre negativen Erfahrungen berichtet. Aber genau das macht die Autorin sympathisch und sehr menschlich.
Die Erzählweise ist recht nüchtern, mit herrlich trockenem Humor. Ich musste immer wieder lachen, war aber auch sehr berührt von ihren negativen Erlebnissen.

In der Mitte des Buches folgt ein Fototeil mit zauberhaften farbigen Fotos. So kann man sich ein Bild von den Tieren machen, die Tanja Brandt im zweiten Teil ausführlicher vorstellt.
Dort erzählt sie über Phönix, Uschi, Lenni und all die kleinen und großen Pflegepatienten. In einer Infobox beschreibt sie am Kapitelanfang jeweils die Tierart und ihre Eigenheiten.

Mein Liebling ist Gandalf, die Weißgesichtseule:
“Gandalf saß am liebsten auf dem Monitor, während ich Fotos bearbeitete, und hielt ein Schläfchen. Häufig hockte er auch unter der Kaffeemaschine oder auf dem Wasserhahn. (...) Gandalf und Kurti kommen inzwischen richtig gut klar, sie leben in einer Voliere, aber ich merke, dass Gandalf dem Kleinen schon beigebracht hat, wie man im Leben mit schlechter Laune weiterkommt.
Und Kurti hat die Lektion für sich perfektioniert.
Wenn ihm etwas nicht gefällt, guckt er mich mit abstehenden Federn an, dann schmeißt er sich einfach mal auf den Boden und schreit. Wenn er merkt, das interessiert keinen, geht er schlafen.”
Ein faszinierendes, lustiges Buch, das mir sowohl einen Einblick in Tanjas Leben und Tätigkeit gegeben, als auch die Tiere näher gebracht hat.
Ich glaube, “Die Eulenflüsterin” kann vielen Menschen Hoffnung machen, die eine nicht so schöne Kindheit hatten. Tanja Brandt zeigt, dass es immer einen Weg gibt, um seinen Platz im Leben zu finden.
Ich möchte außerdem jedem ans Herz legen, sich Tanja Brandts Instagram-Account anzusehen. Die Fotos sind wirklich fantastisch!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Thema
  • Geschichte
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 10.10.2019

Ein mitreißendes Abenteuer in zauberhafter Sprache!

Ich bin Circe
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“Sie verpasste mir den Namen Circe, Falke, wegen meiner gelben Augen und dem seltsamen, jämmerlich dünnen Klang meiner Stimme, wenn ich weinte.”

Madeline Miller lässt die griechischen Mythen wieder auferstehen ...

“Sie verpasste mir den Namen Circe, Falke, wegen meiner gelben Augen und dem seltsamen, jämmerlich dünnen Klang meiner Stimme, wenn ich weinte.”

Madeline Miller lässt die griechischen Mythen wieder auferstehen - die Götter und Monster und Helden und Nymphen. Sie haucht der alten Welt neues Leben ein, und auf jeder Seite schmeckt und riecht man die Gischt der Wogen und das weiche Moos in den Wäldern.

Circe ist die Tochter des Sonnengottes Helios und der Okeanide Perseis.
Da sie nicht so hübsch, so klug, so hinterhältig ist wie die anderen, ist sie im Olymp zur Außenseiterin geworden. Selbst ihre Eltern und ihre Geschwister schließen Circe aus und machen sich über sich lustig.
Die Götter spinnen zu ihrer Unterhaltung Intrigen und gieren nach Macht.
Circe dagegen fühlt sich zu den Sterblichen hingezogen, ist fürsorglich und hilfsbereit.

Als sie etwas Unverzeihliches tut wird, sie auf eine einsame Insel verbannt. Dort lebt sie mit ihren zahmen Löwen, entwickelt sie sich weiter zur Heilerin und Hexe und feilt an ihren Tränken und Zaubersprüchen. Sie kann Menschen in Tiere verwandeln, Schutzzauber sprechen und mit einem besonderen Kraut das wahre Wesen einer Person zum Vorschein bringen.

Mit ihrer zauberhaften Sprache lockt Madeline Miller den Leser in eine mystische Welt voll Herausforderungen, Liebe und Mut.
Circe begegnet dem Minotaurus, dem Meerungeheuer Scylla, Odysseus, Dädalus und Medea.

“Die Nachricht einer meiner Onkel solle bestraft werden, machte die Runde. Ich war ihm nie begegnet, aber seinen Namen hatte ich bereits mehrfach aus dem unheilschwangeren Getuschel meiner Familie aufgeschnappt. Prometheus.”


Ich konnte mich sehr gut mit Circe identifizieren. Sie findet sich in Situationen wieder in denen sie sich machtlos fühlt, aber sie findet immer einen Weg. Vor schwierige Entscheidungen gestellt, verzweifelt sie zuweilen an ihren guten Intentionen. Ihr Charakter ist sehr realistisch gezeichnet. Sie fühlt Wut, aber auch Reue und Scham, und sie leidet unter den Fehlern, die sie begangen hat.

Teilweise haben mich einige sehr kurze Abschnitte nicht ganz so angesprochen.
Dies wurde aber durch die anderen Geschichten mehr als wettgemacht.

Das Ende hat sich für mich sehr überraschend entwickelt und das Buch würdig abgeschlossen. Ich bin sehr begeistert!

Griechische Mythologie ist sehr nüchtern erzählt und konzentriert sich auf die Helden und den Ablauf der Ereignisse.
Bei “Circe” dagegen steht eine komplexer Frauencharakter im Zentrum. Die Sprache ist detailreich und üppig, und Motive und Gedanken werden ausführlich beschrieben.

Absolute Leseempfehlung für dunkle Herbst- und Winterabende!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.10.2019

Ich liebe, liebe, liebe dieses Buch!

Wie ein Leuchten in tiefer Nacht
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Eine Geschichte voll starker Frauen, Abenteuer und Bücher.
Es gibt Romane, die einem in die Hände fallen wie ein unerwartetes Geschenk. Und ich möchte dieses Buch am liebsten an mich drücken vor Begeisterung. ...

Eine Geschichte voll starker Frauen, Abenteuer und Bücher.
Es gibt Romane, die einem in die Hände fallen wie ein unerwartetes Geschenk. Und ich möchte dieses Buch am liebsten an mich drücken vor Begeisterung.
Hier stimmt einfach alles - die Charaktere, die Geschichte und die Message.

Was für ein Setting! …
Ende der 30er-Jahre in den unwirtlichen Appalachen in Kentucky, USA.
Eine Gruppe von Frauen betreibt im Minenstädtchen Baileyville die “Packhorse Library”. Auf Initiative von Eleanor Roosevelt wurden diese Bibliotheken gegründet, um auch die Menschen in abgelegenen Regionen mit Büchern zu versorgen. Tag für Tag und bei fast jedem Wetter reiten die Frauen auf schwer bepackten Pferden in die Berge.

“Wie ein Leuchten in tiefer Nacht” erzählt die Geschichte von fünf mutigen Frauen:
Alice ist ihrem Verlobten Bennett aus England in die USA gefolgt. Schnell entpuppt sich ihre Hoffnung auf eine glückliche Ehe als Illusion. Die Ausritte für die Bücherei sind eine willkommene Abwechslung, doch die Landbevölkerung ist ihr gegenüber misstrauisch.

«Machen Sie sich über mich lustig?»
Alice sah sie erschrocken an.
«Sie sind die Engländerin, stimmt’s? Die mit dem Van-Cleve-Jungen verheiratet ist. Wenn Sie sich nämlich über mich lustig machen, können Sie augenblicklich umdrehen und den Berg wieder hinunterreiten.»
«Ich mache mich nicht über Sie lustig», sagte Alice hastig.
«Also haben Sie ein Problem mit dem Kiefer?»
Alice schluckte. Die Frau sah sie unter zusammengezogenen Augenbrauen heraus an.
«Es tut mir wirklich leid», sagte sie. «Ich habe gehört, die Leute würden mir nicht genug vertrauen, um Bücher von mir zu nehmen, wenn ich mich zu englisch anhöre. Ich wollte nur …» Ihre Stimme erstarb.
«Sie haben versucht sich anzuhören, als wären Sie aus der Gegend hier?»
Die Frau senkte das Kinn.
«Ich weiß. So gesagt klingt das ziemlich …» Alice schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen.
Die Frau lachte auf. Alice öffnete die Augen. Die Frau begann erneut so sehr zu lachen, dass sie sich über ihre Schürze krümmte. «Sie hat versucht sich anzuhören, als wäre sie von hier. Garrett? Hast du das mitgekriegt?»
«Hab ich», erklang die Stimme eines Mannes, gefolgt von einem Hustenanfall.

Die raubeinige Margery verteilt nicht nur Ausgaben von “Betty und ihre Schwestern” und dem “Ladies’ Home Journal” sondern auch Bücher und Flugzettel, die von manchen Bürgern nicht gern gesehen werden. Sophia, die ausgebildete Bibliothekarin, bringt endlich Ordnung in das Chaos und repariert beschädigte Zeitschriften und Bücher. Doch sie arbeitet nur abends in der Bücherei, da sie Angst vor Anfeindungen der Weißen hat.
Die junge Izzy, die immer wegen ihrer Beinschiene ausgelacht wurde, erfährt auf dem Pferderücken das erste Mal Freiheit und Anerkennung. Und die Farmerstochter Beth träumt davon, um die Welt zu reisen.

Ich möchte nicht zu viel verraten, aber das Schicksal stellt die Frauen immer wieder vor neue Herausforderungen, die sie mit Mut und Solidarität meistern.

Ein spannender, humorvoller und romantischer Roman.
Eines der schönsten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe.