"Whisky für drei alte Damen" von Minna Lindgren (die Fortsetzung von "Rotwein für drei alte Damen"); versehen mit einem wunderschönen Cover voller nostalgisch anmutender 'Motive', die dem Alter der drei 'alten Damen' Siiri, Irma und Anna-Liisa Respekt zollen und sehr gut zum Roman passen, ist im KiWi-Verlag 2016 (tb, broschiert) erschienen. Er umfasst 38 Kapitel auf 350 Seiten, die vom Finnischen ins Deutsche von Niina und Jan Costin Wagner übersetzt wurden.
Die allesamt noch recht munteren und rüstigen Witwen Irma, Siiri und Anna-Liisa (ihrerseits verheiratet mit dem 'Botschafter' Onni) sind beste Freundinnen im Helsinkier Seniorenheim "Abendhain". Sie nehmen die Unruhe und Belästigung, die die Renovierungsarbeiten in der Seniorenresidenz mit sich bringt, nicht mehr länger hin und ziehen in ein altes Haus in einem aparten Stadtteil von Helsinki, um dort eine Alten-WG auf Zeit zu gründen. Dubios und witzig zugleich ist die Tatsache, dass die Damen nicht wissen können, wer zuvor in der großen Wohnung der Altbau-Villa gewohnt hat, was im Roman immer wieder zu 'Verwicklungen' führt, die natürlich das Interesse der Damen schüren....
Auch Margit ist mit von der Partie, eine zuweilen etwas depressiv und überfordert wirkende ungleich jüngere (87) Seniorin: Die Mitbewohnerin verdüstert immer mal wieder die sonst sehr fröhliche Stimmung der anderen, da ihr Eino in einem Heim für Demenzkranke immer mehr von der Bildfläche der Realität verschwindet, worunter Margit mehr zu leiden scheint als ihr Mann selbst....
Irma erfreut sich der Technik eines iPads und ist trotz ihres hohen Alters (94) eine lebensfrohe alte Frau, die gerne lacht und fröhlich ist; ihre Kinder (die 'Goldstückchen') sind immer im Stress und lassen sich daher nie blicken, was Irma jedoch nichts weiter auszumachen scheint.
Siiri ist umtriebig, versteht sich prächtig mit anderen, besonders mit Irma und liebt es, stundenlang mit sämtlichen Straßenbahnlinien durch Helsinki zu fahren; hierbei lernt auch der Leser die facettenreiche Stadt in Finland kennen, was mir sehr gefiel.
Anna-Liisa, als frühere Lehrerin, wirkt auch im Alter etwas streng und forsch und liebt es, wenn sich der Gesprächspartner sehr gewählt auszudrücken vermag. Sie wird nach einem Klinikaufenthalt von ihrem Mann Onni, den Freundinnen und diversen Pflegekräften wieder 'aufgepäppelt'; Anna-Liisa ist im Besitz (und manchmal nicht) eines Schmuckkästchens aus Mahagoni, das eine rätselhafte Rolle in diesem amüsanten Roman zu spielen scheint....
Einzelne Passagen sind leicht satirisch angehaucht und die Autorin versteht es, dem Leser sehr oft ein Schmunzeln oder Lachen zu entlocken, da vieles sehr realistisch, authentisch wirkt. Trotz aller Fröhlichkeit und ungebremstem Optimismus wird auch mit Kritik nicht ausgespart, die den Leser eher mal schwer schlucken lassen: Das Erreichen der Pflegestufen, die Verwaltungsabläufe, die Stoppuhr, mit der Pflege (wohl auch in Finland ebenso wie hier) stattfindet und die nicht immer drollige Welt der Demenzkranken, die hier von Eino personifiziert wird; bei allen Punkten halten sich jedoch Humor und eine leichte Feder, aus der die Worte fließen, mit außerordentlichem Tiefgang die Waage, was mir persönlich sehr gefallen hat. Dazu kommt, dass man Siiri, Irma und Anna-Liisa und ihren Umgang miteinander einfach nur ins Herz schließen kann, so sympathisch sind diese drei hochbetagten SeniorInnen ;)
In wohl jedem Kapitel dieses herrlich-ironisch geschriebenen Romans begleitet man als Leser das Leben in der Alten-WG (und das des vielbeschäftigten Botschafters sowie Margits) und erlebt sie aktiv, an Schwimmgymnastik-Kursen teilnehmend oder Tram-fahrend; abends gerne bei Rotwein oder Whisky ("Das ist Medizin, die mir mein Arzt verschrieben hat!" - Zitat Irma) gemeinsam herrliche, von Siiri gekochte Gerichte essend und Canasta spielend... Zudem ist da viel Mitmenschlichkeit, in dem sich alle Damen z.B. um schwangere Pflegerinnen bemühen, die unter dem Zeitdruck des Pflegerhythmus zusammenzubrechen drohen....
Obgleich am Romanende Irma's Lieblingsworte ("döden, döden, döden", deren Bedeutung kurz vor Schluss gelüftet wird) im wahrsten Sinne des Wortes sehr zum Tragen kommen, schließt man das Buch, auch wenn die Rätsel des Botschafters nicht vollends ergründet wurden, mit einem Schmunzeln im Gesicht und voller Respekt gegenüber dieser lebensbejahenden, skurrilen und fröhlichen hochbetagten "Damen".
Fazit:
Ein Roman voller Humor und Tiefgang, der auf ironische Weise und mit Seitenhieben auf reale Missstände aufzeigt, wie wichtig es ist, bis ins hohe Alter ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können. Ich habe mich bestens unterhalten gefühlt und vergebe eine klare Leseempfehlung (LeserInnen mit Humor jeden Alters ;) sowie ein Chapeau an Minna Lindgren und 5 Sternen am Lesefirmament.