Die goldenen Tage.
Die Goldenen Tage von Monica Sabolo ist eher ein literarisches Werk als ein reiner Unterhaltungsroman. „Atmosphärisch dicht“, wie es auf dem Buchrücken steht, kommt schon hin. Er lässt die Bilder der vergangenen ...
Die Goldenen Tage von Monica Sabolo ist eher ein literarisches Werk als ein reiner Unterhaltungsroman. „Atmosphärisch dicht“, wie es auf dem Buchrücken steht, kommt schon hin. Er lässt die Bilder der vergangenen Zeiten aus den 1960-gern bis in die 1990-ger im beliebten Urlaubsort samt seinen illustren Urlaubern und ihren mitunter fragwürdigen Beschäftigungen vorm inneren Auge ablaufen.
Klappentext fasst den Roman wie folgt zusammen:
„Crans-Montana in den 1960ern. Jahr für Jahr treffen sich in dem mondänen Urlaubsort drei betörende junge Frauen: Chris, Charlie und Claudia. Ein paar Jungen sind den sirenenhaften Erscheinungen hoffnungslos verfallen. Dazu verdammt, die »drei Cs« aus der Ferne – auf der Skipiste, am Pool, im Nachtclub – zu beobachten, bedeuten für die Jungen bereits die unscheinbarsten Gesten die Welt. Und dann gibt es da auch noch ihre unbezwingbaren Konkurrenten: »die Italiener«. Die Jahre verstreichen, es werden exzentrische Feste gefeiert, Ehen geschlossen, und noch immer streben Chris, Charlie, Claudia und ihre ehemaligen Verehrer nach dem vielleicht Unerreichbaren: Leichtigkeit, Liebe, Wahrhaftigkeit.
Die goldenen Tage erzählt vom Aufstieg und Fall einer jeunesse dorée, von ihren unschuldigen ersten Verliebtheiten und späteren abgründigen Obsessionen. Eine atemberaubende Gratwanderung zwischen Unbeschwertheit, Glamour und Tragik…“
Besonders am Anfang musste ich oft an die Anfangsstrophen der berühmten Lensky Arie aus der Oper von P.I. Tschaikowsky Eugen Onegin (1878) denken. Lensky steht eines grauen Morgens kurz vorm Duell, blickt auf sein noch junges Leben eines verwöhnten Landadeligen zurück, ahnend, dass da nicht mehr viel kommen kann und singt:„Wohin, wohin, wohin seid ihr entschwunden, meines Frühlings die goldenen Tage.“ Der Versenroman Eugen Onegin wurde im Jahr 1833 veröffentlicht, falls sich jemand über den Ausdruck wundert.
Um gerade diese goldenen Tage geht es in diesem Roman von M. Sabolo. Man ist jung, reich und schön, und beschäftigt sich in der ersten Linie damit, das Leben zu leben, was hier konkret heißt: Parties feiern, den drei Cs nachstellen, sie aus der Ferne bewundern, sich sexuellen Fantasien hingeben, in späteren Jahren Drogen besorgen und herausbekommen, wer von wem und wann entjungfert wurde, und von wem Claudia schwanger geworden ist. Diese rein körperlich Ebene ist den Figuren des Romans von zentraler Bedeutung, als ob das Leben nur aus reiner Physis besteht und sich nur auf dieser Ebene abspielt. Die schöne Fassade wird bis zum Ende aufrechterhalten. Was sich dahinter verbirgt, mal ist die Rede von aufgeregten Eltern, die ihr Geld und wertvolle Gemälde unauffällig zur Sicherheit über die Grenze in die Schweiz bringen; mal wird vom verdeckten Drogenhandel erzählt; auch sonst all das, was nicht in die Öffentlichkeit gehört, bleibt weitestgehend im Hintergrund, wie kleine Puzzlesteinchen, die Besonderheiten der damaligen Zeit, der Weltanschauung, die entsprechendes Verhalten fordern.
Es wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt: Anfang sind es die Jungs, die Bewunderer der drei Cs, die mit ihren Eltern in Crans Montana urlauben, dann erzählt Charlotte, eine von drei Cs, wie sie diese Zeit erlebt hat, dann kommt Chris, die nächste von drei Cs, dann wieder die Jungs, aber schon etliche Jahre später, als sie ihre eigenen Familien hatten und trotzdem noch die drei Cs vergötterten, und Valentina, Claudias Tochter, die als 23-Jährige die ehem. Freundinnen ihrer vor Jahren verunglückten Mutter Claudia besuchen kommt. Diese unterschiedlichen Blickwinkel bereichern die Geschichte, lassen tiefer in die Figuren blicken und erfahren, dass diese von vielen bewunderte Freundschaft auch eher oberflächlicher Natur war, die Lebensunlust und Melancholie breiten sich mehr und mehr aus.
Oft wirkten auf mich die unterschiedlichen Perspektiven aber recht irritierend, denn die Erzählung in dritter Person, bei allen Erzählern, schafft solch eine Distanz zu den Figuren, die eine Annährung fast unmöglich macht. Auch wurde gerne in der erzählten Zeit gesprungen, z.B. vom älteren Franco und seinem späteren Tod erzählt, wobei man woher noch weit in den Jahren davor war und nachher in einer anderen Perspektive wieder in viel früherer Zeit ansetzte.
Die Sprache ist eher gewöhnungsbedürftig. Sie versucht, und es gelingt ihr manchmal, bildhaft, gar poetisch zu wirken. Es gibt paar nette fremde Gedichte auf Italienisch, deren deutsche Übersetzung hinten aufgeführt ist. Stellenweise ist der Ausdruck aber recht überdreht. Bei einigen Metaphern und Vergleichen musste ich ein Auge zudrücken und denken, besser, wenn ich sie dort nicht gesehen hätte. „Wir barsten wie ein Haufen flimmernder Atome in Stücke und zerfielen zu Staub, wie jene, deren Geist im Raum schwebte.“ S. 175.
Fazit: Insg. blieb der Roman hinter den Erwartungen zurück. Den letzten Halbsatz des KTs: „ …eine Lektüre, die Sehnsüchte heraufbeschwört, die man längst für vergessen hielt.“, kann ich nicht nachvollziehen. Wer mal was ganz anderes lesen will, denn der Roman ist schon eigenartig und kaum mit einem anderen vergleichbar, kann hier zugreifen. Drei Sterne erscheinen mir hier angemessen.