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Veröffentlicht am 27.10.2019

Fluchtgeschichten

Das Meer am Morgen
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Das Meer am Morgen ist ein Roman der italienischen Schriftstellerin Margaret Mazzantini, der im Dumont-Buchverlag 2012 erschienen ist. Mazzantini beschreibt darin die Schicksale verschiedener Menschen ...

Das Meer am Morgen ist ein Roman der italienischen Schriftstellerin Margaret Mazzantini, der im Dumont-Buchverlag 2012 erschienen ist. Mazzantini beschreibt darin die Schicksale verschiedener Menschen auf der Flucht.

Jamila flieht 2011 mit ihrem kleinen Sohn Farid aus Lybien. Durch die Wüste bis ans Meer flüchtet sie mit anderen auf einem Schlepperboot. Dafür musste sie ihr ganzes Erspartes geben. Jamila erhofft sich ein sorgloses Leben in Europa, muss aber der Wahrheit ins Auge blicken: ihr Sohn wird die Flucht nicht überleben.

Vito lebt im italienischen Sizilien. Er ist achtzehn Jahre alt, hat arabische Wurzeln und liebt das Meer. Seine Mutter Angelina, die aus Lybien stammt, ist vor vielen Jahren nach Italien geflüchtet. Ihre Sehnsucht nach ihrer Heimat ist aber immer spürbar. Deshalb reist sie zurück nach Tripolis, um ihre erste große Liebe aufzuspüren und an den Ort ihrer Kindheit zurück zu kehren.

Mit Das Meer am Morgen ist Mazzantini ein intensives, aufklärendes und eindringliches Buch gelungen, das einem sofort Bilder in den Kopf ruft. Die Schicksale der handelnden Personen machen betroffen und nachdenklich. Die poetische Sprache macht die tragische Thematik greifbarer. Eine politische Note schwingt in dem Erzählten durchweg mit.

Ein kompaktes Büchlein erzählt von großen Missständen der heutigen Zeit. Die Autorin dokumentiert auf ergreifende Weise die Zerrissenheit ihrer Figuren, berichtet von Wut, Hoffnung und Angst. Somit geht einem die Geschichte unweigerlich ans Herz und rüttelt hoffentlich auch noch den Letzten wach.

Die Schönheit ihrer Sprache vereint Mazzantini mit ungeheuren, in unserer Zeit geschehenden Katastrophen.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Über die Mauer im Kopf

Der Osten ist ein Gefühl
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Die norddeutsche Schriftstellerin Anja Goerz hat mit Der Osten ist ein Gefühl – Über die Mauer im Kopf ein Buch geschrieben, das sich mit den drängenden Fragen über das Leben in der ehemaligen DDR und ...

Die norddeutsche Schriftstellerin Anja Goerz hat mit Der Osten ist ein Gefühl – Über die Mauer im Kopf ein Buch geschrieben, das sich mit den drängenden Fragen über das Leben in der ehemaligen DDR und den Folgen für seine Bürger auseinandersetzt. Um besser verstehen zu können, was das System für seine Bevölkerung bedeutete und wie diese damit lebte, hat sie Ostdeutsche befragt, die mit der DDR aufgewachsen sind. Darunter auch einige Prominente. Zugleich wird deutlich, dass die Wiedervereinigung zwar knapp 30 Jahre her, die Mauer aus den Köpfen vieler Ost- und Westdeutschen aber noch nicht verschwunden ist. Das Buch erschien erstmals 2014 im dtv-Verlag und wurde 2019 von eben diesem neu aufgelegt.

Anja Goerz portraitiert Menschen, die in der DDR gelebt haben. Darunter Bekannte wie Inka Bause, Sebastian Krumbiegel oder Achim Menzel, aber vor allem auch nicht prominente. Die Biografien sind vielfältig und die Erfahrungen teilweise sehr unterschiedlich. Dabei hört sie von verpassten Chancen, spürbarer Ungleichheit gegenüber den Wessis und Vorurteilen, die noch heute eine Rolle spielen. Gleichsam berichten die Zeitzeugen von einem unmenschlichen System, das die DDR zweifelsohne war. Nicht zuletzt die Schießbefehle und die ständige Überwachung seiner Bevölkerung machten sie dazu.

Aber auch schöne Erinnerungen finden Platz, wie typische Musik aus damaliger Zeit, Familienausflüge und lustige Anekdoten. Jede Geschichte, jedes Interview wird mit einem Schwarzweissfoto unterlegt, das etwas aus dem persönlichen Leben der Menschen zeigt. Auch wenn die Ansichten über das Leben in der DDR verschieden sind, ist für viele doch eine Identifikation damit verbunden. Schließlich war dieses Leben lange Zeit alles, was sie kannten.

Die Ost-West-Debatte führt noch immer zu hitzigen Diskussionen und häufig sind diese von Vorurteilen und Halbwissen auf beiden Seiten geprägt. Das Verständnis und das Interesse füreinander scheint häufig zu fehlen. Goerz gelingt durch die Gespräche mit ehemaligen DDR-Bürgern ein bildhafter Einblick. Einfühlsam und interessiert begegnet sie ihren Gesprächspartnern, deren Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen in den Texten deutlich werden.

Die Lebensgeschichten haben mich sehr bewegt, gerade auch aus persönlichen Gründen. Obwohl ich mich beiden Seiten verbunden fühle, da meine Familie aus der ehemaligen DDR stammt und ich dort geboren wurde, habe ich mein komplettes Leben danach nur im Westen verbracht. Ich denke nicht in Ost und West und habe das von meiner Familie auch nie vermittelt bekommen. Ich war viel zu klein, um zu begreifen, was damals vor sich ging und an den Fall der Mauer habe ich aufgrund meines Alters natürlich keinerlei Erinnerung. Die Erzählungen im Buch decken sich jedoch größtenteils mit denen meiner Familie. Wenn ich von Verbundenheit spreche, das möchte ich ganz klar stellen, meine ich damit natürlich ausschließlich die eigene Herkunft und nicht etwa das politische System.

Ich mag die Begriffe Ossi und Wessi überhaupt nicht und distanziere mich davon. Ich habe mich immer als Berlinerin, als Deutsche gesehen, die dankbar für ein buntes Land ist. Nachdem ich mit 22 Jahren nach Hamburg ging und sechs Jahre dort verbrachte, lebe ich seit nunmehr drei Jahren in Freiburg. Ich bin mir der immer noch spürbaren Unterschiede bewusst und sehe Deutschland dennoch nicht als geteiltes Land. Nach dreißig Jahren Einheit sollte die Mauer aus unser aller Köpfen verschwinden. Hoffentlich haben Forscher recht, wenn sie sagen, dass wir in zwanzig Jahren, nach fünfzig Jahren deutscher Einheit, in der mehr als die Hälfte der Deutschen nach der Wiedervereinigung geboren wurden, ein neues Deutschland haben.

Das Buch hat mich nachdenklich gemacht, traurig und mich immer wieder schockiert. Das Leid vieler Menschen, durch den Verlust von Familienmitgliedern und Freunden, als auch ein überwachtes Leben in einem Unrechtsstaat im Allgemeinen rufen beklemmende Gefühle hervor. Ich bin dankbar, diese Zeit nicht erlebt haben zu müssen. Auch wenn es hier und da Menschen gibt, die auch in der DDR Privilegien genossen, so ist das ein kleiner Teil.

Viele Schilderungen der Befragten aber, haben mich auch hier und da zum Lachen gebracht. Schließlich sind manche Geschichten auch durchaus amüsant. Als Leser darf man nicht den Fehler machen und mit einer falschen, möglicherweise rein politischen Intention an das Buch herangehen. Auch interessante Fakten wie die unterschiedliche Namensgebung in Ost und West und deren Ursachen werden erläutert. Zudem werden charakteristischen Frisuren, Konsumgütern uvm. eine größere Aufmerksamkeit zuteil.

Der Osten ist ein Gefühl vermittelt mit viel Sachkenntnis und Empathie ein Stück deutsche Geschichte und klärt auf. Ich schließe mich am Ende dem Zitat von Ricarda Ohligschläger, von herzgedanke.com aus dem April 2014 an: Wenn dieses Buch Pflichtlektüre im Geschichtsunterricht werden würde, dann könnte man in den nachfolgenden Generationen meiner Meinung nach Vorurteile direkt im Keim ersticken.

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Veröffentlicht am 27.10.2019

Traumhaft illustriert

Das ist Deutschland
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Der Bildband Das ist Deutschland – Eine Reise in Bildern, ist ein Kinderbuch aus dem Spätsommer 2019, illustriert von Verena Körting und erschienen im ars-Edition-Verlag. Auf bildhafte Weise wird Kindern ...

Der Bildband Das ist Deutschland – Eine Reise in Bildern, ist ein Kinderbuch aus dem Spätsommer 2019, illustriert von Verena Körting und erschienen im ars-Edition-Verlag. Auf bildhafte Weise wird Kindern das Land in dem sie leben näher gebracht.

Auf immer ein bis drei Illustrationen werden alle 16 Bundesländer vorgestellt. Körting hat Deutschland intensiv bereist, um die Originalschauplätze möglichst realistisch darstellen zu können. In geografischer Reihenfolge, von Nord nach Süd, vom Meer bis in die Berge, lernen Kinder und auch Erwachsene Deutschland in seiner gesamten Vielfalt kennen. Die Motive wechseln von Frühling bis Winter und greifen so auch die jahreszeitentypischen Merkmale auf.

Verschiedene Menschen, Berufe, Städte und Landschaften können entdeckt werden. Schon auf den ersten Bildern wird deutlich, dass es sich keinesfalls ausschließlich um ein Kinderbuch handelt. Im Gegenteil. Diese bunte Reise durch Deutschland lohnt sich für die ganze Familie. Besonders schön ist das Format des Buches, das viel Platz für die wunderschönen Illustrationen bietet.

Die Bilder sind detailreich, realistisch und farbenfroh gezeichnet. Am Ende des Buches finden sich nützliche Informationen zu allen deutschen Bundesländern und den dargestellten Motiven. Die Prägung auf dem Cover ist ein weiteres Highlight dieses so gelungenen Buches. Atmosphärisch und stimmungsvoll vermittelt Körting einen Eindruck des Alltags deutscher Großstädte und Landschaften.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Zauberhafte Atmosphäre bei Nacht

Auf leisen Sohlen durch die Nacht
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Auf leisen Sohlen durch die Nacht hat mich erst kürzlich erreicht und ist schon eines meiner Herzensbücher. Da freut es mich aus persönlichen Gründen doch sehr, dass es somit auch mein erstes Kinderbuch ...

Auf leisen Sohlen durch die Nacht hat mich erst kürzlich erreicht und ist schon eines meiner Herzensbücher. Da freut es mich aus persönlichen Gründen doch sehr, dass es somit auch mein erstes Kinderbuch in dieser Rubrik ist. Es handelt sich um ein Bilderbuch der Französin Marie Dorléans und erschien im Sommer diesen Jahres im Gerstenberg-Verlag. Die Illustratorin lässt ihre kleinen Leser in der Geschichte die Nacht entdecken.

Eine Sommernacht. Es ist dunkel draußen, der Himmel voller Sterne. Eine vierköpfige Familie macht sich auf, die Umgebung bei Nacht zu erkunden. Dabei geht es durch den friedlichen Garten, wo die Grillen zirpen und die Luft nach Blumen riecht, weiter durch das verschlafene Dorf, in dem so manches Licht noch brennt. Für die Figuren geht es vorbei an Kuhherden, am Wald entlang, über Wiesen, bis hoch auf einen Berg. Dort erleben sie dann ganz früh am Morgen einen ganz besonderen Moment.


Orléans gelingt mit diesem ruhigen Bilderbuch, besonders durch die atmosphärischen Illustrationen in Blautönen, ein Vorleseerlebnis für Kinder, aber auch die Erwachsenen. Die detailreichen, aussagekräftigen Abbildungen sind sehr ansprechend dargestellt und laden zum Verweilen ein, sodass der Text manchmal überflüssig erscheint. Die Nachtwanderung, die ein Elternpaar initiiert, macht auch den Kindern viel Freude. Bei den kleinen Bilderbuchbetrachtern wird die Neugier geweckt und die Natur einmal anders erlebt.

Die Kinder, mit denen ich die Geschichte durchleben durfte, konnte sie sehr begeistern, auch weil ein Setting bei Nacht in Bilderbüchern schon eine Besonderheit darstellt, da die meisten Geschichten tagsüber spielen. Die Idee eines solchen erlebnisreichen Nachtspaziergangs finde ich sehr inspirierend und freue mich über diese neue Kinderbuch-Erfahrung.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Eine Kindheit, die fassungslos macht

Das Mädchen
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Angelika Klüssendorf schrieb die Romanreihe rund um ein junges Mädchen, dass eine grausame Kindheit erlebt, sich aber Stück für Stück zurück ins Leben kämpft. Das Mädchen erschien 2011, April 2015 und ...

Angelika Klüssendorf schrieb die Romanreihe rund um ein junges Mädchen, dass eine grausame Kindheit erlebt, sich aber Stück für Stück zurück ins Leben kämpft. Das Mädchen erschien 2011, April 2015 und der dritte Teil, Jahre später, 2018 bei Kiepenheuer und Witsch.

DAS MÄDCHEN
Sie ist zwölf Jahre alt und erlebt eine tragische Kindheit an der Seite ihres jüngeren Bruders Alex in der ehemaligen DDR. Sie kommt aus ärmlichen Verhältnissen und ist der Unzufriedenheit ihrer Mutter ausgesetzt. Diese ist alkoholkrank, tyrannisiert ihre Kinder, indem sie sie beleidigt, demütigt und prügelt. Der Vater, ebenfalls ein Trinker, ist fast nie da. Um all das ertragen zu können, flüchtet sich das Mädchen in fantastische Kinderbücher und Märchen.

Immer wieder versucht sie von zuhause auszureißen, landet am Ende aber doch wieder in ihrer lieblosen Familie. Sie lebt zeitweise in einem Kinderheim, in dem sie andere Kinder kennen lernt, die ähnlich schlimme Erfahrungen in ihrem Elternhaus machen mussten. Wirklichen Anschluss aber findet sie nicht. Sie klaut, träumt sich in Fantasiewelten und versteckt ihren dürren Körper unter Schichten von Kleidung. Der Versuch, sich das Leben zu nehmen, zeigt ihre Aussichtslosigkeit.

APRIL
Es sind die späten Siebziger in Leipzig. Inzwischen nennt sie sich April und ist erwachsen geworden. Ihre traumatische Vergangenheit versucht sie hinter sich zu lassen, was nicht immer gelingt. Sie beginnt ein neues Leben, eines als selbstbestimmte Frau mit eigenen Bedürfnissen und Interessen. Ihre Zeit im Heim ist vorüber, die Lehre hat sie abgebrochen und arbeitet nun als Büroangestellte. Immer noch kommt sie an Grenzen und umstößt diese.

Sie verliebt sich in Hans, die beiden werden ein Paar und leben zusammen. Er akzeptiert sie, wie sie ist und gibt ihr das Gefühl, genug zu sein. Beide bekommen einen Sohn, Julius. Anfangs noch ängstlich, von ihm verlassen zu werden, wird April selbstbewusster und bald ist sie es, die verlässt. Vorher aber steht die Ausreise aus der DDR, in den Berliner Westen an. Die qualvollen Kindheitsmomente klingen nie ganz ab und machen der jungen Frau nach wie vor das Leben schwer. Erinnerungen, Verluste und Enttäuschungen haben sie geprägt. Dieser Teil endet zu Beginn der Achtziger Jahre.

JAHRE SPÄTER
Inzwischen ist April dreißig Jahre alt. Auf einer Lesung in Hamburg lernt sie den Chirurgen Ludwig kennen und beide werden ein Paar. Er ist penetrant, ja manchmal schon dreist in seiner Art und Weise, sie zu umgarnen. Beide erleben eine intensive Zeit, in der sie Telefonstreiche bei Ludwigs Kollegen begehen und auch vor Diebstählen nicht zurück schrecken. Ludwig und April heiraten und bekommen einen Sohn, Samuel.

Die Zweisamkeit brauchen beide und können sie doch nicht ertragen. Die Beziehung hat etwas sehr Ungutes und treibt sie mehr und mehr auseinander. April kämpft gegen Depressionen und die Dämonen ihrer Vergangenheit und muss sich immer wieder mit ihrer Ehe auseinandersetzen, in der sie sich gefangen fühlt. Sie genießt die Aufmerksamkeit Fremder und lernt so andere Männer kennen, überschreitet auch dort wieder Grenzen und hat doch kein schlechtes Gewissen. Zu unglücklich ist sie in der Verbindung mit Ludwig. Neben all dem, versucht sie ihren Söhnen eine bessere Mutter zu sein, als ihre eigene es war.

MEISTERHAFT UMGESETZT
Die Trilogie wurde von Klüssendorf meisterhaft umgesetzt und berührt vom ersten bis zum letzten Band. Die Erzählweise ist klar und sachlich, gut strukturiert und verliert sich nicht in Einzelheiten. Die dargestellten Situationen zeichnen sich durch Prägnanz und Nüchternheit aus. Zwischendurch war es für mich schwer zu ertragen, die Szenen im ersten Band lesen zu müssen. Dennoch möchte man als Leser wissen, wie das Leben des jungen Mädchens weiter verläuft und ob sie es schafft, aus der Negativspirale auszubrechen.

Durch ihre immense Sachlichkeit gelingt es Klüssendorf, nicht zu sentimentalisieren und somit nicht zu beeinflussen. Ganz von selbst bahnt sich die Geschichte von April ihren Weg in die Herzen der Lesenden. Die Bücher überzeugen durch ihre Kraft und Authentizität, ihre Schonungslosigkeit und Bündigkeit. Eine ganz klare Empfehlung meinerseits.