Spannender Krimi über die letzten Tage des Nazi-Regimes
REZENSION – Beherrschten bislang eher die Vorkriegs- und Nachkriegsjahre das Genre aktueller historischer Romane, schlägt jener norddeutsche Arzt und Buchautor, der kürzlich sein Krimi-Debüt unter dem ...
REZENSION – Beherrschten bislang eher die Vorkriegs- und Nachkriegsjahre das Genre aktueller historischer Romane, schlägt jener norddeutsche Arzt und Buchautor, der kürzlich sein Krimi-Debüt unter dem Pseudonym Michael Jensen im Aufbau-Verlag veröffentlichte, ein neues und literarisch weit schwierigeres Kapitel deutscher Zeitgeschichte auf: Sein lesenswerter Roman „Totenland“ spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs – also in der Zeit des Zusammenbruchs, als das Dritte Reich eigentlich schon untergegangen war, Hitler im Führerbunker Selbstmord beging, führende Nazi-Funktionäre sich vor den alliierten Siegermächten in Sicherheit brachten, Flüchtlinge aus dem Osten in Westdeutschland Zuflucht suchten, die dort in zerbombten Städten hilflos zurückgelassene Bevölkerung notdürftig zu überleben versuchte, viele Menschen aber in ihrer Verzweiflung den Freitod wählten. In diesen wirren Tagen des Untergangs beginnt Michael Jensens Krimi „von Opfern und Tätern“ mit einem „Mord in Deutschlands Stunde Null“.
Ein hoher Parteibonze wurde nahe einem Bauernhof ermordet. Der früher in der Berliner Mordkommission unter dem legendären Kripochef Ernst Gennat (1880-1939) ausgebildete, inzwischen aber nicht nur wegen seiner beim Fronteinsatz erlittenen Handamputation als Dorfpolizist in die Provinz abgeschobene Kriminalinspektor Jens Druwe nimmt die Ermittlungen auf. Seine für den Mordfall zuständigen Kripo-Kollegen aus der Stadt stempeln einen aus dem KZ Fuhlsbüttel entkommenen Häftling und „Volksschädling“, der auf dem Bauernhof untergetaucht war, schnell als Täter ab. Doch dem trotz Kriegseinsatz sowie beruflicher und menschlicher Erniedrigungen gedemütigte Druwe geht es um Gerechtigkeit. Er ermittelt trotz mancher Drohung seiner Vorgesetzten weiter und stellt sich den Profiteuren des untergehenden Regimes allein entgegen.
So spannend die Kriminalhandlung auch ist, geht es dem Autor in seinem Buch weniger um den Mordfall und die nachfolgenden Ermittlungen. Beides dient ihm vielmehr zur Darstellung der von den Menschen unter dem Nazi-Regime und im Krieg erlittenen seelischen Folgen – nicht nur bei Opfern, sondern auch bei Tätern, wobei die Grenzen zwischen beiden oft fließend sein können, wie wir im Roman an Beispielen erfahren. Jensen entwickelt ein genaues Psychogramm seiner charakterlich so unterschiedlichen Figuren und zeigt damit die Vielschichtigkeit der Gesellschaft auch in der Nazi-Diktatur. Die Menschen lassen sich eben nicht nur in Schwarz und Weiß einteilen, sondern es gibt auch ein in vielen Schattierungen nicht immer leicht erkennbares Grau. Parallel zur spannenden Kriminalhandlung sowie zur treffenden Charakterisierung seiner Protagonisten gelingt es dem Autor hervorragend, die düstere Stimmung im Alltag des untergehenden Deutschlands zu schildern.
Der Debütroman „Totenland“ von Michael Jensen ist nicht nur Liebhabern von [historischen] Krimis zu empfehlen, sondern ist in jedem Fall lesenswert, vielleicht gerade auch für die Generationen der Nachgeborenen: Der Roman zeichnet auf beeindruckende Weise ein genaues - wenn auch zeitlich und räumlich eingeschränktes - Bild Deutschlands gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. „Totenland“ wurde vom Aufbau-Verlag als erster Band einer Jens-Druwe-Reihe angekündigt. Man darf also auf den zweiten Band „Totenwelt“ gespannt sein, dessen Veröffentlichung für Mitte Juni 2020 vorgesehen ist.