Profilbild von solveig

solveig

Lesejury Star
offline

solveig ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit solveig über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.11.2019

"I´m a free American girl..."

Nellie Bly
0

Was heute als ganz selbstverständlich gilt, war Mitte des 19. Jahrhunderts eher ungewöhnlich: Elizabeth Jane Cochran will ihr Leben selbst bestimmen und keinesfalls eine Ehe eingehen, nur um finanziell ...

Was heute als ganz selbstverständlich gilt, war Mitte des 19. Jahrhunderts eher ungewöhnlich: Elizabeth Jane Cochran will ihr Leben selbst bestimmen und keinesfalls eine Ehe eingehen, nur um finanziell versorgt zu sein. Zielstrebig, mutig, auch wenn ihr manchmal nicht so zumute ist, beschließt sie, sich weiterzubilden und einen Beruf zu ergreifen. Nach einigen Enttäuschungen kommen ihr der Zufall und etwas Glück zu Hilfe. Ein Leserbrief, den sie an die Zeitung "Pittsburgh Dispatch" verfasst, öffnet ihr schließlich die Tür zum Beruf der Journalistin, in dem sie unter dem Pseudonym "Nellie Bly" ihre Artikel veröffentlicht. Natürlich begegnet sie hier, in einer von Männern dominierten Arbeitswelt, ebenso Vorurteilen und Problemen. Doch sie verfügt über Ausdauer und hat eine Idee, die der Chefredakteur nicht ausschlagen kann: für einen Zeitungsbericht ermittelt sie undercover in einer bekannten New Yorker Irrenanstalt. Weitere sensationelle Reportagen folgen, die sie über die Landesgrenzen hinaus bekannt machen - am meisten sicherlich ihre Arbeit als Kriegsberichterstatterin im Ersten Weltkrieg.
Nicola Attadios Biografie über diese ungewöhnliche Frau ist in einem sachlichen, zurückhaltenden Stil abgefasst, aber dennoch spürt der Leser seine Empathie. Sehr anschaulich gibt er den historischen Hintergrund des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wieder, der Nellys Situation verdeutlicht. Zitate und Auszüge aus Berichten Nellie Blys und ihrer Zeitgenossen geben zusätzlich Einblick in ihr Denken und Fühlen und vervollständigen das Lebensbild. Attadio ist es gelungen, ein sehr eindrückliches Porträt von Nelly, dem „free American girl“, wiederzugeben; einer Frau, die sich Zeit ihres Lebens bemühte, ohne die (fianzielle) Unterstützung eines Mannes zurechtkommen, aber stets ein großes Herz für jene bewies, die ihre Hilfe nötig hatten.

Veröffentlicht am 06.11.2019

Terror und Kontrolle

Exit Now!
0


„Um eine Gesellschaft wirklich zu einen, braucht man einen Sündenbock.“ Das zynische Statement einer führenden Politikerin, die in diesem Jugendroman zu Wort kommt, hat Folgen für die englische Gesellschaft ...


„Um eine Gesellschaft wirklich zu einen, braucht man einen Sündenbock.“ Das zynische Statement einer führenden Politikerin, die in diesem Jugendroman zu Wort kommt, hat Folgen für die englische Gesellschaft im Jahre 2024. Nach dem erfolgten Brexit geht es mit der Wirtschaft immer mehr bergab; die Kluft zwischen Arm und Reich, Angehörigen privilegierter Klassen und unterer Schichten vertieft sich. Das sich drastisch verändernde soziale Klima begünstigt das Entstehen radikaler Gruppen Jugendlicher, die mit Gewalt Veränderungen herbeiführen wollen.
Mitten im Geschehen stehen Ava und Sam, zwei junge Mädchen aus ganz unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die sehr bald in den Strudel der Ereignisse geraten. Aus ihrer Perspektive beschreibt die Autorin, wie sich das politische Klima verändert und ihren Alltag bestimmt, wobei sich ihre Sichtweisen ergänzen. Teri Terry lässt beide abwechselnd erzählen, sie versteht es, packend von den Maßnahmen der Regierung zu berichten, um die Kontrolle wieder zu erlangen. Dabei bedient sie sich eines für jeden gut verständlichen, unkomplizierten Schreibstils. Sie schafft es, eine düstere Atmosphäre zu beschwören, die zunehmend bedrohlicher wirkt.
„Exit now!“ ist eigentlich als Prequel zu Terrys Buchreihe „Gelöscht“ (erstmals erschienen 2013/2014) gedacht, kann aber ganz unabhängig davon gelesen und verstanden werden. Denn eigentlich könnte ein solches Szenario, wie Terry es schildert, auch in jedem anderen abgeschotteten Land entstehen.

Veröffentlicht am 06.11.2019

Todestief ...

Verborgen im Gletscher
0

„…dröhnen die Spalten vom Gletscher her“ - heißt eine Zeile in einem Gedicht von Jóhann Sigurjónsson. Auf dem Langjökull, dem zweitgrößten Gletscher Islands, begegnet eine Touristengruppe dem Tod. Sie ...

„…dröhnen die Spalten vom Gletscher her“ - heißt eine Zeile in einem Gedicht von Jóhann Sigurjónsson. Auf dem Langjökull, dem zweitgrößten Gletscher Islands, begegnet eine Touristengruppe dem Tod. Sie macht eine grausige Entdeckung: ein Menschenkopf ragt aus dem Gletschereis, das aufgrund der Erderwärmung stark abgeschmolzen ist. Hat der Mann einst einen Unfall erlitten und ist in eine Gletscherspalte gestürzt? Schnell ist die Identität des Toten geklärt, und der ehemalige Kommissar Konrađ wird mit einem Jahrzehnte alten Mord konfrontiert. Der Fall des vor dreißig Jahren spurlos verschwundenen Sigurvin hatte ihn während seiner aktiven Dienstzeit lange beschäftigt, er konnte ihn jedoch nicht lösen. Und so stürzt sich Konrađ in neue Ermittlungsarbeiten.
Auch dieser zweite Fall, in dem der pensionierte Polizist Konrađ „mitmischt“ (nach „Schattenwege“, erschienen 2015) betrifft einen „cold case“, der eigentlich schon vor Jahren ad acta gelegt wurde. Systematisch entwickelt der Autor seinen Plot. Der Roman ist klar strukturiert und in sachlichem, konzentriertem Schreibstil abgefasst. Die ruhige und relativ undramatische Art des Erzählens entspricht dabei dem Naturell des ermittelnden Ex-Kommissars, dessen Stärke in detaillierter und ausdauernder Recherchearbeit besteht. Zu den meisten Charakteren des Krimis gibt es eine gewisse Distanz; einzig zu Konrađ erfährt der Leser mehr Privates. Dass wir ihn auch mit seinen Schwächen und Problemen kennenlernen, macht ihn als Protagonisten authentischer. Wie in seinen anderen Büchern spricht Indriđason auch in „Verborgen im Gletscher“ aktuelle Themen an wie etwa Umweltprobleme und Klimawandel, ohne sie jedoch in den Vordergrund geraten zu lassen.
Mein Resumé: „Verborgen im Gletscher“ ist ein Kriminalroman, der weniger auf „Action“ als auf ruhige Ermittlungsarbeit setzt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Geschichte
  • Stimmung
  • Figuren
Veröffentlicht am 28.10.2019

Was bedeutet Familie?

Die Altruisten
0

„Die Familie Alter wurde von Feuer geplagt“. Autor Andrew Ridker zieht uns ohne große Umstände gleich zu Beginn seines Buches mitten hinein in die Ereignisse, die das Leben von Francine, Arthur, Maggie ...

„Die Familie Alter wurde von Feuer geplagt“. Autor Andrew Ridker zieht uns ohne große Umstände gleich zu Beginn seines Buches mitten hinein in die Ereignisse, die das Leben von Francine, Arthur, Maggie und Ethan bestimmen. Mit Feuer als unheilvollen Vorzeichen beginnt sein Roman, mit einem die Familie versöhnenden „reinigenden“ Feuer endet er aber auch. Der Hauptteil beschäftigt sich intensiv mit den (sehr verschiedenartigen) Lebensgeschichten und -erfahrungen der einzelnen Familienmitglieder, die nach dem Tod von Mutter Francine ihre eigenen, getrennten Wege gehen. Erst zwei Jahre später bemüht sich Vater Arthur um ein Treffen mit seinen erwachsenen Kindern, zu denen er seit Francines Beerdigung keinen Kontakt mehr hatte. Allerdings hat sein Ansinnen weniger familiäre sondern eher pekuniäre Gründe; denn er ist auf das Erbe von Maggie und Ethan angewiesen, um das gemeinsame Haus weiterhin finanzieren zu können. Welche Wirkung wird dieses Treffen auf die drei Alters ausüben?
Sehr bildhaft und nicht ohne Humor beschreibt der Autor die unterschiedlichen Charaktere und Lebensweisen der Protagonisten, deren einziger gemeinsamer Nenner die (inzwischen verstorbene) Mutter Francine gewesen zu sein scheint. Ridker bedient sich verschiedener Zeitebenen, in denen er neben dem gegenwärtigen Leben seiner „Helden“ Episoden aus der Biografie der einzelnen Charaktere in Rückblenden erstehen lässt, und es dem Leser so ermöglicht, sich ein detaillierteres Bild von den Personen und ihren Verhaltensweisen zu machen. Sein unterhaltsamer, sehr angenehmer Schreibstil, unterlegt mit leichter Ironie, macht das Lesen zu einem Genuss.
Ob die Familie es schafft, wieder zueinander zu finden? Der Schluss des Romans klingt jedenfalls hoffnungsvoll…

Veröffentlicht am 13.10.2019

Mehr Frische im Winter

Ernte mich im Winter
0


Umweltbewusstsein - so lautet das Schlagwort unserer Zeit. Eine der Möglichkeiten, achtsam und ressourcenschonend zu leben, bietet der Anbau von Wintergemüse in Garten oder auf dem Balkon. In seinem ...


Umweltbewusstsein - so lautet das Schlagwort unserer Zeit. Eine der Möglichkeiten, achtsam und ressourcenschonend zu leben, bietet der Anbau von Wintergemüse in Garten oder auf dem Balkon. In seinem neuen Buch „Ernte mich im Winter“ ermuntert Wolfgang Palme seine Leser dazu, anstatt weitgereistes oder im Treibhaus angebautes Gemüse im Supermarkt zu kaufen, auf heimische Sorten zurückzugreifen und diese - wo es möglich ist - selbst anzubauen. Dabei berichtet er von den Ergebnissen langjähriger Forschungen auf der Versuchsstation Zinsenhof in Niederösterreich, die belegen, dass viele unserer Gemüsearten widerstandsfähiger sind als bisher angenommen. Eine Reihe von Pflanzensteckbriefen stellt neben einigen der wichtigsten Vertreter von Wintergemüse auch eher unbekannte Arten wie etwa den Butterkohl oder die Winterheckenzwiebel in Wort und Bild vor. Da Anbau bzw. Aussaat für viele Gemüsesorten sowohl im Garten als auch in Balkonkästen oder –töpfen möglich sind, richtet sich Palme ebenfalls an „Stadtgärtner“. Sein Schreibstil ist dabei überraschend narrativ, „blumig“ und humorvoll, was man in einem Ratgeber so nicht unbedingt erwartet.
„Ernte mich im Winter“ ist, denke ich, als Motivation für und Einführung in die Wintergärtnerei gedacht, wie auch die zahlreichen Illustrationen belegen. Interessierte, die sich intensiver mit diesem Thema beschäftigen wollen, finden im Literaturverzeichnis weiterführende Publikationen und Links. Ein Glossar der Fachbegriffe, ein Stichwortregister und ein Verzeichnis der Bezugsquellen vervollständigen das Buch. Mein Fazit: Palmes Buch ist ein engagiertes Plädoyer für die Verlängerung der aktiven Arbeits- und Erntezeit über die übliche Gartenperiode hinaus und ein Ratgeber für Gartenneulinge.