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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.10.2019

Informative, teils etwas geschwätzige Kulturreise

Die Verfeinerung der Deutschen
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In "Die Verfeinerung der Deutschen" legt uns Erwin Seitz laut Unterteitel "Eine andere Kulturgeschichte" vor. Dieses Versprechen kann das Buch durchaus einhalten. Auf über 750 Seiten widmet sich der Autor ...

In "Die Verfeinerung der Deutschen" legt uns Erwin Seitz laut Unterteitel "Eine andere Kulturgeschichte" vor. Dieses Versprechen kann das Buch durchaus einhalten. Auf über 750 Seiten widmet sich der Autor der Entwicklung der Lebensart in Deutschland und das von der Germanen bis in die heutige Zeit. Seinen Hauptfokus legt er auf das Kulinarische, aber auch Kunst, allgemeine Lebensart, sich ändernde Meinungen finden hier ihren Platz.

Die Ausstattung des Buches gefällt mir außerordentlich. Es ist gebunden, mit einem dezent-ansprechenden Titelbild. Das Papier fühlt sich angenehm hochwertig an, mehrere schwarz-weiß Abbildungen in guter Qualität finden sich im Buch, zwei Bereiche mit ebenfalls qualitativ guten Farbabbildungen vervollständigen die ansprechende Gestaltung.

Der Text liest sich überwiegend gut, manchmal etwas zu langatmig. Insbesondere die ersten beiden Kapitel (die immerhin 86 Seiten einnehmen), die eine Einführung und einen Gesamtüberblick geben, sind oft zäh und ein wenig geschwätzig. Als ich diese las, bereute ich meine Entscheidung für das Buch ein wenig, weil es nicht zum Punkt kam und nicht die Informationen bot, die ich erwartete. Solche geschwätzigen Passagen ohne wirklichen Inhalt gab es im Laufe des Buches auch leider immer wieder. Da werden dann thematisch nicht relevante Gedankengänge vor sich hingeplaudert oder schwärmerische Spaziergänge durch Venedig beschrieben - alles etwas zu wortreich, zur substanzlos. Auch die längeren philosophischen Exkurse waren nicht ganz mein Fall.

Größtenteils aber bietet "Die Verfeinerung der Deutschen" eine unterhaltsame Mischung aus Informativem und Unterhaltsamem. Der Autor stellt uns einige kulinarische Besonderheiten vor, wie den Moselwein, das Bamberger Rauchbier, berichtet von deren Geschichte, stellt heutige Menschen vor, die diese Traditionen pflegen. Das ist oft sehr interessant, auch wenn ich die Verzückung über die barbarisch gewonnene Gänsestopfleber in einem Buch über Verfeinerung ziemlich fehl am Platze finde. Manchmal, gerade im letzten Kapitel über das heutige Berlin, verliert sich der Autor aber auch zu sehr in seinen Restaurantbeschreibungen. Ich muß nicht unbedingt en detail wissen, wie jedes Feinschmeckerrestaurant in Deutschland eingerichtet ist, welche Farbe die Sitzbezüge haben, und auch Auflistungen von Speisekarteninhalten sind nicht unbedingt informativ, wenn man nicht ein Restaurant in der beschriebenen Stadt sucht.

Der geschichtliche Teil ist gut lesbar und schafft es, viele Informationen angenehm zu präsentieren. Wir bekommen einen geschichtlichen Überblick, der dann mit den kulturellen, lebensartlichen Entwicklungen verbunden wird. Das klappt hervorragend, man kann viele Entwicklungen durch den geschichtlichen Zusammenhang besser einordnen, erfährt unterhaltsame Details, die in geschichtlich orientierten Büchern oft nicht enthalten sind. Auf die ausführlichen Listen von Lebensmitteln, die in einer bestimmten Epoche gegessen wurden, hätte ich verzichten könnten, denn wer liest schon eine halbe Seite Lebensmittelauflistungen? Manchmal hätte dem Autor ein wenig Neutralität wohl getan, gerade im Kapitel über Preußen mußte ich öfter den Kopf schütteln, weil der Autor keine Gelegenheit ausläßt, zu urteilen und tendenziös zu schreiben. Auch bei Punkten, bei denen ich inhaltlich zustimmen würde, fand ich den teils polemischen Schreibstil unpassend. Seine persönliche Abneigung gegen Christopher Clarks Buch über Preußen sei ihm unbenommen, muß aber nicht bei jeder Gelegenheit erwähnt werden. Einem Sachbuch steht Sachlichkeit wesentlich besser.

Im Großen und Ganzen enthält "Die Verfeinerung der Deutschen" aber viel Lesenswertes, viel unterhaltsam Dargebrachtes, viel Informatives. Mit hat diese Reise durch die deutsche Kulturgeschichte trotz einiger Wermutstropfen Spaß gemacht und ich habe auf vergnügliche Weise Neues gelernt und Bekanntes neu gelesen.

Veröffentlicht am 27.10.2019

Lebhafte, berührende Geschichte im gewöhnungsbedürftigen Schreibstil

Der Besuch des Leibarztes
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"Der Besuch des Leibarztes" erzählt die wahre Geschichte des Johann Friedrich Struensee, der Ende des 18. Jahrhundert bemerkenswerte Reformen in Dänemark einführte, letztlich aber den Machtspielen am dänischen ...

"Der Besuch des Leibarztes" erzählt die wahre Geschichte des Johann Friedrich Struensee, der Ende des 18. Jahrhundert bemerkenswerte Reformen in Dänemark einführte, letztlich aber den Machtspielen am dänischen Königshof zum Opfer fiel. Als ich zum ersten Mal über diese tragischen Geschehnisse las, war ich geradezu erschrocken über die Zustände am Königshof, die Skrupellosigkeit einiger der Agierenden und die Ereignisse, die sich als Material für einen opulenten Roman geradezu anbieten. So war ich auf die Umsetzung dieses Romans natürlich sehr gespannt.

Diese Ausgabe ist Teil der Fischer Taschenbibliothek, die ich aufgrund ihrer ansprechenden Gestaltung generell sehr erfreulich finde. Auch "Der Besuch des Leibarztes" ist gelungen - im ungewöhnlich kleinen Buchformat der Reihe, mit einem hochwertigen festen Einband und einem dezenten Titelbild. Haptisch angenehmes Papier und ein Lesebändchen vervollständigen die schöne Ausgabe.

Der Schreibstil Per Olov Enquists ist gewöhnungsbedürftig, einige Aspekte fand ich nicht sehr angenehm. Er beginnt das Buch mit der Phase zehn Jahre nach Struensees Hinrichtung, beschreibt uns Personen und Geschehnisse lebendig, greift hierzu auch auch zeitgenössische Quellen zurück. Das geschieht im Buch häufig - inwiefern diese Quellen authentisch sind, läßt sich mangels Quellenangaben für mich nicht nachvollziehen, ich gehe aber davon aus, daß sie authentisch sind, und letztlich ist es ein Roman, kein Sachbuch. Sie komplementieren den Romantext sehr gut, wenn sie auch teilweise zu ausführlich wiedergegeben werden. Diese lebendige Schilderung am Buchanfang wird dann allerdings von recht langatmigen theoretischen Exkursen und Überlegungen abgelöst. Auch dies zieht sich durch das Buch. Einerseits sind wir durch farbige Erzählungen und gut dargestellte Charaktere ganz nah am Geschehen dabei, ich fühlte mich beim Lesen oft regelrecht in die Schauplätze hineinversetzt. Andererseits ergeht sich der Autor nur zu gerne in lange theoretische Passagen, die oft langweilig sind und das Geschehen zäh unterbrechen.

Nach jenem ersten Teil geht der Autor in der Geschichte zurück und berichtet ab dann chronologisch von der Kindheit des dänischen Königs Christian bis zur Hinrichtung Struensees. Es gelingt hier sehr gut, Christian, der geisteskrank war und so zur Marionette der Machtgierigen am Hofe wurde, eindringlich und echt darzustellen. Wir erleben einen Jungen, später einen jungen Mann, der an der erbarmungslosen Erziehung bei Hofe unbeschreiblich leidet, der so gerne alles richtig machen möchte, aber das Rüstzeug dafür nicht hat und der trotz seiner Krankheit - die allen wohl bekannt ist - in die Rolle des von Gott gesandten absoluten Herrschers gesteckt wird. Sein Leid wird beeindruckend vermittelt und wirft ein klares Licht darauf, wie all diese Ereignisse möglich waren. Auch seine Frau Caroline Mathilde, eine englische Prinzessin, die Opfer der machtpolitischen Heiratsentscheidungen europäischer Königshäuser wird, wird von Enquist zum Leben erweckt. Ihre Ängste, ihre Einsamkeit und Sehnsüchte, stellen sich deutlich dar. Die seltsame Beziehung dieser beiden gezwungenen Eheleute ist ebenfalls sensibel dargestellt. Es ist meines Erachtens die größte Stärke dieses Buches, uns diese historischen Persönlichkeiten so menschlich nahezubringen. Struensee schließlich, der zum verhängsnisvollen Dritten in dieser unglücklichen Konstellation werden wird, gewinnt ebenfalls farbige Kontur, die - soweit ich das ermessen kann - mit der historischen Person gut übereinstimmt.

Während also Charakterzeichnung und Atmosphäre stilistisch gelungen sind, stören nicht nur die oben erwähnten theoretischen Exkurse das Lesevergnügen. Auch die zahlreichen Wiederholungen haben mir gar nicht zugsagt. Sie sind als Stilelement beabsichtigt, das merkt man, aber sie sind kein erfreuliches Element, sind überflüssig, anstrengend. Auch die Faszination des Autors mit dem männlichen Unterleib nimmt manchmal überhand. Inwieweit es zur Geschichte beiträgt, wenn man bei manchen Szenen genauestens über jede Bewegung des männlichen Geschlechtsorgans informiert wird und die Notwendigkeit der ständigen Auslebung des Geschlechtstriebs des Königsvaters, des Fortpflanzungsaktes des Königs ausführlich und immer wieder besprochen und erwähnt wird, bleibt dahingestellt. Ich fand es so detailliert eher ermüdend und unnötig.

So war ich beim Lesen hin- und hergerissen. Einige Szenen sind so tiefgehend berührend, daß ich ganz begeistert war. Viele Szenen sind so zäh und überflüssig, daß ich nur den Kopf schütteln konnte. Insgesamt ist der Schreibstil nicht unbedingt mein Fall. Allerdings ist die Geschichte um Struensee, Christian und Caroline so lebhaft geschildert, wird uns so nahegebracht, ist historisches Geschehen so farbig echt geworden, daß ich froh bin, das Buch gelesen zu haben.

Veröffentlicht am 29.09.2019

Dunkle Schatten über dem idyllischen Dorf

Dachbodenfund
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In "Dachbodenfund" blickt Ellen Puffpaff hinter die Kulissen eines idyllischen Dorfes - und es sieht dahinter ganz schön duster aus. Die merkt auch der Leser recht bald. Während man noch die ansprechend ...

In "Dachbodenfund" blickt Ellen Puffpaff hinter die Kulissen eines idyllischen Dorfes - und es sieht dahinter ganz schön duster aus. Die merkt auch der Leser recht bald. Während man noch die ansprechend bildhafte Beschreibung des herrlichen Hauses genießt, daß die Eheleute Sandra und Marvin sich im Dörfchen Seesby gekauft haben, stehen schon die ersten Nachbarn vor der Türe, zeigen sich die ersten Anzeichen, dass es so idyllisch in der Idylle vielleicht gar nicht ist. Das ist unterhaltsam dargebracht, man findet sich im ersten Teil des Buches in einem interessanten Schwebeverhältnis zwischen pittoresken, Gemütlichkeit vermittelnden Dorfbeschreibungen und einigen seltsamen Einwohnern und Gerüchten.

Das Erzähltempo bleibt gut, es kommt nicht zu Längen und die Geschichte entwickelt sich ziemlich rasch. Dabei bleibt sie aber noch gelungen vage. Daß etwas so gar nicht stimmt, ist dem Leser bewußt, aber was es genau ist, das bleibt länger unklar. Sandra, die Protagonistin, wirkt von Anfang an übertrieben in ihren Reaktionen und Handlungen, übernimmt recht bereitwillig Vorteile, neigt zu vorschnellen Rückschlüssen. Der Klappentext verrät, daß es tatsächlich ein Geheimnis im Dorf gibt und der Leser bekommt auch Einsicht in einige dunkle Ereignisse, die Sandra noch verborgen sind. Trotzdem war für mich länger nicht sicher, inwieweit Sandra übertreibt. Es ergeben sich bis zum Ende der Geschichte immer wieder Überraschungen und es gelingt der Autorin gut, die Leser im Ungewissen zu halten, bis die Antworten aufgedeckt werden.

Dabei ist allerdings auch nicht alles schlüssig. Sandras "Ansporn, dem Ganzen auf den Grund zu gehen" (Klappentext) war für mich lange nicht nachvollziehbar, ihre Motivation kam für mich nicht durch. Ihr teilweise übertriebenes Verhalten trug dazu bei, daß sie auf mich lange ziemlich anstrengend und nicht immer überzeugend wirkte, was nicht dabei half, ihre Motivation zu verstehen. Ihre anstrengende Wirkung blieb für mich das Buch hindurch etwas zu viel.
Auch einige andere Dinge wirkten für mich ein wenig konstruiert oder nicht nachvollziehbar, so unter anderem der rasche Wandel im Verhältnis zwischen Sandra und ihrem Ehemann und mehrere Punkte im späteren Verlauf des Geschehens. Deshalb gab es insgesamt doch etwas zu viele "Wie jetzt?"-Momente, um mich ganz ins Geschehen zu vertiefen.

Die Thematik des Buches ist gut gewählt. Die doch recht eigene Welt kleiner Dörfer bietet Potential und das nutzt die Autorin. Sie nimmt ein schmerzliches, emotionales Thema auf und bringt dieses respektvoll und gelungen dar, verzichtet auf billige Emotions- und Effekthascherei, sondern läßt das Thema für sich sprechen. Das ist gelungen umgesetzt.

Veröffentlicht am 16.09.2019

Geruhsam erzählte Reise zu sich selbst

Gestern ist ein ferner Ort
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"Gestern ist ein ferner Ort" hat mich durch Klappentext und Leseprobe gleich interessiert. Wir lernen Celia kennen, die nach einem Schlaganfall im Koma lag und nun unter partieller Amnesie leidet. Celia, ...

"Gestern ist ein ferner Ort" hat mich durch Klappentext und Leseprobe gleich interessiert. Wir lernen Celia kennen, die nach einem Schlaganfall im Koma lag und nun unter partieller Amnesie leidet. Celia, das erkennen wir sofort, ist eine energische und intelligente Dame, die bislang offenbar selbstbestimmt und erfolgreich gelebt hat. Nun von ihrer Umwelt, insbesondere ihrer Tochter Paula, wie eine Invalidin behandelt zu werden, geht ihr verständlicherweise gegen den Strich. Sehr schön wird uns im ersten Teil des Buches geschildert, wie Celia und Paula umeinander herumschleichen, beide nicht so recht wissen, wie sie mit der neuen Situation und ihrer neuen Beziehung miteinander umgehen sollen. Paula verpaßt Celia eine ganze Reihe an Vorschriften und wie der Klappentext schon verrät: sie verschweigt ihrer Mutter etwas und hat auch Celias Umfeld sogfältig instruiert. So rennt Celia ständig gegen Wände, als sie nach ihren Erinnerungen sucht.

Es werden zahlreiche Andeutungen gemacht, daß es ein dunkles Geheimnis gibt und daß Celia in den Jahren vor ihrem Schlaganfall eine ganz andere Person war, als wir sie nun erleben. Eine mysteriöse Jugendfreundin wird erwähnt, ein seltsam abwesender Sohn, Familienzwiste und noch vieles mehr. Gebannt begab ich mich mit Celia auf diese Reise und wurde mit jeder Andeutung gespannter, was sich da alles aufdecken würde.

Vorweg muß ich schon sagen, daß ich am Ende dieser Reise doch ein wenig enttäuscht war. Die meisten der Andeutungen verpuffen im Laufe der Geschichte und viele Punkte, zu denen ich gerne wesentlich mehr erfahren hätte, werden nicht weiter erwähnt oder nur im Vorbeigehen behandelt.

Letztlich geht es nämlich gar nicht so sehr um diese Geheimnisse, um Celias vorheriges Selbst, sondern das Buch ist eine Art innerer Reise Celias zu sich selbst, zu ihrer Vergangenheit, zu ihr wichtigen Menschen. Hier hat mich der Klappentext leider etwas in die Irre geführt und meine Erwartungen nicht völlig getroffen.

Die Sprache des Autors ist ausgezeichnet. Klar, wohlformuliert, oft poetisch. Auch die Übersetzung ist gut. Celia als Charakter ist gelungen, glaubhaft und vielschichtig, auch wenn mir leider am Ende noch zu große Lücken bzgl. ihrer vorherigen Persönlichkeit bleiben. Die anderen Charaktere sind wesentlich blasser als sie, kamen mir nur teilweise nahe.

Umgebungen und Atmosphäre sind hervorragend beschrieben. Man sieht die Terrasse, die Meeratmosphäre, die staubigen Landstraßen richtiggehend vor sich und spürt oft die herrschende Stimmung. Das zeugt von einem guten Blick für Details. Diese Detailliebe führt aber zugleich auch zu stilistischen Komponenten, die mir nicht zugesagt haben. Für mich nebensächliche Dinge werden ausführlich und wiederholt beschrieben. Die Bestandteile jeder Mahlzeit, teils banale Alltagsunterhaltungen und andere Dinge nehmen sehr viel Raum ein und konnten mein Leseinteresse nicht bannen. Celia entdeckt über ihre Enkelin ein Social Media Farmspiel, was als Idee an sich gut ist, um die Verbindung zwischen Celia und ihrer Enkelin, sowie Celias Möglichkeit, sich so in eine routinierte Beschäftigung zu finden, darzustellen. Allerdings wird das Spiel und dessen einzelne Schritte dann ständig viel zu ausführlich beschrieben - das wäre zum Vermitteln der Botschaft nicht notwendig gewesen.

Auf ihrer Reise zu sich selbst besucht Celia mehrere Menschen aus ihrer Vergangenheit. Das ist teilweise recht interessant, gerade wenn wichtige Punkte aus der Vergangenheit zur Sprache kommen, oder sie nach Jahrzehnten einen ihr wichtigen Menschen neu entdeckt. Oft bestehen diese Besuche aber aus Alltäglichem, aus vielen Details, die für mich für die Geschichte nicht notwendig waren. Diese Menschen erscheinen und verschwinden dann größtenteils wieder.

Während diese Dinge viel Raum bekommen, bleiben viele Punkte unerklärt oder kaum erklärt. Nachdem Celia relevante Themen aufdeckt, habe ich gespannt darauf gewartet, was nun geschieht, wie sie reagiert, wie sie sich fühlt. Es ging weiter mit Mahlzeiten, Farmspielen, Alltagsroutinen. Mir fehlte hier einfach sehr viel. Dafür werden einige neue "Baustellen" aufgemacht, deren Sinn sich mir nicht erschloß. Am Ende war ich enttäuscht, wie viele Andeutungen mich neugierig gemacht hatten und dann einfach in der Geschichte verschwunden sind. Die Gewichtung war nicht mein Fall.

Es kommt hier wirklich sehr darauf an, was man erwartet. Wer Wert auf stimmungsvolle Szenen, behutsames Erzähltempo, eine innere Reise teilweise ohne Antworten legt, wird dieses Buch genießen, denn es ist in dieser Hinsicht ausgezeichnet konzipiert und geschrieben. Mein Geschmack war es aufgrund der erwähnten Punkte leider nicht ganz, wobei ich doch froh bin, es kennengelernt zu haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Emotionen
  • Thema
Veröffentlicht am 15.09.2019

Schön erzählt, aber leider zu distanziert

Die Dame hinter dem Vorhang
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Der Einband ist ein Traum, hochwertig gestaltet, wie überhaupt das Buch eine visuelle und haptische Freude ist. Solche liebevoll gestalteten Bücher sind wirklich etwas Besonderes und hier ist alles, bis ...

Der Einband ist ein Traum, hochwertig gestaltet, wie überhaupt das Buch eine visuelle und haptische Freude ist. Solche liebevoll gestalteten Bücher sind wirklich etwas Besonderes und hier ist alles, bis hin zu Muster auf dem Vorsatzblatt, wirklich gelungen.

Das interessante Konzept dieses Buches ist es, daß uns das Leben der Lyrikerin Edith Sitwell durch ihr - fiktives - Dienstmädchen Jane und deren Mutter Emma erzählt wird. Eine 1964 in den letzten Tagen Edith Sitwells spielende Rahmenhandlung führt durch das Buch, in diversen Rückblicken reisen wir dann durch Teile von Edith Sitwells Leben, ebenso wie durch das Leben von Jane und Emma. Die Rahmenhandlung empfand ich leider als sehr zäh - wenn Rahmenhandlungen eine eigene Handlung fehlt, kommt das schnell vor, denn hier beschränkt sich die Autorin nicht auf das Wesentliche, sondern ergeht sich in zahlreichen Details und belanglosen Dialogen. Diese Szenen waren für mich die große Schwäche des Buches.

Wudervoll dagegen ist der erste Teil der Buches, der Emmas Geschichte berichtet. Der Schreibstil liest sich leicht, beschreibt gut, gerade in diesem Abschnitt kann Veronika Peters eine herrliche "Upstairs Downstairs"-Atmosphäre hervorrufen und das englische Landsitzleben farbig beschreiben. Die Sitwells kommen hier nur am Rande vor, der Fokus liegt hier auf dem Leben der Dienstboten, was der Geschichte keineswegs schadet, fast im Gegenteil. Das ist richtig interessant und mir hat das Lesen hier viel Spaß gemacht. Wir erleben diese Welt durch Emmas zu Beginn noch kleinkindliche Augen und somit aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Wenn Ediths Eltern die Szenerie betreten, kommt einerseits ein neuer Reiz in die Geschichte, da wir reichlich Andeutungen erhalten, daß diese beiden - höflich ausgedrückt - ihre charakterlichen Besonderheiten haben. Andererseits merkt man aber auch schon den Nachteil der gewählten Erzählperspektive: wir erfahren nur das, was Emma oder Jane wissen und das ist, was alle Sitwells betrifft, nicht besonders viel. Emma und Jane betrachten von draußen, ausschnittsweise. So bleiben viele Fragen offen, viele interessante Aspekte unerzählt. Ein gutes Beispiel sind die sehr schön formulierten Sätze über Edith: "Sie kämpfte wie eine Löwin. Meistens gegen sich selbst. Aber auch darin war sie auf erschreckende Weise großartig." Das liest man, nimmt es zu Kenntnis und wünscht sich, es doch auch durch die Handlung unmittelbar zu erfahren. Ja, es gibt hier und da einige Hinweise, aber sie sind zu spärlich.

Das zieht sich leider durch das ganze Buch. Die 20er Jahre werden fast völlig übersprungen, obwohl es dort so viel zu berichten gegeben hätte. Wir erfahren über die Zeit zwischen Ediths Kindheit und ihrem 40. Lebensjahr nur kurz etwas in Anmerkungen, was ausgesprochen schade ist. Ab 1927 plätschert dann Janes Leben als Edith Sitwells Dienstmädchen recht unaufgeregt dahin. Die Gewichtung sagte mir oft nicht zu - viel Nebensächliches wird detailliert berichtet, viel Interessantes nur gestreift, gerade, was das Leben Edith Sitwells betrifft. Über 15 Seiten werden zB den ersten beiden Tagen Janes in Ediths Diensten gewidmet, davor wurde schon ihre Anreise nach London in genauen Details und auf mehreren Seiten geschildert. Wir sind bei einem Rundgang dabei, auf dem Jane allerlei alltägliche Informationen über Geschäfte, Einkäufe und Händler erhält. Diese Anreise und die o.e. 15 Seiten Haushaltsinformationen nehmen insgesamt genau so viel Platz ein wie die Jahre des Zweiten Weltkrieges, über die ich gerne viel mehr gelesen hätte. So ging es mir beim Lesen ständig - für mich wenig Relevantes wurde ausführlich beschrieben, die Kleidung und der Schmuck Ediths immer wieder detailliert aufgelistet, aber Dinge, über die ich gerne mehr gelesen hätte, werden für meinen Geschmack zu kurz gefaßt. Die Atmosphäre wird einigermaßen, aber nicht wirklich überzeugend eingefangen. Es ist alle recht anekdotisch und bleibt leider für mich zu sehr an der Oberfläche. Hinzu kommt, daß wir manche Ereignisse nicht direkt erfahren, sondern Jane uns berichtet, was ihr jemand berichtete. Das ist angesichts der gewählten Erzählperspektive wohl nicht anders machbar, aber dadurch bleibt die Distanz. Janes hingebungsvolle Verehrung Edith Sitwells konnte ich nicht nachvollziehen, da wir hier hauptsächlich eine dramatisch gekleidete Dame kennenlernen, die Unverschämtheit mit Orginalität verwechselt und sich für einzigartig hält. Inwieweit das begründet ist, erfahren wir kaum, denn Edith Sitwells Werk, ihre Kämpfe, ihre Gedanken erlesen wir erneut nur am Rande und per zweiter oder dritter Hand.

Angenehm ist der Schreibstil, der sich durchweg gut lesen läßt. Auch über Edith Sitwell und ihre Familie habe ich einiges erfahren, wenn auch weniger, als ich erwartet hatte. Die Vermischung des Schicksals von Emma & Jane sowie von Edith führte dazu, daß letztlich keiner der beiden "Seiten" genug Beachtung widerfuhr. Symptomatisch war hier für mich auch das Ende, an dem noch rasch und nebenbei eine Art Familiengeheimnis aufgedeckt wird, das für mich zur Geschichte überhaupt nichts beitrug. Insofern bot mir das Buch ein leider nur gemischtes Lesevergnügen.