Informative, teils etwas geschwätzige Kulturreise
Die Verfeinerung der DeutschenIn "Die Verfeinerung der Deutschen" legt uns Erwin Seitz laut Unterteitel "Eine andere Kulturgeschichte" vor. Dieses Versprechen kann das Buch durchaus einhalten. Auf über 750 Seiten widmet sich der Autor ...
In "Die Verfeinerung der Deutschen" legt uns Erwin Seitz laut Unterteitel "Eine andere Kulturgeschichte" vor. Dieses Versprechen kann das Buch durchaus einhalten. Auf über 750 Seiten widmet sich der Autor der Entwicklung der Lebensart in Deutschland und das von der Germanen bis in die heutige Zeit. Seinen Hauptfokus legt er auf das Kulinarische, aber auch Kunst, allgemeine Lebensart, sich ändernde Meinungen finden hier ihren Platz.
Die Ausstattung des Buches gefällt mir außerordentlich. Es ist gebunden, mit einem dezent-ansprechenden Titelbild. Das Papier fühlt sich angenehm hochwertig an, mehrere schwarz-weiß Abbildungen in guter Qualität finden sich im Buch, zwei Bereiche mit ebenfalls qualitativ guten Farbabbildungen vervollständigen die ansprechende Gestaltung.
Der Text liest sich überwiegend gut, manchmal etwas zu langatmig. Insbesondere die ersten beiden Kapitel (die immerhin 86 Seiten einnehmen), die eine Einführung und einen Gesamtüberblick geben, sind oft zäh und ein wenig geschwätzig. Als ich diese las, bereute ich meine Entscheidung für das Buch ein wenig, weil es nicht zum Punkt kam und nicht die Informationen bot, die ich erwartete. Solche geschwätzigen Passagen ohne wirklichen Inhalt gab es im Laufe des Buches auch leider immer wieder. Da werden dann thematisch nicht relevante Gedankengänge vor sich hingeplaudert oder schwärmerische Spaziergänge durch Venedig beschrieben - alles etwas zu wortreich, zur substanzlos. Auch die längeren philosophischen Exkurse waren nicht ganz mein Fall.
Größtenteils aber bietet "Die Verfeinerung der Deutschen" eine unterhaltsame Mischung aus Informativem und Unterhaltsamem. Der Autor stellt uns einige kulinarische Besonderheiten vor, wie den Moselwein, das Bamberger Rauchbier, berichtet von deren Geschichte, stellt heutige Menschen vor, die diese Traditionen pflegen. Das ist oft sehr interessant, auch wenn ich die Verzückung über die barbarisch gewonnene Gänsestopfleber in einem Buch über Verfeinerung ziemlich fehl am Platze finde. Manchmal, gerade im letzten Kapitel über das heutige Berlin, verliert sich der Autor aber auch zu sehr in seinen Restaurantbeschreibungen. Ich muß nicht unbedingt en detail wissen, wie jedes Feinschmeckerrestaurant in Deutschland eingerichtet ist, welche Farbe die Sitzbezüge haben, und auch Auflistungen von Speisekarteninhalten sind nicht unbedingt informativ, wenn man nicht ein Restaurant in der beschriebenen Stadt sucht.
Der geschichtliche Teil ist gut lesbar und schafft es, viele Informationen angenehm zu präsentieren. Wir bekommen einen geschichtlichen Überblick, der dann mit den kulturellen, lebensartlichen Entwicklungen verbunden wird. Das klappt hervorragend, man kann viele Entwicklungen durch den geschichtlichen Zusammenhang besser einordnen, erfährt unterhaltsame Details, die in geschichtlich orientierten Büchern oft nicht enthalten sind. Auf die ausführlichen Listen von Lebensmitteln, die in einer bestimmten Epoche gegessen wurden, hätte ich verzichten könnten, denn wer liest schon eine halbe Seite Lebensmittelauflistungen? Manchmal hätte dem Autor ein wenig Neutralität wohl getan, gerade im Kapitel über Preußen mußte ich öfter den Kopf schütteln, weil der Autor keine Gelegenheit ausläßt, zu urteilen und tendenziös zu schreiben. Auch bei Punkten, bei denen ich inhaltlich zustimmen würde, fand ich den teils polemischen Schreibstil unpassend. Seine persönliche Abneigung gegen Christopher Clarks Buch über Preußen sei ihm unbenommen, muß aber nicht bei jeder Gelegenheit erwähnt werden. Einem Sachbuch steht Sachlichkeit wesentlich besser.
Im Großen und Ganzen enthält "Die Verfeinerung der Deutschen" aber viel Lesenswertes, viel unterhaltsam Dargebrachtes, viel Informatives. Mit hat diese Reise durch die deutsche Kulturgeschichte trotz einiger Wermutstropfen Spaß gemacht und ich habe auf vergnügliche Weise Neues gelernt und Bekanntes neu gelesen.