Modernes Märchen
Die kleinen Geheimnisse des HerzensMay lebt alleine in ihrem kleinen Cottage in dem Küstenörtchen Pengelly. Sie kann auf ein ereignisreiches Leben zurückblicken, denn sie ist bereits 110 Jahre alt. Doch um so alt werden zu können, benötigte ...
May lebt alleine in ihrem kleinen Cottage in dem Küstenörtchen Pengelly. Sie kann auf ein ereignisreiches Leben zurückblicken, denn sie ist bereits 110 Jahre alt. Doch um so alt werden zu können, benötigte sie die Kraft von Erinnerungen. Diese stecken in persönlichen Gegenständen aller Art, die May zu diesem Zweck, gerne auch mal widerrechtlich an sich nimmt, wenn sich die Gelegenheit bietet. Doch im Alter wurden diese Möglichkeiten immer geringer und May überlegt verzweifelt, wie sie an neue Erinnerungen kommen kann. Steht doch ihr 111. Geburtstag kurz bevor. Ein Meilenstein, den May unbedingt noch erreichen will. Da kommt unverhofft eine Lösung auf. Ida, eine engagierte Frau aus der Gemeinde, möchte die älteren Leute mit ihrem „Leih-Oma-Projekt“ näher zusammenbringen. May wird ausgerechnet die 80-jährige Julia zugewiesen, mit der sie eher eine jahrelang gewachsene Abneigung verbindet als gute Nachbarschaft. Warum, weiß nach so langer Zeit, keine der beiden Frauen mehr so genau. Da war May´s verstorbener Ehemann, der nicht sehr sympathisch war und dieser ungelöste Familienstreit in Julias Familie um einen Opalring. Aber es ist nie zu spät, über die Vergangenheit zu sprechen und vielleicht auch eine andere Richtung einzuschlagen. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die alles ändern.
Das Buch beginnt mit eben dieser Szene und führt uns damit direkt an den Schauplatz und in das Thema der Geschichte. Man stellt sehr bald fest, dass alle Bewohner Pengellys auf ihre eigene Art alleine sind. Fast jeder hat seinen persönlichen Rucksack zu tragen, aber keiner vertraut sich dem Anderen an. Aus reiner, falschverstandener Höflichkeit. Das finde ich sehr schade, denn besonders in der Zeit von Kurznachrichten und sozialen Medien, wird der direkte Kontakt zu Freunden und Nachbarn absolut unterschätzt. Oft gibt es einem dann das Gefühl, sich den Menschen nicht mehr persönlich nähern zu können und die Dinge mit sich selbst ausmachen zu müssen. Zum Glück gibt es aber Menschen wie Ida und ihre Idee der „Leih-Oma“, was auch gar nicht so wörtlich genommen werden soll. Was anfangs als ein Projekt zur Unterstützung der älteren Menschen gedacht ist, kommt über Umwege auch den jüngeren Menschen zugute. Auf die unterschiedlichsten Wege werden Jung und Alt zusammengebracht. Jeder kann von dem anderen noch etwas lernen und auf jeden Fall sind alle am Schluss ein bisschen weniger allein.
Der Roman ist sehr eingängig geschrieben und der Gedanke, dass Gegenstände eine Form von Magie enthalten können, die einem Menschen die nötige Kraft zum Überleben geben kann, fand ich richtig schön, auch wenn man es wohl mehr als Metapher betrachten kann. Darüber hinaus, finde ich die Erzählung über May und ihre Nachbarn und Freunde sehr realitätsnah. Auch wenn die eine oder andere Begebenheit etwas konstruiert wirken mag, so läuft bei Weitem nicht alles reibungslos und auch nicht jedes Geheimnis wird zur Gänze gelöst. So ist es im echten Leben auch oft und die entscheidende Frage dabei ist ja, ob man die Vergangenheit wirklich immer aufwühlen muss oder auch einfach mal weitergehen und trotzdem zufrieden sein kann.
Eine wunderbar vielfältig erzählte Geschichte mit ein bisschen Magie, einer Moral und einem Happy End. Fast wie im Märchen eben.