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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.11.2019

"Es irrt der Mensch, so lang er strebt"

Der Lehrmeister (Faustus-Serie 2)
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Der zweite Band rund um Dr. Johann Georg Faustus geht ähnlich spannend, opulent und mystisch wie der erste Teil „Der Spielmann“ weiter.

Inzwischen sind 6 Jahre vergangen, Margarethe auf dem Scheiterhaufen ...

Der zweite Band rund um Dr. Johann Georg Faustus geht ähnlich spannend, opulent und mystisch wie der erste Teil „Der Spielmann“ weiter.

Inzwischen sind 6 Jahre vergangen, Margarethe auf dem Scheiterhaufen verbrannt und Dr. Faustus zieht mit Karl Wagner und Greta als Astrologe, Quacksalber und Gaukler durch die Lande. Immer gefolgt von seinen eigenen Dämonen, seinem ehemalige Lehrmeister Tonio del Moravia und den Schergen des Papstes. Doch nicht nur Papst Leo will den Doktor in seine Gewalt bringen, sondern auch König Franz I. von Frankreich und die Habsburger, die nach dem Tod von Kaiser Maximilian akuten Geldbedarf für die Wahl des nächsten Kaisers haben.
Warum? Weil sich hartnäckig das Gerücht hält, Faustus hätte das geheime Wissen, Gold zu machen. Und dafür gehen Herrscher über Leichen.

Meine Meinung:

Autor Oliver Pötzsch hat mich mit diesem zweiten Teil wieder gefesselt. Als erklärter Faust-Fan bin ich sofort wieder in die Geschichte hinein gekippt. Die opulente Beschreibung der damaligen Lebensumstände lassen sofort ein buntes Bild, ähnlich dem der Laterna Magica erscheinen (auch wenn die nur schwarz/weiß war).

Gut gefällt mir, dass die Geschichte wie ein Theaterstück in mehrere Akte unterteilt ist.

Die Charaktere sind wie immer fein herausgearbeitet. Vor allem Faustus ist nach wie vor ein rastlos Suchender. Diesmal ist es das Heilmittel gegen sein Krankheit. Auf dieser Suche legen sie tausende von Meilen zurück, was auf der beilegenden Karte gut dargestellt ist. Allein dafür gebührt den Reisenden meine Hochachtung! Solange sie noch in ihrem Wagen unterwegs sind, sind sie ja noch vor den Unbillen des Wetters geschützt. Aber später, auf Maultier oder überhaupt zu Fuß - das kann man sich als Mensch des 20. bzw. 21. Jahrhundert gar nicht ausmalen, wie beschwerlich das Reisen damals war.

Deutlich kommt heraus, dass das einmalige Verbergen bzw. Verbiegen der Wahrheit immer weitere Lügen hervorruft. Der geneigte Leser weiß natürlich, dass Greta Faustus‘ Tochter ist. Doch der braucht eine gefühlte Ewigkeit, bis er ihr, im Fieberwahn, die Wahrheit enthüllt.

Klasse ist, dass wir Leonardo da Vinci begegnen. Wie auch überhaupt historische Tatsachen super in den Faust-Stoff integriert sind. Neben dem Universalkünstler und diversen Herrschern schweben die revolutionären Gedanken von Martin Luther über der Christenheit. Die Welt ist im Umbruch. Viele erkennen die Zeichen der Zeit nicht. Die Kirche hat die Menschen im Würgegriff. Dass der Medici-Papst Leo X. mit seiner Verschwendungssucht nicht besonders gut wegkommt, liegt auch auf der Hand. Doch bevor man die Fehler bei sich selbst sucht, schiebt man sie finsteren Mächten zu.

Gut hat mir auch das Nachwort gefallen. Tja, Goethes Faust II ist wirklich nicht einfach aufzuführen. Gelesen habe ich ihn schon. Doch das Abgleiten in das Metaphysische ist echt anstrengend. Dabei ist Johann Wolfgang von Goethe ein Kind der Aufklärung.

Der Faust-Stoff ist ja nicht erst seit Goethe ein Thema. Zuvor schon in einigen Volkssagen erwähnt, nimmt sich bereits Christopher Marlowe (1564-1593) dieser Materie an.

Dass die im Buch verwendeten Zitate, im Kapitel „Faust für Besserwisser“ mit der Angabe aus welchem Faust-Teil sie stammen, aufgezählt sind, finde ich echt klasse. So lässt sich leicht der Zusammenhang zu Goethes Werk entdecken.

Fazit:

Ein opulentes Epos, dem ich gerne eine Leseempfehlung und fünf Sterne gebe.

Veröffentlicht am 31.10.2019

Fesselnd bis zur letzten Seite

Rote Ikone
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Dies ist der 6. Fall für den finnisch-stämmigen Inspektor Pekkala, der 1914 als Vertrauter des letzten Zaren Nikolaus II. für heikle Aufgaben abgestellt wird. Im Sommer 1914 ist es wieder einmal soweit: ...

Dies ist der 6. Fall für den finnisch-stämmigen Inspektor Pekkala, der 1914 als Vertrauter des letzten Zaren Nikolaus II. für heikle Aufgaben abgestellt wird. Im Sommer 1914 ist es wieder einmal soweit: Es geht um die geheimnisvolle Ikone „Der Hirte“, der für die beinahe fanatisch religiösen Russen, eine große Rolle spielt.

Doch der Einstieg in das Buch beginnt im Jahre 1942 als sich die russische und deutsche Armee an der Westgrenze der UdSSR gegenüber stehen: Hauptmann Proskurjakow und sein Fahrer Owtschinikow entdecken in einer zerstörten Kapelle die Ikone.
In weiterer Folge begegnen wir Josef Stalin, dem die Symbolkraft der Ikone bewusst ist. Nun wird Inspektor Pekkala vom „Büro Besondere Ermittlungen“ mit einem heiklen Auftrag betraut....

Meine Meinung:

Dies ist mein erster Krimi rund um den charismatischen Inspektor Pekkala. Derzeit fehlen mir noch ein paar Informationen, die durch die kurzen Rückblicke den Werdegang Pekkalas nicht restlos erklären.

Der Krimi besteht aus mehreren Handlungssträngen, die durch die Ikone zusammengehalten werden. Aufgrund verschiedener Zeitsprünge finden wir uns einerseits am Zarenhof wieder, erleben das Attentat auf Franz Ferdinand quasi live mit, lernen die wolgadeutsche Familie Kohl kennen und befinden uns im stalinistischen Russland der 1940er Jahre wieder. Der plötzliche Schwenk in das Führerhauptquartier beschert den Lesern ein Wiedersehen mit einem Mitglied der Familie Kohl, das an einer furchtbaren Waffe arbeitet.

Dieses Hin- und Hergleiten zwischen den Zeiten fordert den Lesern erhöhte Aufmerksamkeit ab, die durch den fesselnden Schreibstil wettgemacht wird. Es ist kaum möglich, das Buch aus der Hand zu legen. Kaum glaubt man, die Geschichte der Ikone hätte ein Ende, so ergibt sich eine neue Wendung, die das Katz‘-und-Maus-Spiel weitergehen lässt.

Der scheinbar alterslose Pekkala bewegt sich wie James Bond durch jede Gefahr. Selbst die Lagerhaft und zahlreiche Verletzungen können ihm nichts anhaben.
Um ihn näher kennenzulernen, muss man wirklich bei Band 1 (Roter Zar) beginnen.

Gut gefällt mir, dass es hier jede Menge unterschwelligen Geschichtsunterricht gibt. Mir persönlich hat eine Landkarte zur Orientierung gefehlt. Denn Russland ist groß (und der Zar weit). Möglicherweise ist die im gedruckten Buch ohnehin vorhanden.

Fazit:

Ein weiteres fesselndes Abenteuer mit Inspektor Pekkala, das durch viele historische Details besticht. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Ein Sammelsurium krauser Textaufgaben

"Legen 5 Soldaten in 2 Stunden 300 Quadratmeter Stolperdraht …"
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Dieses Buch richtet sich an Eltern, Kinder oder auch Lehrer, die beim Lesen von manchen aktuellen Textaufgaben an ihrem Verstand zweifeln. Liegt es wirklich daran, dass die Kids heute nicht mehr Sinn erfassend ...

Dieses Buch richtet sich an Eltern, Kinder oder auch Lehrer, die beim Lesen von manchen aktuellen Textaufgaben an ihrem Verstand zweifeln. Liegt es wirklich daran, dass die Kids heute nicht mehr Sinn erfassend lesen können? Oder sind die Aufgaben verhaltensoriginell erstellt? Früher, so hört man manchmal Eltern oder Großeltern sagen, hat man Textaufgaben verstanden und flott gelöst. Aber stimmt das wirklich?

Mathematik- und Geschichtelehrer Bernhard Neff hat skurrile Textaufgaben von 1890 bis zur Gegenwart zusammengetragen und in dieses Buch gepackt.

Manche Beispiele sind so kurios, dass man sich ernsthaft fragen muss, was sich der Ersteller dabei gedacht hat.

Schon beim Titel habe ich mich gefragt, wieso wird Stolperdraht in Quadratmetern gemessen? Ich selbst habe das Bild von großen Kabelrollen im Kopf, die Meter für Meter abgerollt werden. Sollte aber der Stolperdraht im Raster (also hoch und quer) verlegt werden, so stolpern die verlegenden Soldaten selbst. Ob das gewollt ist? Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich als Frau nicht im Bundesheer „gedient“ habe und hier nicht mitreden darf.

Meine Favoriten sind:

Passend zu Beethovens 250. Geburtstag im Jahr 2020:
„Beethoven hat 9 Sinfonien geschrieben. Ein Orchester spielt die 5. Sinfonie in 35 Minuten. Wie lange benötigt das gleiche Orchester für die 8.?“

Die Geografie-Frage: (statistisch gesehen, scheitern die meisten Quizkandidaten an einer solchen):

„1980 betrug die Bevölkerung des afrikanischen Landes Kuwait ca. 1 Million Einwohner. Wie groß ist die Einwohnerzahl dieses Landes in den Jahren bis 1990, wenn die Bevölkerung angeblich um 10% jährlich wächst?“

Fazit:

Ein herrliches Sammelsurium an krausen Aufgaben vom Deutschen Kaiserreich bis zur Gegenwart. Dass seltsame Textaufgaben ausschließlich aus der Gegenwart stammen, ist hiermit widerlegt. Gerne gebe ich diesem Buch und seinem humorvollen Umgang mit den Tücken der Mathematik 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Eine unangepasste Familie

Wie ein roter Faden
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In diesem Buch erzählt der französich-österreichische Autor die Geschichte von vier Generationen seiner jüdischen Familie. Die Familie Segal ist einst in der k. und. k. Monarchie durch Erdölfunde in Galizien ...

In diesem Buch erzählt der französich-österreichische Autor die Geschichte von vier Generationen seiner jüdischen Familie. Die Familie Segal ist einst in der k. und. k. Monarchie durch Erdölfunde in Galizien reich geworden. Galizien ist jenes Gebiet der ehemaligen Habsburger-Monarchie, aus dem tausende arme Juden um 1900 nach Wien ausgewandert sind. Während des Zweiten Weltkriegs heiß umkämpft und zerstört, ist das Gebiet heute zwischen Polen und der Ukraine aufgeteilt.

Der Bogen spannt sich von eben jener reichen Vorvätergeneration über die Familie, die bis zur Machtergreifung der Nazis in Wien lebte und rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannte, nach Frankreich bzw. England floh, der in den 1970er Jahren dem Kommunismus einiges abgewinnen konnten. Der Autor selbst, in Frankreich geboren und aufgewachsen lebt seit 15 Jahren in Wien.

Anhand von vielen Fotos und Abbildungen von Dokumenten zeichnet Jérôme Segal ein interessantes Bild seiner Familie. Er beschreibt seine Spurensuche, die ihn in das Österreichische Staatsarchiv führen, aber auch in das ehemalige Galizien.

Sehr spannend finde ich seine eigene Einstellung dem religiösen Judentum gegenüber. So lehnt er die rituelle Beschneidung der männlichen Säuglinge strikt ab. „Säuglinge nicht mit dem Messer willkommen heißen.“ Er sieht hierin eine Kindesmisshandlung. Jedes Kind hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Er eckt mit dieser Ansicht bei der IKG (Israelischen Kultusgemeinde) gehörig an. Man verweigert ihm vorerst die Aufnahme in die IKG. Erst als er durch Vermittlung einer Bekannten den Nachweis erbringen kann, dass er tatsächlich Jude ist, wird er aufgenommen.

Mit seiner unkonventionellen Auffassung zur Beschneidung tritt er in die Fußstapfen seiner Vorväter, die dem traditionellem Judentum ablehnend gegenüber standen, die in der Résistance Widerstand gegen die Nazis leisteten und sowie gegen soziale Ungerechtigkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg kämpften.

Jérôme Segal engagiert sich gegen Rassismus und Nationalismus und für ein friedliches Zusammenleben. Er lebt mit seiner Familie in Paris und Wien. Der Autor setzt sich für die Volksgruppe der Roma ein. Beim Thema Roma sind mir Ungenauigkeiten bei den Bezeichnungen aufgefallen: Roma ist die Überbegriff der verschiedenen Gruppen, die der indoarischen Sprachgruppe angehören. Einzahl Rom (Männlich, Mehrzahl Roma) und Romni (weiblich, Merhzahl Romnija). Aber das ist Meckern auf höchstem Niveau.

Im selben Verlag, Edition Konturen, ist auch Jérôme Segals Buch „Judentum über die Religion hinaus“ erschienen, das ich mir auch besorgen möchte.

Fazit:

Eine aufschlussreiche Familiengeschichte, deren Abkehr von Traditionen sich „Wie ein roter Faden“ durch die Generationen zieht. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Perspektivenwechsel

Kartieren um 1800
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Um 1800 hat sich der Blick auf Landkarten gewaltig geändert. Schuld daran sind u.a. die neuen militärischen Anforderungen. Es ist die Zeit der Napoleonischen Kriege und Erfolge lassen sich nur mit genauen ...

Um 1800 hat sich der Blick auf Landkarten gewaltig geändert. Schuld daran sind u.a. die neuen militärischen Anforderungen. Es ist die Zeit der Napoleonischen Kriege und Erfolge lassen sich nur mit genauen Karten erzielen. Dies hat Napoleon zwar nicht als erster erkannt, aber mit der ihm eigenen Eloquenz durchgesetzt.

Diente eine Karte zuvor nur der groben Orientierung und enthielt oft Zeitangaben, die den Reisenden von einem Ort zum anderen führten (3 Stunden zu Pferd, 2 Tagesmärsche etc.), so wird die unterschiedliche Topografie nun genau erfasst und maßstabsgerecht dargestellt.

Sechs Aufsätze widmen sich in diesem Buch aus unterschiedlichen Perspektiven den Landkarten:

Zur Kartenprojektion oder die Kartographischen Abbildungen um 1800
Die Umbruchsepoche der topographischen Kartographie um 1800 (Übergang zur größeren Homogenität)
Das landschaftliche Auge „Sehen lernen“ um 1800
Geognostisches Reisen um 1800
Mathematische Einschreibhefte der freiherrlichen Familie von Hardenberg
Über den methodischen Unterricht in der Geographie und die zweckmäßigen Hülfsmittel

In diesem Buch werden u.a. die neuen Verfahren der Land(es)vermessung und die dazu notwendigen Instrumente beschrieben. Sei es, dass sich die Gelehrten tatsächlich für neue, technische Aspekte (Homogenität der Karten oder Kartenprojektion) interessieren oder einfach die Landschaft mit anderen Augen ansehen oder Mathematik (bzw. Geometrie) als Basis der Kartenlehre im adeligen Besitz betrachten. Immerhin verwalten Adelige große Besitztümer und deren Söhne dienen in den diversen Armeen.

Großen Wert wird auf das „Geognostische Reisen“ gelegt - quasi Reisen mit allen Sinnen. Reisende unterschiedlichster Profession bestiegen die Berge, untersuchten Gesteine, Flora und Fauna - bekanntester Kaderschmiede war hier die Bergakademie Freiburg, die zahlreich Geognosten hervorbrachte.

Nach jedem Essay ist ein ausführliches Literaturverzeichnis angeführt. Ergänzt wird diese Sammlung von interessanten Beiträgen zur Kartografie um 1800 von 20 teils farbigen Abbildungen wie die Darstellung der Lehmann’schen Schraffenmethode (Abb. 6) oder die verschiedenen Instrumente zur Untersuchung von Gesteonen (Abb. 17) oder die verschiedenen Höhenprofile aus barometrischen Messungen (Abb. 18).

Zahlreiche Ausschnitte aus Originaldokumenten zeugen von penibler Recherche. ?

Fazit:

Ein Buch für Spezialisten, dem ich gerne 5 Sterne gebe.