Shades of Grey – Geheimes Verlangen ist, ohne jeden Zweifel, ein Buch, das polarisiert und in den letzten Wochen bzw. Monaten für jede Menge Gesprächsstoff sowie einige Diskussionen gesorgt hat.
Sprachlich gesehen ist es gewiss kein Meisterwerk, aber das will und muss es ja auch gar nicht sein. Im Gegenzug ist es durchaus unterhaltsam, zumindest für diejenigen, die dem Genre nicht grundsätzlich abgeneigt sind. Wer generell keine Erotikromane mag, braucht es gar nicht erst zu lesen, denn nichts anderes ist Shades of Grey – Geheimes Verlangen, auch wenn es aus einer Twilight-Fan-Fiction entstanden ist. Es ist zudem nicht nur ein harmloses Erotikbuch, sondern eines, das zu einem großen Teil von BDSM (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) handelt, weshalb es nicht unbedingt für besonders zart besaitete geeignet ist, denn rohe Gewalt, hier in Form von brutalen Schlägen, bleibt dabei nicht aus.
Shades of Grey – Geheimes Verlangen ist aber auch ein Roman, der neben den zahlreichen Sexszenen eine fesselnde Handlung sowie interessante Figuren zu bieten hat. Beide Elemente sorgen dafür, dass man förmlich an den Seiten klebt und das Buch trotz seiner Länge von immerhin knapp sechshundert Seiten sehr schnell ausgelesen hat.
Vor allem die unheimlich sympathische Protagonistin Anastasia Steele, mit der man sich sehr gut identifizieren kann, macht das Buch so amüsant. Sie ist eine ziemlich außergewöhnliche, junge Frau, aber dennoch sehr glaubwürdig und authentisch. Lediglich ihre äußerst ruhige und gelassene Reaktion auf Christians ungewöhnliches Spielzimmer sowie den besonderen Vertrag, den er ihr schließlich vorlegt, in dem sämtliche Aspekte ihres sexuellen Verhältnisses vorab geklärt werden sollen und welcher somit auch seine ungewöhnlichen BDSM-Vorlieben enthält, ist nicht so ganz plausibel, wobei es natürlich noch unrealistischer gewesen wäre, wenn sie ihn sofort ohne zu zögern unterschrieben hätte. Trotzdem ist es unbegreiflich wie Ana auch nur eine Sekunde ernsthaft daran denken kann einen Vertrag zu unterzeichnen, der darauf abzielt sie zu einer willenlosen Sexsklavin zu machen.
Davon einmal abgesehen kann man Anas Gefühle sowie ihre Taten aber die meiste Zeit nachvollziehen, was nicht zuletzt auch aus der gewählten Ich-Perspektive resultiert, durch die man sich gut in Ana hineinversetzen kann.
Christian Grey ist dagegen tatsächlich eine Figur mit nahezu unendlich vielen Facetten und wird damit dem (Original)Titel des Buches mehr als gerecht. Er ist interessant und kann wirklich außerordentlich charmant sein, dann aber auch wieder verschlossen, geheimnisvoll und sogar bedrohlich wirken. Er scheint zwei völlig gegensätzliche Seiten in sich zu vereinen: die liebevolle, lebensfrohe, die Ana immer wieder in seine Arme triebt, aber auch die dunkle, gewalttätige, die Ana die Flucht vor ihm ergreifen lässt.
Auf der einen Seite kann man sehr gut nachvollziehen, warum Ana sich in Christian verliebt, denn er kann, wie gesagt, sehr charmant sein, wenn er will, ist sehr aufmerksam und merkt sich scheinbar alles, was Ana ihm erzählt. So hat er z.B. schon bei ihrem ersten Besuch ihren Lieblingstee zu Hause oder schenkt ihr, neben praktischen Dingen, etwas, das perfekt auf sie abgestimmt ist und zu ihr passt. Christian empfindet außerdem sehr viel für Ana, wie er sich selbst nach und nach eingestehen muss, sogar mehr als er jemals zuvor für eine andere Frau empfunden hat, kann aber nicht richtig mit diesen neuen Gefühlen umgehen.
Andererseits sorgen sein extremer Kontrollzwang, seine geradezu mittelalterlichen Ansichten und sein Wunsch sie zu verletzen immer mehr dafür, dass man sich von ihm abwenden will. Nicht seine sexuellen Vorlieben sind so abschreckend und beängstigend, sondern sein Hang zur Gewalt und Unterwerfung. Man kann ihn zwar nicht richtig für seine Taten hassen, nicht einmal für die eigentlich unverzeihlichen, seine Sympathie nimmt im Verlauf der Handlung jedoch leider stetig ab. Dennoch bleibt er ein sehr interessanter Charakter und ist damit vermutlich auch einer der Hauptgründe, warum man zu den Fortsetzungen greifen wird, denn als Leser möchte man natürlich mehr über ihn sowie seine Vergangenheit erfahren und wissen, warum er sich z.B. nicht gern berühren lässt und vor allem, warum er Ana unbedingt Schmerzen zufügen will.
Ferner möchte man natürlich herausfinden, ob Ana ihn irgendwie von seinen Problemen befreien kann. Gerade die Beziehung zwischen Ana und Christian ist es doch, die die Geschichte so fesselnd macht. Anfänglich erinnert sie zwar schon noch stark an Twilight, im weiteren Verlauf vergeht dies jedoch und E.L. James entwickelt eine eigenständige Story um ihre beiden Hauptfiguren, die mit Twilight nicht mehr viel gemein hat.
Ana und Christian sind jedoch nicht die einzigen tollen Charaktere in Shades of Grey – Geheimes Verlangen. Anas Freundin und Mitbewohnerin Kate ist ebenfalls eine sympathische Figur und Christians Familie sowie die so genannte Mrs. Robinson sind Personen, die man in den folgenden Bänden gerne noch etwas näher kennen lernen würde.
Der Schreibstil der Autorin ist nichts besonderes, lässt sich aber angenehm und flüssig lesen. Insbesondere die abwechslungsreichen Sexszenen sind gut beschrieben, weder zu vulgär noch zu metaphorisch.
Wirklich nervig ist ab einem gewissen Zeitpunkt allerdings Anastasias so genannte ‚innere Göttin’, mit der sie teilweise ganze Gespräche führt als wäre diese eine richtige Person. Hier wäre weniger häufig wirklich mehr gewesen, wie das Sprichwort sagt.
FAZIT
Insgesamt ist Shades of Grey – Geheimes Verlangen vor allem ein unterhaltsamer Roman, der zwar sprachliche und stilistische Schwächen aufweist, dafür aber mit einer sympathischen Heldin, einem interessanten Protagonisten und einer fesselnden Handlung punkten kann.
Für Fans des Genres ist es definitiv zu empfehlen. Alle anderen sollten vermutlich lieber die Finger davon lassen, da ein Missfallen sonst praktisch vorprogrammiert ist.