Thriller und Dystopie in einem
Du oder ichDer Verlag wertet dieses Buch selbst als Thriller, dem würde ich mich durchaus anschließen. Denn da man als Leser von Anfang an weiß, was die Ich-Erzählerin erwartet bzw. worauf das Buch hinsteuert, liegt ...
Der Verlag wertet dieses Buch selbst als Thriller, dem würde ich mich durchaus anschließen. Denn da man als Leser von Anfang an weiß, was die Ich-Erzählerin erwartet bzw. worauf das Buch hinsteuert, liegt von Anfang an eine gewisse Grundspannung über dem Buch. Außerdem geht es in diesem Buch um mehrere Kämpfe auf Leben und Tod, die zusätzlich für einen gewissen Thrill sorgen.
Gleichzeitig enthält dieses Buch aber auch Elemente einer Dystopie. Die Autorin entführt ihre Leser mit diesem Erstlingswerk in eine graue, finstere und trübe Welt. Hier herrscht Krieg, hier ist jeder auf der Flucht, hier hat jeder Angst. Es ist keine schöne Welt, die man zusammen mit der Ich-Erzählerin West entdeckt. Es ist eine brutale und grausame Welt, in der sich jeder selbst der nächste ist und in der es nur ein Ziel gibt: seinen Doppelgänger zu töten, bevor man selbst getötet wird.
Ein paar Informationen über die Hintergründe dieser Welt liefert Elsie Chapman ihren Lesern und beantwortet nach und nach ein paar offene Fragen. Aber es sind nur wenige Details, die verraten, wie die Welt sich so entwickeln konnte. Vielleicht ist es aber auch gar nicht nötig, mehr darüber zu wissen. Wahrscheinlich ist das gar nicht so wichtig.
Denn die Handlung des Buches lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Der Leser begleitet West bei vier, fünf ihrer Aufträge und schließlich bei ihrem letzten Kampf, den sie mit ihrer Substitutin - ihrer Doppelgängerin - auszufechten hat. Und dennoch ist das Buch durchweg spannend. Es ist vor allem diese unterschwellige Anspannung, diese düstere Stimmung, die diesen Thriller bestimmt. Als Leser weiß man einfach von Anfang an, dass West unweigerlich auf ihre Gegnerin treffen wird, wenn sie nicht von der Regierung eliminiert werden will. Und das sorgt für enormen Nervenkitzel. Ständig hat man das Bedürfnis, sich nach allen Seiten umzublicken, um zu sehen, ob Wests Gegnerin ihr schon auf der Spur ist. Aber natürlich geht das nicht, weil man ja die Dinge nur aus der Sicht von West sieht. Und West ist leider sehr unvorsichtig und macht einige Fehler.
Das Buch lebt nicht von seiner Handlung, sondern allein von seiner Ich-Erzählerin und der Entwicklung, die diese im Verlauf des Buches durchmacht. West ist ein junges Mädchen, das schon viel Schlimmes erlebt hat, das nach außen sehr kaltherzig erscheint, sich aber in Wirklichkeit viele Gedanken macht und viele Emotionen mit sich herum trägt. West hat sich eine Schutzmauer gebaut. Sie will nicht mehr verletzt werden, will selbst aber auch niemanden verletzen. Und sie ist keinesfalls perfekt. Sie handelt teilweise unüberlegt, einfach zu spontan. Sie geht auf Distanz, wo sie lieber Nähe suchen sollte. Sie verstellt sich, um keine Gefühle offenbaren zu müssen. Aber es kommt eine Zeit, da kann sie sich nicht mehr hinter ihrer Schutzmauer verstecken. Da muss sie einfach ihr wahres Ich zeigen.
Es ist schon erschreckend, wie die Menschen in diesem Buch mit dem Thema Tod umgehen. Auf offener Straße werden hier Leute erschossen oder mit einem Messer erstochen. Wichtig ist am Ende nur, dass der Säuberungstrupp informiert wird, damit er die Sauerei aufwischt. Die Leute gehen in Deckung, wenn um sie herum geschossen wird, um nicht als Kollateralschaden zu enden. Aber wirklich berühren kann sie so ein Mord schon lange nicht mehr. „Du oder ich“ ist stellenweise sehr grausam, brutal und blutig. Zu sehr sollte man sich in das, was man hier liest, wohl nicht hineinversetzen.
West ist eine sehr gründliche Beobachterin und Erzählerin. Mit vielen Details und Bildern beschreibt sie dem Leser nicht nur, in welcher Umgebung sie sich gerade befindet, was ihre Augen sehen. Auch ihre eigenen Handlungen werden mit vielen Worten umfassend wiedergegeben. Jeder Handgriff, jeder Schritt wird dem Leser nahegebracht. Was somit einerseits für eine klare Vorstellung des Lesers von der Handlung und der Handlungsumgebung sorgt, wirkt andererseits stellenweise auch etwas langatmig.
„Du oder ich“ ist offensichtlich kein Teil einer Reihe und endet deswegen sehr eindeutig. Inmitten der vielen Buchreihen ist es auch mal ganz angenehm, ein zufriedenstellendes Ende geliefert zu bekommen.
Mein Fazit:
Thriller und Dystopie in Einem - „Du oder ich“ liefert Spannung von der ersten bis zur letzten Seite.