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Veröffentlicht am 01.11.2019

Und täglich grüßt Aiden

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
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Um die Rückkehr auf ihr Familienanwesen Blackheath zu feiern, veranstaltet die Familie Hardcastle einen Maskenball. Dieser mutet ein wenig morbide an, findet er doch gerade zum Jahrestag der Ermordung ...

Um die Rückkehr auf ihr Familienanwesen Blackheath zu feiern, veranstaltet die Familie Hardcastle einen Maskenball. Dieser mutet ein wenig morbide an, findet er doch gerade zum Jahrestag der Ermordung des kleinen Thomas Hardcastle vor achtzehn Jahren statt. Da scheint es auch kein Zufall zu sein, dass am Ende dieses Tages Evelyn Hardcastle, die Schwester des Jungen, ebenfalls ermordet wird. Soweit klingt alles noch nach einer klassischen Kriminalhandlung, doch Stuart Turton hat sich für seine Leser etwas Besonders ausgedacht. Protagonist Aiden Bishop erlebt diesen einen Tag des Maskenballs acht mal hintereinander. Doch jeden Morgen wacht er in einem anderen Körper eines der Gäste auf Blackheath auf und soll so den Mord aufklären. Schafft er es nicht, so der mysteriöse Pestdokotor, der ihm die Regeln erklärt, dann wird Aidens Erinnerung gelöscht und die acht Tage beginnen von vorne. Noch dazu ist Aiden nicht der einzige, der die Lösung des Falles sucht und nur einer von ihnen kann durch die Aufklärung des Falles entkommen.

Es ist ein interessantes Szenario, welches der Autor hier erschafft. Auf diese Weise kann der Leser ein und denselben Tag immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven erleben und das Puzzle um den Mord nach und nach zusammenfügen. Aiden ist dabei nicht immer nur er selbst, sondern er nimmt auch Wissen und Charakterzüge seines Wirtes an. Eine Situation, die hilfreich, aber auch erschreckend sein kann, denn nicht immer steckt unser Protagonist im Körper eines liebenswerten Menschen. Vor allem Jonathan Derby an Tag 5 gibt einen tiefen Einblick in die Abgründe der menschlichen Seele.

Die eigentliche Handlung erinnert an einen Agatha Christie-Roman: ein Schloss im Wald, begrenztes Personal (Adelige, Ärzte, Anwälte, Dienstboten) und jeder hat so seine Geheimnisse. Durch die Wechsel der Perspektiven ist das Buch manchmal etwas sperrig zu lesen. Man muss sich erst wieder einfinden, in welchem Körper Aiden nun steckt und da er nur männliche Gestalten annimmt, sind diese nicht immer ganz leicht auseinander zu halten. Schade eigentlich, denn bei so einem "Körpertausch" hätte mich doch auch sehr interessiert, wie Aiden mit einem weiblichen Körper umgegangen wäre. Oft geschehen die Wechsel auch sehr plötzlich, da Aiden in den nächsten Körper gezwungen wird, sobald sein Wirt das Bewusstsein verliert oder stirbt.

Aidens Mitspieler und hier vor allem die geheimnisvolle Anna geben ihm Rätsel auf. Wer sind diese Menschen? Sind sie Freunde oder Feinde? Und wie sind sie nach Blackheath gekommen? Auch Aiden weiß sich darauf keinen Reim zu machen. Er kann sich nur noch erinnern, freiwillig gekommen zu sein und daran, dass er Anna unbedingt retten möchte. Dennoch wird er das Gefühl nicht los, dass ausgerechnet sie ihn verraten wird. Die Auflösung am Ende, sowohl der Kriminalfälle als auch der gesamten Situation sind durchaus plausibel und teilweise auch sehr überraschend. Und auch wenn aufgrund der häufigen Wechsel und des ausufernden Schreibstils nicht immer alles ganz einfach zu verfolgen war, bin ich mit dem Roman doch sehr zufrieden.

Veröffentlicht am 01.11.2019

Die heilende Kraft der Natur

Die Gärten von Monte Spina
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Toni Andersens Leben gerät völlig aus den Fugen, als sie ihren geliebten Mann verliert. Und so bricht sie alle Brücken hinter sich ab, um als Gärtnerin in den berühmten Anlagen von Beaulieu House zu arbeiten. ...

Toni Andersens Leben gerät völlig aus den Fugen, als sie ihren geliebten Mann verliert. Und so bricht sie alle Brücken hinter sich ab, um als Gärtnerin in den berühmten Anlagen von Beaulieu House zu arbeiten. Doch dann taucht eines Tages die Amerikanerin Lou bei ihr auf, um sie abzuwerben. Auf der Insel Monte Spina vor Lanzarote soll sie sich um den Garten des Anwesens kümmern. Besitzer ist ein gewisser Max Bror, dem ein Ruf als Unmensch vorauseilt. Niemand hat es bisher länger in seinem Dienst ausgehalten, doch nach einigen Auseinandersetzungen mit dem gut aussehenden Geschäftsmann, beginnt Toni, ihm die Stirn zu bieten und findet nach und nach in ein Leben ohne ihre große Liebe zurück.

Schon die Aufmachung des Buches mit seinem farbenfrohen Cover und den Illustrationen, die den Anfang eines jeden Kapitels schmücken, machen Lust auf Urlaub und Natur. Die Protagonistin Toni ist eine sympathische, aber zu Anfang noch zutiefst verunsicherte junge Frau. Sie vergräbt sich in die Gartenarbeit und geht jeglichem Kontakt mit anderen aus dem Weg. Erst in der Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitgeber, der sich am Leid anderer zu ergötzen und Spaß daran zu haben scheint, andere zu quälen, wächst sie über sich hinaus. Der Garten von Monte Spina ist dabei wie eine Metapher für das Leben. Mit Liebe und Fürsorge erblüht er, aber es wird darin auch immer Unwetter und Zerstörung geben. Auch auf Max Bror scheint er eine lindernde Wirkung zu haben - auf Monte Spina zeigt er sich immer am menschlichsten.

Henrike Scriverius erweckt den Garten und die Akteure darin mit ihren Worten zum Leben. Ihr Schreibstil liest sich angenehm und flüssig, die Seiten des mit etwas über 300 Seiten recht kurzen Buches fliegen nur so dahin. Dennoch lassen einige Klischees nicht allzu lange auf sich warten. So erinnert Max Brors in seiner Dominanz an Christian Grey, wobei sich diese hier weniger in sexuellen Dingen, sondern eher im alltäglichen Umgang mit seinen Angestellten und Geschäftspartnern äußert. Und natürlich hat auch Max Brors eine dunkle Seite an sich, eine Wunde, die nicht zu heilen scheint. Gärtnerin Toni möchte ihm über seine Verletzungen hinweghelfen, aber kann einen Menschen wirklich verändern oder ist sie in ihrem Denken einfach viel zu naiv?

Der Autorin gelingt es trotz der Themen Liebe, Beziehung und Familienbande, die Geschichte nicht ins Verkitschte abrutschen zu lassen. Stattdessen bietet sie uns einige interessante Charakterstudien und wirft die Frage auf, wie viel ein Mensch ertragen kann, bevor er zerbricht. Ein angenehmer kleiner Roman nicht nur für Gartenfans und eine Autorin, von der man gerne noch mehr lesen möchte.

Veröffentlicht am 01.11.2019

Ein Buch zum Wohlfühlen

Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse
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Die Schwedin Charlotte hat erst vor kurzem ihren Mann durch einen Unfall verloren. Dann erbt sie plötzlich die Buchhandlung ihrer Tante in London - einer Frau, die sie noch nie in ihrem Leben getroffen ...

Die Schwedin Charlotte hat erst vor kurzem ihren Mann durch einen Unfall verloren. Dann erbt sie plötzlich die Buchhandlung ihrer Tante in London - einer Frau, die sie noch nie in ihrem Leben getroffen hat. Charlotte reist an, um die Buchhandlung zu verkaufen und alles zu regeln. Als Besitzerin einer gutgehenden Kosmetikfirma hat sie an Literatur keinerlei Interesse. Doch dann lernt sie die Angestellten Martinique und Sam sowie Autor William kennen und auf einmal stellt Charlotte ihr ganzes Leben in Frage.

"Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse" ist ein Buch zum Wohlfühlen. Der Autorin ist es gelungen, authentische Charaktere mit Ecken und Kanten zu schaffen. Auch sprachlich ist der Roman sehr ansprechend und lässt sich leicht und locker lesen. Die Sorgen der Menschen im stationären Buchhandel sind realistisch geschildert, die Buchhandlung "Riverside Books" würde man als Leser selbst gerne betreten: mit einer Zimtschnecke in der Hand in der Harry Potter-Leseecke sitzen, das wäre doch was!

Zu der Geschichte um Charlotte und die Buchhandlung gesellt sich noch ein Familiendrama. In einer zweiten Zeitebene wird erzählt, wie die Schwestern Sara und Kristina (Charlottes Tante und Mutter) in den 80er Jahren in London ankommen. Auf der Flucht vor dem gewalttätigen Vater sind sie endlich frei und entdecken die Großstadt und die erste Liebe. Nach und nach wird so aufgedeckt, weshalb Charlotte ihre Tante nie kennengelernt hat, bis am Ende die Handlungsstränge in der Gegenwart wieder aufeinander treffen.

Der Autorin ist ein netter kleiner Roman geglückt, der sich wunderbar auf dem Sofa mit einer Tasse heißer Schokolade lesen lässt. Für Fans des Genres ist einiges jedoch recht vorhersehbar, schon nach den ersten Kapiteln ist klar, wo die Geschichte mit dem Leser hinwill. Dem Lesespaß tut dies aber nur wenig Abbruch.

Veröffentlicht am 01.11.2019

Voller Poesie

Poet X
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Xiomara lebt mit ihren Eltern und ihrem Zwillingsbruder in einem der schäbigeren Viertel New Yorks. Eigentlich stammt die Familie aus der Dominikanischen Republik und immer, wenn ihre Mutter sie bestrafen ...

Xiomara lebt mit ihren Eltern und ihrem Zwillingsbruder in einem der schäbigeren Viertel New Yorks. Eigentlich stammt die Familie aus der Dominikanischen Republik und immer, wenn ihre Mutter sie bestrafen möchte, droht sie damit, Xiomara dorthin zurück zu schicken. Und das geschieht häufig, denn die Familie ist streng religiös, während Xiomara ihre Beziehung zu Gott immer wieder in Frage stellt. Als sie nicht zur Kommunion gehen will und sich auch noch mit einem Jungen aus der Schule anfreundet, droht der Streit zwischen Xiomara und ihrer Mutter zu eskalieren. Doch eines lässt das junge Mädchen sich von keinem nehmen: ihre Worte.

"Poet X" ist definitiv anders als die meisten Jugendbüchern, denn es ist in Versen geschrieben. Das ganze Buch ist quasi ein Rap über Xiomaras Leben, von ihr selbst geschrieben. Manchmal sperrig zu lesen, aber wunderbar poetisch und tiefgründig beweist die Autorin und Poetry Slammerin Elizabeth Acevedo, dass Literatur für Jugendlich und Poesie sich nicht ausschließen müssen. Und so erfährt der Leser auf diese besondere Weise von Xiomaras Beziehung zu ihrem "Zwilling", den sie immer nur so nennt. Einen Jungen, der so anders ist, als sie selbst. So still, so verliebt in die Wissenschaft, so demütig - bis sie eines Tages feststellt, dass sie beide dasselbe wollen: Freiheit, sie selbst zu sein.

Erst die Sprache, ihre Gedichte und der Traum von einem Auftritt bei einem örtlichen Poetry Slam geben Xiomara ein Ziel und etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Es ist inspirierend und zugleich schmerzhaft zu sehen, wie sie sich von ihren Fesseln zu befreien versucht. Dabei wird sie, zum Glück, auch tatkräftig unterstützt: von ihrer ebenfalls sehr religiösen Freundin Caridad, ihrer Lehrerin Mrs. Galiano und natürlich von den Mitgliedern des Poetry Slam Clubs der Schule. Doch auch von ganz unerwarteter Seite erhält Xiomara Verständnis und Hilfe.

Veröffentlicht am 01.11.2019

Eine besondere Frau

Die Zeit des Lichts
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1929. Mit Anfang 20 lernt die Engländerin Lee Miller den amerikanischen Fotografen Man Ray kennen und taucht tief in die Szene der dort lebenden surrealistischen Künstler ein. Lee, die von ihrem Vater ...

1929. Mit Anfang 20 lernt die Engländerin Lee Miller den amerikanischen Fotografen Man Ray kennen und taucht tief in die Szene der dort lebenden surrealistischen Künstler ein. Lee, die von ihrem Vater das Fotografieren gelernt hat und selbst großes Talent besitzt, gibt so lange nicht auf, bis Man Ray sie als seine Assistentin einstellt. Sie werden ein grandioses Duo aus Künstler und Muse - nach und nach beginnen aber auch Lees Ideen, das Schaffen von Man zu beeinflussen. Immer tiefer werden beide in einen Strudel der Abhängigkeit voneinander gezogen: Lee kann ohne Man ihren Lebensunterhalt in Paris nicht bestreiten und er kann keine Kunst erschaffen, wenn Lee einmal längere Zeit nicht bei ihm ist. Und so steuert die große Liebe der beiden kontinuierlich auf eine Katastrophe zu - denn Lee ist keine Frau, die sich einsperren lässt.

Whitney Scharer ist es mit "Die Zeit des Lichts" gelungen, die Atmosphäre der 20er und 30er Jahre in Paris einzufangen - mit all den Charakterköpfen, zu denen beispielsweise auch Dalí gehörte, den ausschweifenden Parties und dem teilweise sehr harten Künstlerleben. Lee Miller arbeitet zunächst als Model, bis ihr das Posen vor der Kamera nicht mehr genügt und sie selbst die Zügel in die Hand nehmen will. Dabei bleibt sie stets eine sehr zwiespältige Protagonistin: auf der einen Seite ist ihr Mut und ihre Durchsetzungskraft bewunderswert, vor allem im Lichte dessen, was man im Verlauf der Handlung über ihre Kindheit erfährt. Auf der anderen Seite bleibt sie stets unnahbar, wirkt spröde und arrogant. Als ihr Modelkollege Horst ihr einmal vorwirft, sie würde sich nicht für ihn interessieren, muss man als Leser leider zustimmen. Lee Miller interessiert sich nur für sich selbst.

Die Handlung wird auf unterschiedlichen Zeitebenen erzählt, beginnend an einem Punkt, an dem Lee Miller bereits mit ihrem Ehemann Roland Penrose wieder in England auf dem Land lebt und sich langweilt. Von dort aus scheint die Geschichte durch Lees gesamtes Leben zu springen. Zu der Zeit mit Man Ray in Paris, aber auch zu der Phase ihres Schaffens, als sie genug von der schicken Künstlerszene hat und als Kriegsfotografin die Schrecken des zweiten Weltkrieges dokumentiert. Hier lernen wir eine andere Lee Miller kennen. Eine, die bedächtiger geworden ist, die am Leben anderer Anteil nimmt, die aber auch einen unbändigen Hass auf die Deutschen in sich trägt. Die Bilder der Konzentrationslager, der vielen Leichen, der Kriegsverletzungen werden sie ihr Leben lang nicht mehr loslassen.

Whitney Scharers Roman ist keine detailgenaue Biografie, gewisse Freiheiten, so gibt sie selbst zu, die hat sie sich gelassen. Dennoch ergibt sich am Ende ein stimmiges Bild einer interessanten Frau, über die man unbedingt mehr wissen möchte. Sollte ich doch etwas kritisieren, so hätte die beinahe obszessive Beziehung zu Man Ray etwas weniger und die Fotografie etwas mehr Raum einnehmen dürfen. Die Autorin jedoch hat für sich diesen Fokus gewählt und auch mit ihm ist ihr ein fesselndes, lebendiges Porträt gelungen.