Zeit ist Geld
Everless 1. Zeit der LiebeLiebe Daffy,
wie viel wir schon über diese Geschichte gesprochen haben und nun folgt endlich mein fertiger Brief zu Sara Hollands Everless, das 2018 erschien und auf Deutsch bei Oetinger unter dem Titel ...
Liebe Daffy,
wie viel wir schon über diese Geschichte gesprochen haben und nun folgt endlich mein fertiger Brief zu Sara Hollands Everless, das 2018 erschien und auf Deutsch bei Oetinger unter dem Titel Everless. Zeit der Liebe, in einer Übersetzung von Jessika Komina und Sandra Knuffinke auf den Markt kam. Ich habe die deutsche Ausgabe gelesen und möchte dir heute davon berichten.
Bleiben wir zunächst beim Äußerlichen. Wir haben schon sämtliche Ausgaben verglichen, besprochen und dabei festgestellt, dass jedes Cover auf seine ganz eigene Art hervorragend zur Geschichte passt. Ein großes Lob an dieser Stelle an alle Covergestalter! Die deutsche Ausgabe des Schutzumschlags zeigt eine große goldene Uhr mit römischen Ziffern, in dessen Mitte eine Burg zu sehen ist. Am Uhrenrand steht ein dunkelhaariges Mädchen im roten Kleid. All das befindet sich auf einem anthrazitfarbenen Hintergrund, auf dem sich Ornamente schlängeln. Entfernt man den Schutzumschlag, zeigt sich ein eierschalenfarbenes Buch mit einer Uhr, die kurz vor halb drei zeigt. Dreht man das Buch, steht die Uhr auf fünf vor acht. Diese Details sind wundervoll gewählt und auf die Geschichte abgestimmt.
Wie der Untertitel und die Umschlaggestaltung ganz richtig darstellen, spielt Zeit die wohl größte Rolle in dieser Geschichte. Auf dem Klappentext steht: „Eine fesselnde Geschichte über Liebe, Verrat und die Macht der Zeit.“
Ob der- oder diejenige, die das geschrieben hat ein Ranking an Wichtigkeit eröffnen wollte? Ich finde, Liebe ist tatsächlich das unwichtigste Element in dieser Reihung und die Macht der Zeit das wohl Wichtigste. Doch wie komme ich darauf? Vielleicht hilft eine kleine Zusammenfassung:
Jules und ihr Vater leben nach ihrer Flucht aus dem Palast in einem kleinen Dorf. Das Leben ist hart und fordert jede Lebenskraft, die sie aufbringen können. Das ist nicht sinnbildlich, sondern wortwörtlich gemeint. Denn das Geld nennt sich Bluteisen und wird aus dem Blut gegossen, das den Menschen abgezapft wird. Das Blut ist gleichbedeutend mit Lebenszeit. Die Bewohner von Crofton, dem kleinen Dorf, zahlen ihre Pacht, Lebensmittel, etc. also in Lebensjahren. Im Gegenzug verdient man auch Bluteisen, wenn man arbeitet und kann so Lebenszeit dem Körper wieder zuführen, indem man das Bluteisen im Tee schmelzen lässt und trinkt.
Jules' Vater hat fast all seine Jahre verbraucht und ist sehr schwach, als die Nachricht nach Crofton kommt, der Sohn der reichen Familie Gerling würde die Tochter der Königin heiraten und es würden Arbeiterinnen gesucht, die hervorragend bezahlt würden. Wie es das Schicksal will, lebt Familie Gerling auf Everless, ebenjenen Palast aus dem Jules und ihre Vater verstoßen wurden und fliehen mussten. Soll sich Jules als Arbeiterin melden und so das Bluteisen für ihren Vater verdienen oder schwebt sie in Lebensgefahr, wenn sie nach Everless zurückkehrt?
Meine Beschreibung des Inhalts mag etwas kryptisch klingen, doch ich empfinde den Klappentext der deutschen Ausgabe als gar nicht passend und wollte dir mit meiner Erklärung einen anderen Zugang zur Geschichte bieten, den du natürlich im Buchladen mit dem Klappentext ergänzen kannst. Wieso empfinde ich so? Mir wird die Liebe zu sehr in den Mittelpunkt gerückt und ich habe beim Lesen stets darauf gewartet. Was so gar nicht eintrat. Wir haben es mit einer sehr starken, unabhängigen Protagonistin zu tun, die ihre eigene Meinung hat und für sich selbst entscheidet. Gegen den Rat ihres Vaters wählt sie ihren eigenen Lebensweg und weiß, auf welche Fragen sie Antworten suchen möchte. Hier kann man anmerken, tut sie all das nicht, weil sie ihren Vater liebt und diese Liebe gemeint sein könnte? Absolut! Das ist für mich aber auch die zentrale Liebe, die ich in diesem ersten Teil der Reihe als ausschlaggebend benennen würde. Der Klappentext verrät etwas von einer geheimen Liebe und einem Mann, den man fürchten müsse. Ich möchte dir hier nichts vorweg nehmen und gehe daher nicht weiter darauf ein. Nur soviel: Ich finde es nicht sehr gelungen formuliert und nicht wichtig genug für die Geschichte, als dass es so einen prominenten Platz in einem Klappentext einnehmen sollte. Darüber habe ich nun ausreichend gesprochen und komme zu meinem Leseerlebnis.
Als ich das Buch begann, habe ich direkt noch einmal auf den Titel schauen müssen. Doch, ja, ich hatte Everless in der Hand, nicht Die Tribute von Panem. Es war etwas irritierend, dass Jules und Katniss beide im Wald jagen und dieser Umstand doch sehr ähnlich beschrieben wurde. Genauso wie sie nach der Jagd versuchen, ihre Beute im Dorf zu verkaufen. Insgesamt habe ich lange gebraucht, in die Geschichte einzutauchen und hoffe, meine kleine Erklärung mit dem Bluteisen hilft dir, dich schneller zurecht zu finden.
Wir nehmen nach einigen Kapiteln einen Ortswechsel vor und daraufhin kam ich immer mehr in einen Lesefluss, bis ich das Buch schließlich in einem Rutsch gelesen hatte. Wie ich schon sagte, folgen wir einer starken Protagonistin, was mich total begeistert hat. Insgesamt ist die Präsenz von starken Frauenfiguren in dieser Geschichte hoch. Die Küchenchefin hat mir unheimlich gut gefallen, wie sie für Jules eine Mischung aus Mutterfigur und strenger Vorgesetzter war. Wir lernen die Königin kennen, die von niemandem berührt werden darf, was ihr eine ganz interessante erhobene Stellung einräumt. Die Tochter der Königin, deren Geschichte sich erst nach und nach entfaltet und wir erst zusammen mit Jules mehr darüber erfahren. Die Hofdame, die stets flüstert und unserer Hauptfigur Türen öffnet, die diese selbst so gern öffnen würde.
Dieser Frauenpower stehen drei prägnante Männerrollen gegenüber. Jules Vater habe ich schon erwähnt. Zusätzlich dazu gibt es noch die beiden Gerling-Söhne Roan und Liam. Beide sehr interessant geschrieben und bei Jules Emotionen auslösend wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Die drei kennen sich nämlich schon von Kindesbeinen an, was natürlich ihre Vergangenheit in diese Geschichte einfließen lässt.
Du merkst, hier prallt die Vergangenheit auf die Gegenwart, was die Zukunft beeinflussen kann, da Jules ja ein festes Ziel vor Augen hat, auf das sie hinarbeiten möchte. Das wohl treffendste Zitat, das dieses Buch, aber wahrscheinlich auch unser aller Leben beschreibt, ist auf Seite 30 zu lesen: „Zeit ist Geld.“
Nimm' dir die Zeit und lies dieses Buch, wenn ich dich ein wenig neugierig machen konnte. Für mich war es ein zäher, nicht allzu innovativer Start, der jedoch zu einer ganz tollen Buchidee führte, die ich so noch nicht in den Händen hatte. Das war jetzt der erste Teil einer, wie ich glaube, Duologie. Der zweite Band (Evermore) ist bereits auf Englisch erschienen und wird auf Deutsch unter dem Titel Everless. Zeit der Wahrheit am 15.04.2019 herauskommen.
Deine Daisy