Prag sehen und verzweifeln.
Schwierig, denke ich. Es fällt mir in der Tat richtig schwer, zu diesem Buch Stellung zu beziehen oder irgendwas ansatzweise Ausgefeiltes zu schreiben. Denn wenn man nicht zusammenpasst, dann muss man ...
Schwierig, denke ich. Es fällt mir in der Tat richtig schwer, zu diesem Buch Stellung zu beziehen oder irgendwas ansatzweise Ausgefeiltes zu schreiben. Denn wenn man nicht zusammenpasst, dann muss man auch nicht lang nach Worten kramen.
Einerseits empfinde ich das Buch Melmoth als eines, das intelligent und von einer beachtlichen Tiefe ist. Andererseits lässt es mich seltsam kalt, obwohl es aufgrund seiner Geschichte ergreifend sein sollte. Vielleicht verstehe ich das Buch in seinen Tiefen einfach nicht.
Melmoth ist eine ewig über die Erde wandernde Frauengestalt, die sich immer dort manifestiert, wo sie großes Leid bezeugen kann. Sie verfolgt jene, die auf ihrem Weg die oft dünne Schwelle zum Bösen überschritten haben und reicht ihnen die Hand, damit sie ihr Gesellschaft und gleichzeitig Abbitte leisten.
Die Erzählung von Sarah Perry greift mit Melmoth die Gestalt von Melmoth dem Wanderer auf, Hauptfigur des gleichnamigen, bereits 1820 erschienenen Schauerromans. Auch bedient sie sich einer charakteristischen Erzählweise dieses Genres, denn ihr Buch besteht aus vielen einzelnen Erzählungen, Briefen, Tagebüchern und weiteren Augenzeugenberichten von denen, die Melmoth gesehen haben und sie aus ganz unterschiedlichen Gründen fürchten.
Ich bin versucht, Melmoth der Wanderer zu lesen, um Sarah Perrys Werk besser zu verstehen. Das, was ich über ihn lese, erscheint mir so viel schlüssiger als bei Perry, denn in der Ursprungserzählung wird der Wanderer als einer beschrieben, der faustgleich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat und nun jemanden finden muss, der seinen Platz einnimmt. So macht das Händereichen Sinn. Bei Perry wirkt es seltsam zutraulich von einer Figur, die die Sünder holt, um sich gemeinsam die Füße blutig zu laufen.
Sarah Perry hat mich somit nach ein paar Seiten verloren und nicht einfangen können, auch wenn ich die Intelligenz ihrer Geschichte von außen bewundere.
Nur bleibt es eben ein „von außen“ ohne echte Berührung, obwohl zwischen den Zeilen viel Leid, Erzählkunst und Bedeutung steckt.
Vielleicht bin ich selbst völlig falsch an das Buch rangegangen. Ich hatte mir das Ganze gruseliger vorgestellt. Ich wollte zwischen den Seiten überdies das Gefühl kennen lernen, in Prag zu sein, habe aber seitenweise nur auf eine schneebedeckte Kulisse geguckt. Und ich fand die Dohlen, die permanent als Unglücksboten herangezogen werden, regelrecht nervig.
Mein Fazit: Melmoth ist nichts für Menschen, die alle Jubeljahre mal ein Buch lesen und dann ganz schnöde spannend unterhalten werden wollen.
Es ist sicher ein literarischer Gewinn für diejenigen Leser, die anspruchsvolle, ungewöhnlich gewebte und langsame Erzählungen mit einer melancholisch dunklen Note schätzen. Meine Welt ist es nicht. Zu dunkel. Zu unnahbar. Zu viel wirre Schatten ohne das rechte Licht.