Profilbild von walli007

walli007

Lesejury Star
offline

walli007 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit walli007 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.11.2019

Jena 1983

Morduntersuchungskommission: Der Fall Teo Macamo
0

An einem Bahndamm bei Jena wird die übel zugerichtete Leiche eines Vertragsarbeiters, der aus Mosambik stammte, gefunden. Der Polizist Otto Castorp und seine Kollegen beginnen mit den ersten Ermittlungen. ...

An einem Bahndamm bei Jena wird die übel zugerichtete Leiche eines Vertragsarbeiters, der aus Mosambik stammte, gefunden. Der Polizist Otto Castorp und seine Kollegen beginnen mit den ersten Ermittlungen. Die Verletzungen des Opfers sind so eigenartig, dass sich zunächst kein schlüssiges Szenario ergibt. Schwierig gestaltet sich auch die Identifikation des Toten. Die befragten Vertragsarbeiter, unter denen man einen Bekannten des Verstorbenen zu finden hofft, ist nicht sehr auskunftsfreudig. Andere Todesfälle und auch Castorps Ehefrau und seine Geliebte fordern die Aufmerksamkeit.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ist diese Morduntersuchung ausgesprochen schwierig. In der DDR gibt es keine Morde und solche mit politischem Bezug schon garnicht. Der brave Polizist Otto Castorp müht sich redlich, das wenige in Erfahrung zu bringen, was sich in Erfahrung bringen lässt. Nach und nach beißt er sich an dem Fall fest. Auch als von oben bestimmt wird, dass die Untersuchung einzustellen ist, bleibt Castorp im Gegensatz zu seinen Kollegen am Ball. Fast schon heimlich verfolgt er die wenigen Spuren. Das Misstrauen seiner Frau, der die Überstunden langsam etwas reichlich vorkommen, hält er aus. Schließlich hat er tatsächlich was zu verbergen, auch wenn er hier bei der Wahrheit bleibt.

So wie es heißt, gibt es nicht viele Kriminalromane, die in der ehemaligen DDR angesiedelt sind. Schließlich gab es in dem idealen Staat auch kaum Verbrechen, und wenn wurden sie eher von Westlern verübt. Der in diesem Roman geschilderte Fall basiert in gewisser Weise auf tatsächlichen Begebenheiten. Und wenn die Handlung insgesamt eher aus Routinen besteht, so sind einige Schilderungen doch so eindringlich, dass es kaum auszuhalten ist. Gewissenhaft fischen die Beamten im Trüben und genauso gewissenhaft folgen sie den Anweisungen. Manchmal möchte man es nicht glauben und fragt sich gleichzeitig, ob es im Westen nicht hin und wieder ähnlich läuft. Verschließt man nicht mal die Augen, weil man einfach nicht sehen will? Wehret den Anfängen, wenn es dafür nicht schon zu spät ist. Dieser Krimi verläuft zwar in ruhigen Bahnen, hinterlässt aber einige Beklemmung.

Veröffentlicht am 10.11.2019

Der zweite Streich

Geisterfahrer
0

Die Ganoven sind schlau, anstatt die italienischen Gastwirte einfach um Schutzgeld zu erpressen, liefern sie Mengen an Wein, für den das Wort billig noch zu gut ist. Diesen müssen die Wirte teuer bezahlen, ...

Die Ganoven sind schlau, anstatt die italienischen Gastwirte einfach um Schutzgeld zu erpressen, liefern sie Mengen an Wein, für den das Wort billig noch zu gut ist. Diesen müssen die Wirte teuer bezahlen, ob sie wollen oder nicht. Erst wenn sie sich weigern, wird das Restaurant beschädigt oder der Inhaber verprügelt. Dann hat auch die Polizei die Möglichkeit, einzugreifen, wenn sie denn informiert wird. Ein Fall für die Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen. Silvio Cromm, selbst halber Italiener und ehemaliger Polizist, macht wie jede Woche die Buchhaltung für die italienischen Restaurants seiner Schwester. Auch diese hat Besuch bekommen.

Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Ungerechtigkeiten anzuprangern und zu beseitigen. Wie Robin Hood, nur technisch besser ausgestattet und modern. Diesmal ist einer von ihnen selbst betroffen, doch er will nicht der Auftraggeber sein. Die Besitzer der italienischen Restaurants in Berlin müssen sich selbst wehren, sonst wird Silvio immer der sein, der für sie einsteht. Eine kleine Hilfestellung gibt er dennoch, auch wenn das zunächst den Paten aus der Heimat auf den Plan ruft. Und dann gibt es noch diesen Techniker aus diesem Ort, Paderborn, der an ein Mitglied der Gesellschaft herangetreten ist.

Die moderne und ausgesprochen perfide Art der Schutzgelderpressung wird hier auf anschauliche und amüsante Weise dargestellt. Die Gesellschaft für unkonventionelle Maßnahmen zeigt einen Weg, sich ohne Blutvergießen zu wehren. Wie schön wäre es, würde die Welt so funktionieren. Doch immerhin kann es ein Anfang sein. Intelligent konstruiert der Autor die Aufgaben für seine Gesellschaft, von der man wünschte, man könnte sie anrufen. Man wird nicht jede Ungerechtigkeit verhindern können, doch Manchem, was einem das Leben heutzutage zumutet, setze man gerne etwas entgegen. In diesem Buch gelingt eine ausgesprochen fesselnde und unterhaltsame Flucht in eine gerechtere Welt. Nach knapp über 200 Seiten kann man die letzte Seite zufrieden umblättern und sich auf die nächste Aufgabe für die Gesellschaft freuen, mit der wieder ein brisantes Thema angepackt wird.

Veröffentlicht am 08.11.2019

Lieblingsurlaub

Jesolo
0

Ein Urlaub in Jesolo ist genau das Richtige, schon seit Jahren. Man muss nicht fliegen, die drei Stunden sind schnell geschafft. Andi und Georg kennen die Gegend und die Hotels. Zwar ist es nach der langen ...

Ein Urlaub in Jesolo ist genau das Richtige, schon seit Jahren. Man muss nicht fliegen, die drei Stunden sind schnell geschafft. Andi und Georg kennen die Gegend und die Hotels. Zwar ist es nach der langen Zeit schon etwas abgegriffen, aber doch immer wieder schön. Georg aber möchte, dass sich ihre Beziehung weiterentwickelt. Mit Mitte dreißig sollte man doch erwachsen werden. Andi hat jedoch ganz andere Dinge im Kopf. Allerdings nichts bestimmtes, sie möchte das Leben auf sich zukommen lassen, sich nicht festlegen. Ihre Beziehung mit Georg gehört eigentlich auf den Prüfstand.

Sie will nicht zusammenziehen, sie will kein Kind, sie will sich nicht festlegen, sie will, dass es so unverbindlich bleibt wie es ist. Nach dem letzten Urlaub ist Andi kurz davor, sich zu trennen. Es wird ihr einfach zu viel. Doch dann die Nachricht: sie ist schwanger. Der erste Impuls, ist der Gedanke an eine Abtreibung. Schnell aber ändert sich dies, Andi behält das Kind und sie behält es erstmal für sich. Immer noch unsicher, ob sie sich einfach in die ihr zugedachte Mutterrolle fügen soll oder ob sie sich auflehnen soll. Nach einem heftigen Streit, erinnert sie sich wieder an die guten Zeiten.

Nicht jede Frau sieht es als Lebensziel, Ehefrau und Mutter zu werden. So auch Andrea genannt Andi. Sie lässt sich treiben im Leben, hat ihre Arbeit und einen Freund. Eigentlich reicht ihr das. Mit 35 verspürt sie den Wunsch nach Veränderung, allerdings geht dieser Wunsch wohl eher Richtung Trennung. Die Schwangerschaft kommt dann unerwartet. Doch Andi stellt sich der neuen Situation. Allerdings wirkt sie nicht glücklich. Freund und Schwiegereltern sind es, die vor Glück strahlen. Immer wieder stellt sich Andi alternative Situationen vor und sie scheint unsicher, was sie sich wünschen soll. Es gibt keinen wohligen Schwangerschaftskokon für Andrea.

Eine ehrliche Schilderung über Beziehung und Schwangerschaft, die doch sehr ernüchtert. Es müssen Kompromisse gemacht werden, die wohl nur der einen Hälfte der Familie gefallen. Vielleicht ist es ein Buch, auf das man gewartet hat. Gut, zu erfahren, dass nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen herrschen. Bei aller Ehrlichkeit jedoch, bleibt in den neun Schwangerschaftsmonaten offen, ob Andrea schließlich zufrieden ist mit ihren Kompromissen der Einengung oder ob sie nicht doch noch ein Hintertürchen findet, das ihr eine gewisse Freiheit bedeutet.

Veröffentlicht am 03.11.2019

Homefront

Der Frauenchor von Chilbury
0

England ist eine Insel. Trotzdem hat der zweite Weltkrieg sie und auch das Dörfchen Chilbury erreicht. Viele Söhne des Ortes sind in der Armee und einige sind auch schon gefallen. Im Jahr 1940 soll der ...

England ist eine Insel. Trotzdem hat der zweite Weltkrieg sie und auch das Dörfchen Chilbury erreicht. Viele Söhne des Ortes sind in der Armee und einige sind auch schon gefallen. Im Jahr 1940 soll der Chor von Chilbury geschlossen werden, weil es nicht mehr genügend männliche Stimmen gibt. Warum eigentlich? Die Frauen beschließen alleine weiter zu machen. Die regelmäßigen Chorproben geben ihnen Halt und die gelegentlichen Auftritte erfreuen die Gemeinde und machen Mut in einer schweren Zeit. Auch ohne den Krieg hätten die Bewohner des Dorfes genug Probleme. Halt hergebrachte Traditionen brechen auf und nicht jeder ist davon begeistert.

Dieser Roman besteht aus einer Sammlung von Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Zeitungsausschnitten. Aus Sicht der sehr unterschiedlichen Schreiberinnen und selten auch Schreiber kann er Leser sehr nah teilhaben am dörflichen Leben in den schweren Kriegstagen. Der Krieg ist allgegenwärtig. Besonders im Fehlen der Lieben, die Kriegsdienste leisten. Doch auch die Daheimgebliebenen sind gefordert, Lücken zu füllen und ihren Teil zu leisten. Dabei geht es nicht ohne die alltäglichen Sorgen und Nöte ab. Die Liebe lässt sich vom Krieg nicht aufhalten, den Kummer hat sie manchmal mit im Gepäck. Strukturen verändern sich mitunter und bleiben manchmal auch erhalten. Und der Chor übersteht den Wandel.

Sehr warmherzig und doch authentisch wird die schwere Zeit geschildert. Man spürt die immerwährende Sorge um die Lieben. Und auch die Grausamkeit eines plötzlichen Bombenangriffs wird eindringlich vergegenwärtigt. Dass auch während eines Krieges eine Art normales Leben weitergeht, macht einen großen Teil des Romans aus. Da gibt es die große Liebe, Leidenschaft, Intrigen, Lügen und auch eine kleine Liebe. Der Chor ist es, der alles auf wunderbare Weise zusammenhält. Am Ende des Sommers 1940 hat sich viel verändert in Chilbury. Ein schwerer Sommer, der einige Dorfbewohner hat wachsen lassen. Klug, gefühlvoll und doch auf eine Art geschrieben, dass man sich vorstellt, so könnte es gewesen sein.

Veröffentlicht am 02.11.2019

Totengesang

Miroloi
0

Die junge Frau hat keinen Namen, keine Eltern, keinen Besitz. Als Baby wurde sie im schönsten Dorf der Insel ausgesetzt. Ihr Finder, der Bethaus-Vater, und Mariah aus dem Ort sind ihr fast wie Eltern. ...

Die junge Frau hat keinen Namen, keine Eltern, keinen Besitz. Als Baby wurde sie im schönsten Dorf der Insel ausgesetzt. Ihr Finder, der Bethaus-Vater, und Mariah aus dem Ort sind ihr fast wie Eltern. Doch weil sie keinen Stammnamen hat und keinen Rufnamen, muss sie Außenseiterin bleiben im Dorf. Die alten Frauen hänseln sie ebenso wie die jungen Mädchen und ohne Namen wird es ihr auch nicht vergönnt sein, zu heiraten. Muss dass denn so sein? Wieso akzeptieren die Menschen auf der Insel ihre Lebensweise? Sie bekommen regelmäßig Nachrichten von Drüben, wenn das Schiff kommt. Und doch verweigern sie sich den Veränderungen.

Eine eigenartige und rückständige Inselwelt ist es, mit der uns die Autorin bekannt macht. Da mag es eine schöne Insel sein und ein schönes Dorf, doch wie das Leben geregelt ist, mutet sehr gewöhnungsbedürftig an. Es beginnt schon damit, dass die es auf der Insel keinen Strom gibt und damit eine ganze Menge nützliche Dinge per Hand erledigt werden müssen. Die junge Frau ohne Namen ist eine der wenigen, die sich Gedanken macht, ob dieses System wirklich so erstrebenswert ist. Obwohl sie so eingeschränkt in ihren Rechten ist, hat sie dadurch sogar eher mehr Freiheiten, weil kaum jemand sie beachtet.

Was in diesem Buch über die Ideologie der Struktur zu erfahren ist, kann man teilweise nur mühsam einordnen. Vielleicht soll man das auch garnicht. Wie sich die junge Frau, die von ihrem Finder „Mein Mädchen“ genannt wird, jedoch mit dem System auseinander setzt und es für schlecht befindet, ist packend erzählt. Bis zu einem gewissen Punkt strahlt der Roman eine Leichtigkeit und Gradlinigkeit aus, von der man meint, sie könne nur ins Happyend führen. Wie auch im richtigen Leben geht nicht alles glatt, doch das Mädchen emanzipiert sich. Ihre große Kraft und ihr Durchblick machen Mut und wecken die Hoffnung, dass es doch welche gibt, die nicht der Masse hinterher rennen und ihr Unglück auch noch klasse finden, nur weil es irgendwo steht oder es irgendwer sagt. Das Mädchen sagt selbst was. Wieso dieser Roman teilweise recht kontrovers diskutiert wird, erschließt sich nicht. Die junge Frau, um die es hauptsächlich geht, überzeugt mit ihrer Art, ihrer Intelligenz und dem ruhigen Widerspruchsgeist, den sie allem und allen entgegenbringt, die es sich allzu leicht machen, in ihrem Glauben an die drei Götter und das Geschwafel der vermeintlich Herrschenden.