Kaffee im Blut
Der Duft der weiten Welt1912 Hamburg. Die junge Mina Deharde lebt mit ihrer Schwester Agnes, Großmutter Hiltrud und Vater Karl in Hamburg, wo dieser als Händler ein Kaffee-Kontor in der Speicherstadt besitzt. Mina selbst wünscht ...
1912 Hamburg. Die junge Mina Deharde lebt mit ihrer Schwester Agnes, Großmutter Hiltrud und Vater Karl in Hamburg, wo dieser als Händler ein Kaffee-Kontor in der Speicherstadt besitzt. Mina selbst wünscht sich nichts mehr, als einmal das Familiengeschäft zu übernehmen, doch dies ist in jener Zeit als Frau undenkbar. Mit Edo Blumenthal, einem alten Jugendfreund und Mitarbeiter des Kontors verbindet Mina viel, vor allem eine erste zarte Liebe, die ihrem Vater so gar nicht recht ist. Deshalb wird Mina in ein Pensionat geschickt, doch die schlechte Gesundheit ihres Vaters lässt sie dieses vorzeitig verlassen und nach Hamburg zurückkehren. Während Edo mit Mina seinen Traum von einer Auswanderung nach New York wahr machen möchte, muss Mina sich der Verantwortung stellen, die sie für ihre Familie hat und Entscheidungen fällen, deren Tragweite sie noch gar nicht ermessen kann…
Fenja Lüders hat mit „Der Duft der weiten Welt“ den ersten Band ihrer Speicherstadt-Trilogie einen fulminanten Start vorgelegt. Der Erzählstil ist wunderbar flüssig, bildgewaltig und gefühlvoll, der Leser wird mit der ersten Seite ins vergangene Jahrhundert katapultiert und darf als unsichtbarer Beobachter an Minas Seite deren Leben und Entwicklung begleiten. Die Autorin hat sehr gut recherchiert und lässt den Leser nicht nur an der Arbeit in einem Kontor zur damaligen Zeit teilhaben, auch der geschichtliche Hintergrund ist wunderbar mit der vielschichtigen Handlung verwoben und zeichnet das damals vorherrschende Gesellschaftsbild wieder, in dem Frauen ihren Männern untertan waren und keine eigenen Unternehmen führen durften. Mit ihrer jungen Protagonistin Mina schafft Lüders eine für ihre Zeit schon recht emanzipiert denkende Frau, die sich lieber ein Studium oder einen verantwortungsvollen Beruf wünscht als nur Hausfrau, Mutter und schmückendes Beiwerk des Ehemannes zu sein. Gerade dieser etwas aufmüpfige Wesenszug sowie die bildgewaltigen Streifzüge durch die Speicherstadt faszinieren bei der Lektüre und als Leser wünscht man sich, dass Mina sich durchsetzt und doch als Frau Karriere machen darf. Doch vorher muss der Gesellschaft genüge getan und Verantwortung übernommen werden, die einen Rückschritt in Minas Gedankenwelt bedeuten. Der Spannungslevel liegt in dieser Geschichte meist über dem durchschnittlichen Level, da unverhoffte Wendungen und das Verhalten einiger Charaktere den Leser immer wieder spekulieren lassen.
Die Protagonisten sind liebevoll und detailliert ausgestaltet und in Szene gesetzt worden. Sie alle wirken nicht nur sehr lebendig, sondern vor allem realitätsnah und glaubwürdig. Der Leser findet sich sofort in ihrer Mitte wieder und baut während der Lektüre eine besondere Nähe zu einigen von ihnen auf, die das Mitfiebern und Mitfühlen leicht machen. Mina ist eine aufgeweckte und interessierte junge Frau, die schon früh ihre eigenen Vorstellungen vom Leben hat. Sie hat einen sturen Zug, aber gerade ihre Hartnäckigkeit und ihr immenser Wille zeichnet sie aus sowie ihre große Hilfsbereitschaft. Vater Karl ist zwar ein strenger Zeitgenosse, aber auch ein liebevoller Vater, der nur das Glück seiner Kinder im Kopf hat. Minas Schwester Agnes ist manchmal etwas eifersüchtig auf die Liebe des Vaters zu Mina, aber die beiden haben ein gutes Verhältnis miteinander. Großmutter Hiltrut ist eine Patriarchin, die alles im Blick behält. Edo ist Minas Jugendfreund und heimliche Liebe, aber er denkt leider nur an sich. Aber auch Fräulein Brinkmann, Heiko oder Frederik Lohmeyer tragen viel zur spannenden Entwicklung der Handlung bei.
„Der Duft der weiten Welt“ ist ein rundum gelungener historischer Roman, der Familiengeschichte, Hamburger Leben, Liebe, Drama und Geheimnisse in sich vereint, so dass man es als Leser kaum erwarten kann, den zweiten Band in den Händen zu halten. Absolute Leseempfehlung!