Profilbild von Leselaunen

Leselaunen

Lesejury Profi
offline

Leselaunen ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Leselaunen über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.11.2019

Von der Angst und wie man sie besiegen kann

Hummeln fliegen auch bei Regen
0

Zm zweiten Mal nun nehme ich an der Herzensbuch-Aktion teil und möchte euch ein weiteres meiner Lieblingsbücher näher bringen. Vorweg sei gesagt, dass es mich aus persönlichen Gründen sehr berührt und ...

Zm zweiten Mal nun nehme ich an der Herzensbuch-Aktion teil und möchte euch ein weiteres meiner Lieblingsbücher näher bringen. Vorweg sei gesagt, dass es mich aus persönlichen Gründen sehr berührt und auch geprägt hat. Es handelt von einer jungen Frau, welche an Depressionen und damit einhergehenden Panikattacken leidet. Da ich selbst gut weiß wie unangenehm Panikattacken sein können, weiß ich auch, wie deplatziert Aussagen und Darstellungen – gerade in der Literatur – diesbezüglich oft sind.

Hannah ist Mitte dreißig und depressiv. In aller Regelmäßigkeit muss sie sich mit plötzlich auftretenden Panikattacken auseinandersetzen, die es ihr oft schwer machen, einen normalen Alltag zu führen. Nach dem Auffinden ihres alten Tagebuches in welchem Hannah ihre Träume von einst aufgeschrieben hat, findet ein Umdenken statt. Sie möchte ihre Wünsche in die Tat umsetzen und muss feststellen, dass ihre Ängste ihr zwar zunächst einen Strich durch die Rechnung machen, es sich aber doch lohnt sich diesen zu stellen.

Wie oft habe ich Texte gelesen, in denen die Thematik verharmlost und bagatellisiert wird oder der Erkrankung so viel Raum gegeben wird, dass sie die ganze Persönlichkeit des Betroffenen auszumachen scheint. Es gibt hier meist nur Extreme, die den Kern in keinster Weise treffen. Faktisch ist und bleibt es eine Krankheit, die sich niemand aussucht, die professionelle Unterstützung erfordert, aber wegen derer kaum ein Betroffener eine spezielle Behandlung durch seine Mitmenschen wünscht. Körperlich Kranken wird, aus persönlicher Erfahrung, auch heute noch häufig mehr Verständnis entgegen gebracht als psychisch Erkrankten. Seelisches Leiden ist für die Meisten nicht greifbar und dementsprechend verliert es an Relevanz.

Andrea Kraft litt selbst lange Zeit unter Depressionen und Angstattacken, sodass sie sehr authentisch und einfühlsam, aber auch aufrüttelnd und schonungslos beschreibt, was eine solche Erkrankung mit einem Betroffenen macht und wie er lernen kann sich mit der Depression zu akzeptieren, diese als Teil seiner selbst zu betrachten und Strategien zu entwickeln, letztendlich die Oberhand über diese zu gewinnen. Krafts Protagonistin Hannah durchläuft Phasen der Erleichterung, des Glücks und der Zuversicht, muss aber auch oft gegen Niedergeschlagenheit und Lethargie ankämpfen.

Hummeln fliegen auch bei Regen" ist mutmachend und wertschätzend geschrieben, sodass ich mich als Leserin angenommen und verstanden fühlte. Jeder Betroffene wird sofort spüren, dass die Autorin weiß, wovon sie spricht. Schnell verliert man sich in Selbstmitleid und beginnt, sich von der Außenwelt zu isolieren. Die Kernaussage des Romans: Nimm die Krankheit an und nimm sie ernst, aber lass dein Leben nicht von ihr bestimmen!

Veröffentlicht am 07.11.2019

Erschreckende Interviews

Sex und Lügen
0

"Sex und Lügen – Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt" ist ein Sachbuch aus dem Jahr 2018, geschrieben von Leïla Slimani. Veröffentlicht wurde das Buch im btb-Verlag im Hause Randomhouse. Die ...

"Sex und Lügen – Gespräche mit Frauen aus der islamischen Welt" ist ein Sachbuch aus dem Jahr 2018, geschrieben von Leïla Slimani. Veröffentlicht wurde das Buch im btb-Verlag im Hause Randomhouse. Die gebürtige Marokkanerin beschäftigt sich mit einem der größten Tabuthemen der islamischen Gesellschaft, Sexualität, und deckt auf, welch unterschiedliche Rechte Männer und Frauen auch heute noch haben.

Slimani gibt Frauen aus der islamischen Welt eine Stimme. Selbst aus Marokko stammend weiß sie genau, wie schwer es Frauen in dem Land ihrer Eltern haben, wenn es darum geht, offen zu ihrer Sexualität zu stehen. Wer sich als Frau allein auf die Sraße wagt, offen zu seinen Gefühlen steht und seine Partner frei wählt, bringt damit Schande über seine Familie. Die Gesetzeslage geht sogar so weit, das Homosexualität und Ehebruch mit Gefängnis betraft werden. Obwohl Religion in islamischen Ländern eine wichtige Rolle spielt und auch Frauen diese achten, gibt es eine große Zahl unter ihnen, die ein Doppelleben führen, um ihre Sexualität ausleben zu können.

Die Autorin nimmt sich Zeit, um marokkanische Frauen unterschiedlichen Alters und ganz verschiedenen Sozialisationen, gänzlich ungefiltert und vorurteilsfrei Raum zu geben, ihre Erfahrungen mit Sexualität zu schildern. Die Erzählerinnen sind verschieden und haben doch eines gemeinsam: sie spüren eine tiefe Zerrissenheit gegenüber ihrem Land. Da ist zum Einen die Religion und Tradition und zum Anderen der drängende Wunsch nach Selbstbestimmung. Slimani gewährt wichtige Einblicke in die Regeln und Traditionen ihres Heimatlandes und prangert immer wieder die schizophrene gesellschaftliche Denkweise an.

Marokko rangiert auf Platz fünf der Länder weltweit, die Pornografie konsumieren. Viele Männer im Land besuchen regelmäßig Prostituierte um ihre sexuelle Lust zu stillen, während Frauen das Recht auf freie Sexualität verwehrt bleibt. Diese Tatsache allein ist bezeichnend für die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Ein Umdenken muss stattfinden, damit es auch Frauen ermöglicht wird, sich frei zu fühlen, ihren ganz natürlichen, menschlichen Bedürfnissen nachzugehen. Insgesamt sind es sechzehn Geschichten von Frauen, die Slimani nieder geschrieben hat, die alle auf ihre eigene Weise wachrütteln und nahe gehen.

Leïla Slimani beeindruckt durch ihre klaren Aussagen, ihre wichtige Botschaft und ihren unerschöpflichen Mut. Absolut ein Buch, das man gelesen haben sollte.

Veröffentlicht am 07.11.2019

Zauberhafte Geschichte über eine kleine, mutige Hummel

Die kleine Hummel Bommel
0

"Die kleine Hummel Bommel" ist ein 2015 erschienenes Kinderbuch aus dem ars-Edition-Verlag. Die Autoren sind Britta Sabbag und Maite Kelly. Für die Illustrationen ist Joëlle Tourlonias verantwortlich. ...

"Die kleine Hummel Bommel" ist ein 2015 erschienenes Kinderbuch aus dem ars-Edition-Verlag. Die Autoren sind Britta Sabbag und Maite Kelly. Für die Illustrationen ist Joëlle Tourlonias verantwortlich. Das gleichnamige Hörbuch erschien im selben Jahr beim Hörverlag. Neben Die kleine Hummel Bommel beinhaltet die CD auch Die kleine Hummel Bommel sucht das Glück.

Bommel wird von den anderen Insektenkindern ausgelacht, weil sie so kleine Flügel hat. Damit könne sie doch niemals fliegen, spotten die Anderen. Die kleine Hummel ist verunsichert und traurig. Sie fragt sich, warum ihre Flügel soviel kleiner sind, als die ihrer Freunde. Auf der Suche nach Antworten erkennt sie, dass es zum Fliegen nur etwas Mut braucht.

Britta Sabbag, die Autorin des Buches, ist die Sprecherin der Vertonung und leiht zudem Bommel ihre Stimme. Maity Kelly synchronisiert alle anderen Insekten. Die Stimmen der Beiden erwecken die Figuren zum Leben und die individuellen Charakterzüge dieser werden deutlich. So gelingt es Kindern auf leichte Art und Weise, der Geschichte zu folgen und die Figuren voneinander zu unterscheiden. In der Geschichte werden viele wertvolle Attribute wie Freundschaft, Selbstbewusstsein und Toleranz thematisiert. Gerade im Kindesalter sind das elementare Bausteine für die Persönlichkeitsentwicklung.

Die kleine Hummel verkörpert ein zurückhaltendes und warmherziges Wesen, welches mit großer Traurigkeit auf die Verspottung seiner Mitwelt reagiert und sich dadurch erst recht klein fühlt. Gerade Kinder sind leicht zu verunsichern und brauchen viel Zuspruch und Wärme, um Zutrauen in ihre eigenen Stärken zu entwickeln. Die bezaubernde Geschichte der kleinen Hummel Bommel, tut genau das. Sie zeigt uns, dass wir uns nicht verstecken müssen, dass wir etwas Besonderes sind und das jeder seine ganz individuellen Fähigkeiten besitzt. Um diese zu entfalten, bedarf es nur ein wenig Mut.

Die liebenswerten Figuren, die wunderschönen Songs von Maite Kelly und die wichtigen Aussagen des Hörbuchs machen es zu einem ganz besonderen Erlebnis für Kinder und Erwachsene. Inhaltlich regt die Geschichte zum Nachdenken an und gibt einem gleichzeitig das Gefühl, wertvoll zu sein. Die zauberhaften Illustrationen, die sich auch im Booklet wiederfinden, dürfen nicht unerwähnt bleiben. Tourlonias hat einen sehr eigenen und unverwechselbaren Stil, die Figuren zu zeichnen und untermalt damit das gelungene Kinderbuch-Konzept einer herzerwärmenden Geschichte (mit großer Aussage), berührender Musik und liebevoll gestalteter Bilder.

Veröffentlicht am 07.11.2019

Beklemmende Familiengeschichte

Summer
0

"Summer" ist ein Familienthriller von Monica Sabolo, welcher 2018 im Insel-Verlag (Suhrkamp) erschienen ist. Die Geschichte spielt in den Achtzigerjahren am Genfersee in der Schweiz. Beim Picknick mit ...

"Summer" ist ein Familienthriller von Monica Sabolo, welcher 2018 im Insel-Verlag (Suhrkamp) erschienen ist. Die Geschichte spielt in den Achtzigerjahren am Genfersee in der Schweiz. Beim Picknick mit ihrem Bruder und ihren Freunden verschwindet die neunzehnjährige Summer spurlos.

Benjamin liebt seine große Schwester Summer abgöttisch und sieht in ihr das vielversprechende Leben, welches er sich wünscht. Nachdem Summer verschwindet, bricht für Benjamin eine Welt zusammen. Er hat große Probleme das Geschehene zu begreifen. Während er schüchtern und zurückhaltend ist, war Summer immer offen, direkt und lebenslustig. Irgendwann gelingt es ihm, so lässt der Kontext vermuten, ins Leben zu finden. Nach vierundzwanzig Jahren aber muss sich Benjamin das erste Mal wirklich dem großen Verlust und der quälenden Ungewissheit stellen.

Das Buch hat mich ganz unverhofft erreicht. Darüber bin ich sehr froh, denn der Roman hat mich wirklich berührt. Sabolo bedient sich einer bildhaften Sprache und tiefenpsychologischer Elemente. Melancholisch und still, schwermütig und traurig – die Atmosphäre löst Unbehagen aus, aber berührt auch sehr. Der Titel des Buches in Kombination mit dem Covermotiv impliziert laue Sommerabende und warme Nächte am Strand. Der Leser wird diesbezüglich eines Besseren belehrt. Summer, eine junge, lebenslustige Frau, die vollkommen lautlos von der Bildfläche verschwindet.

Die perfekte Familie, das sind die Wassners nach außen hin. Dieses Bild vermitteln sie auf eindrucksvolle Art und Weise. Nach dem Verschwinden der Tochter und Schwester aber, beginnt die Fassade mehr und mehr zu bröckeln und der trügende Schein schwindet. Unter der Oberfläche macht sich Resignation breit. Benjamin leidet fast still unter dem spurlosen Verschwinden seiner Schwester, während seine Eltern irgendwann zu akzeptieren scheinen, was geschah.

Viele Jahre später wird Benjamin bewusst, dass das Verschwinden seiner Schwester Summer noch immer Fragen aufwirft, denen er sich stellen muss. Von einem Tag auf den anderen kann er sein Büro nicht mehr betreten. Er zieht sich mehr und mehr aus der Gegenwart zurück und lässt die Vergangenheit zu. An diesen Stellen werden dem Leser tiefe Einblicke gewährt. Sabolo gelingt es, die Balance zwischen Sinnestaumel und Grausamkeit zu halten. Ihre Figuren bleiben die gesamte Handlung hinweg distanziert und dennoch geht einem die Geschichte unter die Haut. Die düstere, tragische Grundstimmung ist das Beeindruckendste an Summer.

Der Autorin ist es gelungen, einen spannenden Thriller zu erschaffen, dessen Tragödie sich lange unter der Oberfläche abspielt.

Veröffentlicht am 07.11.2019

Schonungslos Geschichte einer Magersucht

Tage ohne Hunger
0

"Tage ohne Hunger" ist ein über Magersucht handelnder Roman der französischen Schriftstellerin Delphine de Vigan welcher das erste Mal 2001 – unter ihrem Pseudonym Lou Delvig – erschien. 2018 veröffentlichte ...

"Tage ohne Hunger" ist ein über Magersucht handelnder Roman der französischen Schriftstellerin Delphine de Vigan welcher das erste Mal 2001 – unter ihrem Pseudonym Lou Delvig – erschien. 2018 veröffentlichte der Dumont Verlag den Titel nun auf deutsch. Laure ist neunzehn Jahre alt, als sie sich ins Krankenhaus einweisen lässt um wegen ihrer Magersucht behandelt zu werden. Sie wiegt bei einer Körpergröße von einem Meter fünfundsiebzig nur noch sechsunddreißig Kilogramm.

Laure entscheidet sich, als sie dem Tod näher scheint als dem Leben, in eine Klinik zu gehen. Dort trifft sie auf Gleichgesinnte und wird tagtäglich mit ihrer Krankheit konfrontiert. In der ernährungsmedizinischen Abteilung dreht sich alles immerzu ums Essen. Laure wird über eine Sonde ernährt um zuzunehmen. Die junge Frau versucht ihre Krankheit differenziert zu betrachten, zu ergründen, wie es mit ihr so weit kommen konnte.

Ähnlich wie in Vigans anderen Romanen weist auch Tage ohne Hunger autobiografische Züge auf. Laure hat eine Schwester, Louise. Die Mutter der Beiden ist psychisch krank und wird, als die Schwestern noch klein sind, in eine geschlossene Abteilung eingewiesen. Der Vater ist ein ausgesprochener Choleriker und hat für Laure wenig nette Worte übrig. Er sieht in ihr Unheil bringendes. Das schwierige Verhältnis zu ihren Eltern wird das ganze Buch hinweg immer wieder thematisierst und scheint einer der Gründe für Laures Magersucht zu sein.

Delphine de Vigan berichtet authentisch, klar und schonungslos von der Krankheit ihrer Protagonistin. Ihre detaillierten und treffenden Beschreibungen lassen vermuten, dass sie aus Erfahrung spricht. Als gesunder, als von Magersucht nicht betroffener Mensch, kommt man dieser äußerst nah. Obwohl die Thematik eine sensible, traurige ist, gelingt es de Vigan ihren Leser ans Buch zu fesseln. Man möchte nicht aufhören, man möchte wissen, was mit Laure geschieht. Beachtlich ist zudem, dass sie es schafft, auf weniger als zweihundert Seiten wachzurütteln und auf die Krankheit aufmerksam zu machen.

Laure ist mir durch die Geschichte hinweg sympathisch geblieben. Ich habe bis zum Ende mitgelitten, mitgefühlt, mitgedacht. Tage ohne Hunger hat eine, wie ich finde, angemessene Länge, denn obwohl das Buch großartig geschrieben ist, macht das ausgewählte Thema betroffen. Die Familiengeschichte hat mich am Meisten erschüttert. Die Eltern haben es Laure sehr schwer gemacht, ein selbstbewusster Erwachsener zu werden. Erst als Laure unerträglich kalt wird, sie mehrere Schichten Kleidung tragen muss, um diese Kälte zu ertragen, begreift sie, dass sie Hilfe braucht und spürt ihren Lebenswillen.

Auf kluge, intensive und eindringliche Art und Weise schildert Delphine de Vigan den Leidensweg von Laure und die Entwicklung ihrer Essstörung. Ihr neuer Roman ist sprachlich auf hohem Niveau und fachlich überzeugend.