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Veröffentlicht am 18.11.2019

Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau

Alles, was wir sind
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„Sekretär/Sekretärin: eine Person, der man ein Geheimnis anvertraut. Vom Lateinischen secretus, secreta, secretum. Wir alle tippten, aber einige von uns taten mehr.“ (S. 19)
Irina bewirbt sich 1956 in ...

„Sekretär/Sekretärin: eine Person, der man ein Geheimnis anvertraut. Vom Lateinischen secretus, secreta, secretum. Wir alle tippten, aber einige von uns taten mehr.“ (S. 19)
Irina bewirbt sich 1956 in einem unauffälligen Büro in einem unscheinbaren Haus, irgendwo in Washington D.C. – aber es ist nicht irgendein Büro, sondern die Agency, der CIA. Hinter identischen Schreibmaschinen an identischen Arbeitsplätzen sitzen Frauen, die die beste Schulbildung genossen und studiert haben. Die Älteren von ihnen waren im 2. WK u.a. als Spione im Einsatz, aber jetzt werden sie nur noch als Stenotypistinnen gebraucht. „Dieselben Finger, die früher einmal den Abzug betätigt hatten, schienen nun besser für die Schreibmaschinen geeignet zu sein.“ (S. 15) Irina ist die Tochter russischer Einwanderer, allerdings hat ihr Vater es nie nach Amerika geschafft. Darum ist sie auch sofort bereit, sich in der Agency abends nach der offiziellen Arbeit für die Aktion „AEDINOSAUR“ ausbilden zu lassen …

Moskau, 6 Jahre zuvor: Olga ist Redakteurin bei einer Literaturzeitschrift, zweifache Witwe, zweifache Mutter und die Geliebte von Boris Pasternak. Sie ist das Vorbild für die Lara in „Dr. Shiwago“, an dem er gerade schreibt. Im kleinen Kreis liest er immer wieder Szenen aus dem Buch vor und auch die Regierung will unbedingt wissen, worum es darin geht. Sie verhaften Olga und verurteilen sie zu 5 Jahren Gulag (Arbeits- und Umerziehungslager) um ihren Willen brechen und sie zum Reden bringen, doch Olga schweigt.

Als „das Buch“ 1956 endlich fertig ist, findet sich in Russland kein Verleger. Aber Giangiacomo Feltrinelli kann Pasternak die Rechte für Italien abkaufen. „Möge das Buch seinen Weg um die Welt antreten.“ (S. 202). Auch der CIA hat großes Interesse. Amerika möchte verbotene Bücher nach Russland schmuggeln, um die Bevölkerung aufzurütteln und über die Einflussnahme und Bevormundung ihrer eigenen Regierung aufzuklären.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich Dr. Shiwago nie gelesen habe und darum ganz unvoreingenommen an die Geschichte herangegangen bin. Lara Prescott erzählt parallel von Olgas und Boris Liebe, ihrem Leben in der UdSSR, dem Entstehen von Dr. Shiwago und von der Arbeit (der Stenotypistinnen) der CIA, insbesondere von Irina und ihrer Ausbilderin Sally.

Es ist die Geschichte der Frauen im Hintergrund. Man nimmt sie nicht wahr, aber sie bekommen alles mit und ziehen oft die Fäden. Doch den Ruhm ernten die Männer, dafür gehen sie sprichwörtlich über die Leichen der Frauen und (be)nutzen sie. Das wird bei den Sekretärinnen des CIA überdeutlich. Aber auch Olga steht immer hinter Boris, unterstützt ihn, sucht widerholt das Gespräch mit der Regierung und der Partei und warnt ihn, denn sie hat Angst. „Wenn der Westen das Buch ohne Erlaubnis der UdSSR veröffentlichen würden, dann würde sie ihn holen kommen – und mich dazu. Und diesmal würden man einen Aufenthalt von wenigen Jahren in einem Arbeitslager wohl kaum als ausreichende Strafe ansehen.“ (S. 210)

Olga war mir nicht immer sympathisch, erschien manchmal zu berechnend. Ja, sie hat ihren Beruf für Boris aufgegeben und ist in den Gulag gegangen, um ihn zu schützen. Ja, sie erwartet nicht, dass er sich scheiden lässt um sie zu heiraten. Andererseits fordert sie Unterstützung von ihm ein – als Wiedergutmachung? Und sie lässt ihre Kinder bei ihrer Mutter. Olga ist auf jeden Fall eine Frau, die polarisiert und es dem Leser nicht leicht macht.

Irina hingegen hat mich sofort fasziniert. Nach außen ist sie die unauffällige Tippse, die Neue im Büro, die sich aus allem raushält. Sie hält sich selber für nichts Besonderes und ist überrascht, dass ihre Vorgesetzten mehr in ihr sehen. Die Arbeit als Spionin, der Adrenalinkick gefallen ihr extrem gut. Außerdem findet sie ausgerechnet in der Agency ihre große Liebe – aber kann sie die auch (aus-)leben?

Auch Boris Pasternak kommt bei Lara Prescott nicht ganz so gut weg. Er erscheint sehr wankelmütig und versucht immer, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Er ändert seine Entscheidungen mehrfach und verletzt Olga damit. „Das Buch war ihm sogar wichtiger als das eigene Leben. Es kam an erster Stelle, und das würde auch immer so bleiben, und ich fühlte mich wie eine Närrin, dass ich es nicht früher begriffen hatte.“ (S. 334) Außerdem wird deutlich, wieviel besser er als einer von Stalins Privilegierten gegenüber den „normalen Menschen“ in der UdSSR lebt.

Wenn ich das Buch in ein Genre einordnen müsste, würde ich es als Spionageroman bezeichnen. Die Autorin vermittelt sehr geschickt die angespannte politische Situation in der UdSSR, den Wettlauf mit der USA um technische Errungenschaften wie den ersten Flug zum Mond, und hat mich damit bis zum Ende gefesselt. Dazu kommen die beiden großen, nicht immer glücklichen Liebesgeschichten, die mich sehr bewegt haben.
Mir ging es wie einigen anderen Lesern, und ich habe das Buch zwischendurch immer wieder aus der Hand legen müssen, um die Handlung sacken zu lassen. „Alles, was wir sind“ ist für mich definitiv ein weiteres Jahreshighlight.

Veröffentlicht am 16.11.2019

Die Winter-Frauen

Leuchtende Tage
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„Uns verband etwas, dass man nicht auf den ersten Blick erkennen konnte. Wir waren Ausreißerinnen. Wir liefen gerne weg. Auch vor uns selbst. Aber, und das war die große Frage, kamen wir auch an?“ (S. ...

„Uns verband etwas, dass man nicht auf den ersten Blick erkennen konnte. Wir waren Ausreißerinnen. Wir liefen gerne weg. Auch vor uns selbst. Aber, und das war die große Frage, kamen wir auch an?“ (S. 470)

Maya ist die vierte Generation der Winter-Frauen. Sie wird bald 30 und hat ihre Ziele – Karriere, Mann, Kind – noch nicht erreicht. Von ihrer Mutter Paula trennen sie Welten. Diese ist genauso ein Freigeist wie Urgroßmutter Lisette es war. Maya hingegen ist das ganze Gegenteil. „Ein bisschen zu brav, ein bisschen zu ängstlich. Ein bisschen zu langweilig?“ (S. 73) Durch ihren Lebensgefährten Yannick findet sie zu den Urban Explorers, die Lost Places suchen und fotografieren. Maya ist von den Seelen der verlassenen Häuser fasziniert. Statt Fotos zu machen, denkt sie sich Geschichten dazu aus. Von ihrer eigenen Familiengeschichte weiß sie so gut wie nichts, aber sie kann sich an ein verwunschenes Sommerhaus erinnern, das Lisettes Familie gehörte und aus dem diese damals regelrecht geflohen war. „Ich hatte immer das Gefühl, dass uns etwas fehlte. Dass es so wenig Geschichten gab und so viel Schweigen …“ (S. 15). Als sie das Haus zum ersten Mal betritt, weiß sie, dass sie endlich mehr erfahren will. Sie bittet ihre Mutter Paula und ihre Großmutter Charlotte, ihre Erinnerungen mit ihr zu teilen. Als erstes bekommt sie DAS moosgrüne Kleid, wegen dem sich Lisette damals in Emile verliebte „In diesem Kleid fand sie die schönste Version ihrer selbst.“ (S. 177) …

1906: Lisettes Vater hat eine erfolgreiche Baufirma und ihre Mutter liebt es, zu repräsentieren. Die beiden älteren Brüder sind deren ganzer Stolz, nur sie selbst kann es ihnen nie recht machen. Sie ist zu ungestüm, ungeduldig, unweiblich, will genau wie ihre Brüder zur Schule gehen und einen Beruf ausüben dürfen: „Ich würde mir gern Kleider ausdenken … in denn man sich bewegen kann und in denen man kein Korsett braucht. … Oder ich würde gern Gärtner werden und immer draußen sein.“ (S. 93). Als Emile in das Haus der Familie kommt um ihnen eine neue Garderobe zu schneidern, nimmt sie ihren Mut zusammen und zeigt ihm ihre Kleiderentwürfe. Er findet die Skizzen – und Lisette – toll, versteht sie und zeigt ihr, wie sie sie umsetzten kann. Sie verlieben sich und Lisette verlässt mit und wegen ihm ihre Familie, lässt den goldenen Käfig hinter sich. „Wo wir herkommen, ist doch egal. Wir haben die gleichen Träume! Das ist alles, was zählt.“ (S. 164)

Astrid Rupperts erzählt die Geschichte einer ungezähmten jungen Frau, die gegen ihre Familie und die damaligen Normen rebelliert. Sie will frei sein, leben und lieben können wen sie will. Und sie will arbeiten, will die Frauen aus den starren Korsetts und vorgezeichneten Leben befreien. Zusammen mit ihrer großen Liebe Emile wählt sie eine ungewisse Zukunft, eröffnet ein kleines Schneideratelier. Sie hat die Visionen und liefert die Ideen, er setzt sie um. Bald kaufen berühmte Schauspielerinnen und Gräfinnen ihre Reformkleider. Sie können Näherinnen einstellen und müssen anbauen. Ihre anfängliche Angst, dass ihre Familie sie doch noch zurückholt und mit dem Mann ihrer Wahl verheiratet, erweist sich als unbegründet – lieber schweigt man sie tot, um den befürchteten Skandal zu vermeiden. Auch ihre später versuchte Wiederannäherung gelingt nicht. Und dann kommt der Krieg und verändert alles.

Die Frauen der Familie Winter sind sehr verschieden und haben trotzdem etwas gemeinsam – sie alle haben nie geheiratet und wollen ganz anders sein als ihre Mütter, ihr Leben anders gestalten und sich abgrenzen. Dass sie dabei deren Fehler wiederholen, wird ihnen nicht klar.
Ich habe Lisette von Beginn an gemocht und mit ihr mitgefühlt. Ich habe sie dafür bewundert, dass sie sich aus Enge des Lebens befreien konnte, welches ihre Mutter für sie geplant hatte. Sie ist eine sehr starke und kreative Persönlichkeit, aber auch von Selbstzweifeln geprägt. Emile hilft ihr und fördert sie, ohne ihr etwas vorzuschreiben oder sie einzuengen. Sie bilden eine perfekte Symbiose und Lisette kann sich nicht vorstellen, ohne ihn zu sein. Er ist die einzige, größte Liebe ihres Lebens. „Alles was ich bin und sein will, kann ich doch nur bei dir sein.“ (S. 191)
Schon früh beschäftigt sich Lisette mit der Gleichberechtigung und fördert immer wieder die Frauen aus ihrer Umgebung, indem sie ihnen Festanstellungen in ihrem Atelier gibt, was damals unüblich war.
Astrid Rupert hat mit ihr und den anderen Protagonisten sehr lebendige und glaubhafte Charaktere geschaffen. Zudem beschreibt sie die Lebensumstände und örtlichen Gegebenheiten sehr bildlich. Ihr Erzählstil ist sehr mitreißend und emotional.

„Leuchtende Tage“ ist der Auftakt einer Trilogie. In den nächsten Bänden geht es um Charlotte und Paula, aber ich würde gern auch noch mehr über Maya erfahren. Bisher zweifelt sie noch sehr an sich und ist darin Lisette ähnlich, ohne deren Mut zur Veränderung. Aber da sie jetzt verstanden hat, dass sie sich in ihrem Leben nur eingerichtet hat, es aber nicht lebt, kann sie die Situation ja ändern.

Meine Leseempfehlung für alle, die tiefschürfende, mitreißende und emotionale Familiengeschichten mit starken Frauen mögen!

#dieschönsteversionmeinerselbst

Veröffentlicht am 13.11.2019

Mord ist ihr Geschäft

Tannenduft mit Todesfolge
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Tatjana Kruses schreibt über sich selbst: „Mit mir will man am Fest der Liebe besser nicht zusammen sein …“ (S. 8). Bisher habe ich mich nicht vor ihr gefürchtet – im Gegenteil, bei unseren Treffen war ...

Tatjana Kruses schreibt über sich selbst: „Mit mir will man am Fest der Liebe besser nicht zusammen sein …“ (S. 8). Bisher habe ich mich nicht vor ihr gefürchtet – im Gegenteil, bei unseren Treffen war sie immer sehr nett – aber nach dem Lesen von „Tannenduft mit Todesfolge“ habe ich schon ein bisschen Angst vor ihr. Und vor Weihnachtsfeiern (selbst innerhalb der Familie) … und Zügen … und Fahrstühlen. Außerdem stellt sich mir die Frage, wie viel von ihr in dem Buch steckt: „Mir war klar, dass ich irgendwann einmal das Reisen zu meinem Beruf machen würde.“ (S. 161). Wer ihr in den sozialen Medien folgt weiß, dass sie einen großen Teil des Jahres in der Bahn verbringt. So verwundert es auch nicht, dass die erste Kurzgeschichte an Heiligabend in einem IC spielt und dabei einiges anders läuft als von den Reisenden und dem Zugbegleiter geplant ...

Aber Frau Kruse mordet nicht nur in Zügen, sondern auch in Kirchen, Banken oder Villen und fast jedes Mal endet die Geschichte dann doch anders, als man es erwartet. Neben der Weihnachtsgans haben auch ein Hamster, ein Wellensittich, ein Papagei und diverse Hunde Gastauftritte und zum Glück überleben sie alle – was man über die Besitzer (leider) nicht sagen kann.

Die Geschichten sind gewohnt lustig, skurril, überraschend, bitterböse und mit amüsanten Klischees gespickt: „Die Haustür wurde aufgetreten, eine Blendgranate erhellte die Nacht, Kinder schrien, ein Hund bellte.“ (S. 48)
Außerdem sind sie so kurz, dass man sie bequem zwischendurch, vorm Einschlafen, im Wartezimmer oder in der Bahn lesen kann, wenn man keine Angst davor hat, in der Öffentlichkeit zu Lachen oder sich ein bisschen zu Gruseln. Übrigens sind fast alle Geschichten schon mal in anderen Anthologien erschienen und wurden jetzt erstmals in diesem Buch zusammengefasst.

Lustig, skurril, überraschend und bitterböse – mein Weihnachts(geschenk)tipp für alle Krimileser, die es humorvoll mögen: „Tannenduft mit Todesfolge“!

Veröffentlicht am 11.11.2019

célébrer un festin

Bienvenue - Willkommen bei mir
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Seit wir zum Geburtstag meines Vaters letztes Jahr ein selbst zusammengestelltes Menü aus Aurélie Bastians letztem Buch „Französisch kochen mit Aurélie“ zubereitet haben und das Essen ein voller Erfolg ...

Seit wir zum Geburtstag meines Vaters letztes Jahr ein selbst zusammengestelltes Menü aus Aurélie Bastians letztem Buch „Französisch kochen mit Aurélie“ zubereitet haben und das Essen ein voller Erfolg wurde, habe ich noch oft einzelne Gerichte daraus ausprobiert und auch „Französisch Backen“ von ihr gehört längst zu meinen Standardwerken.

Aber natürlich ist es schöner, wenn man die Menüvorschläge gleich von der Autorin und Foodbloggerin selbst bekommt. In ihrem neuen Buch „Bienvenue - Willkommen bei mir“ hat sie Gerichte für verschiedene Gelegenheiten, Jahreszeiten und Mottos zusammengefasst und wie immer sehr ansprechend in Szene gesetzt.

Das Rezept für das warme Camembert-Brot mit Calvados aus der Kategorie „Winterabend mit Freunden“ hatte es uns so angetan, dass wir es sofort probieren mussten. Und auch wenn mein Brot nicht ganz so ansprechend aussieht wie das von Aurélie, so hat es uns doch hervorragend geschmeckt und wird hoffentlich der Star unsere Silvester-Party werden. (Das Baguette wird übrigens aus dem gleichen Grundteig gebacken und ist ebenfalls sehr lecker.)
Doch auch für den „Heiligabend zu Hause“ haben wir uns schon Gerichte ausgesucht – neben den Lachscreme-Tannen und der obligatorischen Käseplatte mit selbstgemachter Zwiebel- und Feigenkonfitüre, wird es zum Dessert die Tarte Tartin mit Rotweinbirnen und das überbackene Eisdessert mit Baiserhaube geben. Angst vor der Vorbereitung habe ich dank des Zeitplanes, der jedem Kapitel vorangeht, nicht.

Weitere Kategorien sind „Omas Geburtstag im Frühling“, „Sommerliche Kinderparty“, „Mädelsabend“, „Sommerfest“ und „Herbstzeit mit Pilzen und Kastanien“ – da wartet mein Mann schon sehnsüchtig auf den Wallnuss-Roquefort-Kuchen .
Ich finde es toll, dass sich simple Rezepte mit etwas anspruchsvolleren abwechseln, es gibt Fleisch, Fisch und Gemüse, Herzhaftes und Süßes, kleine Häppchen und große Pasteten – da sollte jeder etwas nach seinem Gusto bzw. Können finden.
Vor jedem Abschnitt erzählt Aurélie Bastian, was sie zu den Gerichten inspiriert oder was man noch beachten sollte.

Mein Fazit: Ein wirklich tolles Koch-/Backbuch für verschiedene feierliche Gelegenheiten, welches die französische Küche und Lebensart sehr appetitlich inszeniert.

Veröffentlicht am 07.11.2019

Schönheit und Grauen so nah beieinander

Winteraustern
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Kurz vor Weihnachten ist im Aquitaine die Hochsaison der Austernzüchter, da die Meeresfrüchte in Frankreich auf keiner Weihnachtstafel fehlen dürfen. Luc hat organisiert, dass er und sein Vater Alain auf ...

Kurz vor Weihnachten ist im Aquitaine die Hochsaison der Austernzüchter, da die Meeresfrüchte in Frankreich auf keiner Weihnachtstafel fehlen dürfen. Luc hat organisiert, dass er und sein Vater Alain auf dem Polizeiboot den Sonnenaufgang auf dem Meer über den Austernbänken erleben dürfen. Wegen seines Bauchspeicheldrüsenkrebses könnte es Alains letzte Fahrt sein. Da kommt ein Anruf über Funk, dass ein Austernzüchter auf einer Sandbank überfallen, niedergeschlagen und der Flut überlassen wurde. Sie können ihn retten, finden dabei aber die Leichen zweier junger Männer. Wer hat sie warum ermordet? Ihre Eltern sind sich sicher, dass der Marktführer im Austernhandel dahintersteckt. Dieser versucht schon lange, auch den Rest seiner Konkurrenten zu übernehmen und behauptet, sie würden hinter den Austerndiebstählen stecken. „So weit hat es ja kommen müssen. … Sie denken doch ohnehin alle, dass wir es sind, die hier die Austern stehlen. Und nun nehmen sie Rache.“ (S. 76/77)

„Winteraustern“ ist Luc Verlains bisher persönlichster Fall. Da sein Vater früher selbst Austernfischer war und er ihm immer geholfen hat, steckt er tief in der Materie drin. Zudem versucht er so viel Zeit wie möglich mit Alain zu verbringen, weil er nicht weiß, wie viel ihnen wegen der Krebserkrankung noch bleibt, und bindet ihn sogar in die Ermittlungen mit ein. „Danke für das Abenteuer, mon fils.“ (S. 206)
Und dann ist da noch Anouk. Sie ist nicht nur seine Kollegin, sondern auch seine Freundin, auch wenn sie das bisher so nicht ausgesprochen haben. Jetzt hat sie das Angebot bekommen, in Paris Karriere zu machen. Wie wird sie sich entscheiden? Luc möchte sie auf keinen Fall beeinflussen.

Im Laufe der Ermittlungen stellt Luc, der die letzten 15 Jahre in Paris gelebt hat, fest, wie sehr sich die Lage der Austernfischer verschlimmert hat. Nicht nur die Diebstähle und die Konkurrenz der Marktführer, auch die Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung setzt ihnen zu. Der Druck wird immer höher und gerade die jungen Austernfischer, zu denen die Toten gehörten, hatten beschlossen, sich endlich zu wehren. Ist ihnen das zum Verhängnis geworden?

Für mich ist dies das bisher beste Buch der Reihe. Der Fall ist extrem spannend und ich hatte bis kurz vor Schluss überhaupt keinen Verdacht, wer der Täter sein konnte. Zudem gefiel mir das Zwischenmenschliche hier sehr – Lucs Beziehung zu seinem Vater, wie er ihm die letzte Zeit so schön wie möglich machen will, und seine Gewissenskonflikte wegen Anouks eventuellem Weggang. Er will sie nicht verlieren aber auch ihrer Karriere nicht im Weg stehen.
Da ich bisher nichts über Austern und ihre Zucht wusste (Meeresfrüchte sind nicht so meins, es sei denn, sie sind aus Schokolade und Nougat ), fand ich auch die Hintergründe dazu sehr spannend. Das Erzählte macht mich sehr nachdenklich.

Abgerundet wird die Handlung durch Genussmomente in allen Varianten, seien die Beschreibung der Landschaften und der See oder der leckeren Gerichte und korrespondierenden Weine – Alexander Oetkers Bücher sprechen immer alle Sinne an.