Ein einfühlsamer Roman der leisen Töne über Verlust und Stärke
VioletTracy Chevaliers historischer Roman "Violet" erscheint im Hoffmann & Campe Verlag.
1932 in England. Violet Speedwell verlässt nach dem Verlust ihres Verlobten ihre Heimat und ihre Mutter und beginnt ...
Tracy Chevaliers historischer Roman "Violet" erscheint im Hoffmann & Campe Verlag.
1932 in England. Violet Speedwell verlässt nach dem Verlust ihres Verlobten ihre Heimat und ihre Mutter und beginnt einen neuen Lebensabschnitt. Sie arbeitet bei einer Versicherung als Schreibkraft. Violet schliesst sich einer Gruppe von Frauen an, die Stickereien für die Kathedrale von Winchester anfertigen. Was als bloße Beschäftigung beginnt, nimmt Violet immer mehr für sich ein. Sie geniesst die Freundschaft unter den Stickerinnen und lernt Arthur kennen, der die Glocken des Kirchturmes läutet.
Es ist die Geschichte einer Frau, deren Hoffnungen auf einen Ehemann und eine eigene Familie sich durch die Kriegsjahre zerschlagen haben. Violets Bruder und ihr Verlobter fielen beide im Ersten Weltkrieg. Sie lebt bei ihrer verbitterten Mutter, ist mittlerweile 38 und gilt damit als alte Jungfer. Es gibt einen Frauenüberschuss und der macht dieser Generation von Frauen das Leben schwer. Es wird von ihnen erwartet, dass sie sich für ihre Familie opfern, ein eigenständiges Leben oder Kontakte zu Männern werden ihnen übel genommen oder schlicht nicht gestattet. In Winchester beginnt Violet ein neues Leben, fern von ihrer sie gängelnden Mutter. Sie ist von nun an auf sich allein gestellt und entwickelt neuen Lebensmut.
Mir hat es gefallen, wie dieser ruhig erzählte Roman langsam an Fahrt aufnahm. Es geht mit eindringlichen Beschreibungen von Stickereien, Stimmungen und Erlebnissen tief in diese Zeit hinein, die familiäre Situation Violets und die herrschenden Standesdünkel werden spürbar. Dank der etwas distanziert beschriebender Charaktere bekommt man einen deutlichen Eindruck des Denkens und Handelns dieser Zeit. Auch Violets Gefühle und ihr neuer Lebensmut bekommt einen besonderen Stellenwert in dieser Geschichte. Sie entwickelt sich durch die Gemeinschaft und durch Freundschaften in der Stickgruppe weiter, wird selbstbewusster und findet ihren Weg auch als Single-Frau. Schliesslich lernt sie den Glöckner Arthur kennen, wird von seiner Leidenschaft fürs Glockenläuten angesteckt und fühlt sich zu dem verheirateten Mann hingezogen.
Zu Beginn der Geschichte machten die Beschreibungen des englischen Kleinstadtlebens auf mich noch keinen besonderen Eindruck. Aber nach und nach konnte ich mich in die Szenerie hineinversetzen, entdeckte die gängigen Rollenklischees und merkte, wie Violet allmählich einen eigenen Weg einschlug und damit neuen Lebensmut gewann. Der Roman nahm mich immer mehr gefangen und liess mich nicht mehr los.
Interessant finde ich die Tatsache, dass es die Leiterin der Stickgruppe, Louisa Presel, wirklich gegeben hat. Die Beschreibung der Straminstickerei, die verschiedenen Stiche und Knoten werden sehr ausführlich und detailliert beschrieben. Sämtliche Knie- und Sitzkissen in der Kathedrale von Winchester wurden von Hand angefertigt und die Stickerei hat dort eine lange Tradition.
Tracy Chevalier schafft es sehr gelassen und akzentuiert, das Leben und das Schicksal einer alleinstehenden Frau zu schildern und dabei den Zeitgeist nachfühlbar zu machen. Ihre Sprache ist bewegend, eindringlich und warmherzig und man wird unweigerlich in dieses Buch hineingezogen. Seite für Seite oder zum Buch passender gesagt: Stich um Stich hat sich Violet in mein Herz gestickt und dort einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Sie wurde mir immer vertrauter und ich musste diesen Roman gespannt bis zum Ende verfolgen.
Ein wundervoller Roman der leisen Töne, empathisch beschreibend, eindringlich und warmherzig bewegend. Er zeigt die Schicksale einer Frauengeneration auf, die durch Krieg und Verlust ihre Hoffnungen begraben mussten und für sich neue Lebenswege finden mussten. Violet hat diesen persönlichen Glücksweg gefunden, bei dem sie sich über Konventionen hinwegsetzte und eine starke Persönlichkeit wurde.