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Veröffentlicht am 15.01.2020

Spannender und aufwühlender Roman über den Umgang mit psychisch Kranken in den 50er-Jahren und ein Familiengeheimnis in der Gegenwart

Die Tochter des Arztes
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1956 fängt Schwesternschülerin Ellen Crosby neu im Klinikum Ambergate an, einer psychiatrischen Einrichtung in Manchester. Geschockt ist sie von den Langzeitpatienten, die schon ihr halbes Leben in der ...

1956 fängt Schwesternschülerin Ellen Crosby neu im Klinikum Ambergate an, einer psychiatrischen Einrichtung in Manchester. Geschockt ist sie von den Langzeitpatienten, die schon ihr halbes Leben in der Klinik verbracht haben und als nicht therapierbar gelten. Der Arbeitsalltag ist hart, aber motiviert und engagiert versucht sie trotz des Drucks der ihr vorgesetzten Schwestern empathisch mit den Patientinnen umzugehen. Sie hinterfragt die unmenschlichen Behandlungen wie die Elektrokonvulsionstherapie, vor allem in Bezug auf die fast gleichaltrige Amy Sullivan, eine Patientin, die den Tod ihrer Mutter nicht überwunden hat und von ihrem Vater aus Hilflosigkeit in die Klinik gebracht wurde.

2006 interessiert sich Sarah Charlton für das in den 1970er-Jahren geschlossene Klinikum Ambergate, wo ihr Vater als Arzt gearbeitet hat. Sie ist Historikerin und dabei ein Buch zu verfassen, um den ehemaligen Patienten eine Stimme zu geben, erhält dabei aber keine Unterstützung von ihrem Vater. Auf dem Dachboden des im Verfall begriffenen Gebäudes, in das sie heimlich eindringt, findet sie eine Vielzahl von Koffern ehemaliger Patienten.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen, die sich allerdings nicht kapitelweise abwechseln. Nach einem Prolog, der in der Vergangenheit spielt, beginnt der Roman mit einigen wenigen Kapiteln im Jahr 2006 und wechselt anschließend in die Jahre 1956 bis 1958, die über zwei Drittel des Romans ausmachen. Auf diese Weise kann man tief in den Alltag einer psychiatrischen Klinik in den 1950er-Jahren eintauchen und sich ein Bild vom Umgang der Pflegekräfte mit den Patienten machen und ist schockiert über die unorthodoxen bis äußerst fragwürdigen Heilmethoden, die oftmals nicht darauf ausgerichtet zu sein scheinen, die Patienten jemals wieder in die Freiheit zu entlassen. Erschütternd ist auch, wie manche Patientinnen resigniert haben und Ambergate als ihr letztes Zuhause betrachten.
Als sich die Ereignisse zuspitzen, erfolgt ein Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart in schnellerer Abfolge, was den Roman auch durch die Cliffhanger dazwischen dynamisch macht und die Spannung steigert.

Ellen Crosby, die sich mit dem sympatischen Pfleger Dougie anfreundet, der ihr gerade in der Anfangszeit mit Rat und Tat zur Seite steht, ist eine junge Krankenschwester, die im Gegensatz zu manch verbitterter berufserfahrener Krankenschwester ein Herz für die Patienten hat und diese vorurteilsfrei wie Menschen behandelt. Durch sie erlebt man den Klinikalltag, aber auch aus der Perspektive von Amy, die sich nicht krank fühlt und ihrer Meinung nach nicht nach Ambergate gehört. Auch wenn sie noch nicht so abgestumpft wie manch "verrückte" Patientin ist, ist sie doch nicht ohne Grund in die Klinik eingewiesen wurden. Ihr unkontrollierbarer Hass zeigt sich dann auch in der Klinik und das Drama um ihre Person nimmt seinen Lauf.

"Die Tochter des Arztes" ist ein spannender und aufwühlender Roman, der insbesondere die Vergangenheit in den Fokus rückt, die jedoch eng mit den Nachforschungen von Sarah 50 Jahre später verknüpft ist. Spannung wird vor allem durch den Dachbodenfund Sarahs und das Schweigen ihres Vaters in der Gegenwart erzeugt. Die Geheimnisse klären sich erst durch die Ereignisse in der Vergangenheit auf, die vor allem durch den ambivalenten Charakter von Amy für packende Momente sorgt. Die Geschichte ist authentisch und bildhaft beschrieben und überzeugt des Weiteren durch die glaubwürdigen und individuell gezeichneten Charaktere.

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Veröffentlicht am 21.12.2019

Bis auf das sehr abrupte und einfach gelöste Ende eine sehr emotionale, dramatische Familiengeschichte über zwei entzweite Schwestern

Nur ein Wort von dir entfernt
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Die beiden Schwestern Jess und Lily haben sich vor 28 Jahren entzweit. Jess kann ihrer älteren Schwester nicht verzeihen, was sie getan hat und wodurch die gesamte Familie zerbrochen ist. Jess ist seit ...

Die beiden Schwestern Jess und Lily haben sich vor 28 Jahren entzweit. Jess kann ihrer älteren Schwester nicht verzeihen, was sie getan hat und wodurch die gesamte Familie zerbrochen ist. Jess ist seit dem Tag in ihrer Kindheit traumatisiert und hat auch nie mit ihrer Mutter Audrey darüber gesprochen, was sie Lily vorwirft.
Als Audrey mit gerade 62 Jahren unheilbar an Krebs erkrankt, verspürt sie nicht mehr nur den Wunsch, sondern auch den Ehrgeiz ihre beiden Töchter miteinander zu versöhnen, damit auch ihre beiden fast gleichaltrigen Enkelinnen einen Kontakt haben können, den Jess untersagt.
Während sie in ihren letzten verbleibenden Monaten Zeit mit ihren Enkelinnen verbringt, mit Phoebe einen Chor besucht und mit Mia einen Zeichenkurs belegt, versucht sie, Begegnungen ihrer Töchter herbeizuführen und zu einem gemeinsamen Kurztrip nach New York zu überreden, um Frieden zu finden.

"Nur ein Wort von dir entfernt" wird abwechselnd aus der Sicht der drei erwachsenen Frauen, Audrey, Lily und Jess erzählt. Dabei erfährt man allmählich mittels Rückblenden in die Vergangenheit, wie sie gemeinsam als Familie aufgewachsen sind und welche Ereignisse im Jahr 1988 dazu geführt haben, dass Jess einen Kontakt zu Lily kategorisch ablehnt.
Es ist ein herzzerreißender Roman, der packend geschrieben ist. Der Leser bleibt lange im Ungewissen, was in der Vergangenheit passiert ist und kann nur spekulieren, was die Schwestern so unversöhnlich entzweit hat.
In alle drei Frauen, die authentisch wirken und abseits des Familienzwists mit ihren individuellen Schicksalen berühren, kann man sich sehr gut hineinversetzen. Man leidet mit Audrey mit, der es körperlich schnell fortschreitend schlechter geht und leidet auch emotional mit ihr mit, wie sie sich vorstellt, dass ihre Töchter sich bei der Beerdigung erstmalig wieder begegnen würden und kein Wort miteinander wechselten. Jess reibt sich als Alleinerziehende mit ihrem zeitraubenden Job beim Filmset auf, während sie sich um ihre Tochter sorgt und so hohe Erwartungen an diese stellt. Lilys Leben wirkt dagegen perfekt, doch dass die Ehe mit ihrem Mann nur noch eine Beziehung auf Distanz ist und sie nicht mehr an ihren Mann heranzukommen scheint, bleibt unbemerkt, genauso wie die schmerzhaften Erfahrungen, die sie nach der Geburt von Phoebe durchmachen musste.

Über allem schwebt Sprachlosigkeit, Resignation, eine kompromisslose Verweigerungshaltung und Sturheit - sowie ein Geheimnis, das so schmerzhaft ist, dass es eine Schwester nicht auszusprechen mag und von dem die eine Schwester andere nichts ahnt und die Mutter nicht versteht.

Es ist eine dramatische Familiengeschichte über unterschiedliche Formen und Phasen von Trauer und Verlust, über schwierige zwischenmenschliche Beziehungen, über Krankheit, Tod und Versöhnung. Dabei ist spannend zu erfahren, ob die jahrzehntelange Entfremdung zweier Schwestern behoben werden kann oder ob es in der Verantwortung der nachfolgenden Generation liegen wird, die Familie wieder zu vereinen.
Der Roman zeigt, wie eine Entscheidung im Leben, Menschen auseinander dividieren oder zusammenführen kann. Der Titel des Romans ist dabei sehr treffend gewählt, denn es ist vor allem die Kommunikation, die innerhalb der Familie nicht gelingt, eine Aussprache, die fehlt, um die Vergangenheit gemeinsam zu verarbeiten. Als diese dann stattfindet, löst sich der jahrzehntelange Konflikt für meinen Geschmack ein wenig zu schnell und zu problemlos.

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Veröffentlicht am 18.12.2019

Über das Erwachsenwerden und die Erkenntnis, sich selbst so anzunehmen wie man ist - Roman voller Herzenswärme und individueller Charakteren

Das schräge Haus
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Ella wächst im Schrebergarten ihrer Großmutter Mina auf. Ihr steht Ella näher als ihre Mutter, die sich nur für ihren Sohn zu interessieren scheint. Mina kann tief in Ella hineinblicken und ihr Haus sehen, ...

Ella wächst im Schrebergarten ihrer Großmutter Mina auf. Ihr steht Ella näher als ihre Mutter, die sich nur für ihren Sohn zu interessieren scheint. Mina kann tief in Ella hineinblicken und ihr Haus sehen, das etwas in Schieflage ist. Ella kommt sich etwas sonderbar vor, aber ihre beste Freundin, die gleichaltrige Yvonne, ist immer an ihrer Seite.
Ein Sonntag im Juni 1986 schockiert die Achtjährige jedoch derart, dass Ella auch Jahre später noch mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat.
26 Jahre später ist Ella psychologische Psychotherapeutin mit eigener Praxis und behandelt eine Reihe schräger Persönlichkeiten. Sie möchte sie heilen, um ihre Schuld von damals auszugleichen. Herr Oebing ist einer ihrer Patienten, bei dem sie bereits an seiner Kleiderauswahl erkennen kann, ob er einen guten Tag hat oder ob Frau Traurigkeit an seiner Seite ist.
Bei der Hochzeit ihrer besten Freundin Yvonne ist auch Herr Oebing als Cousin des Bräutigams eingeladen und so lernt Ella ihren Mittwochs-Patienten erstmals von seiner privaten Seite kennen, zeigt ihm sogar den Schrebergarten von Mina, die inzwischen 86 Jahre alt ist. Doch als sie entgegen aller ärztlichen Grundsätze Herrn Oebing näher kommt, wird Ellas größte Sorge wahr und wirft sie damit komplett aus der Bahn.

"Das schräge Haus" erzählt zunächst vom Sommer der Kindheit von Ella, der für sie so prägend war, dass sie sogar ihre Berufsentscheidung davon abhängig gemacht hat. Aus der Sicht einer Achtjährigen, die sich jedoch eingehend mit sich selbst und ihrer Umgebung beschäftigt, ist das Leben in der Kleingartenanlage sehr unterhaltsam und kein bisschen spießig dargestellt. Zudem spürt man, wie eng die Beziehung zwischen Mina und Ella ist, die wie Seelenverwandte sind. Mina ist eine rüstige Rentnerin mit Ruhrpott-Slang, die sich liebevoll um ihre Enkelin kümmert, die ihr alles anvertraut.

Zweidrittel des Romans handeln jedoch von der erwachsenen Ella und dieser Teil hat mir noch besser gefallen als der Beginn. Ella ist inzwischen 34 Jahre alt, hat sich als Psychotherapeutin selbstständig gemacht und sehnt sich nach einem Mann an ihrer Seite. Die Hochzeit ihrer besten Freundin steht bevor, worüber sie sich zwar freut, denkt aber gleichzeitig, dass sie - wohl aufgrund ihrer schrägen Art - nie einen geeigneten Partner finden wird. Ella mangelt es an Selbstvertrauen, denn eigentlich ist sie gar nicht so anders wie sie denkt. Sie ist trotz - oder gerade aufgrund - ihrer teils wirren Gedanken eine sympathische, nahbare und authentische junge Frau. Sie macht im Verlauf des Romans durch die Ratschläge ihrer Großmutter, aber auch durch die unerwartete Annäherung an Herrn Oebing eine charakterliche Weiterentwicklung durch. Es ist schön zu lesen, wie sie ihre Ängste überwindet, ihre Anpassungsschwierigkeiten ablegt und sich öffnet - sprichwörtlich die Fenster ihres schrägen Hauses aufreißt und einen frischen Wind hineinlässt.

"Das schräge Haus" ist ein Roman voller liebevoll individuell gezeichneter Charaktere, ein Roman über das Erwachsenwerden und die Erkenntnis, sich selbst so zu lieben und annehmen wie man ist - trotz oder gerade wegen der persönlichen Eigenheiten. Es ist ein Feelgood-Roman mit Tiefgang, der jetzt im Winter nicht nur durch die unerträgliche Sommerhitze im Roman, ganz viel Herzenswärme schenkt.

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Veröffentlicht am 13.11.2019

Spannender Kriminalfall um eine sympathische Protagonistin an einem interessanten Schauplatz

Seelentot
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Gefängnisärztin Eva Hanssen arbeitet seit gut einem Monat in der JVA München-Wiesheim, als sie den Selbstmord eines Inhaftierten bescheinigen soll, der erhängt im Duschraum aufgefunden wurde. Eva bezweifelt, ...

Gefängnisärztin Eva Hanssen arbeitet seit gut einem Monat in der JVA München-Wiesheim, als sie den Selbstmord eines Inhaftierten bescheinigen soll, der erhängt im Duschraum aufgefunden wurde. Eva bezweifelt, dass sich der Mann selbst getötet hat, da dieser kurz vor der Entlassung stand und die äußeren Umstände nicht zu einem Suizid passen. Sie schaltet die Kriminalpolizei ein, die die Ermittlungen aufnimmt, womit sie den Unmut der Gefängnisleitung auf sich zieht. Aber auch die Kommissare stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Weder die Direktorin noch die angestellten Wachleute scheinen ein Interesse an der Aufklärung des möglichen Mordes zu haben und zeigen sich wenig kooperativ.
Eva bleibt hartnäckig und unterstützt die Ermittlungen um den Hauptkommissar Lars Brüggemann, den sie noch von einem letzten Fall kennt.
Privat sorgt sie sich um die Ehe ihrer besten Freundin Ann-Kathrin, wird von Staatsanwalt Santana umgarnt, der sich in die laufenden Ermittlungen einmischt und fühlt sich von einem Fremden bedroht, der ihr subtile Botschaften schickt.

"Seelentot" ist der zweite Band der Reihe um die Gefängnisärztin Eva Hanssen (vormals Korell), der mir noch besser gefallen hat als der erste Band "Verborgen", da man noch mehr tiefere Einblicke in den Alltag und die Abläufe in einer Gefängnisanstalt erhält. Eva ist eine Allgemeinmedizinerin, die noch nicht lange in der JVA arbeitet und deshalb noch nicht mit allen Vorgängen und Kollegen vertraut ist, lässt sich aber nicht einschüchtern, sondern hört auf ihren Instinkt, nimmt die Dinge nicht als gegeben an, sondern hinterfragt sie.

Der Fall ist spannend aufgebaut, da zunächst kein Motiv in dem Mordfall zu erkennen ist. Klar ist nur, der Täter muss sich in der Haftanstalt aufhalten, kann jedoch Inhaftierter oder Wachmann sein. Aufgrund der äußeren Umstände ist sogar zu vermute, dass ein Angestellter des Gefängnisses zumindest, ob freiwillig oder unfreiwillig, mitgeholfen haben muss, was dem Fall noch mehr Brisanz verleiht.
Darüber hinaus fragt man sich gespannt, wer Eva auch außerhalb der JVA verfolgt und aus welchem Grund er oder sie eine Rechnung mit ihr offen haben könnte. Ob dies mit dem aktuellen Fall zusammenhängt ist fraglich, scheint eher in ihrer Vergangenheit begründet zu sein. Diese bleibt, wie schon im ersten Teil, etwas mysteriös, so dass man auf weitere Fälle um die Gefängnisärztin gespannt sein darf.
Wie schon im ersten Teil der Reihe finde ich es sehr interessant, einen Kriminalfall zur Abwechslung einmal aus der Sicht einer Gefängnisärztin mitzuerleben, auch wenn einzelne Kapitel auch aus der Perspektive der beiden ermittelnden Kommissare geschrieben sind.
Fazit: ein nicht zu leicht zu durchschauender Mordfall und authentische Ermittlungen rund um eine sympathische Protagonistin an einem interessanten Schauplatz.

Veröffentlicht am 02.11.2019

Roman über die Bewältigung eines Traumas, die Suche nach den eigenen Wurzeln und zu sich selbst

Die Hüterin der verlorenen Dinge
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Als Ivy zehn Jahre alt ist, verschwindet ihre Mutter Lila, eine Dichterin düsterer Werke, spurlos. Der Verlust nagt besonders hart an Ivy, da der letzte Wortwechseln der beiden ein Streit war - ausgelöst ...

Als Ivy zehn Jahre alt ist, verschwindet ihre Mutter Lila, eine Dichterin düsterer Werke, spurlos. Der Verlust nagt besonders hart an Ivy, da der letzte Wortwechseln der beiden ein Streit war - ausgelöst durch die empfundene Vernachlässigung und Gleichgültigkeit der Mutter. Trost findet Ivy ein wenig in verloren gegangenen Gegenständen, die sie auf den Straßen New Yorky sammelt und denen sie ein neues Zuhause gibt. Dabei lernt sie den Straßenkünstler Jack kennen, der ihr Interesse weckt, den sie jedoch ängstlich auf Distanz hält.

Als ihr Vater nach 13 Jahren seine Frau Lila für tot erklären möchte, um erneut heiraten zu können, ist es für Ivy ein Schock. Sie begibt sich fortan auf die Suche nach den Spuren ihrer Mutter, spricht mit deren Freunden und Bekannten, die sie durch ein Notizbuch ausfindig macht und trifft nach all den Jahren auch wieder auf ihre verbliebene Familie mütterlicherseits in Maine, wo sie zum ersten Mal wirklich spürt, wie es ist, eine Familie zu haben.

"Die Hüterin der verlorenen Dinge" ist ein Roman, der vom Verschwinden der amerikanischen "Wunderkind"-Schriftstellerin Barbara Newhall Follett inspiriert ist. Erzählt wird er aus der Perspektive der Mittzwanzigerin Ivy, in die man sich durch den einfühlsamen Schreibstil der Autorin sehr gut hineinversetzen kann. Ihre Einsamkeit, Ungewissheit über den Verbleib der Mutter und vor allem ihre Bindungsängste sind spür- und nachvollziehbar.
So wie Ivy als Charakter eher verschlossen und zurückhaltend ist, wird auch der Roman ruhig und besonnen erzählt. Die Geschichte wird jedoch zu keinem Zeitpunkt langweilig, da Ivy stets neuen Menschen begegnet, die ihr eine andere Seite von Lila aufzeigen. Ivy, der bisher nur ihre kindliche Sicht auf ihre Mutter bewusst war, lernt sie auf diese Weise anders kennen. Spannend bleibt, ob Ivy ihre Mutter finden wird oder nur eine Vorstellung davon, wer diese wirklich war.

Der Roman, der die pulsierende Atmosphäre New Yorks, aber auch die ruhigen Ecken Central Parks für alle die schon einmal da waren mit einem hohen Wiedererkennungswert schildert und dabei auch den Gegensatz zu dem ruralen Leben von Ivys Familie an der Küste Maines anschaulich einfängt, ist nicht nur eine Suche nach einem verschwunden Familienmitglied. Es geht auch um die Bewältigung eines Traumas, wenn eine der wichtigsten Bezugspersonen von einem Tag auf den anderen nicht mehr da ist. Ivys Leben ist vom Verschwinden ihrer Mutter geprägt, ließ sie bindungsunfähig werden und die Menschen auf Distanz halten. Während eines Sommers stellt sich Ivy sowohl ihren Ängsten als auch ihrer Neugier und findet auf der Suche nach ihrer Mutter zu ihren Wurzeln und zu sich selbst.

Der ruhige und einfühlsame Schreibstil der Autorin passt dabei perfekt zu Ivy und der Geschichte aus dem Künstlermilieu und hat eine ganz besondere atmosphärische Stimmung.