Profilbild von Nisnis

Nisnis

Lesejury Profi
offline

Nisnis ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Nisnis über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.01.2017

Hochintelligenter Thriller gigantischen Aufmaßes für Liebhaber komplexer Handlungen

Operation Rubikon
0

„Du hast getötet, was du liebst, damit lebt, was du hasst.“

Oberstaatsanwältin Sophie Wolf leitet erstmalig einen Spezialeinsatz des Bundeskriminalamtes, bei dem es um illegalen Waffenhandel geht. Sophies ...

„Du hast getötet, was du liebst, damit lebt, was du hasst.“

Oberstaatsanwältin Sophie Wolf leitet erstmalig einen Spezialeinsatz des Bundeskriminalamtes, bei dem es um illegalen Waffenhandel geht. Sophies Entscheidungen führen zu einem Misserfolg der geheimen Aktion. Zwei Mafiabosse werden liquidiert, ein Informant am Flughafen erschossen und als ein mit Waffen beladener Container im Hafen Rostocks explodiert wird ein Ermittler getötet.

Sophia macht sich Vorwürfe, wird von Kollegen geahndet und trifft bald auf ihren scheinbar unnahbaren Vater, den Präsidenten des Bundeskriminalamtes, zu dem sie seit ihrer Kindheit keinen Kontakt mehr pflegt.

Als Ermittlungen auf ein neues, mächtiges Vertriebskartell hindeuten, das den internationalen Drogen- und Waffenhandel beherrschen will, gründet BKA-Präsident Richard Wolf die Operation Rubikon, der neben vier engsten Mitarbeitern Wolfs auch seine Tochter Sophie angehört. Bald kristallisiert sich heraus, dass ein Maulwurf unter ihnen intelligent und intrigant agiert und eine hochspannende Jagd beginnt.

Der Autor:

Andreas Pflüger wurde 1957 in Thüringen geboren, wuchs im Saarland auf und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Er ist einer der renommiertesten deutschen Drehbuchautoren. Zu seinen mehrfach ausgezeichneten Arbeiten zählen u. a. Der neunte Tag und Strajk, in der Regie von Volker Schlöndorff, sowie über zwanzig Tatorte. Endgültig ist sein zweiter Roman. (Quelle: Suhrkamp Verlag)

Reflektionen:

Andreas Pflügers Thriller Endgültig gehört zu meinen persönlichen Lese-Highlights 2016, dessen Fortsetzung ich bereits entgegenfiebere und so versteht es sich von selbst, dass ich sein Erstlingswerk Operation Rubikon unbedingt und endlich lesen musste.

Bereits nach den ersten Zeilen katapultierte mich Andreas Pflüger erneut in einen literarischen Hochgenuss und ließ mich erneut in seinem besonderen persönlichen Stil mit Wohlfühleffekt zufrieden einsinken, als wäre ich nie weg gewesen, als hätte ich zwischen Endgültig und Operation Rubikon kein anderes Buch gelesen.

Der Wohlklang seiner fein formulierten Worte, sein kunstvoll definierter Stil, sein anspruchsvoller und klarer Ausdruck zeugen von kraftvoller Sprache und manchmal von poetischer Anmut. Diese Stilelemente, angereichert mit großartigen Metaphern, sind ein unvergleichliches literarisches Feuerwerk, welches nicht unbedingt in einem gnadenlosen und brutalen Polit-Thriller zu erwarten wäre.

Die Zahnräder der Wirtschaftskriminalität, des organisierten Verbrechens und der Politik greifen ineinander und kurbeln in hohem Tempo die knisternde Spannung an, bis diese an Brisanz kaum zu überbieten ist und bis die letzte Seite des fast 800 Seiten starken Werks ausgelesen ist.
Dieser Thriller ist ein Meisterwerk der sauberen und lückenlosen Recherche. Reich an Details über deutsche Behördenstrukturen, von Verfassungsschutz, Staatsschutz, über Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Polizei. Das Andreas Pflüger Insiderwissen in seinem Thriller verarbeitet und in seiner Handlung äußerst gelungen verknüpft ist ernüchternd, erschreckend und informativ zugleich und so strotz Operation Rubikon vor Glaubwürdigkeit und brutaler Authentizität.

Die Schauplätze dieses Thrillers sind Abstecher quer über den Globus verteilt und Andreas Pflüger versteht es, die explosive Handlung zusätzlich mit Geographischem, Kulturellem und Historischem maßvoll und geschmackvoll anzureichern.

Oberstaatsanwältin Sophie Wolf ist eine starke Frau und Persönlichkeit, die durstig und verbissen nach beruflichen Herausforderungen sucht. Ihre Entscheidungen schwimmen zu Hauf gegen den Strom und sie hat mit Gegenwind zu kämpfen, dem sie nicht immer leicht standhalten kann. Sophie trinkt Espresso wie andere Leitungswasser und schleppt ihre Espresso-Maschine mit ins Hotel zu Einsätzen und sie führt einen verbittert wirkenden emotionalen Konflikt mit sich aus, den sie nicht gern als ihren Vaterkomplex definiert.

BKA-Präsident Richard Wolf, der bestbeschützte Mann des Landes, lebt seinen Beruf als Offenbarung aus, während er seine Familie vernachlässigte und heute an dessen Folgen leidet und keinen Frieden mehr findet. Neben seiner Tochter Sophie, die ihm nichts Vergangenes verzeiht, sieht er zwei engste Mitarbeiter als seine Ziehsöhne an, die im Verlauf der Handlung eine gewichtige Rolle einnehmen und ihn damit brutal und emotional treffen.

Den augenscheinlich aussichtslosen Kampf gegen ein mächtiges Kartell begleiten und vervollständigen zahlreiche Figuren, die durch intelligent pointierte Perspektivwechsel und durch ihre Schicksale und Lebensstile diesen Thriller prägen und bereichern. Ihre Charakterzeichnungen sind intensiv und interessant, sodass sie diesem Thriller eine besonders atmosphärische Dichte und emotionale Tiefe verleihen.

Operation Rubikon ist ein gigantischer und komplexer Thriller, dessen zahlreiche Ereignisse und brutale Verbrechen kaum chronologisch von mir wiedergegeben werden können. So komplex dieser Thriller auch ist und wie viel Konzentration er auch von einem Leser abverlangt, er klingt im Detail seiner Dramaturgie noch sehr lange nach.

Fazit und Bewertung:

Operation Rubikon ist ein intelligenter Thriller gigantischen Ausmaßes, der Liebhabern komplexer Handlungen auf den Leib geschrieben ist. Gewohnt sprachgewaltig setzt Andreas Pflüger seinen persönlichen hohen Anspruch an die Literatur meisterhaft um und schenkt Lesern einen Hochgenuss unvergesslicher Spannungsliteratur.

Da mich Andreas Pflügers Sprache wieder einmal zutiefst beeindruckt hat, habe ich im Anschluss an diese Rezensionen ein paar Zitate, als schmackhafte literarische Pralinen aus Operation Rubikon niedergeschrieben.

Veröffentlicht am 18.12.2016

Kann man sich selbst vergessen? Hoch spannendes Psychothriller-Debüt

Das Gesicht meines Mörders
0

Bei einem Einbruch wird Clara Winter von einem Täter niedergeschlagen und fällt schwer verletzt ins Koma. Als Clara aus dem Koma erwacht scheinen ihr Leben und ihre Erinnerung restlos ausgelöscht. An ihrem ...

Bei einem Einbruch wird Clara Winter von einem Täter niedergeschlagen und fällt schwer verletzt ins Koma. Als Clara aus dem Koma erwacht scheinen ihr Leben und ihre Erinnerung restlos ausgelöscht. An ihrem Krankenbett sitz ihr Ehemann Roland, eine für sie völlig fremde Person. Langsam, ganz langsam lässt sie sich auf den liebevollen Schriftsteller ein und will einen Neuanfang mit ihm beginnen.

Doch plötzlich werden alle behutsamen Anfänge zunichte gemacht, als jemand versucht Clara zu töten. Clara begreift dass sie sich erinnern muss und beginnt ihr Leben zu rekonstruieren. Sie findet heraus dass sie sich am Tag des Einbruchs mit einer Frau treffen wollte, die seitdem spurlos verschwunden ist. Clara ist verzweifelt und äußerst labil und trotzdem fängt sie an ihr Leben von hinten aufzurollen, doch damit begibt sie sich in höchste Gefahr.

Die Autorin:

Sophie Kendrick lebte in verschiedenen europäischen Ländern, unter anderem in Großbritannien, wo sie englische Literatur studierte und über die Schwestern Brontë forschte. Sie arbeitete in einer Agentur für Buchprojekte und als Ghostwriterin, bevor sie ihren ersten eigenen Roman schrieb.

Reflektionen:

Das Gesicht meines Mörders ist ein gelungenes Debüt. Thematisch ist das Mysterium des sich nicht erinnern Könnens zwar häufig in Psychothrillern angewandt, doch Sophie Kendrick tut dies literarisch auf eine besondere und erfrischende Weise. Sie erzählt die dramatische Geschichte aus einer einzelnen Perspektive heraus und schafft durch die Ich-Erzählform eine intensive und starke Bindung zu der Figur der Clara Winter.

Clara ist sympathisch und sie erarbeitet sich im Laufe der spannenden Handlung eine Rekonstruktion ihres Lebens. Psychologisch geschickt aufgebaut erlebt der Leser ein Auf und Ab von Emotionen mit, die die Figur durchstehen und durchhalten muss. Clara leidet unter dem Verlust ihrer Erinnerung und sie gerät immer wieder in akute Panik, taucht tief ein in ein Meer aus Selbstzweifel und Angst und kämpft gegen einen immer wiederkehrenden Alptraum an. Trotz ihrer authentisch dargestellten Labilität ist sie dennoch eine sehr angenehm taffe und starke Frau, die sich so schnell nicht beeinflussen lässt und kämpft.

An Claras Seite ist ihr Ehemann, der für sie jedoch eine völlig fremde Person ist. Dieses sich langsam annähern und die Konflikte die eine derartige Situation in einer Beziehung mit sich bringen, hat Sophie Kendrick sehr fein ausgearbeitet, interessant aufbereitet und schriftstellerisch mit einen angenehm flüssigen und sanften Schreibstil angereichert.

Die Entwicklung der Geschichte findet in gemäßigtem Tempo statt, so dass sich die düstere Stimmung und die dramatische Spannung so entfaltet, dass der Leser völlig gefangen genommen sein Lesetempo erhöht.

Trotz dieses einzelnen Handlungsstranges kommt es zu keinen Längen, denn Sophie Kendricks fädelt immer wieder Wendungen ein, die bis zum Show Down zu einem großen Knäuel heranwachsen, bevor sie am Ende logisch mit einer unvorhergesehenen Auflösung verschmelzen.

Und keine Sorge, dies ist kein Psychothriller über eine Hauptfigur mit einer kaputten und kranken Seele à la Girl on the Train, die den Buchmarkt zu genüge überschwemmt hat.

Fazit und Bewertung:

Dieses gelungene Psychothriller-Debüt empfehle ich sehr gern weiter.

Veröffentlicht am 05.12.2016

Der Weg ins Licht – Hoch spannender Kriminalroman

Die Entscheidung
0

Simon wird kurz vor Weihnachten von seinen Kindern versetzt, die ihn im Ferienhaus seines Vaters besuchen wollten. On top erhält er den Laufpass seiner Freundin und bleibt einsam zurück. Als er am Strand ...

Simon wird kurz vor Weihnachten von seinen Kindern versetzt, die ihn im Ferienhaus seines Vaters besuchen wollten. On top erhält er den Laufpass seiner Freundin und bleibt einsam zurück. Als er am Strand einen Streit mitbekommt, mischt sich der sonst so zurückhaltende Simon ein und bietet der verwahrlosten und verängstigten Nathalie Hilfe, Unterkunft und Essen an. Eine Entscheidung, die Simon bald bitter bereut, denn Nathalie scheint in ein mörderisches Spiel verstrickt zu sein, das auch ihn bald in höchste Gefahr bringt.

Spuren führen zu skrupellosen Verbrechern nach Bulgarien, die ein junges Mädchen, das auf der Suche nach einem besseren Leben war, in ihre Fänge genommen haben. Selina gelingt zwar die Flucht, doch sie löst damit eine Reihe von Verkettungen aus, die Simon bis in Südfrankreich zu spüren bekommt.

Die Autorin:

Charlotte Link, geboren in Frankfurt/Main, ist die erfolgreichste deutsche Autorin der Gegenwart. Ihre Kriminalromane sind internationale Bestseller, auch Im Tal des Fuchses und zuletzt Die Betrogene eroberten wieder auf Anhieb die SPIEGEL-Bestsellerliste. Allein in Deutschland wurden bislang über 26 Millionen Bücher von Charlotte Link verkauft; ihre Romane sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Charlotte Link lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt/Main. (Quelle: Blanvalet Verlag)

Reflektionen:

Charlotte Link hat mich schon einige Male mit ihren Büchern begeistert, doch dieses Mal hat sie mir ein hoch spannendes Highlight beschert. Die Geschichte ist komplex, das liebe ich ja, und all die Konzentration die man beim Lesen in diesen Kriminalroman investiert kristallisiert sich zu einem besonderen Leseerlebnis. Wer hier nicht mit Konzentration liest, der wird nicht in die Geschichte finden und sie somit auch nicht mögen.

Charlotte Link erzählt durchaus eine bekannte Geschichte, doch die Komplexität die sie mit den zahlreichen Perspektiven schafft entwickelt ein gigantisches Gerüst aus Verstrickungen, die nur ganz langsam am Ende der Geschichte ineinanderfließen und dann auch noch angenehm auflösend überraschen.

Die vielen Perspektiven bestehen aus Handlungssträngen verschiedener Figuren. Augenscheinlich kann man diese am Anfang nicht miteinander verbinden und so treiben sie mit einem hohen Tempo die Lesegeschwindigkeit an. Als Leser merkt man gleich, dass man hier nicht salopp lesen sollte, denn man spürt bereits ein Netz aus Verwirbelungen von Abgründen, Situationen, Geschehnissen und Figuren, die die 580 Seiten mit Hochspannung bereichern.

Die sehr intensiv und gut ausgearbeiteten Figuren zeichnen mir ein sehr deutliches Bild. Ich kann Figuren einschätzen, lerne ihre Leben kennen und nehme an ihren Emotionen teil, die in diesem Roman eine sehr große Rolle spielen. Überwiegend herrscht hier Angst, Verzweiflung und Panik vor. Aber auch Selbstzweifel, die die Hauptfigur Simon zutiefst leiden lässt und die Nathalie in die Magersucht trieb.

Die Thematik der Handlung ist aktueller denn je. Sie erzählt von Mädchen, die von einem Menschenhändlerring gefangen genommen und ausgebeutet werden. Verzweifelte Eltern die um ihre Existenz kämpfen müssen und die Entscheidungen treffen, die sie niemals mehr zurücknehmen können und die ihr Leben absolut und für immer zerstören. Schauplatz hierfür ist der Ostblock, dessen Kriminalität Charlotte Link immer wieder maßvoll und situationsabhängig in seiner ganzen Grausamkeit top recherchiert darstellt. Die Verbrechen in diesem Zusammenhang sind so menschenunwürdig und brutal und man weiß, dass sie erschreckend autark sind. Die ganze Geschichte strotzt vor trauriger Authentizität.

Fazit und Bewertung:

Wer gern komplexe Kriminalromane liest, die mit zahlreichen Perspektiven aufwarten, dem ist mit diesem Buch ein hoch spannender Lesegenuss garantiert. Absolute Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 03.12.2016

Ein Alltagsdossier aus Sicht eines an Alzheimer Erkrankten

Hirngespinste
0

Bosten, USA:

Maarten Klein ist einundsiebzig Jahre alt und pensioniert. Er lebt mit seiner geliebten Frau Vera, und dem gemeinsamen Hund Robert, in einer Kleinstadt in der Nähe von Bosten. Das Haus ist ...

Bosten, USA:

Maarten Klein ist einundsiebzig Jahre alt und pensioniert. Er lebt mit seiner geliebten Frau Vera, und dem gemeinsamen Hund Robert, in einer Kleinstadt in der Nähe von Bosten. Das Haus ist leer und still geworden, seit die Kinder sind ausgezogen sind.

Plötzlich spürt Maarten Veränderungen an sich selbst, die ihn fürchten lassen. Er ist oft müde, niedergeschlagen, manchmal durcheinander und auch vergesslich. Nun ja, denkt er sich, er hat das Alter erreicht in dem der Körper manch ein Zipperlein zum Vorschein bringen darf.

Aber als die Kälte und die Dunkelheit des vorherrschenden Winters ihn depressiv stimmen und er sich nichts sehnlicher wünscht als dass der Frühling endlich einkehrt, ist er zutiefst bedrückt und verunsichert. Plötzlich hat er Schwierigkeiten seine Gedanken zu ordnen, seine Erinnerungen verblassen, Personen scheinen ineinander zu verschwimmen und wenn er alleine ist, geht einfach alles schief.

Maarten hat nur noch eines im Kopf, bloß nicht mit seinem Durcheinander im Kopf auffallen. So tun als ob. Bloß nichts Vera sagen. Bloß keine Selbstgespräche führen. Immer warten bis die Umstände irgendwie weiterhelfen.

Und so versucht Maarten seinen Alltag zu meistern, bis ein kleiner Spaziergang mit dem Hund zum ungewollten Tagesausflug wird, er die verschlossene Tür zu einer imaginären, dienstlichen Konferenz mit dem Hammer öffnet, auf den Schulbus der längst ausgezogenen Kinder wartet, ein Fenster einschlägt, damit der Hund im winterlichen Garten nicht erfriert und er mitten in der Nacht alle weckt und Klavier spielt.

Maarten spürt dass sich etwas Gravierendes in seinem Körper zusammen braut und er schildert aus seiner Innensicht, wie ihn die Krankheit Alzheimer langsam zermürbt und für alles Lebenswerte unfähig macht.

Der Autor:

Bernlef (eigentlich Hendrik Jan Marsman, 1937–2012) ist vor allem als Lyriker und Verfasser zahlreicher Prosawerke hervorgetreten, der 1984 erschienene Roman Hersenschimmen machte ihn weit über die Niederlande hinaus bekannt. Der deutschen Übersetzung ist ein Nachwort des Autors zum Erfolg des Buches aus dem Jahr 2007 beigegeben. (Quelle: Reclam Verlag)

Reflektionen:

Hirngespinste ist ein sehr eindringlicher Roman, der durch die authentische Figur des Rentners Maarten Klein, die krankheitsbedingten Veränderungen eines an Alzheimer Erkrankten, aus dessen Innensicht tabulos schildert.

Dieses Buch ist ein Geschenk.

Es erlaubt einen tiefen Blick in die völlig irritierte Welt eines an Alzheimer Erkrankten Menschen, der spürt wie sich sein Geist und sein Körper unaufhaltsam verändern. Diese Innensicht, die uns Gesunden bisher weitestgehend verschlossen geblieben ist, wird durch diesen Roman zu einer unheimlichen Ahnung, die wiederum sehr bereichernd ist.

Fast jeder von uns ist schon einmal mit Menschen in Berührung gekommen, die an einer Demenz oder an einer alzheimerischen Krankheit leiden, oder man ist familiär sogar betroffen. Und natürlich wissen wir nicht, wie es tatsächlich in diesen erkrankten Menschen aussieht, was sie fühlen und empfinden und wie sie tatsächlich leiden. Ist die Krankheit erst ausgebrochen, erscheinen die Betroffen oft teilnahmslos, doch bis dahin haben sie schon eine Odyssee aus Ohnmacht, Angst und Verwirrung hinter sich.

Dieses Buch hilft.

Es hilft zu verstehen, was für ein Chaos in dem traurigen Seelenleben eines Erkrankten herrscht. Wie hilflos er sich fühlt, wie verzagt und am Boden zerstört, bis die Krankheit ihn schließlich ganz gefangen nimmt und für immer fesselt.

Ich bin unglaublich dankbar dieses Buch gelesen zu haben, da es mir manch einen einfühlsamen Aha-Moment geschenkt hat. Dieser Roman berührt, aber er erlaubt durchaus auch ein Schmunzeln, denn dem niederländischen Autor liegt es fern, ausschließlich eine melancholische Seite aufzuzeigen.
Berlef erzählt die Geschichte Maarten Kleins in einer Art Alltagsdossier. Dadurch verleiht er dem Roman die Authentizität, die die Erkrankung Alzheimer für jeden Leser zugänglich macht.

Die Figur Maarten Klein ist aus der Ich-Perspektive dargestellt, bis sie mit Fortschreiten der Erkrankung nach und nach in der dritten Person zu denken und zu sprechen beginnt. Und dann ist da Vera, seine geliebte, vertraute Frau, die plötzlich in einem Sog der Entfremdung fast gänzlich verschwindet.

Zitat:

Durch Türen. Wie viele? Und all die Richtungen, es ist zum Schwindeligwerden.
„Auf nach Norden!“ Meine Stimme klingt entschlossen, immerhin, aber viel schwächer. (Abnutzung?)

Veras Hand. (Das ist dich ihre Hand?) Den Blick nicht abwenden jetzt, folgen jetzt, bis ein großes flaches Stück Holz in Sicht kommt, eine glatte, glänzende Fläche, von der man zweifach geknickt, in sitzende Haltung hingepflanzt wird. Halte dich am Holz fest, an der dicken Holzkante. Sonst steigst du auf oder du kenterst.

Es liegt jetzt auch an Wörtern. Leichte Sätze kommen zuerst, schießen wie Korken nach oben, gewollt und ungewollt; die besseren Sätze sind zu lang und zu schwer, sie bleiben irgendwo unter meiner Zunge, dümpeln.

Das Essen. Kann selber essen, hörst du, bin kein kleines Baby mehr. Viel … viel essen. Keine Zeit für Besteck, das verschwindet, unter mir in die Tiefe gescheppert. Muss schnell mit der Hand reingestopft werden. (Ehe sie alles wieder wegnehmen, mich abputzen, mir mit einem rauhen Lappen die Wangen abwischen.)

Licht wird hohl. Ein Mensch ist auch voller Löcher. Ein Mensch müsse geschlossener sein. Aud die Dauer kann man nichts mehr drinbehalten.

Schönes glattes Holz zum Drüberreiben. Bewegung, die Leerlauf verhindert. Lieber nicht so oft zur Seite schauen! Den Blick geradeaus.

Gerufe, dass es wieder schneit. Den Rücken zukehren. Niemals mehr Verwirrung eingestehen.

Soll wieder woanders hin. (Frage:“ Ob man allein gehen kann“) Hätte gekonnt, aber nun doch zu gefährlich.

Schweres Hängen an einem Mohair-Arm. Losgelassen. Falle. Taumele in einen harten Stuhl. Holz an beiden Seiten. Holzlatten rings um meinen Körper. Halte mich an Dingen fest, gegen die wirbelnden Flocken da draußen, die ich nun doch sehen muss. Ein dickes Schneepaket auf Veras blauem Datsun. (Das war soeben wieder einmal ein guter, schwerer, altmodischer Wortsinn.)

Bernlefs ist mit Hirngespinste ein meisterliches Werk gelungen und es ist unglaublich schade, dass es in Deutschland bisher nicht die Publicity erhalten hat, die es längst verdient.

Fazit:

Hirngespinste empfehle ich jedem Leser, der gern eine Ahnung bekommen möchte, was die Erkrankung Alzheimer, oder auch Demenz, in einem erkrankten Menschen mit der Zeit auslöst. Hirngespinste wird berühren, aufrütteln und traurig machen, aber es ist ein Geschenk und eine Bereicherung des Verstehens.

Veröffentlicht am 01.12.2016

Unendlicher Schmerz - 6. Teil der Will Trent - Reihe

Blutige Fesseln
0

Special Agent Will Trent betritt ein Lagerhaus und entdeckt die Leiche des Ex-Cops Dale Harding. Eine große Menge Blut und Spuren deuten auf ein weiteres Opfer, das jedoch vom Tatort verschwunden ist. ...

Special Agent Will Trent betritt ein Lagerhaus und entdeckt die Leiche des Ex-Cops Dale Harding. Eine große Menge Blut und Spuren deuten auf ein weiteres Opfer, das jedoch vom Tatort verschwunden ist. An einer Wand befindet sich eine in Blut geschriebene Botschaft:

„Hilf mir“!

Als die Detectives des Georgia Bureau of Investigation GBI einen Revolver finden, der auf Wills Noch-Ehefrau Angie zugelassen ist, beginnt die Angelegenheit komplex zu werden, denn gegen den betuchten Eigentümer des Lagerhauses ermittelt Will Trent wegen Vergewaltigung schon seit einigen Monaten erfolglos.

Will Trents persönlichster Fall entwickelt sich zu einem Wettlauf um Leben und Tod.

Die Autorin:

Die internationale Nummer-1-Bestsellerautorin Karin Slaughter ist eine der weltweit populärsten und gefeiertsten Schriftstellerinnen. Ihre Bücher wurden in 33 Sprachen übersetzt und haben sich insgesamt über 30 Millionen Mal verkauft. Ihr Gesamtwerk beinhaltet die Grant County und Will Trent-Reihen, außerdem Cop Town- Stadt der Angst, das für den renommierten Edgar-Krimipreis nominiert wurde, sowie den psychologischen Thriller Pretty Girls. Karin Slaughter stammt aus Georgia und lebt zurzeit in Atlanta. (Quelle: HarperCollins Germany)

Reflektionen:

Nach drei Jahren schenkt Karin Slaughter ihren Fans der Will Trent-Reihe einen rasanten Pageturner und erneut überzeugt sie ihre Leser mit einem knallharten Thriller, der dieses Mal intensiver auf der psychologischen Ebene agiert.

Hoch spannend wie eh und je, von der ersten bis zur letzten Zeile, treibt Karin Slaughter den Leser in hohem Tempo durch die Seiten einer Geschichte, die für Special Agent Will Trent zu seinem persönlichsten Fall eskaliert. Das Besondere daran, man lernt die Figur des smarten und introvertierten Will Trent mit seiner unaufgeregten Art immer näher kennen. Sein vergangenes Schicksal, dass weit in seine Kindheit zurück reicht berührt zutiefst, während die Autorin tiefe Einblicke in Wills verschlossene Seele zulässt, die den Blick des Lesers jedoch angenehm klärt. Gut das die Kindheit Will Trents nicht im Vordergrund steht, sondern nur situationsabhängig immer wieder aufblitzt.

Derer Fall entwickelt sich auch zu einer dramatischen Zerreißprobe für Will und Sarahs Lintons Beziehung, die immer noch auf sehr zarten Beinen steht. Sarah ist bei diesem Fall ebenso persönlich involviert und auch beruflich ist sie als Gerichtsmedizinerin ganz nah am Geschehen der grausamen Verbrechen.

Blutige Fesseln kommt mit etwas weniger fließendem Blut aus, denn Karin Slaughter füttert ihren flüssigen Stil und ihre angenehm klare Sprache meisterhaft mit einer brutalen Fantasie aus verachtenswerten Verbrechen, die durch authentische Züge die Spannungskurve mühelos auf ein hohes Niveau zulaufen lässt. Gewalttaten werden reich an Details geschildert, aber es verbleibt stets genug Raum, die Fantasie und die Emotionen des Lesers herauszufordern oder gar zu provozieren.

Diesen äußerst fesselnden Thriller könnte man als „stand alone“ lesen, da Karin Slaughter immer wieder maßvolle Rückblicke gewährt. Doch auch in diesem Will Trent - Thriller tanzen die allseits bekannten Figuren ein Netz aus Verstrickungen, die sich diverse Male bis in die Vergangenheiten der Protagonistenleben verästeln. Ich empfehle daher diese Reihe von Anfang an zu lesen und garantiere absoluten Hochspannungsgenuss.

Die selten schimmernden, niemals fehlerfreien Figuren verleihen dem Thriller ein hohes Maß an Authentizität und überzeugen restlos. Sie führen den Leser in eine Welt verabscheuenswerter Kriminalität, die es auszuhalten gilt. Die Handlung wird aus Sicht der sehr fein gezeichneten Charaktere in mehreren, ungewohnt langen Kapiteln und Perspektiven erzählt, die dem Leser so jedoch eine angenehme Tiefe der dichten Story offenbart.

Der Showdown ist grandios verpackt und löst die geschickten Wendungen der Geschichte restlos auf. Man klappt das Buch zufrieden zu und hofft, dass es nicht so lange dauert, bis Special Agent Will Trennt erneut in einem scheinbar unlösbaren Fall ermittelt.

Fazit und Bewertung:

Blutige Fesseln ist erneut ein spannungsgeladener Thriller, der den Leser an die Seiten fesselt. Er überzeugt durch seine feingezeichneten, authentischen Figuren, die niemals schillernd und fehlerfrei agieren. Absolute Leseempfehlung.