Die Pietschs sind eine intakte Familie. Annette und Rainer führen eine zufriedene Ehe und vervollkommnet wird ihr Glück durch ihre drei wohlerzogenen Kinder, die ein freundliches und fröhliches Wesen haben. Die Eltern staunen nicht schlecht, als ihre Zöglinge nach Beginn des neuen Schuljahres plötzlich so fleißig sind. Nachdem sie von der Schule nach Hause gekommen sind, gehen sie sofort auf ihre Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Und auch im Haushalt helfen sie plötzlich, ohne dass sie von ihren Eltern darum gebeten werden müssen. Mit diesen Entwicklungen sind Annette und Rainer sehr zufrieden, vor allem mit den guten Noten, die die Kinder plötzlich schreiben, auch wenn sie nicht wissen, woher es kommt. Doch schon bald legen die Kinder ein Verhalten an den Tag, mit dem die Eltern nicht einverstanden sind und das sie vor allem nicht verstehen. Die Stimmung ist plötzlich sehr gereizt, das Auftreten der Kinder schwankt zwischen Aggressivität und Zurückgezogenheit. Die neuen Lehrer, die mit Beginn des Schuljahres den Unterricht übernommen haben, haben die Pietschs dabei leider nicht im Verdacht.
Rosemarie und Franz Moeller wirken auf den ersten Blick komisch mit ihren langen dunklen Mänteln und der Art, wie sie die Köpfe zusammenstecken und tuscheln. Gruselig, irgendwie. Und das zeigt sich auch in ihren Lehrmethoden. Bereits am ersten Schultag müssen die Kinder Fragebögen ausfüllen, in denen sie detailliert über ihre Vorlieben und Schwächen ausgefragt werden, über Freundschaften und ihr Familienleben. Es sind merkwürdige Fragen, die da gestellt werden, aber die Kinder denken sich nichts dabei. Und die Eltern auch nicht. Leider. Denn diese Fragebögen nimmt das Lehrerehepaar zur Grundlage, um ein feines Netz aus Intrigen, Machtkämpfen und Verschwörungen zu spinnen. Es ist beängstigend, mitanzusehen, wozu die Lehrer fähig sind und wozu sie ihre Schüler antreiben. Sie wissen genau, welcher Schüler Streicheleinheiten braucht und welcher Schüler Strenge und Härte. Sie spielen die Schüler gegeneinander aus, setzen Gerüchte in die Welt, stacheln die Lehrer an. Es beginnt mit Beleidigungen, Mobbing, Ausgrenzung. Und endet in Gewalt und einem großen Desaster.
Das Buch beinhaltet eine Vielzahl an Charakteren und dementsprechend eine Vielzahl an Einzelschicksalen. Nicht nur die Schüler, die unter dem Einfluss des Lehrerehepaars stehen, werden beleuchtet, sondern auch die Eltern der Kinder. Diese stehen den Entwicklungen zunächst hilflos und vor allem machtlos gegenüber, lernen aber schnell, dass sie handeln und eingreifen müssen. Doch diese Entwicklungen bleiben den Moellers nicht unbemerkt und ihr Verhalten beschränkt sich nun nicht mehr allein auf die Schule und die Schüler, sondern auch die Eltern werden von ihnen ins Visier genommen. Es ist wahrer Psychoterrer, den sie ausüben, und dem kann nicht jeder standhalten, manche gehen darunter zu Bruch.
Die Handlung springt zwischen den vielen Handlungssträngen hin und her und so wird ein umfassendes Bild geschaffen von den Einflüssen, die die neuen Lehrer haben und den Entwicklungen, die daraus folgen. Dadurch fällt es relativ schwer, eine Verbindung zu den Charakteren aufzubauen. Die vielen Sprünge zwischen den Handlungssträngen sorgen für eine sehr episodenhafte Handlung und die Figuren bleiben zu distanziert. Gelungen ist dem Autor aber, das Verhalten der Charaktere nachvollziehbar zu gestalten. Die Handlung ist sehr lebendig und der Spannungsbogen wird konstant aufrechterhalten.
Der Stil des Autors ist sehr einfach und angenehm, sodass sich das Buch leicht und flüssig lesen lässt. Was etwas stört, ist, dass die Charaktere immer mit ihrem Vor- und Nachnamen benannt werden. Das ist zu Beginn des Buches ganz hilfreich, aber im Verlauf der Handlung lernt man die Figuren doch so gut kennen, dass man sie auch allein anhand ihres Vornamens zuordnen könnte. Es wirkt etwas steif und gestellt, wenn vor allem die Hauptcharaktere Annette und Rainer Pietsch stets bei ihrem vollen Namen benannt werden. Jürgen Seibold schafft es durchaus, mit seinem Stil zu fesseln, aber besonders ausgefeilt ist dieser nicht. Das braucht es für einen Thriller aber auch nicht.
Mein Fazit:
Ein erschreckender Thriller, der toll konstruiert ist, dessen Charaktere aber etwas blass bleiben.