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Veröffentlicht am 02.12.2016

Warmherziger Weihnachtskrimi

Schöne Bescherung für Helene
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Als ob Helene in der Weihnachtszeit nicht schon genug um die Ohren hätte, da bittet sie ihre Freundin Theresa sie zur Beisetzung der Großmutter zu begleiten. Anschließend beschließen die Zwei ganz spontan ...

Als ob Helene in der Weihnachtszeit nicht schon genug um die Ohren hätte, da bittet sie ihre Freundin Theresa sie zur Beisetzung der Großmutter zu begleiten. Anschließend beschließen die Zwei ganz spontan mit dem alten Mercedes Cabrio der Verstorbenen einen kleinen Ausflug zu unternehmen und touchieren beim Einparken die Garagenwand. Das bleibt nicht ohne Folgen, es tut sich nicht nur ein Loch in der Wand auf, auch eine ziemlich tote Hand wird sichtbar.
Helene, die ja nicht zum ersten Mal ihr detektivisches Talent unter Beweis stellt, nimmt sich des Falls an. Vor allem in Theresas Familie scheint nicht alles so tadellos bürgerlich zu sein, wie der äußere Schein vorgaukelt.
Helene ist eine sympathische und patente Endvierzigerin, die sich grade beruflich und privat neu erfinden möchte. Die Kinder sind erwachsen, Wien scheint nicht mehr der Lebensmittelpunkt zu sein, vor allem da Ehemann Thomas sein Ingenieurswissen meist in der weiten Welt anwendet und sie monatelang allein ist. Graz, ihre alte Heimatstadt, ist grade in der Adventszeit ein ganz besonderer Ort.


Das macht auch den Krimi aus, die liebenswerten Figuren und der Schauplatz. Graz wirkt geradezu weihnachtlich leuchtend und wenn dann die dicken weißen Flocken fallen, wähnt man sich im Weihnachtsland. Wenn man mit Helene über den Grazer Adventmarkt schlendert, hat man den Duft von Glühwein und Weihnachtsplätzchen gleich in der Nase. Bei all den Ablenkungen lässt sich Helene aber nicht von ihren Ermittlungen ablenken und schnüffelt hartnäckig in alten Familiengeheimnissen.
Das ist ein richtiger Wohlfühlkrimi mit adventlichem Flair und viel Charme. Wer dann noch an dem einen oder anderen österreichischen Wort rätselt, findet im Anhang ein Glossar. Aber grade diese österreichischen Ausdrücke machen auch den Reiz des Buches aus.

Veröffentlicht am 29.11.2016

Bringt den Sommer zurück

Mein Sommer mit Mémé
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Das Chateau im Burgund ist der Fixpunkt im Leben von Paulas Großmutter, von allen nur Mémé genannt. Dort hat sie eine glückliche Kindheit verbracht, aber nach ihrer Heirat mit einem Deutschen hat ihr Vater ...

Das Chateau im Burgund ist der Fixpunkt im Leben von Paulas Großmutter, von allen nur Mémé genannt. Dort hat sie eine glückliche Kindheit verbracht, aber nach ihrer Heirat mit einem Deutschen hat ihr Vater ihr nie verziehen. So vererbt er nach seinem Tod das Haus zur Hälfte ihr und einem ungeliebten Cousin. Mémé hat es nie wieder betreten und auch nie den Kontakt zu ihrem Verwandten gesucht. Nun ist auch der Cousin verstorben und Mémé beordert ihre Familie nach Frankreich um der alten Villa wieder Leben einzuhauchen und es zu renovieren.
Auch wenn es der Familie nicht gefällt, keiner kann sich der Energie der Großmutter entziehen und so versammeln sich Paula, ihre Mutter und ihr Bruder samt Familie dort, um anzupacken. Jeder hat seine eigenen Gründe, sich unterzuordnen.
Paula wollte eine romantische Woche in Paris verbringen um endlich gemeinsame Zeit mit ihrem Verlobten Jakob zu haben, der für Ärzte ohne Grenzen arbeitet und den sie Monate nicht gesehen hat. Ihr Bruder braucht dringend eine Finanzspritze für sein angeschlagenes Unternehmen und hofft auf die Großzügigkeit der Großmutter, wenn er ihre Wünsche erfüllt.
Es warten jedoch nicht nur viel Arbeit, sondern auch Erbstreitigkeiten auf sie alle. Cousin Valentin hat einen unehelichen Sohn, der Anspruch auf sein Erbe erhebt und die Pläne durcheinanderwirbelt.
Der Sommer bringt viele Überraschungen für die Familie und auch viele Geheimnisse ans Licht.
Die Enkelin Paula erzählt die Geschichte des Hause und der Familie aus ihrer Perspektive. Sie beginnt sich für die Vergangenheit zu interessieren und begreift, dass jeder in dieser Familie davon geprägt wurde. Sie muss ihr eigenes Leben überdenken und merkt, dass die Bindung an ihre Großmutter und an den französischen Teil ihrer Wurzeln viel stärker ist, als sie dachte. Nach diesem Sommer hat das Leben für jedes Mitglied der Familie eine neue Wendung genommen.
Das Buch ist eine leichte, sehr charmant erzählte Familiengeschichte. Die Autorin bringt mit jedem Abschnitt ihre Liebe zu Frankreich und ganz besonders zu Burgund, zum Ausdruck. Damit hat sie mich mitgenommen und gefesselt. Überhaupt sind die Landschaft, die kleinen Orte, die Weingüter und das französische Savoir Vivre die Stärken des Romans. Wie gern säße man mit einem Glas Wein mit am Tisch der Familie. Die turbulenten Verwicklungen und verborgenen Familiengeheimnisse bringen noch eine Portion Spannung ins Buch, auch wenn man natürlich weiß, dass ein so verzauberter Sommer nur glücklich enden kann.

Veröffentlicht am 22.11.2016

Tödliche Intrige

Nussschale
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Der englische Schriftsteller Ian McEwan überrascht mich mit jedem neuen Buch. In „Nussschale“ ist die Erzählperspektive die er wählt.
Trudy Cairncross ist im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft, aber ...

Der englische Schriftsteller Ian McEwan überrascht mich mit jedem neuen Buch. In „Nussschale“ ist die Erzählperspektive die er wählt.
Trudy Cairncross ist im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft, aber schon längst ist ihr die Ehe mit John lästig. Sie hat seinen Bruder Claude zu ihrem Liebhaber gewählt und beide trachten nun das Haus Johns in ihrem Besitz zu bekommen. John selbst ist auf Bitten Trudys ausgezogen, hofft aber immer noch auf einen Neubeginn, während seine Frau und sein Bruder ein mörderisches Komplott schmieden.
Der Zeuge, der diese Pläne verfolgt, kann weder sehen, noch sprechen. Alle seine Empfindungen, seine Gedanken werden gefiltert durch den Mutterleib und die Nabelschnur ist die Verbindung zur Welt. Dabei ist dieses Ungeborene von einer über den Dingen stehenden Weisheit und Weitsicht. Aus Radiosendungen und Gesprächen zieht er sein Wissen über die Welt und teilt seine Anschauungen und philosophischen Betrachtungen dem Leser mit. Genau wie er die Speisen und vor allem die Weine und andere Alkoholika – er scheint keine Kostverächter zu sein – kommentiert, so kommentiert er auch den Fortgang der tödlichen Intrige seiner Mutter und ihrer Liebhabers. Dabei scheint seine Lage aussichtslos, er ist zum stummen Abwarten verdammt, ohne selbst eingreifen zu können.
Die klassische Dreieckskonstellation mit tödlichem Ausgang ist schon seit der Antike und später bei Shakespeare bekannt. Ich könnte mir kaum jemanden vorstellen, der diese Geschichte so erstaunlich witzig und bitterböse präsentieren kann, wie McEwan. Die von ihm gewählte Perspektive des unschuldigen, aber immer parteiischen Beobachters, hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Veröffentlicht am 18.11.2016

Gangsta Rap

I.Q.
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I.Q. steht für Isaiah Quintabe und er ist ein Detektiv wie weiland Sherlock Holmes. Allein durch seine Fähigkeit zu Deduktion löst er seine Fälle. Er setzt seine Fähigkeiten ein, um Nachbarn, benachteiligten ...

I.Q. steht für Isaiah Quintabe und er ist ein Detektiv wie weiland Sherlock Holmes. Allein durch seine Fähigkeit zu Deduktion löst er seine Fälle. Er setzt seine Fähigkeiten ein, um Nachbarn, benachteiligten Bürgern, Minderheiten usw zu ihrem Recht zu verhelfen. Sein Charakter ist davon geprägt, dass er vor Jahren mitansehen musste, wie sein Bruder überfahren wurde. Aus dieser Zeit stammt auch die Bekanntschaft/Freundschaft mit Dodson, einem Dealer und Kleinkriminellen, der für I.Q. die Fälle ranschafft und auch die „Buchhaltung“ regelt. Auch I.Q. selbst hat schon einige Male Konflikte mit dem Gesetz gehabt, fast unausweichlich, wenn man in den Schwarzenviertel Los Angeles groß wird.
Dann soll I.Q. für den Super Rapper Murda One arbeiten. Der Musikstar hat Angst um sein Leben, nachdem es schon einige Mordanschläge auf ihn gab.
Der Hintergrund des Romans, die schwarze Rapperszene in Los Angeles ist für mich Neuland, das Musikbusiness und die Sprache der „Ganstas“ und „Narcos“ ebenso. Da brauchte ich einige Zeit bis ich mich eingelesen und darauf eingelassen habe. Anfangs hatte ich damit einige Schwierigkeiten, weil das so gar nicht meine Welt und meine Sprache ist, aber es passt zum Buch und wirkt absolut stimmig. Da sich der Autor genau dieses Slangs bedient, wird der Roman abgehackt und rasant erzählt. Es gibt einen Erzähler, der immer auch wieder frühere Fälle und Geschichten mit einbezieht. So ist nicht nur die Sprache schnell, auch die Perspektiv- und Zeitwechsel erfordern die volle Aufmerksamkeit. So gibt es immer wieder Rückblicke in die Vergangenheit Isaiahs. Auch die Perspektive des Täters findet sich eingeflochten in die Handlung. Ich fand den Schreibstil authentisch, auch wenn ich in der Szene überhaupt nicht zuhause bin, wie wahrscheinlich der Großteil der Leser, hat mir das gut gefallen. Auch Los Angeles als Ort der Handlung, und zwar eher die Nachtseiten von Los Angeles sind sehr gut dargestellt.
Ein Thriller, der gut zur neuen, jungen Linie des Suhrkamp Verlags passt, wie ich finde. Das als Herausgeber Thomas Wörtche genannt wird, ist auch ein Hinweis auf den literarischen Anspruch des Buches. Auch die Ausstattung ist gelungen, die vorherrschenden Grau/Schwarztöne mit den zwei gelben Initialen I.Q. die auch durch die Haptik hervorgehoben sind, sind ein echter Blickfang.

Veröffentlicht am 05.11.2016

Die wundersame Welt der Lucy Schröder

Lucy Schröders gesammelte Wahrheiten
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Mir fällt es nicht leicht, die Geschichte in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Lucy hat nicht viel Liebe erfahren in ihrem jungen Leben, sie hat sich eingeigelt und mit Menschen kann sie gar nicht umgehen. ...

Mir fällt es nicht leicht, die Geschichte in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Lucy hat nicht viel Liebe erfahren in ihrem jungen Leben, sie hat sich eingeigelt und mit Menschen kann sie gar nicht umgehen. Da stellt sie schnell ihre Stacheln auf. Ihre Gabe, manches Ereignis im Leben ihrer Gegenüber vorherzusehen und das dann auch ungefiltert mitzuteilen, beschert ihr auch kaum Freundlichkeit. Aber die will sie gar nicht, gegen Gefühle hilft kein Aspirin, also meidet sie sie. Wenn da nicht ihr Therapeut eine Schockaufgabe stellen würde, sie soll raus in die reale Welt und Kontakte knüpfen, nicht nur in der Geborgenheit ihrer vier Wände, Schneekugeln kreieren. Dass sie ausgerechnet Schneekugeln herstellt, passt wie eine Metapher zu ihrem Leben. Gefangen unter einer gläsernen Hülle, nur wenn von außen geschüttelt wird, gibt es etwas Bewegung. Nun soll sie selbst dafür sorgen, dass ihre Kugel geschüttelt wird. Ausgerechnet im Kaufhaus Schönstedt will sie das in Angriff nehmen.
Die Menschen, denen Lucy auf ihrem Weg begegnet, sind auf ihre Weise ebenso besonders, ein Kaufhausdetektiv in Zirkusuniform, eine Wäscheverkäuferin mit Hang zur Farbe Lila, ein Bettler mit Sauberkeitswahn und natürlich Enno, der schon seit drei Monaten nicht mehr auf ihre Mails antwortet, nach dem sie ihn vor den Kopf gestoßen hat, nur weil er sie persönlich kennenlernen wollte. Je mehr sie sich um Menschen kümmert, desto mehr Menschen kümmern sich um sie und da ist es nur ein kleiner Schritt zu richtigen Gefühlen.
Das Buch entspricht nicht unbedingt meinen üblichen Lesegewohnheiten und doch war ich nach einigen Seiten völlig gefangen. Mir gefällt der Stil, die Sprache, die gleichzeitig mal zart und mal rotzfrech daherkommt. Es gibt jede Menge seltsamer Figuren, magischer Ereignisse, die ich gar nicht hinterfragen wollte, ich habe mich einfach in die Geschichte fallen lassen. Es war wie Zuckerwatte, süß und fluffig. Wenn es dann gar zu rosarot wird, gibt die Autorin mit garstigen Fußnoten Kontra. Ein wirklich zauberhaftes Buch, ein charmanter Seelenwärmer, wie ich es eher von französischen Autoren erwartet hätte.
Auch die Ausstattung mit Lesebändchen für das feine, gut in der Hand liegende Hardcover ist gelungen.