Martin Haidinger Historiker und Journalist widmet sich in diesem Buch einer ebenso schillernden wie umstrittenen Person: Dr. Wilhelm Höttl (1915-1999). In zehn Kapiteln versucht der Autor diesem Mann näher zu kommen.
Wer ist er nun, dieser Wilhelm Höttl? Er scheint ein Chamäleon zu sein, jemand, der immer den richtigen Riecher hat, wer ihm gerade nützlich sein könnte, der sich anpasst.
Schon in den frühen 1930er ist er Mitglied der in Österreich (noch) verbotenen NSDAP. Kurz nach dem Einmarsch Hitlers wird er zuerst Vertrauter Reinhard Heydrichs und nach dessen Ermordung Vertrauter von Adolf Eichmann. Obwohl er lügt wie gedruckt, steigt er die Karriereleiter im SD (Sicherheitsdienst der SS) stets hinauf. Er scheint ein gutes Gespür für Menschen zu haben, die manipulierbar waren. Mehrfach fällt er unangenehm auf, aber keiner der Nazi-Bonzen zieht die Konsequenzen. Höttl wird eher wie eine heiße Kartoffel weitergereicht. Niemand setzt ihm Grenzen, was er weidlich ausnützt. Er intrigiert und spielt hochrangige Nazis gegeneinander aus. Auch seine Rolle in Ungarn und später am Balkan ist mehr als undurchsichtig. Als das Ende des Zweiten Weltkriegs naht, versucht er seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. So soll er unter anderem das Vermögen in Ungarn ermordeter Juden im sogenannten „Goldzug“ an sich gebracht haben.
Höttl wird zwar von den Amerikanern verhaftet, kann aber aus einem Mix aus Chuzpe und Manipulation statt als Beschuldigter als Zeuge im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess auftreten. Er deutet einige Geheimnisse an und statt zu hängen, tritt er in den Dienst des amerikanischen Geheimdienstes CIC. Später wird man sich von ihm trennen, denn seine Berichte sind zum größten Teil erlogen.
Ja, sein Umgang mit der Wahrheit ist schon seit je her ein ganz eigenes. Höttl biegt sie sich so zurecht, wie es ihm gerade in den Kram passt. Aussagen von anderen gibt er skrupellos als eine eigene Wahrnehmung aus.
Eine durchaus spannende Geschichte ist, dass er in den 1950er Jahren eine Privatschule gründet und dort (heute) Prominente wie die Rennfahrer Jochen Rindt, Niki Lauda, Helmut Marko, den Schauspieler Klaus Maria Brandauer oder André Heller zu seinen Schülern zählte. Heller, dessen Familie jüdischer Herkunft war, hatte unter ihm zu leiden.
Sein Netzwerk aus SD-Zeiten beschützte ihn bis zu seinem Tod.
Meine Meinung:
Martin Haidinger geht akribisch seit Jahren den Spuren des Wilhelm Höttl nach, vergräbt sich in Akten und Dokumente, die erst seit kurzem zugänglich sind. Dennoch scheint die Person Wilhelm Höttl in ihrem Facettenreichtum nicht fassbar zu sein. Höttl wirkt auch mich wie eine Amöbe - schwammig, glatt, nicht fassbar, weil er ständig seine Gestalt verändert.
Kann es wirklich sein, dass er die amerikanischen Geheimdienste derart an der Nase herumgeführt hat? Oder waren die Amerikaner sosehr mit ihrer eigenen Paranoia den Russen gegenüber so beschäftigt, dass man (wieder einmal) die Laus im eigenen Pelz übersehen hat? Dem widersprechen einige Aussagen von CIA-Mitarbeitern, die Höttl als „geborenen Intriganten und bis in die Wolle gefärbten österreichischen Nazi mit einer Tünche von Wienerischen Graziosität“ (S. 145) bezeichnen.
„Es fällt nicht leicht, durch den Wust an Aussagen und Behauptungen die wahre Figur Willis [Höttls] herauszukristallisieren, aber eine schemenhafte Gestalt erkennen wir dennoch: So groß, dass er den Nazi-Putsch in UNgarn um ein halbes Jahr hätte verzögern können, war er definitiv nicht, aber als bloßes Rädchen im Getriebe der Maschinerie von SS und SD konnte man ihn auch nicht gerade bezeichnen.“ (S.118)
Als der Autor rund um das Jahr 2001 ein paar alte Zeitgenossen Höttls auf ihn ansprach, war die Antwort immer gleich: „Nein, den kenne ich nicht.“ Obwohl Dokumente etwas ganz anders beweisen.
Der Schreibstil des Autors ist ausgezeichnet. Manchmal muss er zu sarkastischen Anmerkungen greifen, um die Präpotenz von Höttl und die Ignoranz der Behörden (Österreichs und/oder der USA) überhaupt auszuhalten. Allerdings darf man die Entscheidungen von damals nicht mit dem Wissen von heute betrachten. Dass es auch bei den Amerikanern Leute gegeben hat, die die Untersuchungen und die Entnazifizierung nicht mit dem nötigen Ernst vorgenommen haben ist ja erweisen.
Das Cover passt ausgezeichnet zum Inhalt: Es dem braunen Aktendeckel eines Dossiers nachempfunden.
Würde dieses Buch als „Spionage-Roman“ deklariert werden, so würde es als unglaubwürdig, übertrieben und unrealistisch beschrieben werden. Doch wir wissen, schreibt das echte Leben die skurrilsten Geschichten.
Fazit:
Wer sich mit umstrittenen Personen der Nazi-Zeit und danach beschäftigen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.