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Veröffentlicht am 18.11.2019

Harter Tobak

Das Ritual des Wassers
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Inspector Ayala, genannt "Kraken", hat gerade erst seinen letzten Fall hinter sich gelassen und erholt sich von den Folgen einer schwerwiegenden Schussverletzung. Noch hat er sein Sprachvermögen nicht ...

Inspector Ayala, genannt "Kraken", hat gerade erst seinen letzten Fall hinter sich gelassen und erholt sich von den Folgen einer schwerwiegenden Schussverletzung. Noch hat er sein Sprachvermögen nicht wiedererlangt und auch sein Privatleben ist alles andere als unkompliziert. Als er jedoch während seiner Genesung die Nachricht erhält, dass seine erste Liebe auf grausame Weise getötet wurde, kehrt er verfrüht in den Polizeidienst zurück.

Wie schon der erste Band, so hat auch Band zwei einen historischen Hintergrund - in diesem Fall die Kelten und ihre kultischen Wasserrituale. Erzählt wird erneut auf zwei Zeitebenen: der Gegenwart, in der sich der Mord an der Comiczeichnerin Annabel Lee ereignet und dem Jahr 1992, in dem Kraken und seine Clique an einem archäologischen Sommercamp teilnehmen. Nach und nach werden beide Handlungsstränge zusammengeführt, bis sich ein schreckliches Gesamtbild ergibt.

Die Geschichte setzt direkt nach Band eins an und ist ein echter Pageturner, der einem nicht nur aufgrund der Spannung schlaflose Nächte bereitet. Wo "Die Stille des Todes" bereits düster und erschreckend war, steigert sich "Das Ritual des Wassers" sogar noch. Die Thematik ist grausam, verstörend und wirklich harter Tobak - auch wenn viele Szenen vorher ausgeblendet oder nur vermittelt berichtet werden.

Neben Chefin Alba und Kollegin Esti tauchen in diesem Band zwei neue Figuren auf: IT-Spezialistin Milán Martínez und Sportass Manu Peña. Die beiden bringen frischen Wind, andere Methoden und eine neue Dynamik ins Team und fügen sich gut in Geschichte ein. Aber auch absolute Lieblingscharaktere wie Ayalas Großvater und Bruder sind wieder mit von der Partie - die Figuren sind definitiv ein Plus dieser Reihe.

Obwohl ich das Buch quasi verschlungen habe, gibt es doch eine Sache, die mich gestört hat: das ständige Hin und Her um Krakens Privatleben und seine erneute Verwicklung in den Fall. Ich hoffe inständig, dass die Autorin dem armen Inspector in den nächsten Bänden zumindest privat etwas Ruhe gönnt - die ständigen Bedrohungen seiner Liebsten durch seine Arbeit werden sonst irgendwann auch unglaubwürdig und vorhersehbar.

Fazit: ein psychologisch harter, aber grandioser Thriller mit zu viel privaten Verwicklungen

Veröffentlicht am 01.11.2019

Verwobene Schicksale

Der Sprung
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Eigentlich liebt Manu das Leben. Sie versteht sich als "Störgärtnerin" und rettet Pflanzen aus Umgebungen, in denen diese - ihrer Meinung nach - nicht atmen und sich nicht mit anderen Pflanzen vernetzen ...

Eigentlich liebt Manu das Leben. Sie versteht sich als "Störgärtnerin" und rettet Pflanzen aus Umgebungen, in denen diese - ihrer Meinung nach - nicht atmen und sich nicht mit anderen Pflanzen vernetzen können. Auch auf Finn, ihren Freund, macht sie einen starken, wenn auch manchmal etwas seltsamen Eindruck. Und dennoch steht Manu eines Tages auf dem Dach eines Wohnhauses, ganz nah an der Kante, schreit und tobt und am Ende, da schreitet sie einfach über den Dachrand hinaus ins Leere. Durch dieses Ereignis gerät das Leben der unterschiedlichsten Menschen in dem kleinen Städtchen Thalbach aus den Fugen.

Da sind zum Beispiel Theres und Werner, deren kleiner Kiosk schon seit geraumer Zeit kaum noch Kundschaft hat. Während Theres umso härter arbeitet, bleibt Werner völlig depressiv zurück, so dass er manchen Tagen gar nicht mehr aus dem Bett aufsteht. Als sich jedoch die Menschenmenge versammelt, um nicht zu verpassen, was mit der "Verrückten auf dem Dach" geschieht, erfährt der Laden einen ungeahnten Aufschwung. Denn Hunger und Sensationsgier, das verträgt sich nicht. Doch wo Theres und Werner von dem Spektakel profitieren, haben andere darunter zu leiden: die launische Edna beispielsweise wird durch Manu auf dem Dach an ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit erinnert, das sie völlig aus der Bahn geworfen hat. Erschüttert verbarrikadiert sie sich in ihrer Wohnung und wartet darauf, dass wieder Normalität einkehrt.

Neben diesen drei Personen gibt es noch zahlreiche mehr, die im Buch zu Wort kommen. Polizist Felix spricht mit Manu auf dem Dach, Schülerin Winnie sitzt unten in der Menge. Der Obdachlose Henry lebt in der Nähe des Gebäudes in einem Park, Maren jedoch im Haus selbst. Arbeiter Egon beobachtet das Geschehen vom Café gegenüber und der geheimnisvolle Ernesto verfolgt das Ganze im Fernsehen. Aber auch Vertraute von Manu kommen zu Wort, ihr Freund Finn und ihre Halbschwester Astrid liefern jeweils Puzzleteile, um das Rätsel um Manu zu lösen. Finn liefert die Gegenwart, erzählt, was er an Manu liebt und glaubt, sie zu kennen, obwohl er nicht einmal ihren Nachnamen weiß. Astrid hingegen präsentiert uns Manus Kindheit; eines Mädchens, das ihre Schwester immer beschützt hat; eine, die nie vor etwas Angst hatte.

Mit "Der Sprung" ist Simone Lappert ein grandioser Roman gelungen. In kraftvollen Worten beschreibt sie, wie sich das Leben in der Kleinstadt durch Manu und den Sprung vom Dach verändert. Es wird durcheinandergewirbelt und neu zusammengesetzt, ob die Betroffenen es wollen oder nicht. Dabei entstehen sowohl positive als auch negative Konsequenzen, doch das Wichtigste ist: es verändert sich etwas; in den Köpfen der Menschen, aber auch in ihren Herzen. "Der Sprung" befasst sich nicht nur mit Manu und dem Grund, warum sie sich auf diesem Dach befindet. Nein, der Roman geht viel weiter darüber hinaus. Er spricht von Liebe und Hoffnung, von Verzweiflung und Schuld, von Einsamkeit und Gemeinschaft. Ein wunderbarer Roman, dessen Figuren noch lange nach dem Ende in einem nachklingen.

Veröffentlicht am 21.03.2024

Moderner, feministischer Vampirroman

Die Hungrige
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Lydia ist zum ersten Mal in ihrem Leben allein, seit sie ihre Mutter in ein Pflegeheim bringen musste. Die Ärzte vermuten eine Alzheimer-Erkrankung, doch Lydia weiß, dass das nicht stimmt, denn ihre Mutter ...

Lydia ist zum ersten Mal in ihrem Leben allein, seit sie ihre Mutter in ein Pflegeheim bringen musste. Die Ärzte vermuten eine Alzheimer-Erkrankung, doch Lydia weiß, dass das nicht stimmt, denn ihre Mutter ist – wie sie selbst – eine Vampirin. Nun soll ihr neues Leben mit einem Praktikum in einer Galerie beginnen. Beim Einzug in ihr Atelier lernt Lydia Ben kennen, der ihr sofort gefällt. Der Fakt, dass er bereits eine Freundin hat, soll bald ihr geringstes Problem sein, denn es gibt jede Menge Schwierigkeiten zu bewältigen.

„Die Hungrige“ ist der erste Roman der Musikerin und Autorin Claire Kohda. Protagonistin Lydia erzählt aus der Ich-Perspektive und in der Gegenwartsform und das finde ich besonders gelungen, ist sie doch so völlig anders, als wir Vampire bisher in der Literatur erlebt haben. Im Prinzip ist Lydia wie jede andere junge Frau auch, nur dass sie nicht leben kann, wie Menschen es tun. Besonders fasziniert ist sie vom Thema Essen und recherchiert immer wieder in den sozialen Medien, was andere zu sich nehmen. Sie selbst kann nur von Blut überleben.

Lydias Charakter ist stark von der Erziehung ihrer Mutter geprägt, die ihr stets eintrichterte, Vampire müssten für die eigene Existenz Buße tun. Als Kind eines japanischen Vaters, den sie nie kennengelernt hat, und einer malaysisch-britischen Mutter wird sie außerdem in der Schule gehänselt. Ihre beste und einzige Freundin muss sie irgendwann zurücklassen, damit diese nicht bemerkt, dass Lydia nicht im selben Tempo altert. So wächst sie auf, ohne je mit anderen essen zu können, ohne andauernde Freundschaften, ohne eine Beziehung und trotz ihrer körperlichen Stärke möchte sie es allen immer nur recht machen.

Als Lydia sich Ben annähert, ergibt sich zum ersten Mal die Chance auf ein wenig Normalität. Doch es gibt immer noch Kämpfe auszufechten: die Suche nach Nahrung, die unangenehmen Annäherungsversuche des Galeriechefs, die Schwierigkeiten ihrer Mutter, sich im Pflegeheim einzuleben und dann ist da noch Bens wirklich nette Freundin Anju. Wie soll Lydia in all dem Chaos existieren? Ein moderner, feministischer Vampirroman.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Wichtige Neuerzählung

James
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Der Sklave James, genannt Jim, soll verkauft werden, was die Trennung von Frau Sadie und Tochter Lizzie bedeuten würde. So beschließt er, zu fliehen und sich zunächst auf einer kleinen Insel im Mississippi ...

Der Sklave James, genannt Jim, soll verkauft werden, was die Trennung von Frau Sadie und Tochter Lizzie bedeuten würde. So beschließt er, zu fliehen und sich zunächst auf einer kleinen Insel im Mississippi zu verstecken. Dort trifft er auf den jungen Huckleberry Finn, der seinen eigenen Tod vorgetäuscht hat, um seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Jim ist sofort klar: man wird ihn verdächtigen, den Jungen ermordet zu haben und so beginnt eine abenteuerliche Reise, die die beiden in mehrere Staaten führen wird.

In „James“ erzählt Percival Everett die Geschichte des Sklaven aus Mark Twains „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ neu und lässt ihn dabei selbst in der Ich-Form zu Wort kommen. Jim und die anderen Sklaven sprechen dabei einen Südstaaten-Slang, den sie nur im Beisein von Weißen verwenden. Dieser soll ihre eigene Intelligenz verbergen und ihre Besitzer in Sicherheit wiegen. Erst gegen Ende des Romans wird Jim bewusst mit dieser Regel brechen. Die Szene ist ungemein beeindruckend, auch wenn in der deutschen Übersetzung diese Sprechweise nicht einfach umzusetzen war - was der Übersetzer in einem Nachwort zur Sprache bringt.

Egal, wohin er und Huck fliehen, die Situation bleibt für Jim doch immer dieselbe – auch wenn sie gerade die Grenze zu einem angeblich „freien“ Staat überschritten haben. Er gerät immer wieder an Menschen, die in irgendeiner Art seine Arbeitskraft ausnutzen wollen. Das Beste, was er dabei erwarten kann, ist keine Gewalt zu erfahren und am Ende des Tages sein Leben zu behalten. In Huck erleben wir den Widerstreit zwischen einem kindlichen Ungerechtigkeitsgefühl und dem Gedanken, dass Jim eben doch anders ist, als er selbst. Dabei wird gerade dieser Junge einer der loyalsten Fürsprecher sein, die Jim unterwegs hat.

Der Roman ist in mehrere Teile gegliedert und ich muss gestehen, dass gerade der erste sich für mich etwas zog und Handlungselemente sich stets wiederholten. Spätestens als Jim sich einer Minstrel Show anschließt, die absurder Weise nur aus weißen Männer besteht, die ihr Gesicht schwärzen, entwickelt der Roman einen gewaltigen Sog. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 18.10.2023

Satire und Utopie zugleich

Männer töten
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Anna Maria will weg aus ihrem Leben in Berlin und weg von ihrer Beziehung. Daher beschließt sie spontan, ihrer Cluberoberung Hannes in seinen oberösterreichischen Heimatort Engelhartskirchen zu folgen. ...

Anna Maria will weg aus ihrem Leben in Berlin und weg von ihrer Beziehung. Daher beschließt sie spontan, ihrer Cluberoberung Hannes in seinen oberösterreichischen Heimatort Engelhartskirchen zu folgen. Den passenden Vornamen habe sie schon, finden die Frauen des Dorfes, und nehmen sie schnell in ihre Gemeinschaft auf. Während Hannes sich um den Hof kümmert, verbringt Anna Maria viel Zeit mit ihnen und wird irgendwann misstrauisch. Warum gibt es im Ort so wenige Männer und so viele Unglücksfälle? Und warum predigt eine Frau in einer katholischen Kirche?

„Männer töten“ ist der erste Roman der österreichischen Journalistin Eva Reisinger. Erzählt wird aus der Perspektive der Protagonistin in der dritten Person und der Gegenwartsform, was dem Text eine gewisse Unmittelbarkeit verleiht. Zudem fällt auf, dass wörtliche Rede nur durch Bindestriche gekennzeichnet wird, wie in einem Theaterstück. Die Kapitel tragen alle Namen aus der Landwirtschaft, können – im Nachhinein betrachtet – aber auch anders verstanden und auf den Handlungsverlauf bezogen werden.

Zunächst geht im Dorf alles seinen gewohnten Gang und Anna Maria findet eine ganz neue Sicherheit und Ruhe. Doch dann tauchen nacheinander ihre beiden Freundinnen aus Berlin und Exfreund Friedrich auf und wir erfahren einige Details ihrer Beziehung. In dieser Situation zeigt sich leider auch, wo die Loyalitäten der Freundinnen liegen. Während die vorlaute Yama bedingungslos hinter Anna Maria steht, hält die zurückhaltende Evîn stattdessen zu Friedrich – und so steuert alles auf eine Katastrophe zu.

Schon die Triggerwarnung zu Beginn des Buches lässt schmunzeln, verkündet sie doch ganz unverblümt „In diesem Buch sterben Männer.“ Damit setzt die Autorin den Grundton des Buches: satirisch, voller schwarzem Humor, aber doch mit einem bitteren, wahren Kern. Denn es sterben Männer, weil sie ihre Stellung im Patriarchat ausnutzen, um Frauen zu quälen. Gleichzeitig entwirft Eva Reisinger aber eine, wenn auch kurze und fragile Utopie, nämlich die einer Welt, in der Frauen sich gegenseitig bedingungslos unterstützen. Koste es, was es wolle.

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