"Ich bin es, die die alleinige Kontrolle über dein Leben hat ... Ganz egal was du tust, du hast keine Chance."
Als hätte der Himmel mich vergessenCover:
Ein junges Mädchen mit dunklen, lockigen Haaren steht hinter einer Fensterscheibe.
Ihre Haare sind aufgrund des schwarzen Hintergrundes kaum wahrzunehmen. Es scheint, als würde die Dunkelheit sie ...
Cover:
Ein junges Mädchen mit dunklen, lockigen Haaren steht hinter einer Fensterscheibe.
Ihre Haare sind aufgrund des schwarzen Hintergrundes kaum wahrzunehmen. Es scheint, als würde die Dunkelheit sie von hinten übermannen, sie erdrücken.
Die Fensterscheibe ist von außen mit Regentropfen beträufelt. Mit ihrem kleinen Finger berührt sie einen einzelnen Tropfen, der so nah scheint und dennoch unantastbar.
Ihre Sehnsucht und Verzweiflung ist durch ihre traurige Ausstrahlung förmlich spürbar.
Inhalt:
Ihre erste wirklich wahrgenommene Erinnerung hat Amelie, wenn sie sich an ihre Operation ihrer Hüftschiefstellung im Alter von ca. 3 Jahren zurückerinnert. Schmerzen, ein weißes karges Zimmer, eine grobe Krankenschwester. Wo sind ihre Eltern die ihr liebende Worte zusprechen, ihr Trost und Zuneigung spenden?
Diese Gefühle und Emotionen wird sie in dem "Hexenhaus", wie sie später ihr Zuhause nennt, erst als junge Erwachsene erfahren.
Ihr Leben ist geprägt von Gewalt ihrer beider Elternteile. Tägliche Schläge sind an der Tagesordnung. Doch ihre Mutter, ihre Stiefmutter wie sie erst viel später erfährt, schikaniert und manipuliert Amelie dazu noch aufs äußerste. Weiß ihre Stiefmutter ihre Umgebung, Angehörige, Nachbarn, Lehrer und sogar Ärzte durch ihre zuvorkommende und liebenswerte Art komplett einzunehmen, ist sie daheim Amelie gegenüber brutal, zwingt sie zur Verwahrlosung und hält sie in ihrem Zimmer gefangen.
Ihr Vater, der als Immobilienmakler viel unterwegs ist, bekommt abends von der Stiefmutter die schrecklichen Schandtaten die Amelie begangen haben soll, erzählt. Betraft sie.
Doch warum wird sie bestraft? Sie versucht doch nur das richtige zu tun. Sie versteht die Welt nicht mehr. Ihr wurde doch von der Stiefmutter befohlen, sie dürfte nicht am Schulunterricht teilnehmen. Sie solle gefälligst schweigen. Wehe, wenn sie sich beteiligt, dann drohen ihr Schläge, ein wunder Po, wie so oft. Bei Gesprächen mit der Lehrerin setzt die Stiefmutter ihre besten Schauspielkünste ein. "Amelie, nun sag doch was, warum sprichst du nicht?" Voller Neugier schaut die Lehrerin Amelie an und im Hintergrund sieht Amelie, wie ihre Stiefmutter den Kopf schüttelt.
Sie darf nicht sprechen. Und so ist es immer.
Täglich wird Amelie von ihrer Mutter der psychischen Manipulation ausgesetzt, verprügelt und gedemütigt.
"Behindert, dumm und zurückgeblieben. Miststück. Ein Nichts!", Worte, die nur dazu dienen Amelie zu unterdrücken, sie zu brechen.
Dies sind nur einige wenige Auszüge der Scheußlichkeiten, die Amelie über sich ergehen lassen musste.
Mit 21 jedoch schafft sie es, ihrem Gefängnis, der Macht ihrer Stiefmutter zu entkommen. Beinahe wäre es nicht dazu gekommen, doch Amelie hatte Menschen, Freunde, gefunden, die ihre Lage erkannten und ihr ihre Unterstützung zusicherten.
Unterstützung, Vertrauen ... Freiheit. Alles Worte die Amelie erst noch Kennenlernen sollte.
Fazit:
Mein erster Dank gilt der Autorin, dass sie so viel Geduld mit mir hatte. Es ist fast ein Jahr her, dass sie mir das Buch hat als ein Rezensionsexemplar zukommen lassen.
Der Titel "Als hätte der Himmel mich vergessen" ließ mir bereits zu Beginn eine Gänsehaut aufsteigen. Ich hatte bereits mehrere Erfahrungsbücher gelesen, doch dieses Buch habe ich unterschätzt.
ich begann das Buch kurz nach meinem Sommerurlaub im letzten Jahr. Es war ein schöner Sommer. Ich las von der Flucht, oder vielmehr dem Erfolg, dass die Autorin endlich dem Hexenhaus entkommen konnte.
"Sieben Dinge zähle ich mir auf, sieben Träume, die in dieser ersten Woche in Erfüllung gingen:
Ich darf duschen.
Ich darf baden.
Ich darf meine Zähne putzen.
Ich darf täglich neue Unterwäsche anziehen.
Ich darf essen, bis ich satt bin.
Ich darf von meinem selbstverdienten Geld so viele Süßigkeiten kaufen, wie ich möchte. und jetzt darf ich auch noch fernsehen. (Amelie, 21 Jahre)"
Doch die Perspektiven wechseln. Zum einem lesen wir über Amelie´s Leben nach ihrem Entkommen und ihren Versuch in ein selbstständiges Leben zu finden, doch dann kommen die Erinnerungen an ihre Kindheit oder Jugend und wir erfahren wie viel leid dieser einige Mensch an Körper und Seele erleiden musste. Zum Ende des Buches sind wir in ihrem 21. Lebensjahr anbelangt und erfahren, wie Amelie Dank Hilfe anderer, endlich ihrem Alptraum entkommen konnte.
Ich las also die ersten Seiten, ihre Erinnerungen an die frühste Kindheit. Ich legte das Buch beiseite. Zunächst musste ich selbst das Gelesene verarbeiten. Doch wie häufig ich selber an den Punkt angelangen würde, welche mich so in meinen Grundfesten erschütterten, das konnte ich nur erahnen.
Und so vergingen die Wochen und Monate.
Diese Rezension habe ich mehrfach neu begonnen, umgeschrieben, verbessert. Meine Gedanken überschlugen sich. "Wie soll ich dieses Buch überhaupt bewerten können?"
Letztlich fragte ich meine Mitblogerinnen um Rat und ich beschloss, meine Rezension zu unterteilen.
Für mich ist es nach wie vor unvorstellbar, was diese Frau durchleben musste. Erniedrigung, Hass, Misshandlung, Hunger leiden, die psychische Manipulation der Mutter. Gewalt in allen ihren Facetten. Dazu noch der immense Kontrast den sie Tag für Tag erlebte, als ihr Bruder geboren wurde, der mit Liebe und Fürsorge überhäuft wurde.
Ich möchte der Autorin auch an dieser Stelle danken, denn häufig habe ich mir die Frage gestellt, welche Rolle ich denn wohl in diesem Buch übernommen hätte. Wäre ich die Klassenkameradin gewesen, die sich vor ihr geekelt hätte, weil sie sich ihre Zähne nicht putzen durfte oder sich waschen, oder wäre ich die Person gewesen, die Amelie die ausgelesene Bravo gegeben hätte.
Wäre mir als Mutter einer Mitschülerin nicht eingefallen genauer hinzusehen, wenn ich erfahren hätte, dass Amelie hier übernachtet, weil sie von zu Hause weggelaufen ist.
Warum haben gebildete Menschen wie die Lehrer von Amelie oder deren Ärzte sich so sehr von der Stiefmutter täuschen lassen? Gerade diesen Menschen unterstelle ich eine gewisse Menschenkenntnis.
Diese Fragen beschäftigen mich nach wie vor.
Weiterhin möchte ich auch auf eine Passage im Nachtext eingehen, den die Psychotherapeutin der Autorin verfasst hat und den ich auch für äußerst wichtig erachte.
"Ein Trauma nennen wir eine Erfahrung, die eine schwerwiegende Verletzung des Körpers oder der Seele darstellt und in ihrem Schweregrad von der betreffenden Person nicht angemessen verarbeitet werden kann, sondern eine Überforderung des ganzen Körper-Seele-Systems darstellt."
Sie ging darauf ein, Opfer oder Personen die ein Traumata erlitten haben, nicht unbewusst mit Worten wie "Das musst du doch mal hinter dir lassen", "Warum kannst du damit nicht endlich abschließen" noch unnötig unter Druck zu setzen. So individuell wie jeder einzelne Mensch von uns ist, so ist es auch die Seele und die Stärke.
Auch wenn Amelie eine sehr starke Persönlichkeit ist, so hat auch sie lange nach ihrem Erfolg dem Terror und der Schikane ihrer Familie zu entkommen, mit der Verarbeitung der Vergangenheit und der Heilung ihrer Seele viel aufzuarbeiten, und benötigt dafür eine Menge Kraft.
"Nach der Erfahrung und Einschätzung dieser Experten werden in Deutschland jährlich rund 200.000 Kinder misshandelt, und fast täglich gibt es ein Todesopfer.
Die Erzählweise im Wechsel von Gegenwart zur Vergangenheit finde ich äußerst stimmig gewählt. Dadurch kommt der Vergleich der Erfolge die Amelie in ihrem neuen Leben erzählt, zu ihrer alptraumhaften Vergangenheit noch einmal besser hervor. Aber auch spiegelnd erkennt man intensiver, was Amelie durchmassen musste.
Der Scheibstil ist flüssig und sehr umgangssprachlich. Gefühle und Emotionen werden stetig wiedergegeben. Dies rührt der Tatsache, dass es sich um ein Erfahrungsbuch handelt.
Bis Mitte des Buches werden die frühkindlichen Erzählungen noch intensiver und detaillierter wiedergegeben. Mit dem Heranwachsen der Autorin werden die Rückblicke etwas kürzer und der Erzählstrang der Gegenwart bekommt mehr Raum.
Am Ende meiner Rezension möchte ich die Autorin zitieren:
"Und deswegen soll dieses Buch eine Ermutigung sein, ruhig ein bisschen genauer hinzusehen."