Informativ, schockierend, ekelerregend und trotzdem habe ich mich selten bei einem Sachbuch so köstlich amüsiert. Ein Lesehighlight!
Eine schaurig-schöne Reise durch die Abgründe der Medizingeschichte – rezeptfrei und mit Gänsehautgarantie!
Wieselhoden als Verhütungsmittel, Aderlass gegen Blutverlust oder glühende Eisen bei Liebeskummer: ...
Eine schaurig-schöne Reise durch die Abgründe der Medizingeschichte – rezeptfrei und mit Gänsehautgarantie!
Wieselhoden als Verhütungsmittel, Aderlass gegen Blutverlust oder glühende Eisen bei Liebeskummer: Aus heutiger Sicht mögen solche Behandlungsmethoden völlig absurd erscheinen. Aber es gab Zeiten, da glaubte man fest an ihre Wirkung. Entweder weil man wissenschaftliche Erkenntnisse bewusst ignorierte oder die Medizin einfach noch nicht so weit war. Dieses reich bebilderte Buch ist ein ebenso informatives wie unterhaltsames Sammelsurium dessen, was den Menschen im Laufe der Jahrhunderte fälschlicherweise als Heilung versprochen wurde – und nicht selten das genaue Gegenteil bewirkte ... (Klappentext)
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"Schlichte Gesundheit ist vielen von uns nicht genug. Wir wollen mehr; ewige Jugend, vollkommene Schönheit, grenzenlose Energie und die Manneskraft eines Zeus."
(S. 6)
.... und dies ist nicht nur heute so, sondern war auch schon vor Jahrhunderten der Fall.
Schon immer wollten die Frauen schöner und jünger sein, die Männer wünschten sich schon immer eine besondere "Standhaftigkeit" und alle wollten sie gesund sein und lange leben. Doch auch Krankheiten wollten schon vor Jahrhunderten behandelt werden und das, wenn möglich, mit Erfolg.
Heutzutage stützen wir uns auf wissenschaftliche Studien, doch wie sah es damals aus, als die Medizin noch in den Kinderschuhen steckte, die Religion diesbezüglich eine wichtige Rolle einnahm und selbst Alchimisten hinzugezogen wurden, um zu heilen?
Das Buch beinhaltet ein Sammelsurium von verschiedenen Heilungsmethoden der Geschichte. Von Metallen angefangen, über Pflanzen und tierischen, wie auch menschlichen "Arzneimitteln", bis hin zum groben Handwerk der Chirurgie und mysteriösen Heilkräften.
Skurril, ekelerregend, schockierend, abscheulich und meist mit dem Ergebnis Tod ... wenn man Glück hatte einen schnellen.
Wenn man das Buch liest, wird einem schnell klar, dass es den Ärzten (und auch Nicht-Ärzten, ergo den Quacksalbern) nicht immer um das Wohle ihrer Patienten/Kunden ging, sondern eher um Macht, Prestige und Geld.
Kommt einem das nicht etwas bekannt vor? hustPharmaindustriehust.
Doch damals bediente man sich jeglicher Mitteln, um dies zu erreichen und das im wahrsten Sinne.
"Man nehme das Hirn eines jungen gewaltsam verstorbenen Mannes mitsamt Häuten, Arterien und Venen, Nerven ... und zerstoße diese in einem steinernen Mörser, bis sie eine Art Brei ergeben. Dann gebe man so viel Weingeist hinzu, dass er bedeckt ist ... [dann] lasse man ihn ein halbes Jahr in Pferdemist reifen. (Rezept für >>Essenz aus Menschenhirn<< aus "The Art of Distillation" 1651 von John French)
(S. 236)
Arsen gegen Hauterkrankungen und Bauchschmerzen (erkennt jemand die Ironie hinter Letzterem?), Strychnin als Viagra des 19. Jahrhunderts (nicht auf dumme Gedanken kommen) und wie Strychnin erklären könnte, weshalb sich Hitler auffällig benahm. Schädelöffnung inklusive Hirnhautabschabung gegen Schizophrenie, Chloroform-Partys und Leichenmedizin (Gebrauch menschlicher Körperteile für medizinische Zwecke) oder Masturbation bei Frauen durch die Hand eines Arztes auf Verordnung, etc.
Da kann einem schon mal ganz anders werden, wenn man das liest.
Jedes Mittel und jede Heilungsmethode wird mit einer kleinen Geschichte eingeleitet. Danach bekommt man interessante und informative Einblicke in die jeweilige Entstehungsgeschichte und wieso diese Methoden und Mittelchen in der damaligen Zeit ein regelrechter Renner waren, welche Auswirkungen diese auf den Körper hatten und wie diese zum Tode führten.
Erfinder und berühmte Konsumenten werden ebenso aufgeführt, wie auch Betrüger, welche Pantschereien an die Leute verhökerten, Anwendungsmethoden, bei denen man nicht selten verständnislos den Kopf schüttelt und inwiefern so manche Mitteln in der heutigen Medizin Verwendung finden und wieso.
"Damals schätzte Thomas Jefferson die Sterblichkeitsrate beim Gelbfieber auf 33 Prozent. Viel später, nämlich erst 1960, wurde bei Rushs Patienten eine Sterblichkeit von 46 Prozent festgestellt. Hier übertraf also der Onkel Doktor den Gevatter Tod."
(S. 15)
Obwohl sich einem hier beim Lesen die Nackenhaare aufstellen und einem sich gleichzeitig die Zehennägel aufrollen, ist es ein informativer und lehrreicher Blick in die Medizingeschichte. Ich habe schon einige Fach- und Sachbücher zu dieser Thematik gelesen, doch bei keinem habe ich gleichzeitig entsetzt die Augen aufgerissen und lauthals gelacht.
Dies liegt an dem herrlich lockeren Schreibstil, welcher vor morbiden Humor und Sarkasmus nur so strotzt.
Zusätzlich wird auch darauf geachtet, dieses Wissen auch für Laien verständlich zu erklären und bei so manchem Thema ist es sicher nicht schlecht es etwas auzulockern.
Für schwache Nerven und sensible Mägen ist es trotzdem nur bedingt zu empfehlen, denn gleichzeitig ist der Schreibstil äußerst plastisch.
"Hatte man diesen praktischen Metallstab in die weiche Gehirnmasse gestoßen, fuhr eine rotierende Drahtschlaufe aus, die alles schön verquirlte. Weniger wie ein Schneebesen im Pudding, sondern mehr wie ein Kugelausstecher in einer überreifen Honigmelone. Die Hirnkonsistenz wurde später vom amerikanischen Chirurgen James Watt mit >>Butter, die eine Weile nicht mehr im Kühlschrank war<< beschrieben.
(S. 154)
Ein weiterer Pluspunkt ist die Aufmachung des Buches.
Passend zum Thema kommt es im Vintage-Stil daher, was mich persönlich sehr begeistern konnte.
Zusätzlich ist es reich bebildert und das Schmökern macht deshalb riesigen Spaß. Ja, richtig gelesen! Dieser Blick in die Geschichte der Medizin macht Spaß und das so richtig.
"Übrigens war der Blasebald eine erfreuliche Erweiterung der Klistiergerätschaften. Vor dessen Einführung blieb einem nämlich nichts anderes übrig als die direkte Mund-zu-Po-Beatmung. Dabei durfte man bloß nicht versehentlich inhalieren."
(S. 97)
Fazit:
Dieses Buch ist eines meiner absoluten Lesehighlights!
Ich habe es meist im Nachtdienst gelesen und zusammen mit Kollegen (Ärzte und Pflegepersonal) geschmökert. Wir haben uns dabei köstlich amüsiert und selbst für so manchen "alteingesessenen" Arzt, war so Manches neu und vor allem schockierend. Ich hatte Mühe das Buch wieder in meine Hände zu bekommen.
Dieses Sachbuch ist also nicht nur für diejenigen geeignet, welche mit der Materie zu tun haben, sondern auch für Medizin- und/oder Geschichts-Interessierte. Meines Erachtens auch als Ideen-Lektüre für Horror-Autoren sehr zu empfehlen g.
Also seid Ihr bereit beim "therapeutischen" Menschenversengen, Vergiften und Hirnmixen dabei zu sein? Dann tretet ein in die bizarre, wie auch schockierende Geschichte der Medizin. Aber Achtung: hier hilft Ihnen garantiert kein Arzt oder Apotheker!
© Pink Anemone (inkl. Leseprobe, viele Bilder und Rezept zum Buch..hihihi)