Ein berührender Roman über die Seele der Menschen jenseits des Geschlechts
Die Wunder von Little No HorseZuweilen zart, zuweilen deftig erzählt Louise Erdrich von Agnes, die die Identität des katholischen Priesters Damien Modeste annimmt, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen - sie möchte predigen.
»Als ...
Zuweilen zart, zuweilen deftig erzählt Louise Erdrich von Agnes, die die Identität des katholischen Priesters Damien Modeste annimmt, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen - sie möchte predigen.
»Als Nonne hatte sie gelernt, den Blick gesenkt zu halten. Jetzt reckte Father Damien das Kinn, verengte die Augen und schaute geradeaus.«
1912 lebt sie in “Little No Horse”, einem Reservat der Objiwe-Indianer. Während sie sich um die Einwohner kümmert, erfährt sie viel über ihre Kultur.
Die Autorin Louise Erdrich ist Tochter einer Objiwe und beschreibt die Protagonisten mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen. Die Frauen des Stammes sind stolz und stark:
»Man kann einiges mit mir machen und ich mit anderen, ich gebe und gebe, aber irgendwann reißt das Band. Meine Liebe sitzt tief, solange man nur diese Grenze nicht überschreitet und mir nichts antut, das ich nicht bereit bin hinzunehmen.«
Erdrich lässt die verschiedenen indianischen Protagonisten selbst ihre Geschichten erzählen - über Geister, Erfahrungen mit Weißen, über absurde Situationen, Rivalitäten.
Um Gott zu dienen, hat Agnes auf das Leben als Frau und Mutter verzichtet. Eine Leidenschaft, die ihr geblieben ist, ist das Klavier. Beim Spiel fühlt sie sich durchdrungen von Gott:
»Die gestutzten Alleen von Haydn, Brahms oder selbst Schubert habe ich nie mit derselben Hingabe gespielt wie Beethovens wuchernde Wälder. Immer wollte ich noch tiefer ins Dickicht, habe die Intonation jeder Note problematisiert, jeden Zwischenton umgewendet und Bach nach der Wahrheit durchforstet.«
Die Geschichte reicht hinein bis in die 90er, als Agnes/Damien spürt, dass ihr Ende naht. Sie wusste, der Blick auf ihre Leistung würde sich verändern, wenn man nach ihrem Tod erfahren würde, dass sie eine Frau ist.
Der Roman war nicht immer bequem und hat auch leider meine Erwartung nach einer idyllischen Geschichte von naturnah lebenden Ureinwohnern nicht bedient. Ich habe von Armut und Hunger, Kälte, Alkoholmißbrauch und Kämpfen gelesen. Auch konnte ich nicht nachvollziehen, dass Agnes einer Institution dient, die das Weibliche als minderwertig ansieht.
Dennoch hat mich die Geschichte und bildhafte, poetische Sprache in ihren Bann gezogen und tief berührt.
Leseempfehlung!