Profilbild von Zauberberggast

Zauberberggast

Lesejury Star
offline

Zauberberggast ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Zauberberggast über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.12.2019

Gehaltvoller historischer Krimi

Teuflischer Walzer
0

Die historischen Kriminalromane rund um den in Mordfällen ermittelnden Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann sind für mich Neuland gewesen. "Ein Teuflischer Walzer" von Frank Tallis, der selbst Klinischer ...

Die historischen Kriminalromane rund um den in Mordfällen ermittelnden Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann sind für mich Neuland gewesen. "Ein Teuflischer Walzer" von Frank Tallis, der selbst Klinischer Psychologe ist, ist nach sieben Jahren Pause der neueste Band der Reihe. Leider findet sich im Buch keine Auflistung der bisher erschienen Fälle, was ich etwas schade finde, zumal alle Übersetzungen ebenfalls im btb-Verlag erschienen sind.

Wir befinden uns im Wien des gerade begonnenen Jahres 1904. Es ist das Wien der angeschlagenen K. u. k.-Doppelmonarchie. Die Kaiserin Elisabeth wurde wenige Jahre zuvor von einem Anarchisten ermordet, der Bevölkerung geht es schlecht, die vielschichtigen Stimmen des Sozialismus werden lauter. In der Kunst malt Gustav Klimt seine goldenen Gemälde. Sigmund Freud praktiziert in der Wiener Berggasse, wo er die menschliche Psyche erforscht. Vor diesem Hintergrund spielt sich die Krimihandlung ab: Ein entstellter Toter, der offensichtlich erschossen wurde, wird in einer ehemaligen Klavierfabrik gefunden. Kriminalinspektor Oskar Reinhardt holt sich einmal wieder Unterstützung beim Ermitteln in Person seines Freundes Max Liebermann. Dieser ist seines Zeichens Freud-Schüler und als Arzt und Psychiater mit den Abgründen der menschlichen Psyche bestens vertraut.

Der Roman beschwört eine unheilvolle Fin-de-siècle-Kulisse herauf. Düster, winterlich und beklemmend ist diese Atmosphäre, die die Handlung wunderbar umrahmt. Es geht ja auch um die dunklen Aspekte der menschlichen Psyche und persönliche Verstrickungen aller Art. Die vielfältigen Themenbereiche, die im Roman angesprochen werden, wie z.B. Spielarten der Medizin, Psychologie und Politik - natürlich im Kontext der Zeit um 1900 - sind für den Leser, sofern er sich nicht gedanklich ohnehin schon in diesen Metiers bewegt bzw. sich mit ihnen beschäftigt, erstmal sehr kompliziert, die Dialoge teilweise sehr hochtrabend. Durchbrochen wird dieser, ich nenne ihn mal intellektuelle Duktus, durch actiongeladene Szenen und eine brisante Handlung, die viel Sprengstoff bietet - im wahrsten Sinne des Wortes!

Der Roman hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich mich aufgrund der Themen stellenweise sehr konzentrieren musste. Die Figur des Max Liebermann und die Idee, einen Psychiater zum Co-Ermittler zu machen, fand ich sehr gut ausgearbeitet. Seine kluge Verlobte Amelia Lydgate frischt die Handlung, die eigentlich fast durchgehend ernst ist, sehr auf.
Alles in allem wird die Gesellschaft der Wiener Jahrhundertwende wunderbar und lebensecht portraitiert. Die Krimihandlung mit Spionageelementen fand ich sehr "international", Tallis ist Engländer und schreibt für ein breites Publikum.


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.12.2019

Driving home for Christmas

Die Weihnachtsgeschwister
0

"Die Hölle, das sind die anderen", heißt es in Jean-Paul Sartres Theaterstück "Geschlossene Gesellschaft". In "Die Weihnachtsgeschwister" von Alexa Hennig von Lange sind es ebenfalls immer die anderen, ...

"Die Hölle, das sind die anderen", heißt es in Jean-Paul Sartres Theaterstück "Geschlossene Gesellschaft". In "Die Weihnachtsgeschwister" von Alexa Hennig von Lange sind es ebenfalls immer die anderen, die die gemeinsame Weihnachtsfeier bei den Eltern einem Inferno gleichkommen lassen.
Die drei Geschwister Tamara, Elisabeth und Ingmar treffen am Tag vor Heiligabend zusammen mit ihren jeweiligen Kindern und Partnern im gemeinsamen Elternhaus ein. Statt einen gemütlichen Abend im trauten Beisammensein mit Ausblick auf das morgige Weihnachtsfest zu verbringen, eskaliert die Situation in einem Feuerwerk gegenseitiger Vorwürfe und Beleidigungen. Die Partner der Geschwister, Quirin, Siri und "der Neue" von Elisabeth, Holger, ergreifen mit den Kindern erstmal die Flucht ins Hotel. Ist das Projekt eines gemeinsamen Heiligabends in diesem Jahr gescheitert?
Hennig von Lange seziert ihre Hauptfiguren mit spitzen Fingern und legt deren Befindlichkeiten, Dämonen und seelischen Verletzungen frei. Die Intellektuelle Tamara, die in meinen Augen an einer narzisstischen Störung leidet, ist frustriert über ihr hohles Hausfrauendasein an der Seite eines männlichen Versorgers, der bei ihr schon lange kein Verlangen nach gegenseitiger körperlicher Zuwendung mehr weckt. Sie ist außerdem neidisch auf den beruflichen Erfolg ihrer alleinerziehenden Schwester Elisabeth, die zu allem Überfluss mit einem neuen Mann auftaucht, der perfekt in Tamaras Beuteschema passt. Von ihrem jüngeren Bruder Ingmar ist sie einfach nur angenervt, weil er mit seiner Weltverbessererattitüde scheinbar einen Nerv bei ihr trifft. Ingmar seinerseits steht kurz vorm Burnout und ist irritiert über Tamaras Aggressivität und ihre mangelndes Problembewusstsein zu den Themen Klimawandel, Umweltverschmutzung und Globalisierung. Die essgestörte Elisabeth hingegen trauert der gemeinsamen Kindheit und harmonischen Beziehung zu Ingmar nach.
Und am Ende gibt es dann doch wieder diese geschwisterliche Verbundenheit jenseits aller Animositäten. Ein Weihnachtswunder?

Den in Deutschland statistisch nur alle 10 Jahre vorkommenden Schnee an Heiligabend nutzt die Autorin, um den Kontrast zwischen der idyllisch-unschuldigen Umgebung und der dysfunktionalen Familiensituation zu illustrieren. Auch sonst arbeitet die Autorin viel mit Sprachbildern, die eine bestimmte Atmosphäre erzeugen.

Die pointierte und griffige Erzählweise von Alexa Hennig von Lange hat mir persönlich sehr gut gefallen. Hier wird nicht lange um den heißen Brei herum geredet (ganz symbolisch wird selbiger Brei von Elisabeth als "Extrawurst" für eins der Kinder vor der ersten Eskalation frisch zubereitet). Auch die relative Kürze des Romans tut der Geschichte gut - für mich hätte das Buch nicht länger sein müssen.

"Die Weihnachtsgeschwister" ist ein intelligenter Kurzroman darüber, wie sehr wir alle von unserer Herkunftsfamilie geprägt werden. Lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.12.2019

Von der Erhabenheit des Vorlesens

Die verzauberte Stunde
0

Die Amerikanerin Megan Cox Gurdon, Kinderbuchkritikerin und selbst Mutter von fünf Kindern, schreibt über den Mehrwert des Vorlesens im "Zeitalter der Zerstreuung" (S. 16). Wenn vor allem Bildschirme und ...

Die Amerikanerin Megan Cox Gurdon, Kinderbuchkritikerin und selbst Mutter von fünf Kindern, schreibt über den Mehrwert des Vorlesens im "Zeitalter der Zerstreuung" (S. 16). Wenn vor allem Bildschirme und unser konstanter Umgang damit unser menschliches Zusammenleben und unsere kognitive Wahrnehmung bestimmen, ist das von Mensch zu Mensch gesprochene Wort umso wertvoller geworden. In einer Zeit, in der wir durch den Einfluss der Smartphones und des Internets eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne haben, sind Bücher wieder der Königsweg zu einer umfassenden Bildung von klein an.

Auf Basis fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Neurologie und Hirnforschung einerseits und andererseits aus Sicht der Mutter von fünf Kindern will dieses Buch uns die enorme Wichtigkeit des Vorlesens (nicht nur, aber vor allem des Vorlesens für Kinder) nahebringen. Natürlich ist das in gewisser Weise ein schwieriges Unterfangen, da gerade die bildungsfernen Familien bzw. die "wortarmen Haushalte" (S. 140), die diese Erkenntnis verinnerlichen sollten, wohl eher nicht zu einem Buch über das Vorlesen greifen werden. Andererseits werden die Familien, die ohnehin schon regelmäßig vorlesen, nach der Lektüre vielleicht noch öfter und passionierter das Vorlesebuch in die Hand nehmen.

Nicht nur der Status Quo des Vorlesens und seiner Bedeutung, auch die Geschichte der oralen Vermittlung von Sprache wird im Buch ausführlich beleuchtet. Die Tradition des Geschichtenerzählens sei so alt wie die Menschheit, so Gurdon. Erst später kam die Verschriftlichung von Geschichten auf und schließlich das gedruckte Wort.

Die Autorin zitiert sehr viel, sowohl aus der Primär- als auch aus der Sekundärliteratur, weshalb dem Buch auch ein umfangreiches Quellenverzeichnis zugefügt ist. Das Buch hat demnach einen dezidiert wissenschaftlichen Anspruch. An manchen Stellen wird es auch literaturwissenschaftlich, z.B. wenn die Autorin in die Analyse von Texten aus der Kinderliteratur geht. Andererseits geht es um empirische Beobachtungen, die sie oder andere gemacht haben, wenn Kinder vorgelesene Bücher rezipiert und darauf reagiert haben.

Immer wieder illustriert Cox Gurdon an Beispielen, wie wichtig ein großer Wortschatz für Kinder, ja bereits für Babys, ist, damit sie sich die Welt erschließen können. Die Eltern sind in der Verantwortung. Sie müssen für ihre Kinder den Grundstein des Wortschatzaufbaus legen und eine geeignete "Sprachumgebung" (S. 138) schaffen. Dafür gibt uns die Autorin auch konkrete Tipps an die Hand, wie z.B. "dialogische Techniken" (S. 148). Diese bilden auch abseits des Vorlesens eine wunderbare Möglichkeit, den Sprachschatz unserer Kinder anzureichern.

Auch dass es wichtig ist die Kinder ab einem gewissen Alter mit Märchen und Klassikern aus der "großen kulturellen Schatztruhe" (S. 200) der Menschheit zu konfrontieren, betont die Autorin.

Cox Gudron lehrt uns schließlich, wie man die titelgebende "verzauberte Stunde" durchführen, ja zelebrieren kann. So können wir uns wenigstens einmal am Tag eine Auszeit nehmen in diesem Zeitalter der Zerstreuungen. Und das tut nicht nur unseren Kindern, sondern auch uns selbst gut.

Kritisch anmerken muss ich aber dennoch, dass die Autorin sich oft sehr in (manchmal redundante) Detailanalysen und Zitate flüchtet. Darüberhinaus ist dieses populärwissenschaftliche Sachbuch sehr eklektizistisch. Die Autorin pickt sich mal hier mal da etwas heraus, um ihre Grundthese von der Bedeutung des Vorlesens, die tatsächlich unbestritten ist, zu illustrieren. Sie springt sehr viel in ihrer Argumentationskette. Mir fehlte manchmal etwas der rote Faden, an dem ich mich beim Lesen festhalten konnte. Der sprachliche Duktus, den Cox Gurdon verwendet, ist mir für ein Sachbuch auch teilweise zu pathetisch und die Argumentationslinie nicht objektiv genug. Man spürt zuweilen einen bildungsbürgerlichen Impetus im Subtext und fühlt sich dadurch beim Lesen auch etwas unzulänglich, wenn man es als Elternteil bislang versäumt hat seinem Kind "Die Chroniken von Narnia" vorzulesen oder es kein Interesse an kunstgeschichtlichen Fühlbüchern zeigt.

Cox Gurdon hat dennoch ein sehr wertvolles Buch geschrieben, das uns die Wichtigkeit des (Vor-)Lesens vor Augen hält. Eltern lernen daraus, wie kindliche Gehirne ticken, indem sie neue Worte wie Schwämme aufsaugen. Allen werdenden Eltern oder Eltern kleiner Kinder sei dieses Buch deshalb wärmstens empfohlen. Es ist in seiner Aussage besser als so mancher Erziehungsratgeber.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 02.12.2019

Feelgood-Literatur ohne große Ansprüche

Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse
0

Ja, dieses Buch ist absolut vorhersehbar und voller Frauenroman-Klischees. Wir haben eine skandinavisch nüchterne Protagonistin mit einer Phobie vor Keimen, Thirtysomething, attraktiv. Sie, Charlotte, ...

Ja, dieses Buch ist absolut vorhersehbar und voller Frauenroman-Klischees. Wir haben eine skandinavisch nüchterne Protagonistin mit einer Phobie vor Keimen, Thirtysomething, attraktiv. Sie, Charlotte, ist eine erfolgreiche Selfmade-Geschäftsfrau, aber ihr Herz ist verschlossen, seit die Liebe ihres Lebens, Alex, verstorben ist.
Dann bekommt sie von einer Tante, über die sie bisher nichts wusste, eine Buchhandlung in Londoner Bestlage vererbt. Diese Buchhandlung hat auch zwei Wohnungen, von denen sie die eine bewohnen könnte - wenn sie das in Erwägung zöge - und die andere wird von einem sehr gut aussehenden, alleinstehenden und scheinbar mürrischen Schriftsteller mit Schreibblockade bewohnt (wäre Hugh Grant nicht schon zu alt, würde er natürlich die Rolle in der Verfilmung spielen). Es gibt auch noch eine Buchhandlungs-Katze mit Schriftstellernamen (Tennyson), die warmherzige langjährige Angestellte Martinique, die nicht “Nein” sagen kann und die vorlaut-schlagfertige junge Teilzeitangestellte Sam. Dem Setting Leben einhauchende Randfiguren (Kunden) wie der alte, aber adrett gekleidete Herbert, "Opfer" einer ihn mit Essen "stalkenden" Altersgenossin, das Mädchen Calliope oder die ewig krächzende Parnella, lassen dieses Buch vollends zu einem literarischen Wohlfühl-Accessoire werden.
Obwohl Bücher und Literatur eigentlich gar nicht ihr Metier sind, kommt die kühle Schwedin langsam auf den Geschmack dieses "hyggeligen" - wenn auch wenig hygienischen - Lebens in der britischen Metropole. Auch William - wer hätte das gedacht - übt eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus. Es könnte alles so schön sein, wären da nicht die finanziellen Probleme der Buchhandlung und die Frage, warum ihre ihr unbekannte Tante ihr diese vererbt hat.
Die Gegenwartshandlung (ohne Jahresangabe) wird durch alternierend erzählte Ereignisse aus den Jahren 1982-1983 durchbrochen. In diesen Vergangenheitskapiteln geht es um die Geschichte der Schwestern Kristina und Sara, Charlottes Mutter bzw. Tante. Nach und nach wird das Geheimnis gelüftet, was deren Erlebnisse im London der Achtziger Jahre mit Charlottes Gegenwart zu tun haben.
Die Rückblenden sind tatsächlich sehr spannend. Man kann sich zwar schon früh ein wenig denken, was das große "Geheimnis" um Charlottes Existenz ist, aber die Innenwelt sowohl Kristinas als auch Saras wird hier sehr transparent und man bleibt als Leser dadurch an der Handlung dran.
Charlotte finde ich für eine Protagonistin aber dann doch wieder eher flach, an manchen Stellen sogar naiv. Die Nebenfiguren und auch die Figuren der Vergangenheitshandlung sind weitaus differenzierter ausgearbeitet worden.
Was die Bekehrung Charlottes zum “Büchermenschen” betrifft: auch das ist ganz nett gemacht. Literarische Referenzen sind geschickt eingebaut worden, nur die Geschichte mit J.K. Rowling wirkt sehr finde ich dann doch sehr unglaubwürdig - selbst für einen “Wohlfühl-Frauenroman”.
Nichtsdestotrotz:: Das Buch hat mir als Ganzes sehr gut gefallen. So wie einem ein alter Pulli oder ein bequemes Sofa gefällt mit einer heißen Tasse Tee daneben: einfach, nichts Neues, aber warm und kuschelig. Echte "Feelgood-Literatur" eben, wie sie im Buch auch an einer Stelle erwähnt wird.



Veröffentlicht am 26.11.2019

Absurdes Beamtentheater!

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«
0

Es gibt wahrscheinlich kaum zwei Welten, die weniger zusammenpassen als die Beamten- und die Theaterwelt. Auf der einen Seite ist in unserer Vorstellung alles bürokratisch, langsam und starr, auf der anderen ...

Es gibt wahrscheinlich kaum zwei Welten, die weniger zusammenpassen als die Beamten- und die Theaterwelt. Auf der einen Seite ist in unserer Vorstellung alles bürokratisch, langsam und starr, auf der anderen chaotisch, lebendig und impulsiv! Wenn dann jemand versucht, eine Brücke zwischen diesen so unvereinbar scheinenden Bereichen zu bauen, dann ist das einfach nur spannend, neu und mutig. Martin Schörle, selbst Verwaltungsbeamter und Schauspieler, hat zwei Theaterstücke geschrieben, von denen eins auch in der “Beamtenwelt” spielt. Diese beiden Stücke - "Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten" und "Einladung zum Klassentreffen" sind - laut meinem Verständnis - tatsächlich für die Bühne geschrieben worden und keine reinen Lesedramen (obwohl man sie auch wunderbar als solche betrachten und rezipieren kann).

"Herr Fredenbek" ist nun der einzige Darsteller im Monodrama "Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten". Dieses Stück besteht aus einem einzigen langen Monolog, der gelegentlich durch Regieanweisungen -Telefonate, Stimmen aus dem Off, etc. - und Brechtsches Anreden des Publikums durchbrochen wird. Dieser Monolog ist wiederum ein einziger langer Seelenstriptease dieser satirisch überzeichneten Beamtenfigur, die es der Zuschauer/Leser "liebt zu hassen".

Fredenbeks Dämonen liegen vor allem darin begründet, dass er mit seinem Beamtentum so verwoben scheint, dass er nur noch in der Welt der Paragraphen und Verordnungen sicher existieren kann. Die Zwischentöne des gesellschaftlichen und menschlichen Zusammenlebens jenseits der Amtsstube vermag er kaum noch zu entziffern. Wenn zum Beispiel seine Frau ihn fragt, ob sie abends das Auto haben könne, dann kann er die Bedeutung dieses Satzes nicht entschlüsseln. Muss er eine Steuerklasseänderung als Konsequenz befürchten?
Auch das "ewig Weibliche" zieht ihn ganz faustisch hinan - in Gestalt seiner Kollegin Karin Umlauf. Wie soll er nur mit diesem gepunkteten Kleid und den ganzen erotischen Spannungen klar kommen - ganz ohne Kopierauftrag?

Obwohl das Stück sehr schwarzhumorig und damit sicher Geschmackssache ist und Herrn Fredenbeks Tiraden alles andere als politisch korrekt, hätte es für mich ruhig noch länger sein dürfen. Sehr amüsiert habe ich mich über so manche Lebensweisheit ("soziales Umfeld", Seele der Frau, etc.) und Verschwörungstheorie Fredenbeks (Papst Ratzinger, 3. Oktober, etc.).
Wahrscheinlich hat Martin Schörle aber einem potenziellen Darsteller mit der verhältnismäßigen Kürze des Einakters einen großen Gefallen getan - es dürfte definitiv eine schauspielerische Herausforderung darstellen.

Das zweite im Buch enthaltene Stück ist nun ein ganz anderes Kaliber. Ein Mehrpersonenstück ist "Einladung zum Klassentreffen", wobei die beiden Hauptrollen "Sie" und "Er" den Löwenanteil ausmachen. Es ist ein Kammerspiel zweier ehemals Liebender, die sich nun nach 20-jähriger Pause - zunächst im Rahmen eines Telefongesprächs - wieder annähern. Sie, Marina, ist 40 und von ihrem Exmann, Holger, getrennt, weil dieser keine Kinder wollte. Mittlerweile hat er aber eins und ist wieder verheiratet. Carsten, ebenfalls in Marinas Alter da Mitabiturient, ist Marina nach wie vor verbunden, denn so richtig geklappt hat es bei ihm mit dem anderen Geschlecht ebenfalls nicht.
Das Stück ist tragikomisch wie es nur sein könnte. Es erinnert mit seinem Wortwitz und der sympathischen Unbeholfenheit seiner Protagonisten in der Midlife-Crisis an so manche Szene von Loriot und Evelyn Hamann.
Insgesamt ist dieses Stück um einiges zahmer und “mainstreamiger” als das Drama um Herrn Fredenbek. Aber das bringt die Thematik rund um das Thema verflossener Beziehungen mit sich, mit dem sich sicher mehr Leser/Zuschauer identifizieren können als mit einem psychisch instabilen Beamten.

Diese beiden Stücke von Martin Schörle waren für mich eine positive Überraschung und vielleicht bietet sich in Zukunft ja öfter die Gelegenheit, dass sie ihrer wahren Bestimmung zugeführt werden: als von Schauspielern gespielte Stücke auf der Bühne - vor Publikum.