Emotional, spannend, tiefsinnig - ein Roman auf höchsten Niveau! "Leas Spuren" von Bettina Storks hat meine Erwartungen voll übertroffen und zählt zu meinen persönlichen Lese-Highlights in diesem Jahr. Die fünf Sterne sind mehr als verdient und eigentlich noch viel zu wenig - klare Leseempfehlung!
Schon das Cover stimmt gut auf die Geschichte ein, denn die Handlung spielt größtenteils in Paris und hängt mit einem verschollenen Gemälde zusammen. Wirklich gut im Cover umgesetzt.
Der Schreibstil ist ebenso großartig, er ist leicht, die Seiten fliegen nur so dahin. Gleichzeitig entsteht jedoch eine große Detailtiefe, die sehr fesselt. Von Anfang an gelang es eine Beziehung zu den handelnden Personen aufzubauen, mit ihnen mitzufiebern und ganz Teil der Handlung zu werden. Es fiel sehr schwer das Lesen zu unterbrechen und sich wieder dem Alltag zuzuwenden.
Ein Handlungsstrang spielt in Paris während der deutschen Besatzung in den frühen 1940er Jahren. Hier lernt der Leser zunächst Victor und Charlotte kennen. Victor ist ein Franzose, der in der deutschen Botschaft von Paris zu arbeiten beginnt und dort Charlotte begegnet. Zwischen den beiden bahnt sich eine zarte Liebe an, jedoch erschweren die Umstände die Gemeinsamkeit. Beide werden sympathisch, aber auch sehr komplex geschildert, so dass es interessant ist, sie immer näher kennenzulernen und ihre Handlungen zu verfolgen. Zum Ende seines Lebens verfügt Victor, dass sein Neffe Victor und Marie, die Tochter von Charlottes Schwester, gemeinsam ein Gemälde suchen sollen. "Ich wünsche Euch bei Eurem gemeinsamen Unternehmen Glück, einen klaren Blick und ein mutiges Herz!"
Und so entspannt sich ein zweiter Handlungsstrang, der im heutigen Paris spielt. Dort machen sich Marie und Nicolas auf die Suche nach Leas Spuren - dem Mädchen, das auf dem verschollenen Gemälde abgebildet ist. Marie ist von Beginn an sehr sympathisch. Sie hat anfangs eine nüchterne, überlegte Art mit der sie recherchiert, wird dann jedoch immer emotionaler, je mehr sie erfährt. Nicolas wirkt erstmal nicht ganz so sympathisch. Jedoch täuscht dieser erste Eindruck sehr, denn auch er wird zu einer liebenswerten Persönlichkeit, die man nicht mehr missen möchte. Auch bei Marie und Nicolas ist es rührend zu sehen, wie sich ganz zart eine Liebe entwickelt.
Der Wechsel der Perspektiven und Zeiten gefällt mir ausgesprochen gut. Toll ist auch, dass durch die Überschriften immer klar ist, in welchem Jahr bei welcher Person die Handlung gerade spielt. Wunderschön gezeichnet und mit viel Liebe ausgearbeitet, sind auch die Nebenfiguren. Von dieser Detailtiefe und deren Bedeutung für die Handlung war ich sehr beeindruckt. Zwei Figuren haben mich besonders berührt. Zum einen Herr Hetzel. Er hat eine vermeintlich kleine Rolle, zeigt aber so viel auf. Durch sein persönliches Schicksal wird ganz deutlich, welches Leid der Nationalsozialismus verursacht hat und wie gerade das kollektive und doch auch sehr individuelle Wegsehen eine Schuld beinhaltet. Die Schuld nichts getan zu haben, obwohl man gespürt hat, dass es nicht richtig ist, so mit anderen Menschen umzugehen. Herr Hetzel zerbricht daran und symbolisiert damit viele andere, denen es ganz ähnlich ergangen ist.
Zum anderen ist da noch Olivier Porte. Mich hat hier beeindruckt mit welcher Akribie und welchem Eifer, er Unterlagen über Deportierte gesammelt hat. Es ist bewundernswert, dass es Menschen gibt, die Zeit und Kraft einsetzen, um gegen das Vergessen anzukämpfen.
Was die Geschichte auch so eindringlich und emotional werden lässt, ist der Bezug zur realen Historie, der mit der fiktiven Handlung verwoben wird. Insbesondere die Hintergründe zur Kunstgeschichte und Provenienz sind interessant. Das gefällt mir wirklich gut, da es einen noch nicht so oft angesprochenen Aspekt der Folgen des Nationalsozialismus aufgreift. Eingebettet ist die Handlung zudem noch auf nahezu malerische Weise in das historische und das moderne Paris. Die Eindrücke sind sehr anschaulich und bildhaft und laden zum Träumen ein.
Das Ende war ebenfalls sehr gelungen, hat alle letzten Fragen geklärt und nochmal alle Emotionen angesprochen. Ein tolles Ende für ein durch und durch tolles Buch! Ein weiteres Lesehighlight für mich in diesem Jahr. Seite für Seite gefiel mir "Leas Spuren" von Bettina Storks immer besser. Mir gefallen, die beiden Zeitebenen, die beide so intensiv und detailliert ausgearbeitet sind. Mir gefällt die große Spannung, die über allem liegt und zum Miträtseln einlädt. Mir gefällt der Schreibstil, der die Protagonisten und die Umgebung so greifbar macht, als wäre man selbst Teil der Handlung. Mir gefällt, der Bezug zur Realität, der hinter der fiktiven Geschichte steht und dadurch umso mehr aufrüttelt.
Ein bildgewaltiger, spannender und dennoch sehr emotionaler Roman. Ich kann dieses besondere Leseerlebnis allen Lesern uneingeschränkt empfehlen.