Detailliert und interessant geschriebene Familien- und Zeitgeschichte
Bisher wusste ich wenig über Mozart. Und scheinbar hatte ich mir unbewusst ein nicht ganz zutreffendes Bild gebastelt. Vielleicht geprägt von dem bekannten Porträt auf den Mozartkugeln - ein prominenter ...
Bisher wusste ich wenig über Mozart. Und scheinbar hatte ich mir unbewusst ein nicht ganz zutreffendes Bild gebastelt. Vielleicht geprägt von dem bekannten Porträt auf den Mozartkugeln - ein prominenter Mann in roter Jacke und mit gepuderter Perücke; der Komponist der Oper “Die Zauberflöte”.
Nach der Lektüre der Familienbiografie von Michael Lemster habe ich dieses Bild nicht nur korrigieren und erweitern können, sondern auch viel über die Lebensumstände im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit erfahren. Hätte ich Lemster als Geschichtslehrer gehabt, wäre der Unterricht sicher sehr viel spannender gewesen.
Mozart wurde nur 35 Jahre alt und hat in seinem kurzen Leben über 600 Werke komponiert. Er trat bereits im Alter von sechs Jahren am Hof auf und sprang der Kaiserin Maria Theresia im Schloss Schönbrunn auf den Schoß und herzte sie.
Die Familie Mozart führte vor 250 Jahren ein Leben wie manche der heutigen Künstler. Der Tourbus des 18. Jahrhunderts war die Postkutsche. Statt Instagram ließ man Kupferstiche anfertigen, erstellte davon Drucke und ließ sie zu Werbezwecken verteilen. Und das Alter des “Wunderkindes” Wolfgang wurde von Vater Leopold aus strategischen Gründen etwas niedriger angegeben.
Aber fangen wir ganz vorn an. Lemster erzählt vom ersten Träger des Namens “Motzhart” im 15. Jahrhundert, der vom Land in die reiche Stadt Augsburg zog. Der Autor beschreibt den Aufstieg der Nachfahren von Bauern über Handwerker zum Bildungsbürgertum. Besonders viel Raum gibt er Leopold Mozart und seiner Frau Anna Marie Pertl, dem Sohn Wolfgang und der Tochter “Nannerl” sowie Wolfgangs Ehefrau Constanze Weber und ihren Kindern.
Lemster schildert ausführlich die prekäre Finanzsituation und den täglichen Kampf des Vaters Leopold neue Einkommensquellen aufzutun. Obwohl sie sogar vor der Kaiserin Marie Antoinette in Versailles zur Christmette spielten, galten die Mozarts als fahrendes Volk. Die ausgedehnten Reisen waren kostspielig, unbequem, zeitintensiv und zuweilen gefährlich, der Lohn dagegen nicht immer angemessen.
Was ich fast spannender fand als die Berichte über die Konzerte und Reisen, die Liste der Einnahmen, der Kosten und der Schulden waren die Schilderung der damaligen Lebensumstände: Die schweren, oft tödlichen, Krankheiten wie Pocken, Typhus und Scharlach; die hohe Säuglingssterblichkeit; die Zensur durch die Kirche; die Entwicklung der Städte Augsburg und Salzburg; der Wandel der Zeitalter über die Reformation zur Aufklärung; dem statusbesessenen Rokoko und der dereinst vorherrschenden Moral.
Da der Klappentext eine Biografie der Familie versprach, hoffte ich, auch mehr über das Leben von Frauen in der damaligen Zeit zu erfahren. Leider wurde aufgrund fehlender Quellen wenig über Anna Maria und die Tochter Nannerl berichtet. Erst von Constanze wird ausführlicher erzählt.
Nannerl hatte die gleiche Erziehung genossen wie Wolfgang. Mit elf Jahren stellte man sie zusammen mit dem sechsjährigen Wolfgang als Wunderkind am Hof vor. Doch das Mädchen wurde älter...
»Nannerl wird in einem Monat zwölf. Sie hat das Alter erreicht, in dem ›honette‹ Eltern ihren Töchtern Zurückhaltung und Scham auferlegten. Ihre Rolle ist neben der der Virtuosin die der wachen, aber stummen Beobachterin. Sie notiert das, was ihr besonders auffällt (...).«
Lemster ergänzt seine Erzählungen mit Zitaten aus Briefen sowie Stichen und Gemälden.
Ein spannendes Buch überquellend von Informationen über das Leben und die Geschichte vom 15. bis zum 19. Jahrhundert und eine faszinierende Familie.