Lehrsätze - nicht nur für Bogenschützen
Rezension Der Weg des Bogens von Paulo Coelho
Paulo Coelho schrieb Der Weg des Bogens 2003. Der Diogenes Verlag veröffentlichte das Buch 2017, und brachte im Oktober 2019 eine sehr schöne, von Christoph ...
Rezension Der Weg des Bogens von Paulo Coelho
Paulo Coelho schrieb Der Weg des Bogens 2003. Der Diogenes Verlag veröffentlichte das Buch 2017, und brachte im Oktober 2019 eine sehr schöne, von Christoph Niemann illustrierte, Neuauflage heraus.
Vielleicht weiß der Eine oder Andere von euch, dass ich den brasilianischen Schriftsteller sehr schätze und versuche seine Werke zu ergründen und zu analysieren.
Es ist gar nicht so einfach, das Buch einem Genre oder einer Sparte zuzuordnen, deswegen verzichte ich darauf.
Zum Inhalt „Der Weg des Bogens“?
Das erste, was mir auffiel, war, dass das übliche Zitat aus dem Lukas Evangelium fehlt, dass Paulo Coelho fast jedem Buch voranstellt, stattdessen findet der Leser eine Bitte an Maria, für uns zu bitten, als Gebet und ein Gedicht von Ella Wheeler Wilcox. Sie war eine US-amerikanische Schriftstellerin, die nahen Kontakt zu den Rosenkreuzern hatte und sich viel mit Spiritualismus und Okkultismus beschäftigte. Sie war in der Neugeist Bewegung mit ihren Schriften sehr populär.
„Ein Gebet ohne Absicht ist wie
ein Pfeil ohne Bogen.
Eine Absicht ohne Gebet ist wie
ein Bogen ohne Pfeil.“
Ella Wheeler Wilcox aus: Der Weg des Bogens S. 9.
Paulo Coelho widmet dieses Buch Leonardo Oiticica, der ihn zu diesem Text inspirierte. In dieser Widmung erfahren wir auch, dass der Schriftsteller selbst Kyudo praktiziert.
Das Buch arbeitet mit einer Rahmenhandlung, in die Leitsätze des Zen-Buddhismus eingearbeitet werden. Dazu möchte ich einen Auszug aus einer Kyudojo-Seite beifügen, weil das anscheinend sehr umstritten ist.
Ein kleiner Ausflug in Kyudo
„Ist Kyudo gleich „Zen-Bogenschießen“?
Nein. Dieses Missverständnis geistert dank Eugen Herrigels Buch „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ schon seit vielen Jahrzehnten herum.
Zen und Kyudo sind eigenständige Wege und Kulturen, die sich unabhängig voneinander entwickelt haben. Kyudo ist ausschließlich in Japan entstanden, der Zen-Buddhismus, eine buddhistische Richtung, die sich aus dem Mahayana-Buddhismus entwickelt hatte, kam von Indien über China erst im 12. Jhd. nach Japan.
Die Mehrheit der Samurai gehörte jedoch der Jodo-shu, der Schule vom Reinen Land, an und nicht dem Zen-Buddhismus. Auch heute hat der „Buddhismus des Reinen Landes“ in Japan mehr Anhänger als der Zen-Buddhismus.“
Kyudoyo Stuttgart
Die Kunst des Zen-Bogenschießens oder des Kyudo(?) ist in eine Rahmenhandlung gehüllt
Der Prolog enthält Tetsuyas Geschichte. Tetsuya ist ein berühmter Bogenschütze, der zurückgezogen in einem Dorf lebt, bis ein Fremder ihn sucht, um ihn herauszufordern. Ein junger Mann des Dorfes bringt den Fremden zu Tetsuya und wird Zeuge des Wettkampfs. Daraufhin möchte der junge Mann dem Meister folgen und auch in der Kunst des Bogenschießens unterrichtet werden.
Daraufhin gibt Tetsuya seine Lehren weiter und letztendlich schließt sich der Kreis harmonisch.
Welche Lehren gibt Tetsuya weiter?
Tetsuya gibt Lehrsätze in folgender Struktur weiter:
Die Verbündeten; Der Bogen; Das Ziel; Die Haltung; Wie man den Bogen hält; Wie man die Sehne spannt; Der Blick auf das Ziel; Der Augenblick des Abschusses; Die Wiederholung; Der Flug des Pfeils; Der Schütze ohne Bogen, ohne Pfeil, ohne Ziel.
Diese Sätze sind wie Aphorismen und bergen Weisheit in sich, die nicht nur bei Erlernen des Bogenschießens nützlich sind.
Ja! Dieser Text findet den Eingang zum Meditieren, ohne dass der Leser oder Hörer darin geübt sein muß. Man ist geneigt dazu, sofort die Lehrsätze des Bogenschießens auf das Leben und den Alltag zu übertragen.
Die Illustrationen von Christoph Niemann
Der in Ludwigsburg geborene Grafiker und Illustrator Christoph Niemann lebte nach seinem Studium elf Jahre in New York, 1997 kehrte er zurück und lebt seitdem in Berlin.
Seine Werke erschienen auf den Titelseiten zahlreicher Zeitschriften, u. a. The New Yorker, The New York Time Magazine.
Er entwarf 2012 für die Deutsche Post eine Briefmarke. 2014 wurde sein Bilderbuch Der Kartoffelkönig für den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Sachbuch nominiert.
Einen Künstler erkennt man wohl am Besten in seinen Werken. Anschließend an den Text, findet ihr eine Linksammlung zum Buch, Autor und Illustrator. Außerdem möchte ich euch einen kleinen Film, den die Oper Berlin ins Netz stellte, Im Atelier mit Christoph Niemann empfehlen.
Die Illustrationen von Christoph Niemann sind in einem angemessen Stil, der sofort als japanisch vielleicht sogar zen-buddhistisch wahrgenommen wird, gezeichnet und visualisieren „Der Weg des Bogens“ in eindringlicher Weise. Man kann beim Betrachten darin aufgehen.
Gibt es ein Hörbuch Der Weg des Bogens?
Ja! Ich würde es aber nur zusätzlich empfehlen, weil die Illustrationen von Christoph Niemann natürlich fehlen.
Das Hörbuch wird sehr angenehm von Sven Görtz gesprochen und hat eine Hördauer von ca. 48 Minuten.
Meine Schlussgedanken zu „Der Weg des Bogens“
Als ich meinem Mann die Hörbuchfassung vorspielte, sagte er sofort:
„Was für eine schöne Meditation!“
Wie selbstverständlich geschieht hier das Reflektieren und Vergleichen mit dem eigenen Leben. Eine Eigenschaft, die viele Bücher von Paulo Coelho besitzen.
Der Weg des Bogens ist geradezu nüchtern, schlicht und überaus dicht geschrieben. Der Inhalt dagegen ist erfahrene Lebensweisheit, vielleicht kann man es, weniger pathetisch Aphorismen nennen, die dem Leser helfen können, wenn er es möchte. Sie bieten zusammen mit den Illustrationen von Christop Niemann, die japanisch anmuten, eine Hilfestellung.
Natürlich sind das Lehrsätze für das Erlernen des Bogenschießens, aber eben nicht nur. Es sind auch Metaphern für den Alltag, für das tägliche Leben. Die Gedanken lohnen sich, mitgedacht zu werden.
Es geht um Achtsamkeit. Du musst den Augenblick im Jetzt wahrnehmen, deinem Handeln, ja selbst den einfachsten Abläufen deine gesamte Aufmerksamkeit gönnen. Dann wird dein Handeln erfolgreich sein. Bei Paulo Coelho hört es sich viel schöner und weniger erhobener Zeigefinger an!
Und wie schon erwähnt, lässt sich damit wunderbar meditieren.
Geh das Wagnis ein! Lasse dich auf Der Weg des Bogens ein. Ein besinnliches Buch für die Adventszeit.