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Veröffentlicht am 13.04.2017

Faszinierende Welten

Demnächst in Tokio
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Am 26.Juni1934, drei Monate vor ihrem 19. Geburtstag, widerfährt Elisabeth der Tag, der das Schicksal ihres Leben einschneidend ändert. Ihr Vater kommt überraschend früh zum Mittagstisch. Völlig aufgeregt ...

Am 26.Juni1934, drei Monate vor ihrem 19. Geburtstag, widerfährt Elisabeth der Tag, der das Schicksal ihres Leben einschneidend ändert. Ihr Vater kommt überraschend früh zum Mittagstisch. Völlig aufgeregt treibt er seine Frau und Tochter an, sich herauszuputzen um zum Standesamt zu fahren. Elisabeth wird ohne gefragt worden zu sein, Ernst-Wilhelm von Traunstein, den Sohn des Firmeninhabers von Traunstein, heiraten. Im Gegenzug wird Elisabeths Vater Kompagnon und darf eine kleine Villa beziehen.
Ernst-Wilhelm von Traunstein verlässt aus politischen Gründen direkt nach der Eheschließung Deutschland und wird in Tokio einen Posten in der Botschaft annehmen. Elisabeth wird ihm folgen und ca. acht Jahre in Tokio leben. Es werden glückliche und auch unruhige Jahre, ständig beobachtet von den treuen Hitleranhängern. Ernst-Wilhelm, Alexander Arend, Journalist der FAZ, der sich nach kurzer Zeit als naher Freund erweist, und Elisabeth sind keine blinden Anhänger des 3.Reichs und müssen bei zunehmender Nazifizierung mit den Folgen leben.

Lang gewartet und dann viel zu schnell ausgelesen. Dieser Roman ist eine unheimlich spannende Geschichte dreier Menschen in den Wirren und Verwicklungen des 2. Weltkrieges. Das für mich faszinierende ist der Schauplatz der Geschichte, Tokio in den 30er und 40er des vergangenen Jahrhunderts. Bis jetzt habe ich wenig darüber gelesen.
Frau Seewald beschreibt so lebhaft die Gerüche, Bilder und vor allem die Menschen, dass der Leser sich in die Zeit und den Ort versetzt sieht. Die einzelnen Protagonisten sind sehr detailliert beschrieben. Der Schreibstil und das Stilmittel die Geschichte als Brief an die Tochter zu schreiben ist sehr gut gelungen.
Elisabeth, ziemlich naiv, aber trotzdem die einzelnen Personen zunehmend durchschauend, wird vom ängstlichen Mädchen zur Frau, die sich ihren Gefühlen stellt. Stillschweigend führt sie mit Ernst-Wilhelm eine Freundschaftsehe und später sogar eine Ehe zu dritt. Ernst-Wilhelm verfolgt ruhig und ausgleichend seine Karriere ohne seine Frau und seinen Freund je bloßzustellen. Aber die Politik lässt sie nicht in Ruhe.
So ist die Politik im Hintergrund oder manchmal auch im Vordergrund der Geschichte immer wieder zu spüren. Der geschichtliche Hintergrund ist so gekonnt in den Roman eingeflochten, dass ich mehr wissen will und somit auch zur eigenen Recherche angeregt werde. Was will man mehr.......

Veröffentlicht am 08.02.2017

Scholz & Jacobi

Weit weg ist anders
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Edith Scholz, die ca. 70-jährige ungeduldige Berlinerin, wird nach einem Sturz in ihrer Wohnung erst nach eineinhalb Tagen von ihrem Postboten Oskar Mannstein entdeckt.
Notarzt, Krankenhaus, Hüftoperation ...

Edith Scholz, die ca. 70-jährige ungeduldige Berlinerin, wird nach einem Sturz in ihrer Wohnung erst nach eineinhalb Tagen von ihrem Postboten Oskar Mannstein entdeckt.
Notarzt, Krankenhaus, Hüftoperation und Reha folgen unvermeidlich ihrem Unfall. Während der Reha lernt sie Christel Jacobi kennen, die ihre Freundschaft sucht. Aber Edith Scholz sucht keine Freundschaft. Sie liebt es unabhängig zu sein. Sie ist kratzbürstig, angriffslustig und zupackend. Christel Jacobi ist das krasse Gegenteil von Großstadtpflanze Edith. Sie kommt aus der Kleinstadt Husum. Sie liebt Yoga und Handarbeiten. Im Gegensatz zu Edith ist sie mimosenhaft, emotional und ängstlich, aber auch ziemlich manipulierend. Trotz einer großen Abneigung und der vielen Gegensätze finden die Beiden zueinander und machen sich in ein großes Abenteuer auf.

Ich habe mich köstlich amüsiert. Ich bin auch bereits sechzig Jahre und finde es köstlich, wie natürlich Frau Scholz und Frau Jacobi agieren. Jeder kennt so eine Frau Scholz und Frau Jacobi. Man mag sie Beide, aber auf Dauer kann man wohl keine von Beiden immer in seiner Nähe haben. Wenn man Frau Scholz allzu nah auf die Pelle rückt, wird sie mit jedem Tag unausstehlicher und kratzbürstiger, damit sie wieder alleine ihrem gewohnten Tagesablauf nach gehen kann. Frau Jacobi würde mir auf Dauer ziemlich auf die Nerven gehen, so lieb und so nett sie auch ist.
Für ein bestimmtes Ziel haben sie sich aber arrangiert und dabei festgestellt, dass sie ihr gewohntes Leben doch nicht lange Zeit entbehren können.
So amüsant und unterhaltsam die Wortgefechte zwischen den beiden Frauen zu lesen waren, so lässt es mich doch nachdenklich und ein bisschen traurig zurück.
Weite Sprünge können wir mit zunehmendem Alter nicht mehr machen, aber es gibt immer noch Menschen, die es versuchen. Und das ist schön zu lesen.

Veröffentlicht am 24.01.2017

Geschichte, wie sie jeder liebt

Der Jahrhunderttraum (Jahrhundertsturm-Serie 2)
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Berlin 1891, die nächste Generation der Familie von Briest wächst heran und erlebt die Geschichte ihrer Zeit. Die Kinder derer von Briest, Otto, Amalie und Levin streben zunächst in verschiedene Richtungen. ...

Berlin 1891, die nächste Generation der Familie von Briest wächst heran und erlebt die Geschichte ihrer Zeit. Die Kinder derer von Briest, Otto, Amalie und Levin streben zunächst in verschiedene Richtungen. Ihre Mutter Antonie von Briest engagiert sich immer mehr für die Frauenbewegung, was ihrem Mann Moritz von Briest, Geschäftsführer der Firma von Siemens, zunehmend beruflich schadet und ihre Ehe gefährdet. Otto, der Ingenieurwissenschaften studiert, wird während seines Studiums in die antisemitische und aufrührerische Strömung von Oskar Glock getrieben, die er aber frühzeitig wieder verlässt um seinen Vater in die USA zu folgen. Amalie lässt sich von dem Engagement ihrer Mutter für die Frauenbewegung nicht mitreißen, geht aber mit der Zeit ihren eigenen Weg. Levin von Briest verschreibt sich dem Traum vom Fliegen und begleitet Lilienthal, Wölfert und Zeppelin bei der Entwicklung ihrer Luftschiffe und Flugapparate.

So sollten Geschichtsbücher geschrieben werden. Sie würden die Schüler unterhalten, fesseln und nebenbei ihnen die geschichtlichen Ereignisse näherbringen.
Ich fühle mich bestens unterhalten und informiert.

„Der Jahrhunderttraum“ beschäftigt sich mit dem großen Traum der Menschheit, dem Fliegen. Wie schon „Der Jahrhundertsturm“ beschreibt Herr Dübell anhand der fiktiven Familie von Briest das gesellschaftliche und politische Umfeld dieser Zeit.
Über einen Zeitraum von nicht einmal 20 Jahren fächert der Autor vor unseren Augen unter anderem die Entwicklung des „Zeppelin“ und anderer Fluggeräte, die Entstehung der Frauenbewegung und ihre gesellschaftlichen und beruflichen Folgen sowie ein kriminelles, antisemitisches Umsturzszenario, das an Größenwahn und Fanatismus nur noch vom „Dritten Reich“ getoppt wird.

Dieser historische Roman liest sich zeitweise wie ein spannender Krimi, ist nicht frei von Gewaltszenen und lässt den Leser immer wieder um das Überleben der Akteure bangen. Eingestreut in die spannende Handlung finden wir hin und wieder die neuesten Errungenschaften und Erfindungen des täglichen Gebrauchs, was uns immer wieder daran erinnert, dass nur die Familie von Briest und Oskar Glock fiktiv sind. Ansonsten handelt es sich hier um einen hervorragend recherchierten historischen Roman, der uns die Geschichte um die Jahrhundertwende in 20. Jahrhundert näher bringen will.
Das ist großartig gelungen, danke.

Veröffentlicht am 28.12.2016

Beklemmend, aber spannend

Schere 9
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Hauptkommissar Heinz Baldur und sein neues Team, zu dem auch die Praktikantin Melek Arslan gehört, haben es mit brisanten Serienmorden zu tun. Innerhalb weniger Tage werden fünf Männer gefoltert und bestialisch ...

Hauptkommissar Heinz Baldur und sein neues Team, zu dem auch die Praktikantin Melek Arslan gehört, haben es mit brisanten Serienmorden zu tun. Innerhalb weniger Tage werden fünf Männer gefoltert und bestialisch ermordet. Die Opfer sich immer untreue Ehemänner. Ist jemand auf einem Rachefeldzug?
Baldur, selbst untreu, hat sich nach einem Giftanschlag seiner Verlobten auf sein Leben, von Köln nach Frankfurt versetzen lassen.
Jetzt in Frankfurt leidet Baldur noch immer unter den Folgen des Giftanschlags, insbesondere in Hinblick auf die Opfer dieser Mordserie. Er und sein Team finden keine andere Gemeinsamkeit unter den Opfern außer deren Untreue.

„Ein beklemmender Blick in die Abgründe der menschlichen Seele – ein Krimi, der nachwirkt.“
Genauso habe auch ich diesen Thriller empfunden. Der Leser erhält Einblick in die schon in der Kindheit verletzte Seele des Ermittlers Hauptkommissar Heinz Baldur. Nach dem Giftanschlag platzen die bereits vernarbten Verletzungen wieder auf und diese Mordserie gibt ihm fast den Rest.
Auch bei einer der Täterinnen erfahren wir von ihren Verletzungen in der Jugend und den daraus resultierenden Folgen. Es tuen sich Abgründe auf, die man manchmal nicht lesen will und doch gehört alles zusammen.
Isabella Archan hat daraus einen wirklich beklemmenden Triller gemacht, der noch lange nachwirkt.

Veröffentlicht am 08.12.2016

Berührend

Wir kennen uns nicht
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Wir kennen uns nicht

Das ist für mich der aussagekräftigste Satz im Beziehungsroman von Brigit Rabisch. In abgewandelter Form las man diese Aussage fast auf jeder Seite.
Es geht um die Beziehung von Mutter ...

Wir kennen uns nicht

Das ist für mich der aussagekräftigste Satz im Beziehungsroman von Brigit Rabisch. In abgewandelter Form las man diese Aussage fast auf jeder Seite.
Es geht um die Beziehung von Mutter und Tochter. Im Fall von Lena und Ariane hat sich die Mutter-Tochter-Beziehung von Anfang an nicht aufbauen lassen. Lena, die selbst eine unglückliche und demütigende Kindheit erlebt hat, kann ihre Tochter nicht annehmen und ihr mütterliche Gefühle entgegen bringen. Ariane wird von Kindermädchen versorgt und fühlt sich beiseite geschoben. Außerdem veröffentlicht ihre Mutter in ihren Bestsellern ihre Vorstellung vom Familienleben als alleinerziehende Mutter mit einer Supertochter.
Lena schreibt schon seit ihren frühen emanzipatorischen Anfängen Bücher über eine fiktive Lara, die ihr Leben so meistert, wie Lena es gerne meistern würde.
„Sie hat bisher ihr ganzes Leben in Schrift verwandelt. Wenn sie ihren Tod nicht in Schrift verwandeln kann, wozu soll er gut sein“
In ihren Büchern hat sie ein wundervolles Verhältnis zu ihrer Tochter. Im wahren Leben empfindet sie keine Liebe für Ihre Tochter, kann ihre keine Zärtlichkeit und Geborgenheit schenken. Sie bemerkt zwar, dass das Verhältnis zu ihrer Tochter nicht gut ist, aber sie ist sich sicher, ihrer Tochter ein Leben ermöglicht zu haben, von dem sie immer geträumt hat.
Ariane entwickelt eine immer größer werdende Wut ob der Enttäuschungen, Vernachlässigungen und Instrumentalisierung für Lenas Bücher. Sie gibt ihre Mutter auf und versucht eine eigene Familie aufzubauen.

Birgit Rabisch lässt, nach einer paukenschlagähnlichen aufrüttelnden Anklage von Ariane an die Leser, Mutter Lena und Tochter Ariane im Wechsel zu Wort kommen. Beide reflektieren über ihre Kindheit und über ihr Verhältnis zueinander. Aber miteinander zu reden gelingt ihnen nicht und somit sind Verständnis und Vergebung in weiter Ferne.

Das offene Ende stimmt mich etwas versöhnlich und hoffnungsvoll.

Das war ein sehr aufwühlendes Buch, da es von tiefen Gefühlen und Verletzungen eines Kindes erzählte und einer Mutter, die nicht in der Lage war ihre Demütigungen und Verletzung aus ihrer Kindheit zu verarbeiten