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Veröffentlicht am 22.12.2019

Atemberaubender Wettkampf gegen die Zeit

Gnadenfrist
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Mary Higgins Clark, die amerikanische Schriftstellerin mit irischen Wurzeln, auf die sie sich immer wieder gerne beruft, ist eine wahre Meisterin der Spannung! Das zeigt sie bereits zur Perfektion in ihrem ...

Mary Higgins Clark, die amerikanische Schriftstellerin mit irischen Wurzeln, auf die sie sich immer wieder gerne beruft, ist eine wahre Meisterin der Spannung! Das zeigt sie bereits zur Perfektion in ihrem zweiten, 1977 veröffentlichten, Thriller, der so nervenzerfetzend aufregend ist, dass man, hat man ihn einmal aufgeschlagen, nicht von ihm lassen kann bis zu seinem furiosen Finale, das, so bemängeln die ewigen Nörgler, zu schnell kommt und vieles offenlässt. Eine Kritik, die ich nicht teilen kann, denn Schlusssequenzen dieser Art sind typisch für die New Yorkerin, die dem intelligenten Leser zutraut, sich den weiteren Lebensweg ihrer Protagonisten eigenständig auszumalen – was nicht schwer sein dürfte, nachdem man diese sehr genau während der schnell voranschreitenden, die Spannung kontinuierlich steigernden Handlung kennenlernen konnte. Man weiß Bescheid über ihre Lebensgeschichten, weiß auch, was in ihnen vorgeht, kann sich ein klares Bild von ihnen machen. Warum dann explizit beschreiben, was die Leser sich ohnehin denken können?
Ein derartiges Ende muss freilich gekonnt sein – und Mary Higgins Clark beherrscht es, wie sie alles beherrscht, das zum Schreiben eines perfekten Thrillers notwendig ist – und ihr seit beinahe 45 Jahren ungebrochener Erfolg gibt ihr Recht! Sie ist und bleibt die „Königin der Spannung“, eine Ausnahmeerscheinung unter den amerikanischen Autoren, wie ich über die Jahre feststellen konnte, jemand, dem man die Treue hält, selbst wenn ihre sehr späten Romane nicht mehr den Glanz von einst haben.

Für „A Stranger is Watching“ ( deutscher Titel: „Gnadenfrist“ ) sucht sie sich als Hauptschauplatz der auf 52 Stunden angelegten Handlung den imposanten und irrgartenmäßig verzweigten New Yorker Bahnhof „Grand Central Terminal“, üblicherweise „Grand Central Station“, aus, der 1913 eingeweiht, über die meisten Gleise weltweit verfügt. Hier wurde kurz zuvor, nämlich im Jahre 1976, ein Bombenattentat von kroatischen Nationalisten verübt – und es darf davon ausgegangen werden, dass die Autorin, die sich für die Themen ihrer Romane gewöhnlich durch die aktuellen Nachrichten inspirieren lässt, die sie stets akribisch verfolgt, dieses Attentat im Kopf hatte, als sie ihren zweiten Thriller nach „Where are the Children?“ zwei Jahre zuvor, konzipierte.
Doch wie immer gibt es da nicht nur ein einziges Thema, denn im Zentrum des vorliegenden Romans steht ein perfides und brutales Kidnapping, das unweigerlich zu einem der klassischen Rennen gegen die Zeit führen muss, denn während sich die Journalistin Sharon Martin und Neil, der sechsjährige Sohn ihres Freundes Steve Peterson, ebenso im Zeitungsgeschäft tätig, in der Gewalt eines komplett wahnsinnigen und ebenso eiskalten und mörderischen Entführers befinden, tickt die Uhr unaufhaltsam!
Doch es ist nicht allein die fieberhafte Suche nach Sharon und Neil, die den Leser in Hochspannung versetzt, sondern gleichzeitig das Schicksal des jungen Ronald Thompson, der sich im Todestrakt eines Gefängnisses befindet und auf seine Hinrichtung wartet, die zum gleichen Zeitpunkt stattfinden soll, zu dem, wie der Entführer androht, die Bombe hochgehen soll – im Grand Central Terminal, was freilich bis ganz zum Schluss nur der Leser weiß, der, wie man das von Mary Higgins Clark kennt, die Handlung aus mehreren Perspektiven verfolgen kann und damit nicht nur immer auf dem Laufenden ist, sondern ganz tief in die Köpfe des irren Killers und aller anderen Protagonisten bis hin sogar zu den Nebenfiguren, eindringen kann. Das ist im übrigen auch einer der völlig ungerechtfertigten Kritikpunkte, die einige nie Zufriedene anbringen – der Leser weiß zuviel! Wer eine solche Kritik äußert hat, so ist zu mutmaßen, den Roman nicht wirklich gelesen, denn auch der auktoriale Leser weiß eben nicht alles! Die Identität des Entführers wird ihm gleichzeitig mit den Ermittlern, also erst gegen Ende der Handlung, enthüllt, die Spannung also bleibt ungebrochen. Er kennt jedoch den Grund für die Entführung, weiß recht schnell, dass der Todeskandidat Ron Thompson, um dessen Rettung sein Anwalt verzweifelt kämpft, die Tat, für die er verurteilt wurde, nicht begangen hat, sondern dass es der mörderische Bösewicht, der sich selbst „Foxy“ nennt, höchstselbst war, und dass der Mord an Stevens Frau und Neils Mutter Nina zwei Jahre zuvor der Grund für die Entführung ist. Der kleine Neil hat nämlich die Tat mitangesehen, obwohl er sich an nichts erinneren kann, und seine Augen gehen Foxy nicht aus dem Kopf, quälen ihn bis zur Unerträglichkeit.
Verflochten mit der Handlung, sie wie ein roter Faden durchziehend, ist eine vehemente Debatte pro und contra Todesstrafe, die angesichts der bevorstehenden Hinrichtung, der ersten seit Jahren im Bundesstaat New Jersey, entflammt ist. Die Journalistin Sharon Martin ist eine entschiedene Gegnerin der Todesstrafe, während Steve, der Mann, den sie liebt, die entgegengesetzte Position vertritt – verständlich nach dem Mord an seiner Frau. Doch während die erschütternde Wahrheit allmählich ans Licht kommt, ändern sich auch die jeweiligen Standpunkte der Protagonisten. Und das schildert die Erfolgsschriftstellerin, die weiß, wie kaum jemand sonst, wie man Spannung aufbaut, wie die unterschiedlichen Handlungsebenen und die Charaktere selbst zusammengeführt werden, so intensiv und elegant und absolut glaubhaft, dass daraus ein großartiger Psychothriller geworden ist, den man gerne entstauben und aus der Versenkung herausholen kann!

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Veröffentlicht am 21.12.2019

Ausgetrickst!

Der kleine Drache Kokosnuss und die Wetterhexe
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Das Leben könnte so schön sein für die einträchtig miteinander lebenden Drachen vielfältigster Gestalt auf ihrer Insel! Der Sommer ist endlich da und das Meer läd zum Schwimmen, der Strand zum Faulenzen ...

Das Leben könnte so schön sein für die einträchtig miteinander lebenden Drachen vielfältigster Gestalt auf ihrer Insel! Der Sommer ist endlich da und das Meer läd zum Schwimmen, der Strand zum Faulenzen ein.
Doch da gibt es ein kleines, böses Wesen, das es nicht ertragen kann, wenn es anderen gutgeht – die Wetterhexe Gula! Schon rauscht sie in ihrer Wolke auf ihrem Besen heran – und weg ist der Sommer! Die Insel versinkt in Unwetter und Dauerregen. Das war's dann wohl, denken sich die großen Drachen und stapfen in ihre Behausungen zurück, voller Angst, von der entfesselten, ewig mürrischen Gula in Hagelkörner verwandelt zu werden, wenn sie aufmucken...
Doch Feuerdrache Kokosnuss gibt sich noch lange nicht geschlagen und schmiedet mit seinen Freunden, dem pfiffigen und weiß Gott nicht auf den Mund gefallenen Stachelschwein Matilda, dem Fressdrachenjungen Oskar, der zwar wie alle Vertreter seiner Spezies gerne isst, aber doch bitte nur Käsebrot, und diesmal auch dem Feuerdrachenmädchen Lulu, einen Plan, um der garstigen Hexe das niederträchtige Handwerk zu legen.
Zunächst geht es zur dicken Hexe Rubinia, denn die kennt sich unter ihresgleichen ja schließlich aus, wenn auch ihre Hexenkünste recht unorthodox sind und mit Vorsicht zu genießen, denn die gute Rubinia bringt ob ihrer Vergesslichkeit gerne Zaubersprüche durcheinander – und was dabei herauskommen kann, wissen unsre Freunde nur zu gut! Doch in der Tat weiß Rubinia Rat und die Freunde wissen nun, wie sie der Wetterhexe beikommen können – vielleicht, eventuell, möglicherweise, wenn alles so läuft mit den geplanten Tricks, wie sie es sich vorgestellt haben...

Auch das zehnte Abenteuer des kleinen Drachen Kokosnuss ist, wie seine Vorgänger, beste Unterhaltung für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter! Es funkelt und blitzt nur so vor lustigen Einfällen des Autors, der erneut gekonnt mit der Sprache spielt, sie verdreht, neu zusammensetzt und überhaupt seine gesamte beträchtliche Phantasie entfaltet in dieser Geschichte, die eine von denen ist, die gänzlich auf der Dracheninsel spielen – und die mir entschieden die liebsten sind.
Klar, es macht immer einen Riesenspaß, mit den Drachenkindern nebst Stachelschweinmädchen Matilda durch die Welt und die Zeit zu reisen – doch die Dracheninsel ist so vielfältig, von unzähligen charmanten und weniger charmanten Wesen außer den großen Fabeltieren bewohnt, von denen wir immer wieder neue kennenlernen, dass ich viel neugieriger auf die mich nie enttäuschenden amüsanten und mitunter auch recht skurrilen Erlebnisse bin, die sich der Autor einfallen lässt, wenn er seine liebenswerten kleinen Helden nicht auf Reisen schickt sondern die Heimat erkunden lässt.

Summa summarum: ein echtes Gute-Laune-Buch, das darüberhinaus auch noch ein wahrer Augenschmaus ist, dank seiner herrlichen, detaillierten, farbenfrohen Illustrationen, die das gesamte fröhliche Buch zieren und ganz entschieden lobende Erwähnung verdienen!
Mögen dem Autor Ingo Siegner seine Ideen nicht so schnell ausgehen, kann man sich am Ende dieser – wie auch jeder vorhergehenden – Kokosnuss-Geschichte nur wünschen!

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Veröffentlicht am 12.12.2019

Die Verwandlung eines Hartherzigen

Charles Dickens Eine Weihnachtsgeschichte
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Wer kennt sie nicht, die Geschichte des geizigen und habgierigen Mr. Scrooge, dem Mann mit dem Herzen aus Stein, der Kälte verbreitet, wohin er auch kommt, dem jede menschliche Regung abhanden gekommen ...

Wer kennt sie nicht, die Geschichte des geizigen und habgierigen Mr. Scrooge, dem Mann mit dem Herzen aus Stein, der Kälte verbreitet, wohin er auch kommt, dem jede menschliche Regung abhanden gekommen ist, für den nur Geld zählt und dem die Armen, die Außenseiter der Gesellschaft ein Dorn im Auge sind? Alle Jahre wieder, und just zur Weihnachtszeit, berührt Charles Dickens "A Christmas Carol", die Weihnachtsgeschichte schlechthin, Menschen in aller Welt, verfolgen sie die wundersame Wandlung des Hartherzigen, der in der Heiligen Nacht zunächst von dem Geist seines verstorbenen Partners Jacob Marley, zu Lebzeiten sein ebenso egoistisches Pendant, heimgesucht wird, und der ihn anfleht, sein Leben zu ändern, bevor es zu spät ist. Als das nichts fruchtet, kündigt Marleys Geist dem unsympathischen Zeitgenossen, der Weihnachten als "Humbug", als dummes, sentimentales Zeug, bezeichnet, die Ankunft von drei weiteren Geistern an, dem Geist nämlich der vergangenen Weihnacht, dem der gegenwärtigen und dem der zukünftigen.

Auf eindringliche Art und Weise und mithilfe einiger Schocktherapien gelingt es den Dreien, das Herz des Unbelehrbaren, der bis dahin weder Freunde hatte noch welche wünschte, zum Leben zu erwecken, die Fähigkeit zum Mitgefühl und Mitleiden in ihm erwachen zu lassen und ihm so ein gänzlich neues und erfülltes Leben zu schenken! Denn das, was Ebenezer Scrooge in nur einer einzigen Nacht auf der Reise mit den drei Geistern erlebt, wandelt ihn vollständig! Und von Stund an wird er seinem sich selbst gegebenen Versprechen, ein besserer Mensch zu werden und Weihnachten in Ehren zu halten, treu bleiben, zu seinem eigenen Segen und dem der Menschen, denen er sich schon bald verbunden fühlt....

Die am 19. Dezember des Jahres 1843 veröffentlichte und von dem begabten Zeichner John Leech liebevoll und gekonnt illustrierte wohl berühmteste Weihnachtsgeschichte aller Zeiten - wenn man einmal absieht von der frohen Botschaft, die die Evangelien verkünden -, die in unzähligen Adaptionen auf die Leinwand und die Bühne gebracht wurde und nach wie vor wird, kann man, trotz des beeindruckenden Gesamtwerkes, für das der englische Schriftsteller Charles Dickens verantwortlich zeichnet, mit Fug und Recht als sein Meisterwerk bezeichnen! Es komprimiert die Themen, denen sich der Autor zeitlebens verschrieben hatte und die zum einen die allmähliche Verwandlung selbstsüchtiger und harter Menschen und zum anderen die Anprangerung der sozialen Missstände im England des 19. Jahrhunderts sind, unter denen Kinder, wie er aus eigener leidvoller Erfahrung sehr gut wusste, am meisten zu leiden hatten. Der Zynismus, dessen er sich dabei bedient, mit dem er auch Scrooge ausstattet, wenn er ihn eine wohltätige Spende mit der Frage verweigern lässt, ob es denn keine Armenhäuser gäbe, in die man all die Bedürftigen, mit denen er kein Mitleid empfindet, stecken könnte, ist so scharf, dass man erschrecken muss. Doch spielt Dickens auch mit jenem Zynismus, lässt ihn auf Scrooge zurückfallen, als dieser, schon auf dem besten Wege der Bekehrung, einen seiner geisterhaften Besucher fragt, ob man nicht etwas tun könnte, um das Elend, das dieser ihm in den Straßen Londons und vor allem im Hause seines, von ihm sträflich unterbezahlten, Angestellten Bob Cratchit vor Augen führt, zu lindern. Der Geist fragt ihn daraufhin, ob es denn keine Armenhäuser gäbe und fügt hinzu, dass es doch ohnehin zu viele Menschen auf der Erde gäbe - Scrooges eigene Worte wiederholend.... Das sind unvergessliche Szenen in einem Buch, dem bei seinem Erscheinen durchweg positive Besprechungen gewidmet wurden, dem man eindrucksvolle Wortgewandtheit bescheinigt, funkelnden Humor und das man, völlig zu Recht, als eine Geschichte bezeichnet, die den Leser lachen und weinen lässt, die durchweht ist von einem sanften Geist der Menschlichkeit. Wie wahr!

Erwähnenswert zum Schluss mag die Entstehungsgeschichte dieses zeitlosen, stehts aufs Neue anrührenden Meisterwerkes sein! Charles Dickens setzte sich während seines vergleichsweise kurzen Lebens stets vehement für soziale Verbesserungen ein, die sich vor allem auf die Arbeitswelt bezogen. Kinderarbeit prangerte er aufs Schärfste an, seine Sorge galt der Bekämpfung des Unwissens durch radikale Bildungsreformen. Da mit dem Beginn der Viktorianischen Ära das Weihnachtsfest mit seinen Insignien wie Tannenbaum, Weihnachtsliedern, Familiezusammenkunft und gutes Essen - später gefestigt auch dank der Bemühungen der britischen Königin Viktoria und ihres aus Deutschland stammenden Prinzgemahls Albert - langsam wieder in Mode kam, entschied Dickens, dass er mit seinen Botschaften viel wirkungsvoller eine breite Leserschaft erreichen konnte, indem er selbige in eine zu Herzen gehende Weihnachtsgeschichte verpackte, als sie in Form von Aufsätzen und politischen Pamphleten kundzutun. Mit Sicherheit ist diese Rechnung aufgegangen und der frühe Sozialreformer Dickens hat ebenso gewiss seine Leserschaft nicht nur zu Tränen gerührt, sondern auch, und das war ihm bei weitem das Wichtigste, zum Nachdenken - und den einen oder anderen gar zum Handeln gebracht!

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Veröffentlicht am 12.12.2019

Die Verwandlung eines Hartherzigen

A Christmas Carol
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Wer kennt sie nicht, die Geschichte des geizigen und habgierigen Mr. Scrooge, dem Mann mit dem Herzen aus Stein, der Kälte verbreitet, wohin er auch kommt, dem jede menschliche Regung abhanden gekommen ...

Wer kennt sie nicht, die Geschichte des geizigen und habgierigen Mr. Scrooge, dem Mann mit dem Herzen aus Stein, der Kälte verbreitet, wohin er auch kommt, dem jede menschliche Regung abhanden gekommen ist, für den nur Geld zählt und dem die Armen, die Außenseiter der Gesellschaft ein Dorn im Auge sind? Alle Jahre wieder, und just zur Weihnachtszeit, berührt Charles Dickens "A Christmas Carol", die Weihnachtsgeschichte schlechthin, Menschen in aller Welt, verfolgen sie die wundersame Wandlung des Hartherzigen, der in der Heiligen Nacht zunächst von dem Geist seines verstorbenen Partners Jacob Marley, zu Lebzeiten sein ebenso egoistisches Pendant, heimgesucht wird, und der ihn anfleht, sein Leben zu ändern, bevor es zu spät ist. Als das nichts fruchtet, kündigt Marleys Geist dem unsympathischen Zeitgenossen, der Weihnachten als "Humbug", als dummes, sentimentales Zeug, bezeichnet, die Ankunft von drei weiteren Geistern an, dem Geist nämlich der vergangenen Weihnacht, dem der gegenwärtigen und dem der zukünftigen.

Auf eindringliche Art und Weise und mithilfe einiger Schocktherapien gelingt es den Dreien, das Herz des Unbelehrbaren, der bis dahin weder Freunde hatte noch welche wünschte, zum Leben zu erwecken, die Fähigkeit zum Mitgefühl und Mitleiden in ihm erwachen zu lassen und ihm so ein gänzlich neues und erfülltes Leben zu schenken! Denn das, was Ebenezer Scrooge in nur einer einzigen Nacht auf der Reise mit den drei Geistern erlebt, wandelt ihn vollständig! Und von Stund an wird er seinem sich selbst gegebenen Versprechen, ein besserer Mensch zu werden und Weihnachten in Ehren zu halten, treu bleiben, zu seinem eigenen Segen und dem der Menschen, denen er sich schon bald verbunden fühlt....

Die am 19. Dezember des Jahres 1843 veröffentlichte und von dem begabten Zeichner John Leech liebevoll und gekonnt illustrierte wohl berühmteste Weihnachtsgeschichte aller Zeiten - wenn man einmal absieht von der frohen Botschaft, die die Evangelien verkünden -, die in unzähligen Adaptionen auf die Leinwand und die Bühne gebracht wurde und nach wie vor wird, kann man, trotz des beeindruckenden Gesamtwerkes, für das der englische Schriftsteller Charles Dickens verantwortlich zeichnet, mit Fug und Recht als sein Meisterwerk bezeichnen! Es komprimiert die Themen, denen sich der Autor zeitlebens verschrieben hatte und die zum einen die allmähliche Verwandlung selbstsüchtiger und harter Menschen und zum anderen die Anprangerung der sozialen Missstände im England des 19. Jahrhunderts sind, unter denen Kinder, wie er aus eigener leidvoller Erfahrung sehr gut wusste, am meisten zu leiden hatten. Der Zynismus, dessen er sich dabei bedient, mit dem er auch Scrooge ausstattet, wenn er ihn eine wohltätige Spende mit der Frage verweigern lässt, ob es denn keine Armenhäuser gäbe, in die man all die Bedürftigen, mit denen er kein Mitleid empfindet, stecken könnte, ist so scharf, dass man erschrecken muss. Doch spielt Dickens auch mit jenem Zynismus, lässt ihn auf Scrooge zurückfallen, als dieser, schon auf dem besten Wege der Bekehrung, einen seiner geisterhaften Besucher fragt, ob man nicht etwas tun könnte, um das Elend, das dieser ihm in den Straßen Londons und vor allem im Hause seines, von ihm sträflich unterbezahlten, Angestellten Bob Cratchit vor Augen führt, zu lindern. Der Geist fragt ihn daraufhin, ob es denn keine Armenhäuser gäbe und fügt hinzu, dass es doch ohnehin zu viele Menschen auf der Erde gäbe - Scrooges eigene Worte wiederholend.... Das sind unvergessliche Szenen in einem Buch, dem bei seinem Erscheinen durchweg positive Besprechungen gewidmet wurden, dem man eindrucksvolle Wortgewandtheit bescheinigt, funkelnden Humor und das man, völlig zu Recht, als eine Geschichte bezeichnet, die den Leser lachen und weinen lässt, die durchweht ist von einem sanften Geist der Menschlichkeit. Wie wahr!

Erwähnenswert zum Schluss mag die Entstehungsgeschichte dieses zeitlosen, stehts aufs Neue anrührenden Meisterwerkes sein! Charles Dickens setzte sich während seines vergleichsweise kurzen Lebens stets vehement für soziale Verbesserungen ein, die sich vor allem auf die Arbeitswelt bezogen. Kinderarbeit prangerte er aufs Schärfste an, seine Sorge galt der Bekämpfung des Unwissens durch radikale Bildungsreformen. Da mit dem Beginn der Viktorianischen Ära das Weihnachtsfest mit seinen Insignien wie Tannenbaum, Weihnachtsliedern, Familiezusammenkunft und gutes Essen - später gefestigt auch dank der Bemühungen der britischen Königin Viktoria und ihres aus Deutschland stammenden Prinzgemahls Albert - langsam wieder in Mode kam, entschied Dickens, dass er mit seinen Botschaften viel wirkungsvoller eine breite Leserschaft erreichen konnte, indem er selbige in eine zu Herzen gehende Weihnachtsgeschichte verpackte, als sie in Form von Aufsätzen und politischen Pamphleten kundzutun. Mit Sicherheit ist diese Rechnung aufgegangen und der frühe Sozialreformer Dickens hat ebenso gewiss seine Leserschaft nicht nur zu Tränen gerührt, sondern auch, und das war ihm bei weitem das Wichtigste, zum Nachdenken - und den einen oder anderen gar zum Handeln gebracht!

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Veröffentlicht am 12.12.2019

Albtraum am Cape Cod

Wintersturm
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Eigentlich schrieb sie schon immer, die am Heiligabend des Jahres 1927 in New York geborene Schriftstellerin irischer Abstammung, die von dem Volk der Iren, dem sie sich ebenso zugehörig fühlt wie ihrem ...

Eigentlich schrieb sie schon immer, die am Heiligabend des Jahres 1927 in New York geborene Schriftstellerin irischer Abstammung, die von dem Volk der Iren, dem sie sich ebenso zugehörig fühlt wie ihrem Geburtsland, sagt, dass es sich bei ihnen um geborene Geschichtenerzähler handelt: "The Irish are, by nature, story tellers". Und dass man in der Regel nicht von heute auf morgen zur Erfolgsautorin wird, sondern dass dazu neben dem Quäntchen Glück immer auch harte Arbeit und, ob der unzähligen Zurückweisungen der mit so viel Herzblut geschriebenen Geschichten, ein dickes Fell und Ausdauer vonnöten sind, weiß Mary Higgins Clark nur allzu gut.

Als sich der erste wirkliche Erfolg einstellte, war die New Yorkerin mit dem Faible für ausgesucht schöne Wohnungen und Kleidung, was immer wieder in ihrem Werk durchschimmert oder gar sehr explizit wird, immerhin schon beinahe fünfzig Jahre alt! Damals, 1974 war es, bot ihr der Verlag Simon & Schuster, dem sie übrigens bis heute treu geblieben ist, für ihr Erstlingswerk auf dem Gebiet der Spannungsromane, das im folgenden zu besprechen ist, 3000 Dollar; der große Erfolg von "Where are the children?" ( deutscher Titel: "Wintersturm" ) erhöhte dieses Honorar rasch und schon für ihren nächsten Thriller erhielt sie 1,5 Millionen Dollar, was 14 Jahre später noch gesteigert wurde, denn da unterzeichnete sie bei ihrem Verlag einen Vertrag, der ihr sage und schreibe 64 Millionen Dollar für drei Romane garantierte! Diese Zahlen sprechen für sich - und für die Qualität der mit Preisen hochdekorierten Schriftstellerin, deren Schaffenskraft selbst im hohen Alter nicht nachlässt und deren neuester Roman "Kiss the Girls and Make them Cry" soeben auf den amerikanischen Markt gekommen ist.

Bereits in ihrem Thriller-Erstling wird klar, warum sie nun schon seit 45 Jahren ein Anrecht auf den Titel "Queen of Suspense" hat, denn auch ihr frühes Werk "Where are the children?" trägt ihre unverwechselbare Handschrift,zeigt ihren eleganten Stil und ihr feines Gespür für Atmosphäre und subtile Gänsehaut-Schwingungen. Die in kurzen Kapiteln sich kontinuierlich entwickelnde Handlung ist temporeich und wird von Seite zu Seite spannender - spätestens nach dem ersten Viertel kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen -, um dann in einem furiosen Showdown zu enden. Ihre Charaktere sind immer und ohne Ausnahme sehr sorgfältig, sehr differenziert ausgearbeitet, der Leser erfährt ihre Geschichten, und die Autorin erreicht damit ihr erklärtes Ziel, dass sich die Leser nämlich mühelos mit den Protagonisten identifizieren können. Letztere sind für gewöhnlich, was auch für vorliegenden Thriller zutrifft, starke und unabhängige Frauen der gehobenen Mittelklasse, die in gefährliche Situationen geraten oder mit traumatischen Erfahrungen ihrer Vergangenheit konfrontiert werden.

In "Where are the children?" begegnen die Leser Nancy Harmon Eldrige am Morgen ihres 32. Geburtstages. Ihrem Mann Ray gelingt es nur mit Mühe, sie zu überreden, diesen Tag nicht wieder zu ignorieren wie die Jahre zuvor und wozu die junge Frau auch allen Grund hatte! An ihrem 25. Geburtstag nämlich verschwanden Peter und Lisa, ihre Kinder aus erster Ehe mit Professor Carl Harmon und wurden wenig später ermordet aufgefunden. Anhand von Zeugenaussagen konnte nur Nancy selbst, damals depressiv, verschlossen und seltsam abwesend, als Mörderin in Frage kommen! Aus Gram darüber nahm sich ihr Mann das Leben, während Nancy selbst vom sicheren Tod in der Gaskammer lediglich durch einen Formfehler während des Prozesses und dem plötzlichen Verschwinden des Hauptbelastungszeugen bewahrt wurde. Der Prozess wurde eingestellt, die junge Frau jedoch nie rehabilitiert. Wider alle Wahrscheinlichkeit gelang Nancy ein Neuanfang; sie zog von der Westküste ans entgegengesetzte Ende der Vereinigten Staaten, auf die zauberhaft schöne Halbinsel Cape Cod in Massachusetts - dem Schauplatz der Handlung -, begegnete dort ihrem zweiten Mann, Ray Eldrige, und ist inzwischen Mutter von Michael und seiner kleinen Schwester Missie. Die Vergangenheit aber wirft lange Schatten, denn im Hintergrund lauert jemand, ein kranker Geist, der Nancy um jeden Preis zerstören und ihr das Liebste nehmen möchte, das sie besitzt: ihre Kinder! Und so scheint sich an eben jenem Geburtstagsmorgen die Vergangenheit zu wiederholen - ihre Kinder, die sie trotz der Kälte wie gewöhnlich kurz zum Spielen im Garten gelassen hatte, verschwinden spurlos! Ein nervenaufreibender Wettlauf gegen die Zeit beginnt, der gleichzeitig ein Kampf gegen den unsichtbaren, den erbarmungslosen Feind im Verborgenen ist, von dessen Existenz lange Zeit nur der Leser weiß, während für die Ermittler der Fall klar ist! Da Vorurteile nur schwer auszurotten sind, gerät Nancy, deren wahre Identität in einem perfiden Zeitungsartikel just am selben Morgen enthüllt wurde, erneut in Verdacht, womöglich auch ihre neuen Kinder getötet zu haben....

Ein perfekter Thriller - so empfinde ich auch nach den vielen Jahren, als ich Mary Higgins Clarks Erstlingswerk zum ersten Mal gelesen hatte! Ein Thriller, bei dem einfach alles stimmt, der virtuos mit Ängsten, mit dem überwältigenden Gefühl der Ausweg- und Hoffnungslosigkeit spielt, ein Thriller auch, der ohne die so überflüssigen Prologe auskommt und den Leser unmittelbar hineinzieht in den Strudel der sich sehr bald überschlagenden Ereignisse und der mühelos ohne plakative Gewaltszenen auskommt. Die Spannung wird, wie das bei einem guten Psychothriller sein sollte und wie es schon der Name sagt, auf dem Gebiet der Vorstellungskraft erzeugt - ganz so, wie es dem Stil der berühmten Autorin entspricht, dem sie bis heute treu geblieben ist! Und da ist niemand weit und breit, der es ihr gleichtun könnt

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