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Veröffentlicht am 15.12.2019

Voller kindlicher Weisheit, emotionaler Wärme und geschmeidigem Witz!

Die Wahrheit, wie Delly sie sieht
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Kennt ihr diese Bücher, über die ihr gerne so viel sagen würdet, aber Angst habt, dass eure Beschreibung der Geschichte nicht gerecht wird? So ist es bei mir mit "Die Wahrheit, wie Delly sie sieht". Dieses ...

Kennt ihr diese Bücher, über die ihr gerne so viel sagen würdet, aber Angst habt, dass eure Beschreibung der Geschichte nicht gerecht wird? So ist es bei mir mit "Die Wahrheit, wie Delly sie sieht". Dieses besonders Buch über Vertrauen, Freundschaft und Mut hat mich wirklich beeindruckt


"Sie ist meine beste Freundin", erklärte er. "Du aber bist mein Bestes-Überhaupt." Dellys Herz saß in ihrem Hals, deshalb konnte sie nicht sprechen und nickte nur. "Und du meines"; flüsterte sie."



Das Cover meiner Ausgabe (die ältere aus dem Hanser-Verlag) gefällt mir viel besser als das neue (dtv-Verlag) und sogar - oh Wunder, dass ich das jemals sage - als das Originalcover. Ein strahlend blauer Himmel, ein unbeschwertes Mädchen, das abenteuerlustig von einem Ast baumelt, die Sonne, die warm durch das Geäst scheint - all das erweckt in mir den Anschein eines lockeren Sommers voller Abenteuer und Freundschaft. Auch der Titel ist passend und ein Alleinstellungsmerkmal. Warum es nun ausgerechnet um die "Wahrheit" geht (auch im Originaltitel), ist mir nicht ganz klar. Ich hätte die Geschichte wohl eher mit "Die Welt, wie Delly sie sieht" betitelt. Auffällig ist, dass die 280 Seiten in 74 sehr kurze Kapitel aufgeteilt sind und dass ein "Dellexikon" am Ende uns einen Überblick über Dellys kreative Wortneuschöpfungen ermöglicht.



"Delly Pattison, das bedeutet ärGER: kleiner ärger, der sich anschickte, GROSSER ÄRGER zu werden, und der seinem Ziel täglich näher kam."


Dieses Mal will ich nicht mit dem ersten, sondern mit dem dritten Satz der Geschichte einsteigen - einfach weil er den Nagel auf den Kopf trifft. Delly Pattinson wird geradezu verfolgt vom Ärger und erinnert mit ihren verrückten Aktionen, die sich gerne mal als "Katastrofehler" herausstellen und mit einer "Dellystrafung" enden, an typische Wirbelwinde der Kinderliteratur wie "Pippi Langstrumpf" oder den "Michel aus Lönneberga". Dabei will sie eigentlich gar keinen Ärger verursachen und nur ihre Mutter Clarice stolz machen. Doch sobald sie der "dammdusslige" Danny Novelos auf dem Pausenhof mal wieder ärgert, ein "Adellteuer" winkt oder sie Lust auf "dellykate" Schokodonuts bekommt, denkt sie nicht mehr an ihre Mutter, ihre Vorsätze oder die drohende "Dellyquentenfahrt" im Streifenwagen von Wachtmeister Tibbetts, sondern sie handelt einfach. Als sie eines morgens mit der Vorahnung auf ein "Überraschenk" aufwacht, ahnt sie noch nicht, dass die eher enttäuschende Enthüllung - eine Neue in der Klasse - ihr Leben verändert wird und sie durch eine "wunderherrliche" Freundschaft endlich dem Ärger Lebewohl sagen kann...


"Ferris Boys?" Ihre Freundin sah sie an. "Du bist mein bestes Überraschenk überhaupt", flüsterte sie. Ferris Boyd schloss die Augen, als verwahre sie die Worte an einem Ort tief in ihrem Inneren. Als sie sich wieder öffneten, stellten sie eine Frage: Wird alles gut werden? Ferris Boyds Blick war so voller Hoffen, Sehnen und Flehen, dass Delly unwillkürlich nickte. Auch sie hoffte, sehnte und flehte."


Wir steigen mit viel Karacho, Tempo und Witz in die bunte Welt von Delly ein, die es ihrer Umwelt mit ihrer impulsiven Art nicht gerade leicht macht, die aber noch viel mehr Gutes als Schaden anrichtet. Auf der Basis der warmherzigen, spritzigen Atmosphäre, die entsteht, entwickelt Katherine Hannigan eine traurige, ernste Hintergrundgeschichte. So wird das sensible Thema "Kindesmissbrauch" eingebettet in die authentische, humorvolle Rahmenhandlung auch Kindern zugänglich gemacht, ohne dass irgendetwas verharmlost wird. Neben den kreativen Neologismen und Dellys "Missgeschichten" sorgt auch der Schreibstil der Autorin für die genau richtige Balance zwischen Witz und Ernst. Ihre Art zu schreiben erscheint zunächst schlicht und einfach - dem jungen Publikum angemessen - und hält sich nicht mit großen Worten und Beschreibungen auf, geht aber trotzdem immer wieder unter die Haut und schafft eine berührende, heimelige Atmosphäre von Kindheit und Geborgenheit, die auch jeden Erwachsenen daran erinnert, wie kompliziert und einfach zugleich es war, ein Kind zu sein. Klug, unterhaltsam und berührend - diese Geschichte schafft es, alles drei zugleich zu sein, sodass es nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene mitreißen, berühren und bereichern kann.


"RB", krächzte sie. Nicht, um ihm etwas zu verbieten, sondern um ihn wissen zu lassen, dass sie im Unrecht gewesen war. Denn Ferris Boyd hatte Delly eine Welt fern von allem Ärger gezeigt, und sie liebte diese Welt. Sie hatte gedacht, RB würde alles kaputt machen. Aber stattdessen hatte er sie noch besser gemacht. Er hatte sie mit warmer Weichheit gefüllt, sodass der Verschlupf sich jetzt wie der glücklichste Ort überhaupt anfühlte. RB blinzelte zu seiner Schwester hinauf. Sie nickte. Ohne Worte sagte sie ihm: Ich bin froh, dass du da bist. RB lächelte, dass man sämtliche Zähne sah. Und Delly musste sich abwenden, sonst wäre ihr Herz womöglich geplatzt."


Ganz toll sind auch die liebenswerten, authentischen, wunderbar lebensnahen Protagonisten. Den Großteil der Geschichte bekommen wir aus Dellys Perspektive erzählt und - man muss diesen kleinen Wirbelwind mit dem Herz am richtigen Fleck einfach mögen. Sie ist verrückt und impulsiv, aber auch sehr feinfühlig und hat ein hohes Bedürfnis an Liebe und Bestätigung, weshalb sie der viele Ärger, den sie aus Versehen auslöst, sehr bedrückt. Eine erste Strategie gegen ihren Ärger erhält sie von ihrem kleinen Bruder RB, der seine große Schwester über alles liebt und für ein gemeinsames "Adellteuer" fast alles tun würde. Er rät ihr, einfach zu zählen, wenn sie das Bedürfnis verspürt, sich wieder zu prügeln, zu spucken oder anderweitig Ärger zu verursachen. Das klappt aber eher mäßig - wirklich in den Griff bekommt sie ihre Impulsivität erst durch die sanftmütige, geheimnisvolle Ferris Boyd, die nicht spricht, nicht berührt werden will und dabei doch so viel zu sagen hat und so viele Herzen berührt. Durch die langsam entwickelnde Freundschaft lernt sie, anderen Menschen erstmal Fragen zu stellen, bevor sie ihnen ins Gesicht schlägt und kann so überraschenderweise vielen Konfrontationen aus dem Weg gehen. Weitere eindrückliche Nebenprotagonisten sind der freche, gemeine Danny Novelos, der Delly nur mobbt, weil er heimlich in sie verliebt ist und nicht weiß, wie er seine Zuneigung anders ausdrücken soll, der stotternde Brud Kinney, der in dem neuen, stillen Mädchen einen Basketball-Kumpel findet, mit dem er auch ohne Worte kommunizieren kann und die liebevolle aber etwas überforderte Mutter Clarice, die sich für ihre Kinder nur das Beste wünscht. Man muss sie alle einfach ins Herz schließen und bis zum Ende mit ihnen mitfiebern.


"Wer war das?", wollte sie wissen. Sein Mund zuckte und verzog sich, während Liebe und Bosheit miteinander um seine Seele rangen. Schließlich murmelte er: "Niemand." Die Liebe hatte gesiegt."



Das einzige Manko weshalb es nicht volle 5 sondern nur 4,5 Sterne geworden sind, ist das Ende, das mir für meinen Geschmack viel zu offen bleibt. Es bleibt vieles unausgesprochen und die große Problematik unabgeschlossen, sodass einige Enden der Handlung ein wenig unfertig in der Luft hängen. Gerade in einem Kinderbuch wäre es meiner Meinung nach unbedingt notwendig gewesen, die Problematik abzuschließen und eine Lösungsmöglichkeit auszuarbeiten.



Fazit:

Klug, unterhaltsam und berührend - diese Geschichte schafft es, alles drei zugleich zu sein, sodass es nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene mitreißen, berühren und bereichern kann.
Voller kindlicher Weisheit, emotionaler Wärme und geschmeidigem Witz!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.12.2019

Voller kindlicher Weisheit, emotionaler Wärme und geschmeidigem Witz!

Die Wahrheit, wie Delly sie sieht
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Kennt ihr diese Bücher, über die ihr gerne so viel sagen würdet, aber Angst habt, dass eure Beschreibung der Geschichte nicht gerecht wird? So ist es bei mir mit "Die Wahrheit, wie Delly sie sieht". Dieses ...

Kennt ihr diese Bücher, über die ihr gerne so viel sagen würdet, aber Angst habt, dass eure Beschreibung der Geschichte nicht gerecht wird? So ist es bei mir mit "Die Wahrheit, wie Delly sie sieht". Dieses besonders Buch über Vertrauen, Freundschaft und Mut hat mich wirklich beeindruckt


"Sie ist meine beste Freundin", erklärte er. "Du aber bist mein Bestes-Überhaupt." Dellys Herz saß in ihrem Hals, deshalb konnte sie nicht sprechen und nickte nur. "Und du meines"; flüsterte sie."



Das Cover meiner Ausgabe (die ältere aus dem Hanser-Verlag) gefällt mir viel besser als das neue (dtv-Verlag) und sogar - oh Wunder, dass ich das jemals sage - als das Originalcover. Ein strahlend blauer Himmel, ein unbeschwertes Mädchen, das abenteuerlustig von einem Ast baumelt, die Sonne, die warm durch das Geäst scheint - all das erweckt in mir den Anschein eines lockeren Sommers voller Abenteuer und Freundschaft. Auch der Titel ist passend und ein Alleinstellungsmerkmal. Warum es nun ausgerechnet um die "Wahrheit" geht (auch im Originaltitel), ist mir nicht ganz klar. Ich hätte die Geschichte wohl eher mit "Die Welt, wie Delly sie sieht" betitelt. Auffällig ist, dass die 280 Seiten in 74 sehr kurze Kapitel aufgeteilt sind und dass ein "Dellexikon" am Ende uns einen Überblick über Dellys kreative Wortneuschöpfungen ermöglicht.



"Delly Pattison, das bedeutet ärGER: kleiner ärger, der sich anschickte, GROSSER ÄRGER zu werden, und der seinem Ziel täglich näher kam."


Dieses Mal will ich nicht mit dem ersten, sondern mit dem dritten Satz der Geschichte einsteigen - einfach weil er den Nagel auf den Kopf trifft. Delly Pattinson wird geradezu verfolgt vom Ärger und erinnert mit ihren verrückten Aktionen, die sich gerne mal als "Katastrofehler" herausstellen und mit einer "Dellystrafung" enden, an typische Wirbelwinde der Kinderliteratur wie "Pippi Langstrumpf" oder den "Michel aus Lönneberga". Dabei will sie eigentlich gar keinen Ärger verursachen und nur ihre Mutter Clarice stolz machen. Doch sobald sie der "dammdusslige" Danny Novelos auf dem Pausenhof mal wieder ärgert, ein "Adellteuer" winkt oder sie Lust auf "dellykate" Schokodonuts bekommt, denkt sie nicht mehr an ihre Mutter, ihre Vorsätze oder die drohende "Dellyquentenfahrt" im Streifenwagen von Wachtmeister Tibbetts, sondern sie handelt einfach. Als sie eines morgens mit der Vorahnung auf ein "Überraschenk" aufwacht, ahnt sie noch nicht, dass die eher enttäuschende Enthüllung - eine Neue in der Klasse - ihr Leben verändert wird und sie durch eine "wunderherrliche" Freundschaft endlich dem Ärger Lebewohl sagen kann...


"Ferris Boys?" Ihre Freundin sah sie an. "Du bist mein bestes Überraschenk überhaupt", flüsterte sie. Ferris Boyd schloss die Augen, als verwahre sie die Worte an einem Ort tief in ihrem Inneren. Als sie sich wieder öffneten, stellten sie eine Frage: Wird alles gut werden? Ferris Boyds Blick war so voller Hoffen, Sehnen und Flehen, dass Delly unwillkürlich nickte. Auch sie hoffte, sehnte und flehte."


Wir steigen mit viel Karacho, Tempo und Witz in die bunte Welt von Delly ein, die es ihrer Umwelt mit ihrer impulsiven Art nicht gerade leicht macht, die aber noch viel mehr Gutes als Schaden anrichtet. Auf der Basis der warmherzigen, spritzigen Atmosphäre, die entsteht, entwickelt Katherine Hannigan eine traurige, ernste Hintergrundgeschichte. So wird das sensible Thema "Kindesmissbrauch" eingebettet in die authentische, humorvolle Rahmenhandlung auch Kindern zugänglich gemacht, ohne dass irgendetwas verharmlost wird. Neben den kreativen Neologismen und Dellys "Missgeschichten" sorgt auch der Schreibstil der Autorin für die genau richtige Balance zwischen Witz und Ernst. Ihre Art zu schreiben erscheint zunächst schlicht und einfach - dem jungen Publikum angemessen - und hält sich nicht mit großen Worten und Beschreibungen auf, geht aber trotzdem immer wieder unter die Haut und schafft eine berührende, heimelige Atmosphäre von Kindheit und Geborgenheit, die auch jeden Erwachsenen daran erinnert, wie kompliziert und einfach zugleich es war, ein Kind zu sein. Klug, unterhaltsam und berührend - diese Geschichte schafft es, alles drei zugleich zu sein, sodass es nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene mitreißen, berühren und bereichern kann.


"RB", krächzte sie. Nicht, um ihm etwas zu verbieten, sondern um ihn wissen zu lassen, dass sie im Unrecht gewesen war. Denn Ferris Boyd hatte Delly eine Welt fern von allem Ärger gezeigt, und sie liebte diese Welt. Sie hatte gedacht, RB würde alles kaputt machen. Aber stattdessen hatte er sie noch besser gemacht. Er hatte sie mit warmer Weichheit gefüllt, sodass der Verschlupf sich jetzt wie der glücklichste Ort überhaupt anfühlte. RB blinzelte zu seiner Schwester hinauf. Sie nickte. Ohne Worte sagte sie ihm: Ich bin froh, dass du da bist. RB lächelte, dass man sämtliche Zähne sah. Und Delly musste sich abwenden, sonst wäre ihr Herz womöglich geplatzt."


Ganz toll sind auch die liebenswerten, authentischen, wunderbar lebensnahen Protagonisten. Den Großteil der Geschichte bekommen wir aus Dellys Perspektive erzählt und - man muss diesen kleinen Wirbelwind mit dem Herz am richtigen Fleck einfach mögen. Sie ist verrückt und impulsiv, aber auch sehr feinfühlig und hat ein hohes Bedürfnis an Liebe und Bestätigung, weshalb sie der viele Ärger, den sie aus Versehen auslöst, sehr bedrückt. Eine erste Strategie gegen ihren Ärger erhält sie von ihrem kleinen Bruder RB, der seine große Schwester über alles liebt und für ein gemeinsames "Adellteuer" fast alles tun würde. Er rät ihr, einfach zu zählen, wenn sie das Bedürfnis verspürt, sich wieder zu prügeln, zu spucken oder anderweitig Ärger zu verursachen. Das klappt aber eher mäßig - wirklich in den Griff bekommt sie ihre Impulsivität erst durch die sanftmütige, geheimnisvolle Ferris Boyd, die nicht spricht, nicht berührt werden will und dabei doch so viel zu sagen hat und so viele Herzen berührt. Durch die langsam entwickelnde Freundschaft lernt sie, anderen Menschen erstmal Fragen zu stellen, bevor sie ihnen ins Gesicht schlägt und kann so überraschenderweise vielen Konfrontationen aus dem Weg gehen. Weitere eindrückliche Nebenprotagonisten sind der freche, gemeine Danny Novelos, der Delly nur mobbt, weil er heimlich in sie verliebt ist und nicht weiß, wie er seine Zuneigung anders ausdrücken soll, der stotternde Brud Kinney, der in dem neuen, stillen Mädchen einen Basketball-Kumpel findet, mit dem er auch ohne Worte kommunizieren kann und die liebevolle aber etwas überforderte Mutter Clarice, die sich für ihre Kinder nur das Beste wünscht. Man muss sie alle einfach ins Herz schließen und bis zum Ende mit ihnen mitfiebern.


"Wer war das?", wollte sie wissen. Sein Mund zuckte und verzog sich, während Liebe und Bosheit miteinander um seine Seele rangen. Schließlich murmelte er: "Niemand." Die Liebe hatte gesiegt."



Das einzige Manko weshalb es nicht volle 5 sondern nur 4,5 Sterne geworden sind, ist das Ende, das mir für meinen Geschmack viel zu offen bleibt. Es bleibt vieles unausgesprochen und die große Problematik unabgeschlossen, sodass einige Enden der Handlung ein wenig unfertig in der Luft hängen. Gerade in einem Kinderbuch wäre es meiner Meinung nach unbedingt notwendig gewesen, die Problematik abzuschließen und eine Lösungsmöglichkeit auszuarbeiten.



Fazit:

Klug, unterhaltsam und berührend - diese Geschichte schafft es, alles drei zugleich zu sein, sodass es nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene mitreißen, berühren und bereichern kann.
Voller kindlicher Weisheit, emotionaler Wärme und geschmeidigem Witz!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.12.2019

Voller kindlicher Weisheit, emotionaler Wärme und geschmeidigem Witz!

Die Wahrheit, wie Delly sie sieht
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Kennt ihr diese Bücher, über die ihr gerne so viel sagen würdet, aber Angst habt, dass eure Beschreibung der Geschichte nicht gerecht wird? So ist es bei mir mit "Die Wahrheit, wie Delly sie sieht". Dieses ...

Kennt ihr diese Bücher, über die ihr gerne so viel sagen würdet, aber Angst habt, dass eure Beschreibung der Geschichte nicht gerecht wird? So ist es bei mir mit "Die Wahrheit, wie Delly sie sieht". Dieses besonders Buch über Vertrauen, Freundschaft und Mut hat mich wirklich beeindruckt


"Sie ist meine beste Freundin", erklärte er. "Du aber bist mein Bestes-Überhaupt." Dellys Herz saß in ihrem Hals, deshalb konnte sie nicht sprechen und nickte nur. "Und du meines"; flüsterte sie."



Das Cover meiner Ausgabe (die ältere aus dem Hanser-Verlag) gefällt mir viel besser als das neue (dtv-Verlag) und sogar - oh Wunder, dass ich das jemals sage - als das Originalcover. Ein strahlend blauer Himmel, ein unbeschwertes Mädchen, das abenteuerlustig von einem Ast baumelt, die Sonne, die warm durch das Geäst scheint - all das erweckt in mir den Anschein eines lockeren Sommers voller Abenteuer und Freundschaft. Auch der Titel ist passend und ein Alleinstellungsmerkmal. Warum es nun ausgerechnet um die "Wahrheit" geht (auch im Originaltitel), ist mir nicht ganz klar. Ich hätte die Geschichte wohl eher mit "Die Welt, wie Delly sie sieht" betitelt. Auffällig ist, dass die 280 Seiten in 74 sehr kurze Kapitel aufgeteilt sind und dass ein "Dellexikon" am Ende uns einen Überblick über Dellys kreative Wortneuschöpfungen ermöglicht.



"Delly Pattison, das bedeutet ärGER: kleiner ärger, der sich anschickte, GROSSER ÄRGER zu werden, und der seinem Ziel täglich näher kam."


Dieses Mal will ich nicht mit dem ersten, sondern mit dem dritten Satz der Geschichte einsteigen - einfach weil er den Nagel auf den Kopf trifft. Delly Pattinson wird geradezu verfolgt vom Ärger und erinnert mit ihren verrückten Aktionen, die sich gerne mal als "Katastrofehler" herausstellen und mit einer "Dellystrafung" enden, an typische Wirbelwinde der Kinderliteratur wie "Pippi Langstrumpf" oder den "Michel aus Lönneberga". Dabei will sie eigentlich gar keinen Ärger verursachen und nur ihre Mutter Clarice stolz machen. Doch sobald sie der "dammdusslige" Danny Novelos auf dem Pausenhof mal wieder ärgert, ein "Adellteuer" winkt oder sie Lust auf "dellykate" Schokodonuts bekommt, denkt sie nicht mehr an ihre Mutter, ihre Vorsätze oder die drohende "Dellyquentenfahrt" im Streifenwagen von Wachtmeister Tibbetts, sondern sie handelt einfach. Als sie eines morgens mit der Vorahnung auf ein "Überraschenk" aufwacht, ahnt sie noch nicht, dass die eher enttäuschende Enthüllung - eine Neue in der Klasse - ihr Leben verändert wird und sie durch eine "wunderherrliche" Freundschaft endlich dem Ärger Lebewohl sagen kann...


"Ferris Boys?" Ihre Freundin sah sie an. "Du bist mein bestes Überraschenk überhaupt", flüsterte sie. Ferris Boyd schloss die Augen, als verwahre sie die Worte an einem Ort tief in ihrem Inneren. Als sie sich wieder öffneten, stellten sie eine Frage: Wird alles gut werden? Ferris Boyds Blick war so voller Hoffen, Sehnen und Flehen, dass Delly unwillkürlich nickte. Auch sie hoffte, sehnte und flehte."


Wir steigen mit viel Karacho, Tempo und Witz in die bunte Welt von Delly ein, die es ihrer Umwelt mit ihrer impulsiven Art nicht gerade leicht macht, die aber noch viel mehr Gutes als Schaden anrichtet. Auf der Basis der warmherzigen, spritzigen Atmosphäre, die entsteht, entwickelt Katherine Hannigan eine traurige, ernste Hintergrundgeschichte. So wird das sensible Thema "Kindesmissbrauch" eingebettet in die authentische, humorvolle Rahmenhandlung auch Kindern zugänglich gemacht, ohne dass irgendetwas verharmlost wird. Neben den kreativen Neologismen und Dellys "Missgeschichten" sorgt auch der Schreibstil der Autorin für die genau richtige Balance zwischen Witz und Ernst. Ihre Art zu schreiben erscheint zunächst schlicht und einfach - dem jungen Publikum angemessen - und hält sich nicht mit großen Worten und Beschreibungen auf, geht aber trotzdem immer wieder unter die Haut und schafft eine berührende, heimelige Atmosphäre von Kindheit und Geborgenheit, die auch jeden Erwachsenen daran erinnert, wie kompliziert und einfach zugleich es war, ein Kind zu sein. Klug, unterhaltsam und berührend - diese Geschichte schafft es, alles drei zugleich zu sein, sodass es nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene mitreißen, berühren und bereichern kann.


"RB", krächzte sie. Nicht, um ihm etwas zu verbieten, sondern um ihn wissen zu lassen, dass sie im Unrecht gewesen war. Denn Ferris Boyd hatte Delly eine Welt fern von allem Ärger gezeigt, und sie liebte diese Welt. Sie hatte gedacht, RB würde alles kaputt machen. Aber stattdessen hatte er sie noch besser gemacht. Er hatte sie mit warmer Weichheit gefüllt, sodass der Verschlupf sich jetzt wie der glücklichste Ort überhaupt anfühlte. RB blinzelte zu seiner Schwester hinauf. Sie nickte. Ohne Worte sagte sie ihm: Ich bin froh, dass du da bist. RB lächelte, dass man sämtliche Zähne sah. Und Delly musste sich abwenden, sonst wäre ihr Herz womöglich geplatzt."


Ganz toll sind auch die liebenswerten, authentischen, wunderbar lebensnahen Protagonisten. Den Großteil der Geschichte bekommen wir aus Dellys Perspektive erzählt und - man muss diesen kleinen Wirbelwind mit dem Herz am richtigen Fleck einfach mögen. Sie ist verrückt und impulsiv, aber auch sehr feinfühlig und hat ein hohes Bedürfnis an Liebe und Bestätigung, weshalb sie der viele Ärger, den sie aus Versehen auslöst, sehr bedrückt. Eine erste Strategie gegen ihren Ärger erhält sie von ihrem kleinen Bruder RB, der seine große Schwester über alles liebt und für ein gemeinsames "Adellteuer" fast alles tun würde. Er rät ihr, einfach zu zählen, wenn sie das Bedürfnis verspürt, sich wieder zu prügeln, zu spucken oder anderweitig Ärger zu verursachen. Das klappt aber eher mäßig - wirklich in den Griff bekommt sie ihre Impulsivität erst durch die sanftmütige, geheimnisvolle Ferris Boyd, die nicht spricht, nicht berührt werden will und dabei doch so viel zu sagen hat und so viele Herzen berührt. Durch die langsam entwickelnde Freundschaft lernt sie, anderen Menschen erstmal Fragen zu stellen, bevor sie ihnen ins Gesicht schlägt und kann so überraschenderweise vielen Konfrontationen aus dem Weg gehen. Weitere eindrückliche Nebenprotagonisten sind der freche, gemeine Danny Novelos, der Delly nur mobbt, weil er heimlich in sie verliebt ist und nicht weiß, wie er seine Zuneigung anders ausdrücken soll, der stotternde Brud Kinney, der in dem neuen, stillen Mädchen einen Basketball-Kumpel findet, mit dem er auch ohne Worte kommunizieren kann und die liebevolle aber etwas überforderte Mutter Clarice, die sich für ihre Kinder nur das Beste wünscht. Man muss sie alle einfach ins Herz schließen und bis zum Ende mit ihnen mitfiebern.


"Wer war das?", wollte sie wissen. Sein Mund zuckte und verzog sich, während Liebe und Bosheit miteinander um seine Seele rangen. Schließlich murmelte er: "Niemand." Die Liebe hatte gesiegt."



Das einzige Manko weshalb es nicht volle 5 sondern nur 4,5 Sterne geworden sind, ist das Ende, das mir für meinen Geschmack viel zu offen bleibt. Es bleibt vieles unausgesprochen und die große Problematik unabgeschlossen, sodass einige Enden der Handlung ein wenig unfertig in der Luft hängen. Gerade in einem Kinderbuch wäre es meiner Meinung nach unbedingt notwendig gewesen, die Problematik abzuschließen und eine Lösungsmöglichkeit auszuarbeiten.



Fazit:

Klug, unterhaltsam und berührend - diese Geschichte schafft es, alles drei zugleich zu sein, sodass es nicht nur Kinder sondern auch Erwachsene mitreißen, berühren und bereichern kann.
Voller kindlicher Weisheit, emotionaler Wärme und geschmeidigem Witz!

  • Einzelne Kategorien
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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.12.2019

Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!

Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Nun ging der Traum endlich weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!


"Du bist märchenhaft. Du bist magisch, mutig und wundervoll. Und...", fuhr er mit plötzlicher Schüchternheit fort, denn nur in einem Traum konnte er solche gewagten Worte überhaupt aussprechen: "... ich hoffe, du lässt mich Teil deiner Geschichte sein."


Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Strange the Dreamer" und die Reihe wird im nächsten Sommer durch die beiden Hälften von "Muse of Nightmares" fortgesetzt. Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Die Handlung am Ende von Teil 1 bricht ohne Vorwarnung ab und lässt den Leser in der Luft hängen. So bin ich nun wirklich froh, mit dieser zweiten Hälfte den kompletten ersten Part der Geschichte vorliegen zu haben.

Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal glänzend golden und wieder von helleren Lichtbahnen durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Im Mittelpunkt steht die blaue Form einer Motte, die in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt und die durch geometrische Muster aufgepeppt wurde. Wer die Gestaltung von Teil 1 und 2 vergleicht, wird also feststellen, dass die Farbgebung von Hintergrund und Highlights genau konträr ist, sich die Designs also wunderbar ergänzen. Sehr schön ist auch die ausgestaltete Titelseite, die durch fünf gezeichnete Motten geziert wird, deren Flügelmuster bei genauerem Hinsehen ein Gesicht ergeben. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch die Motte geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. "Vipern und Engel", "Eine stille Apokalypse" oder "Pflaumengroße Wut" verbinden die beiden Polaritäten, die sich in meiner Lieblingsüberschrift widerspiegeln: "Wunderschön und voller Monster". Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.


"Sie konnte die Wärme seiner Haut spüren. Eine aufflammende Verbindung, nein, eine Kollision. Als wären sie schon eine Ewigkeit durch dasselbe Labyrinth geirrt und hätten endlich eine Ecke umrundet, die sie aufeinandertreffen ließ. Eben noch war sie allein und verloren gewesen, jetzt nicht mehr."



Im ersten Abschnitt der Geschichte haben wir den jungen Träumer Lazlo kennengelernt, der durch eine schicksalhafte Fügung zum Ort seiner Träume - die verborgene Stadt Weep - aufbrechen kann, der durch die Mesarthim jahrzehntelang ihr Himmel, ihre Jugend, ihr Name und ihre Hoffnung gestohlen wurde. Nun in Weep angekommen muss er sich bald fragen, weshalb ihn sein Schicksal in die Stadt seiner Träume geführt hat und wie ausgerechnet er - der blasse Bibliothekar - die Stadt retten soll. Erst als ihm Sarai jede Nacht im Traum erscheint, beginnt er zu begreifen, wie tief verwurzelt der Hass zwischen Menschen und Mesarthim ist und was es kosten wird, diese Feindschaft zu überwinden. Auch Sarai, die hoch über der verfluchten Stadt in der verlassenen Zitadelle der Götter lebt und die Menschen von Weep jede Nacht in ihren Träumen besucht, steht vor einer wichtigen Entscheidung: will sie weiterhin ein Teil von Minyas Racheplan sein oder glaubt sie an das Gute in den Menschen? Mit der ersten wirklichen Begegnung von Sarai und Lazlo in ihren Träumen startet eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals verfolgen durfte - eingebettet ist ein magisches Setting und die Gewissheit, dass ihre Beziehung nicht gut gehen wird...


"Meine Vipern, meine Engel", nannte Ellen die Große sie gerne mit Kosenamen. Passend, denn sie waren beides gleichzeitig. Sie waren Geschöpfe aus Fleisch und Seele, aus Magie und aus Hunger, und ja... Spucke, alle auf engstem Raum eingeschlossen, ohne Ausweg. Ein Massaker lag hinter ihnen, ein weiteres stand ihnen bevor, und überall waren die Geister der Toten."


Wir starten eher gemächlich in die zweite Runde der Geschichte und konzentrieren uns vor allem auf die Beziehung zwischen Sarai und Lazlo. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, ist der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte, die in einem spektakulären Showdown gipfelt. Der Titel "Ein Traum von Liebe" wird hier also definitiv Programm. Dabei wird die Erzählweise gleichzeitig süßer und ernster. Durch den Fokus auf Lazlo und Sarai ergreift eine zarte Sehnsucht, süße Hoffnung und Zärtlichkeit von der Handlung besitzt, auf der anderen Seite wird aber immer deutlicher, wie tief verwurzelt Hass und Rachedurst auf den beiden Seiten sind und wie verfahren die Situation ist. Dadurch ist dem Leser die fragile Zerbrechlichkeit der vielen kurzen Glücksmomente bewusst und die Angst vor dem Ausgang, der im Prolog in Band 1 schon angedeutet wurde, sorgt für eine intensive Hintergrundspannung. Dabei scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will.



"Sie hatte das Gefühl, sich selbst ganz neu zu entdecken - kein unnatürliches Geschöpf, vor dem selbst Geister zurückschrecken, sondern ein Märchenwesen. Ein Gedicht. Solange der Traum nachwirkte, erschien alles möglich. Sogar Freiheit.
Sogar Liebe."


Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte, trägt zur Schaffung dieses Gesamtbildes natürlich auch nicht unwesentlich bei. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise und entführt in die sagenumwobene Stadt Weep. Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Sie erzählt die Geschichte von zwei Liebenden in einer verfluchten Stadt geschickt gerafft in 348 Seiten und vermittelt dem Leser trotz Zeit- und Ortssprüngen das Gefühl von Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Sie sprach von einer Liebe, die die Seele aufblühen lässt wie der Frühling und reifen lässt wie der Sommer. Eine Liebe, wie sie kaum in der Wirklichkeit existierte, als habe ein meisterhafter Alchemist alle Unreinheiten, Enttäuschungen, Alltäglichkeiten und unwürdigen Gedanken herausgeköchelt, um ein perfektes Elixier zu erschaffen, zuckersüß, vielschichtig und verzehrend."



Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier in vollkommen neuem Licht kennenlernen können. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht.


"Ich bin kein Traum", sagte Sarai. Ihre Stimme klang bitter. "Ich bin ein Albtraum."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Was passiert, als die beiden aufeinander treffen - lest selbst...


"Für Lazlo hatte es sich angefühlt, als hätte er ein Buch im Inneren eines anderen Buches entdeckt. Eine kleine, kostbare Rarität, die in einem gewöhnlichen Wälzer steckte. Zaubersprüche, geschrieben auf Libellenflügeln, verborgen in einem Kochbuch zwischen Rezepten für Kohlköpfe und Maiskolben. Für Lazlo stand fest: Ein Kuss, selbst der allerkürzeste, war ein kleiner Moment der Magie, eine Geschichte voller Zauber, eine wundersame Unterbrechung des Alltags."


Das Ende … ja das Ende ist nochmal eine Kategorie für sich. Wie auch der Rest der Geschichte begeistert es mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache und tragischer Intensität. Anders als der träumerisch-süße Beginn es aber vermuten ließe, lassen und die Enthüllungen und Geschehnisse der letzten Seiten schockiert und hilflos zurück, sodass das Warten auf den nächsten Teil ("Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" (29.06.2020)) mir jetzt schon unendlich lange erscheint.



Fazit:


Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! Laini Taylor überzeugt mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache, tragischer Intensität und zwei lebendigen Protagonisten, die ihresgleichen suchen.

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Veröffentlicht am 08.12.2019

Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!

Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Nun ging der Traum endlich weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!


"Du bist märchenhaft. Du bist magisch, mutig und wundervoll. Und...", fuhr er mit plötzlicher Schüchternheit fort, denn nur in einem Traum konnte er solche gewagten Worte überhaupt aussprechen: "... ich hoffe, du lässt mich Teil deiner Geschichte sein."


Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Strange the Dreamer" und die Reihe wird im nächsten Sommer durch die beiden Hälften von "Muse of Nightmares" fortgesetzt. Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Die Handlung am Ende von Teil 1 bricht ohne Vorwarnung ab und lässt den Leser in der Luft hängen. So bin ich nun wirklich froh, mit dieser zweiten Hälfte den kompletten ersten Part der Geschichte vorliegen zu haben.

Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal glänzend golden und wieder von helleren Lichtbahnen durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Im Mittelpunkt steht die blaue Form einer Motte, die in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt und die durch geometrische Muster aufgepeppt wurde. Wer die Gestaltung von Teil 1 und 2 vergleicht, wird also feststellen, dass die Farbgebung von Hintergrund und Highlights genau konträr ist, sich die Designs also wunderbar ergänzen. Sehr schön ist auch die ausgestaltete Titelseite, die durch fünf gezeichnete Motten geziert wird, deren Flügelmuster bei genauerem Hinsehen ein Gesicht ergeben. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch die Motte geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. "Vipern und Engel", "Eine stille Apokalypse" oder "Pflaumengroße Wut" verbinden die beiden Polaritäten, die sich in meiner Lieblingsüberschrift widerspiegeln: "Wunderschön und voller Monster". Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.


"Sie konnte die Wärme seiner Haut spüren. Eine aufflammende Verbindung, nein, eine Kollision. Als wären sie schon eine Ewigkeit durch dasselbe Labyrinth geirrt und hätten endlich eine Ecke umrundet, die sie aufeinandertreffen ließ. Eben noch war sie allein und verloren gewesen, jetzt nicht mehr."



Im ersten Abschnitt der Geschichte haben wir den jungen Träumer Lazlo kennengelernt, der durch eine schicksalhafte Fügung zum Ort seiner Träume - die verborgene Stadt Weep - aufbrechen kann, der durch die Mesarthim jahrzehntelang ihr Himmel, ihre Jugend, ihr Name und ihre Hoffnung gestohlen wurde. Nun in Weep angekommen muss er sich bald fragen, weshalb ihn sein Schicksal in die Stadt seiner Träume geführt hat und wie ausgerechnet er - der blasse Bibliothekar - die Stadt retten soll. Erst als ihm Sarai jede Nacht im Traum erscheint, beginnt er zu begreifen, wie tief verwurzelt der Hass zwischen Menschen und Mesarthim ist und was es kosten wird, diese Feindschaft zu überwinden. Auch Sarai, die hoch über der verfluchten Stadt in der verlassenen Zitadelle der Götter lebt und die Menschen von Weep jede Nacht in ihren Träumen besucht, steht vor einer wichtigen Entscheidung: will sie weiterhin ein Teil von Minyas Racheplan sein oder glaubt sie an das Gute in den Menschen? Mit der ersten wirklichen Begegnung von Sarai und Lazlo in ihren Träumen startet eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals verfolgen durfte - eingebettet ist ein magisches Setting und die Gewissheit, dass ihre Beziehung nicht gut gehen wird...


"Meine Vipern, meine Engel", nannte Ellen die Große sie gerne mit Kosenamen. Passend, denn sie waren beides gleichzeitig. Sie waren Geschöpfe aus Fleisch und Seele, aus Magie und aus Hunger, und ja... Spucke, alle auf engstem Raum eingeschlossen, ohne Ausweg. Ein Massaker lag hinter ihnen, ein weiteres stand ihnen bevor, und überall waren die Geister der Toten."


Wir starten eher gemächlich in die zweite Runde der Geschichte und konzentrieren uns vor allem auf die Beziehung zwischen Sarai und Lazlo. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, ist der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte, die in einem spektakulären Showdown gipfelt. Der Titel "Ein Traum von Liebe" wird hier also definitiv Programm. Dabei wird die Erzählweise gleichzeitig süßer und ernster. Durch den Fokus auf Lazlo und Sarai ergreift eine zarte Sehnsucht, süße Hoffnung und Zärtlichkeit von der Handlung besitzt, auf der anderen Seite wird aber immer deutlicher, wie tief verwurzelt Hass und Rachedurst auf den beiden Seiten sind und wie verfahren die Situation ist. Dadurch ist dem Leser die fragile Zerbrechlichkeit der vielen kurzen Glücksmomente bewusst und die Angst vor dem Ausgang, der im Prolog in Band 1 schon angedeutet wurde, sorgt für eine intensive Hintergrundspannung. Dabei scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will.



"Sie hatte das Gefühl, sich selbst ganz neu zu entdecken - kein unnatürliches Geschöpf, vor dem selbst Geister zurückschrecken, sondern ein Märchenwesen. Ein Gedicht. Solange der Traum nachwirkte, erschien alles möglich. Sogar Freiheit.
Sogar Liebe."


Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte, trägt zur Schaffung dieses Gesamtbildes natürlich auch nicht unwesentlich bei. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise und entführt in die sagenumwobene Stadt Weep. Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Sie erzählt die Geschichte von zwei Liebenden in einer verfluchten Stadt geschickt gerafft in 348 Seiten und vermittelt dem Leser trotz Zeit- und Ortssprüngen das Gefühl von Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Sie sprach von einer Liebe, die die Seele aufblühen lässt wie der Frühling und reifen lässt wie der Sommer. Eine Liebe, wie sie kaum in der Wirklichkeit existierte, als habe ein meisterhafter Alchemist alle Unreinheiten, Enttäuschungen, Alltäglichkeiten und unwürdigen Gedanken herausgeköchelt, um ein perfektes Elixier zu erschaffen, zuckersüß, vielschichtig und verzehrend."



Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier in vollkommen neuem Licht kennenlernen können. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht.


"Ich bin kein Traum", sagte Sarai. Ihre Stimme klang bitter. "Ich bin ein Albtraum."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Was passiert, als die beiden aufeinander treffen - lest selbst...


"Für Lazlo hatte es sich angefühlt, als hätte er ein Buch im Inneren eines anderen Buches entdeckt. Eine kleine, kostbare Rarität, die in einem gewöhnlichen Wälzer steckte. Zaubersprüche, geschrieben auf Libellenflügeln, verborgen in einem Kochbuch zwischen Rezepten für Kohlköpfe und Maiskolben. Für Lazlo stand fest: Ein Kuss, selbst der allerkürzeste, war ein kleiner Moment der Magie, eine Geschichte voller Zauber, eine wundersame Unterbrechung des Alltags."


Das Ende … ja das Ende ist nochmal eine Kategorie für sich. Wie auch der Rest der Geschichte begeistert es mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache und tragischer Intensität. Anders als der träumerisch-süße Beginn es aber vermuten ließe, lassen und die Enthüllungen und Geschehnisse der letzten Seiten schockiert und hilflos zurück, sodass das Warten auf den nächsten Teil ("Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" (29.06.2020)) mir jetzt schon unendlich lange erscheint.



Fazit:


Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! Laini Taylor überzeugt mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache, tragischer Intensität und zwei lebendigen Protagonisten, die ihresgleichen suchen.

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