Julia Neumann erzählt in ihrem zweiten Krimi „In den Fängen der Schuld“, erschienen im PIPER-Verlag, eine sehr diffizile und außergewöhnliche Geschichte, die den Nahostkonflikt hautnah in Deutschland spüren lässt. Es gehört auch viel Mut dazu einen Krimi zu schreiben, der aktuelle Entwicklungen aufzeigt und kritisch hinterfragt. Hier werden keine Klischees wiederholt, sondern die Autorin hat eine eigene Meinung, die sich in ihren Hauptpersonen widerspiegelt.
Im Mittelpunkt steht der junge Kommissar Marcus Morelli, der bald einen ganz persönlichen Bezug zu diesem Fall bekommt. „…er wird zu einem brutalen Überfall gerufen: Hooligans haben einen knapp achtzigjährigen Israeli krankenhausreif geschlagen. Ein Fall mit antisemitischem Hintergrund ist das letzte, was Morelli sich wünscht.“ Als er den Enkel darüber informieren will, findet er ihn erschlagen im Eingangsbereich des Hauses seines Großvaters.
Aber es wird noch schlimmer – Vertreter der Presse bekommen Wind davon. Beim Versuch die Journalisten abzuwehren, passiert es. Unglückliche Fotos von Morelli und falsch zitierte Aussagen kommen in die Zeitungen. Sein Chef tobt, denn seit den Vorfällen Silvester 2015 steht die Polizei in Köln unter besonderer Beobachtung der Presse. Jetzt noch dieser Fall eines ermordeten Juden in Deutschland. Morelli weiß es ist keine jüdische Lobby, „sondern die Angst vor ihr, die das Denken seines Chefs bestimmte.“
Doch bald führen die Spuren bei der Suche nach dem Motiv weg von den rechten Hooligans zu einer palästinensischen Austauschstudentin. Er versucht mehr über die Menschen hinter dem Fall zu erfahren. Aber Antworten zu finden ist schwer und Morelli muss sich seiner eigenen linken Vergangenheit stellen. Mit diesem Protagonisten ist der Autorin eine sehr interessante und sympathische Person gelungen. Manchmal erscheint er etwas ungeschickt, aber Morelli ist frei von Vorurteilen. Das hilft ihm bei seinen Untersuchungen weiter, als die Armeezeit des Mordopfers in seinen Blickpunkt gerät.
Ausgerechnet in Hebron im besetzten Westjordanland war Oz stationiert. Irgendetwas ist hier passiert, was ihn verändert hat. Obwohl Morelli zwischenzeitlich sogar vom Dienst suspendiert wurde, gibt er nicht auf und reist selbst nach Israel, genauer gesagt nach Hebron. Hebron ist jene Stadt, wo sich die Gräber Abrahams und weiterer Patriarchen befinden. Sie könnte ein Symbol dafür sein, was Juden, Muslime und Christen verbindet. Aber nicht im Israel von heute.
Nirgendwo ist der Nahostkonflikt so präsent wie in Hebron, der geteilten Stadt im Westjordanland, wo Palästinenser und radikale israelische Siedler direkt aufeinander treffen. Bewaffnete Auseinandersetzungen sind hier an der Tagesordnung und Morelli steckt bald direkt darin. Nur mit etwas Naivität und viel Idealismus, kann man solche Reise wagen. Die Schilderungen sind hochinteressant. Sie weisen Julia Neumann als kenntnisreiche Autorin Israels aus. Aber auch der Humor kommt hier nicht zu kurz. Ein Beispiel dafür: Ausgerechnet am Sabbat kommt Morelli in Jerusalem an, ahnt nicht, was das bedeutet und steckt fest, weil keine Straßenbahn mehr fährt. Aber die arabischen Busse fahren und er gelangt nach Hebron. Dort gelingt es ihm tatsächlich sein Vorhaben zu erfüllen und der Auflösung ganz nah zu kommen, ungeachtet der großen Gefahren denen er ausgesetzt ist. Nur die Kontakte seines Chefs zum Innenministerium können ihm noch helfen, als er vom israelischen Militär verhaftet wird.
Die Lösung der Mordfalls ist eine echte Überraschung und in sich absolut schlüssig.
Fazit:
„In den Fängen der Schuld“ ist nicht nur unheimlich gut und spannend erzählt, sondern es macht auch betroffen. Das Buch gibt keine Antworten auf Fragen, aber es regt zum Nach- und Mitdenken an. Es gewährt tiefe menschliche Einblicke und zeigt viele Facetten des Nahostkonflikts.
Julia Neumanns flüssiger und informativer Schreibstil fesselt von Beginn an. Rückblicke in die Vergangenheit von Eliah und seinem Enkel Oz geben dem Krimi eine zusätzliche historische Dimension und verdichten die Problematik.
Aus meiner Sicht ist dieser politische Krimi eine klare Leseempfehlung und hat 5 Sterne verdient.