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Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine berührende Geschichte im locker leichten Schreibstil

Romeo und Romy
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Aus Romy, die im kleinen sächsischen Örtchen Großzerlitsch bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist, ist leider keine gefeierte Schauspielerin geworden, wie man in ihrer Heimat denkt. Statt auf der Bühne ...

Aus Romy, die im kleinen sächsischen Örtchen Großzerlitsch bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist, ist leider keine gefeierte Schauspielerin geworden, wie man in ihrer Heimat denkt. Statt auf der Bühne zu stehen, arbeitet sie als Souffleuse. Als bei einer Produktion der Ausrichter nicht zufrieden mit der Aufführung ist, wird sie gekündigt. Weil ihre Oma gerade verstorben ist, führt ihr weiterer Weg sie daher zuerst einmal nach Hause.

So beginnt der Roman „Romeo & Romy“ von Andreas Izquierdo. Das Buch nimmt den Leser mit in die Welt des Schauspiels und, wie man aus dem Titel vielleicht erahnen kann, zu einer Aufführung von Romeo und Julia, einer Tragödie von William Shakespeare. Aber es ist eine ganz ungewöhnliche Inszenierung, der der Leser hier beiwohnt und sicher anders als man beim Lesen dieser Zeilen zunächst erwarten könnte. Sie ist voll von Herzblut, Heimat und Gemeinschaftssinn. Passend zur Romantik des aufgeführten Bühnenwerks ist das Cover wunderschön, mit kräftigen Farben gestaltet und zieht dadurch die Augen des potentiellen Lesers auf sich.

Romy ist in Großzerlitsch herzlich willkommen. Die wenigen Einwohner des Ortes sind mit Ausnahme des Kneipenwirts bereits Rentner. Jeder von ihnen trachtet danach, auf eine unauffällige Weise zu sterben und sich dadurch einen der letzten Plätze auf dem örtlichen Friedhof zu sichern. Obwohl Romy Ihnen genau diese Absicht auf den Kopf zusagt, ändern die Bewohner ihre Absichten nicht. Doch eines Tages hat sie eine Idee, wie sie sich selbst in die Gemeinschaft einbringen und die Alten des Orts zu Verstand bringen kann. Sie wird die Scheune, die zu ihrem Erbe gehört, mit der Hilfe der Großzerlitscher zu einem elisabethanischen Theater umbauen und dann Romeo und Julia aufführen! Doch bis dahin ist es ein weiter steiniger Weg. Können Romy und die Großzerlitscher den Plan in die Tat umsetzen?

Es ist eine große Idee, die Andreas Izquierdo da für die kleine Ortschaft und seine Protagonistin entwickelt. Romy konnte mit ihrer schüchternen, unerfahrenen Art meine Sympathien schnell gewinnen und auch die Einwohner des kleinen sächsischen Orts sind auf ihre kauzige Weise liebenswert. Der Einfall, ein Theater auf dem Dorf zu bauen, die älteren Menschen darin einzubeziehen und ihnen dadurch ein Etwas zu geben, für das man auch morgen noch da sein sollte, fand ich ungewöhnlich und großartig. Der Autor setzt den Bau einer solch großen Herausforderung nicht mit Leichtigkeit im Buch um, sondern lässt sehr viele unerwartete Ereignisse in diesem Zusammenhang eintreten. Auch bei der Einstudierung des Theaterstücks verschließt er nicht die Augen vor der Realität. Immer wieder kommt es zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten.

Neben der Umsetzung ihres großen Plans hat Romy sich auch mit ihrer eigenen Herkunft auseinanderzusetzen. Sie begreift im Laufe der Geschichte, wem sie ihr Vertrauen schenken kann. Erst als sie einige wichtige Lektionen in dieser Richtung gelernt hat, ist auch ihr Herz bereit, sich zu öffnen. Die im Roman beinhaltete Liebesgeschichte steht eher im Hintergrund. Sie konnte mich leider nicht vollständig überzeugen und ist verbunden mit der Art der Einbindung des Regisseurs.

Obwohl die Geschichte berührt und den Leser mitleiden lässt, schafft es Andreas Izquierdo mit einem locker leichten Schreibstil, immer das große Ziel im Blick, den Leser zu fesseln und ihm die Hoffnung zu geben, das der Bau und die Aufführung des Schauspiels zu einem guten Ende kommen wird.

Der Roman führt mitten hinein ins Leben, stimmt nachdenklich und bringt vor Augen, dass man durch gemeinsames Tun unmöglich Erscheinendes schaffen kann. Der Leser erlebt die Geborgenheit von Heimat, unschätzbare Freundschaft, Betrug, Wut, aber auch Wertschätzung und Liebe. Sehr gerne empfehle ich dieses Buch weiter.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Äußerlich und vom Inhalt her ein Schmuckstück

Lists of Note
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Jeder von uns kennt sie und braucht sie: Listen, egal in welcher Form auch immer. Einkaufslisten, To- do-Listen, Nicht-vergessen-Listen, sie alle füllen unseren Alltag und das wahrscheinlich schon seit ...

Jeder von uns kennt sie und braucht sie: Listen, egal in welcher Form auch immer. Einkaufslisten, To- do-Listen, Nicht-vergessen-Listen, sie alle füllen unseren Alltag und das wahrscheinlich schon seit der Mensch schreiben kann. Es gibt eine unglaubliche Fülle von Dingen die man auflisten kann. Shaun Usher hat bei seinen Recherchen zu seinem Buch „Letters of Note – Briefe, die die Welt bedeuten“ immer wieder solche Verzeichnisse in Händen gehalten und sehr zum Vergnügen seiner Leser hat er die, die ihm am bedeutsamsten erschienen nun in einem eigenen Buch zusammengestellt.

„Lists of Note – Aufzeichnungen, die die Welt bedeuten“ ist nicht nur vom Inhalt her ein Schmuckstück, sondern auch optisch. Unter dem in beige und dunkelblau gestalteten Schutzumschlag verbirgt sich ein in Leinen gebundenes Buch im Großformat mit Lesebändchen. Die inneren Umschlagseiten sind mit den Namen der Listenschreiber gestaltet worden. Nach zweimaligem Umblättern erscheint dann schon die erste Auflistung: Shaun Usher bedankt sich bei den Menschen, die ihm am Liebsten sind. Weiter geht es mit der Zusammenstellung des Inhalts. In einer Einleitung erzählt der Autor darüber, wie dieses Buch entstanden ist und selbst diese kurze Einführung enthält zwei Listen. Auf den folgenden 317 Seiten sind 123 Auflistungen zu finden.

Ich habe das Lesen der Listen genossen, mal stirnrunzelnd wie beispielsweise bei Liste 028 „Einsteins Forderungen“ oder auch bei der 101 „Was Frauen auf dem Fahrrad tunlichst unterlassen sollten“, mal schmunzelnd wie zum Beispiel bei der Auflistung 058 „The Standard Beau Catche“ (ein Flirtratgeber) oder 111 „Marilyn Monroes Traummänner“. Sogar als Rezensentin konnte ich profitieren wie bei Liste 015 „Rogets Thesaurus“ und 066 „Ungeschickte Grammatik“. In diesem Buch finden sich banale Einkaufslisten berühmter Menschen, Lieblingsbücher, Verhaltensregeln, Ratschläge und noch vieles andere mehr.

Die älteste Liste stammt aus dem 3. Jahrhundert vor Christi, die jüngsten sind erst ein paar Jahre alt. Begleitend zu jeder Liste ist entweder ganzseitig das Original abgelichtet, ein Foto des Autors oder auch eine passende Illustration. Einige Listen umfassen nur wenige Zeilen, andere mehrere Seiten.

Das Buch eignet sich nicht nur zum selber Lesen oder Stöbern, sondern auch hervorragend als Geschenk. Es bietet zudem ausreichend Gesprächsstoff beim gemeinsamen Lesen der Listen. „Lists of Note“ ist informativ und sehr interessant. Ich werde es sicher immer wieder zur Hand nehmen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Geschickt gesponnener Roman, der seine Geheimnisse erst nach und nach preisgibt

Das Seehaus
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Loeanneth, ein verwunschen gelegenes Haus am See in Cornwall im Sommer 1933: bei Alice Edevane, 16 Jahre, kreisen die Gedanken um ein Geheimnis. Die Gelegenheit zu einem Geständnis hat sie verstreichen ...

Loeanneth, ein verwunschen gelegenes Haus am See in Cornwall im Sommer 1933: bei Alice Edevane, 16 Jahre, kreisen die Gedanken um ein Geheimnis. Die Gelegenheit zu einem Geständnis hat sie verstreichen lassen. Jetzt eilt sie durch das anliegende Wäldchen und vergräbt den Beweis für ihre Schuld. So spannend beginnt das Buch „Das Seehaus“ von Kate Morton. Auch bei ihrem neuen Buch schafft sie es, den Leser in ihren Bann zu ziehen.

Im Jahr 2003 hat sich Sadie Sparrow, Detective in London, während der Ermittlungen an einem aktuellen Fall mit Interna an einen Journalisten gewendet. Um sich einem Verweis durch ihren Vorgesetzten zu entziehen nimmt sie Urlaub, den sie bei ihrem Großvater in Cornwall verbringt. Beim Joggen entdeckt sie ein im Wald gelegenes Haus, das im Verfall begriffen scheint. Eine Freundin ihres Opas kennt nicht nur das Haus, bei dem es sich um Loeanneth handelt, sondern auch die Geschichte der Familie der das Haus gehört. Sie erfährt, dass die Familie Edevane alljährlich ein Mittsommerfest veranstaltete. In den 1930ern ist in dieser Nacht ein kleiner Junge verschwunden. Die Erzählung der Bekannten spricht in Sadie die Ermittlerin an. Es interessiert sie, was damals genau geschehen ist und warum die Familie mit drei älteren Töchtern und unmittelbar nach der großen Suchaktion der Polizei das Haus aufgegeben und nach London gezogen ist. Immer tiefer taucht sie und damit auch der Leser ein in die Vergangenheit der Familie Edevane und den damit verbundenen Geheimnissen.

Nach einem kurzen, spannenden Beginn geht die Geschichte zunächst etwas ruhiger weiter. Die Autorin macht den Leser mit den wichtigsten Figuren auf den beiden ungefähr 70 Jahre auseinanderliegenden (Haupt-)Zeitebenen auf denen der Roman spielt bekannt. 1933 bereitet die Familie Edevane sich auf das Mittsommerfest vor. Die Erzählung fokussiert hier auf Alice, der angehenden Schriftstellerin und frisch Verliebten. Beim Lesen dieser Kapitel kam mir ständig die oben erwähnte Anfangsszene mit der Schuldfrage ins Bewusstsein. Im ständigen Wechsel springt die Autorin immer wieder in das Jahr 2003. Der Leser wartet schon neugierig darauf, ob Sadie sich Zugang zu Loeanneth verschaffen kann und neue Erkenntnisse über das vor so langer Zeit bereits verschwundene Kind finden wird. Außerdem möchte man mehr über den aktuellen Fall erfahren an dem Sadie ermittelt hat. Was ist vorgefallen, das sie dazu geführt hat, einen langen Urlaub zu nehmen?

Kate Morton hat mit „Das Seehaus“ einen geschickt gesponnenen Roman geschrieben, der seine Geheimnisse erst nach und nach preisgibt. Sie legt immer wieder falsche Fährten aus, durch die der Leser und natürlich Sadie sich kurz vor der Lösung glauben, um dann doch in eine andere Richtung abzuschwenken. Meist geschieht dies durch geschickt gesetzte kleine Auslassungen bei Dingen, über die ihre Figuren nachdenken. Durch detailreiche Landschaftsbeschreibungen kann man sich gut die Umgebung von Loeanneth vorstellen und spürt das Besondere, das von diesem Ort ausgeht.

Abwechslungsreich gestaltet sind die Charaktere, die die Autorin vorstellt. Neben den Protagonisten Alice und Sadie nehmen weitere Figuren einen breiteren Raum ein, wie beispielsweise die Eltern von Alice und ihre Schwestern sowie ihre Großmutter, ein im damaligen Fall ermittelnder Polizist und Sadies Opa. Im Laufe der Geschichte erfährt der Leser stückchenweise mehr über deren Vergangenheit und ihren Motiven zum Handeln in bestimmte Situationen. Es geschieht immer wieder, dass bei einer Person, nachdem man sie näher kennengelernt hat, eine frühere Verletzung des Gemüts zum Vorschein kommt.

Durch alle Zeitebenen und in Haupt- sowie Nebenerzählungen thematisiert das Buch Kinder, für die das Beste außerhalb ihres Elternhauses gewollt wird. Der Spannungsbogen hält durch die vielschichtige Gestaltung des Romans bis zum Ende hin an. Die Geheimnisse Roman werden getragen von Liebe, Hass, Schuld, Verständnis füreinander, gegebenen Versprechungen, Lügen, Vergebung und unausgesprochenen manifestierten Vermutungen. So lässt sich der Roman genremäßig auch nicht fest zuordnen.

Mich hat das Buch überzeugt. Ein Must-Read für jeden Kate Morton Fan und darüber hinaus eine Leseempfehlung für alle, die Familienromane mit Geheimnis mögen sowie für Krimileser.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Berührend und emotional

Mein Herz wird dich finden
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Mia hat ihren Freund Jacob durch einen Verkehrsunfall verloren. Noch heute, 400 Tage später, erinnert sie sich nur mit Grauen an diesen Tag zurück. So beginnt der Roman „Mein Herz wird dich finden“ von ...

Mia hat ihren Freund Jacob durch einen Verkehrsunfall verloren. Noch heute, 400 Tage später, erinnert sie sich nur mit Grauen an diesen Tag zurück. So beginnt der Roman „Mein Herz wird dich finden“ von Jessi Kirby. Auf dem Cover des Buchs ist ein verschlungenes Herz in rot-goldener Farbe das im Licht glänzt. Nichts weist auf eine bedrückende Geschichte hin und so hellt sich nach einem beklemmend wirkenden Beginn das Geschehen auf und nimmt den Leser mit hinein in eine der bewegensten Liebesgeschichten, die ich kenne.

Jacob fehlt Mia sehr. Die beiden hatten gemeinsame Pläne für ihre Zukunft. Zum Glück gibt ihre Familie ihr Zeit über den Verlust hinweg zu finden. Eines Tages macht sie sich auf die Suche nach einer bestimmten Person. Bei der Fahrt ans naheliegende Meer lernt sie Noah kennen. Beide fühlen sich gleich auf einer Wellenlänge. Und doch ist es so, dass Mia Noah gar nicht hätte kennenlernen dürfen. Sie sehnt eine Aussprache mit Noah herbei, aber der geeignete Moment will zunächst einfach nicht kommen. Und dann ist es beinahe zu spät, um auf Verständnis zu hoffen …

Gerade einen jungen Menschen zu verlieren, egal ob als Familienmitglied oder Freund, ist furchtbar. Alles bricht ab. Begegnungen, gemeinsame Träume und Worte sind nicht mehr möglich. Die Lebenden sind gefangen im hier und jetzt. Keiner weiß wo der Geist und die Seele des Verstorbenen nun sind. Unser Verstand kommt an seine Grenze.

Vielleicht ist die Geschichte, die die Autorin hier erzählt, auch so mitnehmend weil sie sich mit einem der großen Themen unserer heutigen Zeit beschäftigt, der Organspende. Auf eine ganz besondere Weise verarbeitet sie in ihrer Erzählung einige Aspekte, keine ausführende Diskussion, jedoch ausreichend für die vorliegende Liebesgeschichte, um das Für und Wider des Spenders zu erkennen. Sie zeigt außerdem auf, dass es auch für den Empfänger eine Herausforderung sowohl physisch wie auch psychisch ist, mit dem fremden Organ zu leben.

Für Mia kommen zu den sehr emotionalen Geschehnissen noch das Wissen um den Gesundheitszustand ihres Vaters hinzu. Ihre Eltern bieten ihr Rückhalt und stärken sie bei ihren Handlungen. Doch der berufliche Stress macht ihrem Vater zu schaffen. Die Besorgnis ihrer Mutter um ihren Mann bedrückt auch Mia. Vor dem Hintergrund eines Sommers am Meer mit seiner Leichtigkeit, dem Vergnügen und Spaß wird der Protagonisten bewusst, dass immer wieder in einem geregelten, erfüllten Alltagsleben plötzliche Gefahren lauern, die der Gesundheit abträglich sind.

Mia ist eine liebenswerte Person, ebenso wie Noah. Beide sind rücksichtsvoll und doch haben sie auch ihre Ecken und Kanten. Ohne zu wissen warum, vertraut Mia ihrem neuen Freund, obwohl ihr manche Situation in die er sie bringt riskant erscheint.

Der Schreibstil der Autorin ist sehr gefühlsbetont. Sie schafft es mit ihren Worten die Wärme des Sommers einzufangen. Ich konnte mir die einzigartige Landschaft und die Naturphänomene, die Noah Mia zeigt, sehr gut vorstellen. Die Story wird von Mia in der Ich-Form erzählt, so dass ich an den Gedanken und inneren Auseinandersetzungen der Protagonistin teilhaben konnte. Vor jedem Kapitel hat Jessi Kirby eine Tatsache oder einen Spruch über das Herz gestellt, der im Laufe des Buchs Wissen vermittelt, aber auch den Leser zwischen den teils atemlos stimmenden Kapiteln kurz aufatmen lässt. Denn über der romantischen Geschichte liegt stets die Angst von Mia, dass eine Aussprache mit Noah kein Verständnis von ihm bringt und ihre noch junge Liebe einer solchen Probe nicht standhalten wird.

Mich hat dieses Buch tief berührt und ich habe mich sehr über den versöhnlich stimmenden Abschluss gefreut. „Mein Herz wird dich finden“ ist definitiv ein Buch das ich sehr gerne weiterempfehle, nicht nur an Jugendliche ab 14 Jahren sondern auch an junge Erwachsene und interessierte ältere Leser.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Fliegende Gedanken

Die Liebesgeschichtenerzählerin
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Mit einem Gedicht des Autors aus dem Jahr 1979 beginnt das Buch „Die Liebesgeschichtenerzählerin“ von Friedrich Christian Delius. Inhalte der Lyrik finden sich im Roman wieder. Die 50 jährige Marie von ...

Mit einem Gedicht des Autors aus dem Jahr 1979 beginnt das Buch „Die Liebesgeschichtenerzählerin“ von Friedrich Christian Delius. Inhalte der Lyrik finden sich im Roman wieder. Die 50 jährige Marie von Schabow, in Frankfurt wohnend, verbringt im Jahr 1969 ohne ihre Familie einige Tage an der niederländischen Nordsee. Die raue See auf dem Cover trifft nicht nur den aufgewühlten Gemütszustand der Protagonistin, sondern führt den Leser auch zu einer der Geschichten, die Marie demnächst niederschreiben möchte.

Die Erzählung begleitet sie von der Nordsee aus auf ihrer Zugfahrt nach Hause über Amsterdam und Emmerich mit einem kurzen Aufenthalt in Leverkusen bei der Familie ihres Bruders. Sie ist auf den Spuren ihrer Familie unterwegs. Erst seit kurzem ist es ihr möglich sich neben Haushalt und Kindererziehung dem Schreiben zu widmen. Dabei schwirren ihr drei Geschichten im Kopf herum: die eines königlichen Vorfahr Anfang des 19. Jahrhunderts, die ihrer Eltern und die eigene. Mehr und mehr gelangen Gedankenfetzen zum bald 80 jährigen Vater in ihren Sinn. Gewürzt wird die Erzählung mit einer Unstimmigkeit in der Ehe von Marie, die sich aus ihrer Abwesenheit ergeben hat Sie wird bis zum Schluss zu einer Herzensangelegenheit und fesselt so auch den Leser.

Für Marie ist die Reise der Beginn einer neuen Lebensphase. Mit der Zeit wird nicht nur ihr deutlich, wie sehr die einzelnen Ereignisse voneinander abhängen. Der Roman besteht aus den komplexen Gedankengängen der Protagonistin. Ihre Gedanken huschen durch die Geschichte und reißen Szenen in der Vergangenheit der Familie an, die Marie aus Erzählungen und Aufzeichnungen kennt. Blockweise hält der Autor die fliegenden Gedanken fest, die immer aus einem Satz bestehen und sehr gut die innere Unruhe von Marie wiederspiegeln. Mühelos füllt der Leser die Zeiten zwischen den einzelnen Szenen mit seiner eigenen Fantasie. So entstand für mich eine Familiengeschichte über fast 200 Jahre.

Der Autor schreckt nicht davor zurück sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen wie beispielsweise mit der Schuld am Tod als Kämpfer für das Vaterland. Aus Maries eigener Lebensgeschichte ergibt sich ein klarer Geist, der sich früh mit Recht und Unrecht auseinandergesetzt hat, die aber auch die ihr zugedachte Rolle als Frau an der Seite eines angehenden Gutsbesitzers und auch später als Mutter angenommen hat. Insoweit wirken ihre Gedankengänge überaus realistisch. Marie zeigt aber auch, dass sie in der Gegenwart Ende der 1960er Jahre angekommen ist. Ein erster literarischer Erfolg hat ihr Selbstbewusstsein gestärkt und gibt ihr den Mut für weitere Projekte.

Erstaunlicherweise brauchte der Autor sich die bewegenden Ereignisse und abwechslungsreich gestalteten Charaktere nicht auszudenken, denn sein Roman basiert auf der Vergangenheit seiner eigenen Familie. Mit leisen Worten und schlichter Sprache hat mich der Inhalt des Buchs sehr angesprochen. Dabei ist es nicht immer einfach, den Einfällen zu folgen und eine gewisse Muße beim Lesen unerlässlich. Gerne vergebe ich hierfür eine Leseempfehlung.