Auf dem Weg nach Nirgendwo
„Ich weiß, dass eine Tochter in diesen Zeiten nicht ohne Vater sein sollte. Aber ist es nicht genauso schlimm für einen Vater, ohne Tochter zu sein?“
Inhalt
1939 ist für Anna ein dunkles Jahr, denn nachdem ...
„Ich weiß, dass eine Tochter in diesen Zeiten nicht ohne Vater sein sollte. Aber ist es nicht genauso schlimm für einen Vater, ohne Tochter zu sein?“
Inhalt
1939 ist für Anna ein dunkles Jahr, denn nachdem ihr Vater von den Deutschen verhaftet wurde, steht sie als Waise ganz alleine da, ohne Obdach, ohne Essen und ohne Schutz. Verzweifelt treibt sie sich in den Straßen von Krakau herum und versucht irgendwie zu Überleben. Eines Tages begegnet ihr ein hagerer, intelligenter Mann, der weder einen Namen noch eine Geschichte zu haben scheint dafür aber fließend alle möglichen Sprachen spricht. „Der Schwalbenmann“ nimmt Anna zu sich und beginnt mit ihr eine Flucht durch die endlose, winterlich Welt Polens, um sie nach Danzig zu bringen. Auf dem gemeinsamen Weg werden sie so unscheinbar wie ein paar Vögel am Himmel, doch für Anna verändert sich damit ihre ganze kleine Welt.
Meinung
Dieser Jugendroman hebt sich durchaus von der klassischen Jugendliteratur zum Thema 2. Weltkrieg ab, denn diesmal geht es nicht um ein besonderes Menschenleben, welches vernichtet wird, sondern eher um eine Parabel, die von den Kriegsschrecken und Veränderung ganz am Rande erzählt. Eine stille, dennoch fesselnde Geschichte, die durch ihre gekonnt gewählte Erzählperspektive tiefe Einblicke in den Kopf eines Kindes gewährt.
Zunächst begegnet der Leser zwei einsamen, verzweifelten Menschen, einem naiven Kind und einem irgendwie geheimnisvollen Fremden. Ihre Wanderung durch die Wälder und entlang von Flüssen, verändert den Blickwinkel, denn immer wieder findet sich Güte, Zuneigung und Akzeptanz in den winzigen Dingen des Alltags. Das geteilte Essen, der improvisierte Unterstand mit Hilfe eines Regenschirms und die Gespräche über das Wissen, den Intellekt und die Unabdingbarkeit ihrer Wanderung. Nur wer in Bewegung bleibt, kann Überleben und nur wer überlebt, kann dieser unmenschlichen, kriegsgetrübten Welt entkommen. Selbst als Anna auf einen Juden trifft, der entgegen aller Vorsichtsmaßnahmen handelt, lässt sie der Schwalbenmann gewähren. Stellt Zuneigung und Menschlichkeit über die persönlichen Nöte und wird dennoch von der eigenen Unzulänglichkeit eingeholt.
Besondern gut gelungen empfand ich die ausgewogene Verteilung der Stellungsverhältnisse innerhalb der kleinen Gruppe, keiner wollte um jeden Preis seinen Willen durchsetzen, keiner trägt die Verantwortung allein und nur gemeinsam sind sie wirklich so stark, wie sie sein müssen, um nicht unterzugehen in ihrem unwirtlichen, lebensunwürdigen Alltag. Am Rande vermittelt der junge amerikanische Autor wichtige charakterliche Voraussetzungen, die den Menschen vom Unmenschen trennen und zeigt, wie es trotz der ständigen Bedrohung durch Hunger, Verfolgung und Krieg gelingen kann, die eigene Integrität zu wahren.
Fazit
Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen ungewöhnlichen, stillen Jugendroman der sich auf besondere Art und Weise mit dem Thema Krieg auseinandersetzt und virtuos eine Geschichte entwirft, die fast einer traurigen Melodie ähnelt. Punktabzug gibt es für den vagen, sehr ungewissen Ausgang der Erzählung, der einfach zu viele Fragen offenlässt und die endgültige Aussage des Buches irgendwie verwässert. Wer gerne Bücher über den Krieg aus der Sicht eines Kindes liest, wird hier auf seine Kosten kommen und eine melancholisch, intensive Reise mit Anna und ihren Weggefährten erleben.