Liebe, Erotik und Spannung erfrischend verknüpft
All of Me„All of Me“ von K.L. Kreig ist der Start ihres „Finding Me Duet“. Protagonist ist Shaw Mercer, ein erfolgreicher, aber auch skandalumwitterter Geschäftsmann. Um eben durch diese Skandale nicht die Bürgermeisterwahl ...
„All of Me“ von K.L. Kreig ist der Start ihres „Finding Me Duet“. Protagonist ist Shaw Mercer, ein erfolgreicher, aber auch skandalumwitterter Geschäftsmann. Um eben durch diese Skandale nicht die Bürgermeisterwahl seines Vaters zu gefährden, engagiert er Willow Blackwell, einige Monate seine Freundin zu spielen und seinem Leben einen gesetzten Eindruck zu verleihen. Schnell wird beiden klar, dass es nicht so leicht ist, Vertrag und Gefühle getrennt zu halten.
Von der Farbwahl ist das Cover überraschend schlicht. Paradoxerweise sticht es genau dadurch heraus, wenn man die ganzen bunten Cover im restlichen LYX-Portfolio betrachtet. Der blaugraue Hintergrund wird aus zwei Richtungen langsam von einer tiefschwarzen Tinte eingeschlossen. Es kann etwas Bedrohliches sein, aber auch die Chance, mit der Tinte etwas Neues zu schreiben – einen neuen Lebensabschnitt. Am allerbesten gefällt mir allerdings das Design des Titels. Die Worte „ALL“ und „ME“ sind gradlinig, in einem goldenen Farbton. Das „of“ windet sich in einem wunderschönen kalligrafischen Stil dazwischen.
„'Cause all of me
Loves all of you
Love your curves and all your edges
All your perfect imperfections
Give your all to me
I'll give my all to you”
John Legend – All of Me; geschrieben von Tony Gad und John Stephens
Ein ungewöhnlicher Start für eine Rezension, aber während des Lesens hatte ich permanent einen Ohrwurm von diesem Lied. Es ist ein absolut romantischer Text und eine ruhige Melodie, also nichts, was die meisten Menschen mit einem Erotikroman in Verbindung bringen würden. Natürlich gibt es in dem Buch explizite Sexszenen, aber im Vordergrund stehen die ganz großen Gefühle und wie die beiden Protagonisten sich dagegen wehren und es lange leugnen wollen. Durch einen stetigen Perspektivwechsel können die Leser*innen diese Emotionen sowohl in Shaw als auch in Willow sehr gut nachvollziehen. Für Willow ist es ein steter Kampf gegen ihre selbstauferlegten Grenzen, die in ihrem Escortberuf wichtig sind, um ihr Herz zu schützen. Bei Shaw steht immer seine Firma an erster Stelle. Er war sich sicher, dass nie eine Frau etwas daran ändern könnte und wollte auch keine von ihnen überhaupt so weit in sein Leben und seinen Kopf lassen. Ich finde es schön, dass er liebt, was er tut und wir nicht auf das Klischee der ungewollten Firmennachfolge stoßen.
Mir gefällt es immer sehr, wenn die unterschiedlichen Perspektiven von weiblichen und männlichen Protagonisten auch einen unterschiedlichen Sprachstil aufweisen und das hat die Autorin gekonnt umgesetzt. Angenehm war außerdem, dass sie nicht zu Wiederholungen zu neigen scheint, was vielen Autoren und Autorinnen gerade bei der Beschreibung der Optik ihrer Charaktere leicht passiert.
Es ist bedeutsam, dass vor allem Willow so intensiv an ihren Prinzipien festhält. Es gibt private, geheime Dinge, die man nicht jedem mitteilt, den man zum einen gerade erst getroffen hat und zum anderen an einem bestimmten Datum wieder aus dem eigenen Leben streichen wird. Viele Charaktere in anderen Liebesromanen schütten sich gegenseitig sehr schnell ihr Herz aus und erzählen einander die persönlichsten Dinge. „All of Me“ ist eines der wenigen Bücher, bei denen ich das Gefühl hatte, dass die emotionale Annäherung auf eine realistische Weise und in angemessenem Tempo erfolgt.
Viele Liebes- und Erotikromane schaffen es nicht, einen fesselnden Spannungsbogen aufzubauen. Bei romantischen Geschichten ist dies immer schwer, denn der Handlungsverlauf (Kennenlernen – glücklich sein – Problem tritt auf – Katastrophe - Happy End) ist doch immer recht ähnlich und das Ende vorprogrammiert. Dies kann man meist nur beleben, indem andere Handlungsstränge eingebracht werden. Das heißt nicht, dutzende Nebencharaktere mit eigenen Liebesgeschichten aufzubauen, sondern sich auch über die Liebe der Protagonisten hinaus zu wagen und andere Aspekte des Lebens hinein zu lassen. Kreig hat dies hervorragend gelöst, was vor allem die letzten Seiten zum Pageturner macht.
Etwas Punktabzug gibt es für Shaw, was paradox ist, weil ich ihn ohne Willow sehr gerne mag. Er arbeitet hart, liebt was er tut, ist aufopferungsvoll für seine Familie und ist ein guter Freund. Sobald Willow aber sein Denken beherrscht, wird er schroff, besitzergreifend und neigt zu aggressiven Kurzschlussreaktionen, die gar nicht zu dem cleveren, planenden Mann passen. In diesen Momenten entwickelt er sich total zurück und während ich vorher dachte, was für ein toller, interessanter Mann er ist, will ich ihn dann möglichst loswerden und mich für ihn schämen. Hinfort ist dann alles Reife, Selbstbewusste, Weltgewandte und Charismatische, was ihn vorher so anziehend machte. Es handelt sich um zwei verschiedene Männer und der, den ich nicht so gerne mag, hat in der Geschichte leider meist den Vortritt.
Ähnlich ist auch meine Meinung zu Willow. Am Anfang ist sie tough, lässt sich nichts gefallen, ist verantwortungsbewusst und fürsorglich. Im Verlauf der Handlung wird sie außerhalb des Schlafzimmers immer mehr zum schüchternen Mädchen, lässt sich treiben und nimmt nichts mehr selbst in die Hand. Außerdem – für mich ein absolutes No-Go – vernachlässigt sie Freunde und eigene Familie, je mehr sie sich auf Shaw einlässt.
Zusammenfassend hat K.L. Kreig hier einfach eine tolle Geschichte erzählt. Sie verbindet Erotik und Liebe ganz hervorragend und bringt auch andere Aspekte in die Handlung ein, welche die Spannung hochhalten. Dieser erfrischende Stil in einem Genre, das so vorhersehbar geworden ist, bringt mich, trotz der negativen Charakterentwicklung, zu 4 von 5 Sternen. Der Abschluss mit „All of you” folgt am 29.05.2020 und ich werde ihn direkt lesen.