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Veröffentlicht am 05.01.2020

Dem Glück auf die Sprünge helfen

Das doppelte Lottchen
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1949 erschienen, ist „Das doppelte Lottchen“ das vierte Kinderbuch des Moralisten, Gebrauchslyrikers, Theaterkritikers, Journalisten und lebenslangen Antimilitaristen Erich Kästner, der nicht zuletzt ein ...

1949 erschienen, ist „Das doppelte Lottchen“ das vierte Kinderbuch des Moralisten, Gebrauchslyrikers, Theaterkritikers, Journalisten und lebenslangen Antimilitaristen Erich Kästner, der nicht zuletzt ein verhinderter Lehrer war und sich in seinen Geschichten für Kinder pädagogische Zwischenbemerkungen nie verkneifen wollte.
Zum Kinderbuchschreiben, das nie zu seinem Lebensplan gehörte, ist er durch einen Zufall gekommen, fand aber rasch Gefallen daran, betrachtete er es doch als Ausgleich für seine bissigen Appelle an die Erwachsenen! Hier konnte er den so oft zynischen Satiriker beiseite lassen und stattdessen seine wunderbare, grammatikalisch geschliffene und differenzierte, liebevoll-ironische Sprache, die im wahrsten Sinne des Wortes ein Hochgenuss für alle ist, die eine schöne Sprache zu schätzen wissen, dazu nutzen, seine Kindheitserlebnisse zu beschreiben und weiterzuspinnen. Und da er im Herzen Kind geblieben war, traf er genau den Ton und das Lebensgefühl der Kinder, für die er schrieb. Das war vor mehr als siebzig Jahren so – und das ist es auch heute noch!
Kästners Kinderbücher, die in viele Sprachen übersetzt, mehrfach verfilmt und für die Bühne bearbeitet wurden, sind zeitlose Klassiker geblieben und haben darüberhinaus ihrem Autor zu Weltruhm verholfen, was außer der zu Recht hochverehrten Astrid Lindgren und der ungerechtfertigterweise hochgelobten Enid Blyton, Meisterin der platten und eintönigen Sprache ( und dies nicht nur in der deutschen Übersetzung ) und der langweiligen, immer gleichen Geschichten, von keinem anderen Kinderbuchschreiber behauptet werden kann.
Wo Kästners scharfsinnige Gedichte die individuellen Fehlhaltungen und gesellschaftlichen Mängel aufdecken, zeigen seine Bücher für Kinder eine heile oder zumindest heilbare Kinderwelt. Diese Idyllisierung der unheilen und konfliktreichen Wirklichkeit brachte ihm durchaus Kritik ein, der er entgegenhielt, dass er besagte Inszenierung einer heilen Welt als seine pädagogische Pflicht ansehe, denn für ihn war Erziehung das einzig legitime Mittel, auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen.
Marcel Reich-Ranicky sagte einmal über Erich Kästner, dass er das Spiel mit vertauschten Rollen liebe. Und so war es auch, wie man sehr deutlich gerade in der hier zu besprechenden Geschichte sehen kann! Während Kästner die Leser seiner Essays als Kinder ansah, betrachtete er die Leser seiner Kinderbücher als Erwachsene. Es sind die Kinder, die in seinen Romanen über gesunden Menschenverstand verfügen, die Kinder sind es, die den Durchblick haben, die vernünftig und planvoll vorgehen und ihre Eltern zur Räson bringen. Den Kindern traut er das zu, was eigentlich die so oft versagenden Erwachsenen leisten sollten!
Im „doppelten Lottchen“ sind es die beiden neunjährigen Protagonistinnen Luise und Lotte – ja, kein Musterknabe, kein mutiger kleiner Junge diesmal, wie sonst bei Kästner üblich, obwohl Lotte durchaus die Eigenschaften von Kästners Lieblingshauptfiguren besitzt! -, die beschließen, sich ihre heile Welt, ihre glückliche Kindheit mit vollkommener Familie zurückzuholen, die ihnen die Erwachsenen, in unsrem Falle ihre Eltern, gestohlen haben, als sie sie als Babys trennten und im Ungewissen darüber ließen, dass es da noch eine Schwester gab, die eine im Wien beim Vater, die andere in München bei der Mutter lebend! ( Und hier scheut sich Kästner nicht, ganz offen über Scheidung und seine nachteiligen Folgen zu reden, was ihm im Übrigen beim Erscheinen dieses Romans, in den prüden fünfziger Jahren also, gehörig angekreidet wurde! )
Freund Zufall aber oder ein freundliches Schicksal, wie immer man das nennen möchte, was sich im fiktiven Seebühl am Bühlsee eines schönen Sommers ereignete und was sich schließlich, nach Irrungen und Wirrungen und wilder Entschlossenheit zweier kleiner Mädchen, auf ein heiteres und optimistisches Ende zubewegen sollte, entschied, dass sich im Ferienkinderheim unvermutet zwei Mädchen gegenüberstanden, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Der temperamentvollen, ziemlich verwöhnten und auch ein wenig ungezogenen Luise Palfy aus Wien missfiel das anfangs sehr, aber da sie im Grunde ein ebenso liebenswertes Mädchen war wie die stille, höfliche und bescheidene Lotte Körner aus München, freundete sie sich schon nach der ersten, tränenreich nebeneinander verbrachten Nacht mit der Doppelgängerin wider Willen an; und dann dauerte es auch gar nicht lange, bis den beiden Mädchen klar wurde, dass sie richtige, echte Zwillinge waren! Erschüttert von der Erkenntnis, dass die Eltern ihnen durch ihre Trennung und darauffolgendes neunjähriges Schweigen ein gemeinsames Leben vorenthalten hatten – und da kommt Kästners moralischer Zeigefinger! -, beschließen die neu gefundenen Schwestern, ihre Rollen zu tauschen. Zunächst aus reiner Neugierde, aber vor allem großer Sehnsucht, den jeweils anderen Elternteil kennenzulernen – eine klare Absicht verfolgten sie zu diesem Zeitpunkt sicher noch nicht, wiewohl das Verlangen, zusammenbleiben zu können, und das mit Vater und Mutter, gewiss bereits tief in ihnen schlummerte und rasch wuchs und gedieh und schließlich nicht mehr zu unterdrücken war.
Damit nimmt das Schicksal seinen Lauf! Luise reist als Lotte zur Mutter nach München, die als geschiedene, alleinerziehende und dann auch noch berufstätige Frau ebenso Stein des Anstoßes für viele selbsternannte Kritiker und Moralapostel damals war, wie die thematisierte Scheidung, die man den jungen Lesern doch „keinesfalls zumuten“ konnte, und Lotte reist als Luise zum exzentrischen, von den Frauen umschwärmten Vater nach Wien, der sich als alles andere als ein Familienmensch herausstellt. Und obwohl die Geschwister einander so viel aus dem Leben der jeweils anderen erzählt hatten und mit genauen Anweisungen zu ihrem neuen Zuhause gereist waren, sind sie doch nicht auf die vielen Stolperfallen vorbereitet, die sich ihnen bei ihrem, das muss man zugeben, sehr mutigen Abenteuer in den Weg stellen werden und die letztendlich dafür sorgen, dass das Versteckspiel ein Ende findet. Aber was Luise und Lotte so alles erleben, in welche seelischen Nöte sie durch ihr waghalsiges Unterfangen geraten und welche Lawine sie ins Rollen bringen, soll hier denjenigen nicht vorweggenommen werden, die den rührenden, den weisen, den wunderschönen, gewiss unsterblichen Klassiker eines großen Literaten mit der Seele eines Kindes – die im übrigen nur eine seiner vielen Facetten war – noch nicht kennen, der ihnen aber wärmstens und mit großem Nachdruck ans Herz gelegt werden soll!

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Veröffentlicht am 03.01.2020

Ein Gänserich als Fluglehrer für einen Drachen?

Der kleine Drache Kokosnuss - Schulfest auf dem Feuerfelsen
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Die Reihe um den kleinen Drachen Kokosnuss ist natürlich primär für Kinder, zum Vorlesen wie auch zum Erstlesen, konzipiert – doch, der Autor möge es mir nachsehen, auch ich als längst Erwachsene habe ...

Die Reihe um den kleinen Drachen Kokosnuss ist natürlich primär für Kinder, zum Vorlesen wie auch zum Erstlesen, konzipiert – doch, der Autor möge es mir nachsehen, auch ich als längst Erwachsene habe immer wieder aufs Neue großes Vergnügen an den launigen, mit viel Wortwitz und feiner Ironie gespickten Abenteuern von Kokosnuss und seinen Freunden vielfältigster Gestalt, habe – zum Glück! - das Kind in mir niemals abgestreift!

Ja, Ingo Siegner macht sein Handwerk richtig Spaß, wie man in Interviews und auf Lesungen, die er nach eigener Aussage nicht etwa als lästig betrachtet, sondern im Gegenteil sogar liebt, unschwer erkennen kann. Er mag Kinder, er hat unmittelbaren Zugang zu ihnen, sucht den Kontakt mit ihnen, nimmt sie so ernst, wie er die von ihm sorgfältig kreierten Figuren ernst nimmt, schafft es mühelos, dass der Funke sofort auf seine kleinen Leser oder Zuhörer überspringt. Er weiß eben, was Kindern gefällt, womit sie zu erheitern sind und bei der Stange bleiben – und das ist das Geheimnis seines Erfolgs! Das – und nicht zum geringen Teil seine kunterbunten, phantasievollen Zeichnungen, die sich durch jedes der inzwischen beinahe dreißig Kokosnuss-Bände ziehen. Kaum zu glauben, dass Ingo Siegner sich das Zeichnen autodidaktisch beigebracht hat – und was für ein Glück, dass sein Talent durch Zufall entdeckt wurde und er seitdem, über zwanzig Jahre ist das jetzt her, ein phantasievolles Kokosnuss-Abenteuer nach dem anderen ersinnt, gar nicht zu reden von seinen weiteren Kinderbuchserien um eine Ratte und ein Erdmännchen!

„Schulfest auf dem Feuerfelsen“ ist eines der Bücher der Reihe, deren Handlung vollständig auf der Dracheninsel spielen, einer kleinen Welt für sich, denn hier gibt es so viele Ecken und Winkel, dass man Jahre braucht, um auch nur einige von ihnen kennenzulernen. Aber bei diesem Abenteuer hier geht es einmal nicht darum, etwas zu erforschen! Nein, Kokosnuss ist vor allem mit sich selbst beschäftigt, denn er hat ernsthafte Sorgen. Der Höhepunkt des Schuljahres steht nämlich bevor: das von allen geliebte und schon lange herbeigesehnte Schulfest auf dem Feuerfelsen! Eigentlich sollte auch er, der kleine Drache, zu denen gehören, die erstmals und ganz alleine dorthin fliegen, anstatt gemeinsam mit den großen Drachen und ihren flugunfähigen Schulkameraden auf dem Floß zum Feuerfelsen geschippert zu werden.

Nur – die Voraussetzung für den Flug zum Felsen ist der berühmte und gefürchtete Klippensprung! Und der misslingt Kokosnuss so gründlich, dass er mit verstauchtem Fuß das Bett hüten muss und sich von nun an weigert, den Sprung ein zweites Mal in Angriff zu nehmen. Doch nagt es gewaltig an ihm, zuschauen zu müssen, wie sich seine Mitschüler mit Begeisterung auf das Fest vorbereiten. Und so packt ihn der Ehrgeiz: er muss unbedingt das Fliegen üben, muss Privatstunden nehmen, heimlich, so dass die anderen davon nichts mitbekommen! Einen Fluglehrer hat er auch schon; es ist der Wildgänserich Dieter, die Düse, ein Meister seines Fachs, der sich nach anfänglichem Zögern bereit erklärt, den wild entschlossenen kleinen Feuerdrachen zu unterrichten – unterstützt, das ist doch klar, von Kokosnuss Freunden, dem wissbegierigen, naseweisen, aber nicht sehr mutigen Stachelschwein Matilda und dem völlig angstfreien, schul- und lernbegeisterten Fressdrachenjungen Oskar, der – Schande für einen seiner Art – aufgrund einer Fleischallergie Vegetarier ist.

Ob und wie es unserem kleinen Helden Kokosnuss doch noch gelingt, den Klippensprung zu absolvieren und – fliegenderweise, versteht sich – zum Feuerfelsen zu gelangen, um dort das beliebteste, fröhlichste, großartigste Fest des Jahres zu feiern, kann man in vorliegendem Kokosnuss-Abenteuer mit Genuss verfolgen, einem Genuss, der, wie am Anfang gesagt, nicht nur den Kleinen unter den Lesern vorbehalten sein sollte!

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Veröffentlicht am 27.12.2019

Wenn Genius mit Gewissenlosigkeit gepaart ist...

Wo waren Sie, Dr. Highley?
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Auch der dritte Psychothriller der New Yorker Erfolgsautorin Mary Higgins Clark zeichnet sich durch Hochspannung von Anfang bis Ende aus – und das, obwohl der Mörder dem Leser der aus unterschiedlichen ...

Auch der dritte Psychothriller der New Yorker Erfolgsautorin Mary Higgins Clark zeichnet sich durch Hochspannung von Anfang bis Ende aus – und das, obwohl der Mörder dem Leser der aus unterschiedlichen Perspektiven erzählten Geschichte von Beginn an bekannt ist!
Genau das ist der Hauptkritikpunkt, den viele Leser anbringen und der sie dazu verleitet, den Krimi „The Cradle Will Fall“ als minderwertig einzustufen! Doch – wie war das damals mit der Fernsehserie um den immer etwas ungepflegten und leicht vertrottelt daherkommenden, in Wirklichkeit aber blitzgescheiten Inspektor Columbo? Wer der jeweilige Täter war, wussten die Zuschauer bereits zu Beginn! Minderte das die Spannung? Nicht doch! Im Gegenteil war es immer ein Hochgenuss und ein Vergnügen besonderer Art, den Gedankengängen und der unbezwingbaren Logik des dunkelgelockten, später zunehmend grauer werdenden Detektivs im abgewetzten Trenchcoat zu folgen, bis er seinen Mörder da hatte, wo er ihn wollte: in der Falle!
Nun, was für den kalifornischen Ermittler gilt, gilt auch für vorliegenden Thriller, der, wie die meisten Romane der „Queen of Suspense“, an der Ostküste der Vereinigten Staaten, vorzugsweise in New York und Umgebung, spielt und dessen Handlung, wie in einigen weiteren Mary Higgins Clark–Romanen, in der Welt der Medizin angesiedelt ist, wie auch, im Hintergrund, in der des amerikanischen Justizsystems.
Katie DeMaio, die Protagonistin – zugegebenermaßen die schwächste von Mary Higgins Clarks für gewöhnlich starken, einprägsamen Frauentypen -, ist eine junge Staatsanwältin und zum Zeitpunkt, als der Leser ihr zum ersten Mal begegnet, in gesundheitlich geschwächter Form, die nicht nur von einigen schon länger existierenden medizinischen Problemen herrührt, sondern verstärkt wird durch einen minderschweren Autounfall auf eisiger Straße, den sie zu Beginn der Handlung erleidet und der sie direkt in die Westlake-Klinik bringt. Nun hat Katie aber eine regelrechte Todesangst vor Krankenhäusern, seitdem nicht nur ihr geliebter Vater, sondern auch ihr Ehemann, Richter DeMaio, an einem solchen Ort verstorben sind! In der Nacht, die sie gezwungenermaßen in der Klinik verbringt, beobachtet sie, halb unter dem Einfluss eines Betäubungsmittels, vom Fenster aus, wie jemand eine tote Frau in den Kofferraum eines Autos legt, tut diese Beobachtung später jedoch, obwohl sie weiter an ihr nagt, als Albtraum ab, was er freilich nicht ist. Denn in der Tat hat sie gesehen, wie der Arzt, der am kommenden Wochenende eine Operation bei ihr durchführen wird, die Leiche seiner Patientin Vangie Lewis des Nachts abtransportiert hat, um den Mord, den er an ihr verübt hat, als Selbstmord zu tarnen! Und der Arzt, ein allseits verehrter Gynäkologe und erklärter Spezialist für Risikoschwangerschaften, weiß, dass Katie ihn gesehen hat – was das Todesurteil für die junge Frau sein soll....
Dr. Highley ist wild entschlossen: im Namen der Forschung, die er mit Größenwahn, gepaart mit äußerster Gewissenlosigkeit, betreibt und mit deren Resultaten er als Bahnbrecher der In-vitro-Fertilisation in die medizinischen Annalen einzugehen gedenkt, muss jeder sterben, der sich ihm in den Weg stellt! Und das sind neben Vangie Lewis, an der er seine verbrecherischen Experimente durchführte, die aber kurz davor stand, ihn zu entlarven, auch seine Vorzimmerdame Edna Burns, die zuviel weiß und unter Alkoholeinfluss geschwätzig wird, und Vangies alter Arzt, Dr. Emmet Salem. Ungeplante Morde, aber diesem skrupellosen Mann mit dem kranken Hirn, der im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht und dessen dunkle Vergangenheit unbedingt verborgen bleiben muss, notwendig erscheinend, damit sein Genie, über das er unzweifelhaft verfügt, der Welt erhalten bleibt....
Ja, wir lernen ihn gut kennen, den mörderischen Arzt mit dem eiskalten Blick, der wohl dereinst, davon muss man ausgehen, wie alle Vertreter seiner Zunft den Eid des Hippokrates geschworen hat und dem schon sehr lange kein Menschenleben mehr heilig ist! Wir verfolgen Schritt für Schritt seine, wie er meint, ausgeklügelten und unfehlbaren Pläne, die im Mord an Katie DeMaio gipfeln sollen, und ebenfalls verfolgen wir die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die davon unabhängigen des Gerichtsmediziners Richard Carroll, dem als erstem gewisse Unstimmigkeiten bezüglich des vermeintlichen Selbstmordes von Vangie Lewis auffallen und der sich gleichzeitig immer mehr sorgt um die junge Staatsanwältin, die er liebt und für sich zu gewinnen hofft.
Ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel ist das, was die Schriftstellerin so raffiniert ersonnen hat, ein Roman der verpassten Chancen, denn eigentlich – auch das wurde vielfach negativ vermerkt! - wusste jede der handelnden Personen etwas Wichtiges, das, hätten sie die Gelegenheit gehabt es offenzulegen oder ihr Wissen richtig eingeordnet, zwar nicht Vangies Tod aber doch die Morde an den beiden anderen Opfern hätte verhindern können und vor allem Katie nicht in die Fänge des gewissenlosen Genies Highley geraten lassen.
Aber – dann wäre der Thriller bereits nach den ersten fünfzig Seiten zu Ende gewesen, nicht wahr? Also ist diese eine wirklich nicht ernst zu nehmende Kritik, wie auch die an der Anhäufung der „unwahrscheinlichen Zufälle“! Da wir es hier nicht mit einem Tatsachenbericht zu tun haben sondern mit einem Werk der Fiktion, sind auch die unwahrscheinlichsten Zufälle erlaubt – vor allem dann, wenn sie von einer solchen Könnerin ihres Fachs, wie es Mary Higgins Clark ohne jeden Zweifel ist, dazu genutzt werden, einen so schnellen und atemlos spannenden Roman zu produzieren wie diesen, der im Jahre 1980 erstveröffentlicht wurde und dessen Charaktere weder blass noch langweilig sind, wie weitere Nörgler finden, die, so ist zu mutmaßen, nur die Oberfläche sehen anstatt sich von der Schriftstellerin dazu einladen zu lassen, hinter die Fassade zu blicken. Genau das nämlich muss man schon tun bei ihr – und genau das ist es auch, was so faszinierend an ihren Charakteren ist! Man erfährt gerade genug von ihnen, um sie begreifen, visualisieren, nachvollziehen zu können. Andeutungen anstelle von plakativen Beschreibungen bedeuten auch, den Leser ernst zu nehmen, ihm Freiraum zu lassen für seine eigenen Bilder! Ich kenne kaum Schriftsteller der Spannungsliteratur, außer Dame Agatha natürlich, die das Subtile so meisterhaft beherrschen wie die Amerikanerin mit den irischen Wurzeln!
Und nun komme ich zum letzten Punkt meiner Ausführungen, nämlich zu dem Kritikpunkt, wir hätten es hier mit einem „simplen medizinischen Thriller“ zu tun. Weit gefehlt auch das! Zuallererst müssen wir uns das Erscheinungsjahr des Romans vergegenwärtigen: 1980, zwei Jahre nachdem im englischen Oldham der erste In-vitro gezeugte Mensch geboren wurde – Louise Brown, die als „Retortenbaby“ in die Geschichte einging. Das, was heute, gut vierzig Jahre später, Normalität ist – über acht Millionen Retortenbabys wurden inzwischen geboren! -, war damals eine Sensation. Und es war für den behandelnden Arzt, den Genetiker und Pionier auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin, Robert Edwards, nicht nur der Durchbruch, sondern brachte ihm dreißig Jahre später auch den Nobelpreis für Medizin ein.
Mary Higgins Clarks Dr.Highley versucht sich genau auf diesem, 1980 noch in den Kinderschuhen steckenden Gebiet – und zwar so, wie es auf keinen Fall gemacht werden darf.... Ein negatives Pendant also zu Robert Edwards, von dessen Forschungen sich die Autorin jedoch mit Sicherheit hat inspirieren lassen – eine Vorgehensweise, die typisch für sie ist, da sie die aktuellen Nachrichten bis auf den heutigen Tag mit akribischer Genauigkeit verfolgt, um sich für ihre Bücher inspirieren zu lassen! Die Ergebnisse können sich sehen lassen, damals, wie heute!

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Veröffentlicht am 27.12.2019

Machtkämpfe und Intrigen im mittelalterlichen Venedig

Die Zeitdetektive 9: Das Silber der Kreuzritter
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Sommerferien! Julian, einer der drei „Zeitdetektive“ aus dem fiktiven Städtchen Siebenthann, ist gerade von einem zweiwöchigen Urlaub in Venedig mit seinen Eltern zurückgekehrt und voller Eindrücke! Die ...

Sommerferien! Julian, einer der drei „Zeitdetektive“ aus dem fiktiven Städtchen Siebenthann, ist gerade von einem zweiwöchigen Urlaub in Venedig mit seinen Eltern zurückgekehrt und voller Eindrücke! Die verwinkelte, verwirrende Lagunenstadt lässt ihn nicht los. Aber vor allem beschäftigt ihn das Rätsel der Quadriga über dem Hauptportal der Basilica di San Marco, die zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten Venedigs gehört! Kreuzritter, so hieß es, hätten sie einst, im Jahre 1204, im Zuge des 4. Kreuzzuges aus Konstantinopel nach Venedig gebracht. Der kluge Julian merkt auf! Das kann doch nicht sein, denkt er – und fragt sich, was die Kreuzritter denn in Konstantinopel zu suchen gehabt haben, lag es doch weit ab von der Route nach Jerusalem, das stets Ziel der Kreuzritter gewesen war. Als er den Fremdenführer um eine Erklärung bittet, weicht dieser aus, sagt lediglich, dass die Geschichte dahinter „eine Geschichte voller Blut und Tränen, voller Verrat und Lügen“ sei.
Julian wäre nicht er selbst, wenn er die Dinge auf sich beruhen lassen würde! Er weiht seine Freunde, den wagemutigen Leon und die clevere, nie um gute Einfälle verlegene Kim in das Rätsel ein und gemeinsam beschließen die drei, wie immer begleitet von der geheimnisvollen Katze Kija, die sie von ihrer ersten Zeitreise ins Ägypten der Pharaonin Hatschepsut mitgebracht hatten, sich in der alten Bibliothek des Benediktinerklosters St. Bartholomäus umzusehen.
Und was sie dort über den vierten Kreuzzug erfahren, der als besonders negatives Beispiel seiner Art, als Tragödie, Katastrophe und mörderisches Unterfangen, das nur der Befriedigung von Geldgier und christlicher Machtansprüche diente, in die Annalen der Geschichte eingegangen ist, lässt ihnen die Haare zu Berge stehen! Sie lesen, dass Papst Innozenz III. zu diesem Kreuzzug aufgerufen hatte, der in Venedig seinen Anfang nahm und über den Seeweg nach Jerusalem führen sollte. Die Schiffe, 200 an der Zahl, sollten sie von den Venezianern mieten – für damals unglaubliche 85000 Silbermark, die der zu jener Zeit herrschende greise Doge Enrico Dandolo verlangte. Doch aus irgendeinem Grund konnten die reichen Kreuzritter unter der Leitung von Hugo St. Pol und Bonifatius Montferrat das Geld plötzlich nicht aufbringen! Der Doge gab ihnen dennoch die Schiffe und stundete ihre Schulden – doch im Gegenzug mussten sich die Kreuzritter verpflichten, die Städte Zara ( das heutige Zadar ) und Konstantinopel für ihn zu erobern, die zur damaligen Zeit die größten Konkurrenten der Serenissima als führende Handelsstädte waren. Was als Kreuzzug gedacht war, wurde in Wirklichkeit ein Wirtschaftskrieg – und ins Heilige Land gelangten die Kreuzritter niemals!
Nun, das Rätsel um die Quadriga war zwar jetzt gelöst, aber gleichzeitig tat sich ein neues auf: wieso war den Kreuzrittern denn plötzlich das Geld ausgegangen? Wo war es geblieben? Die Freunde waren sich einig – sie würden wieder einmal dem unheimlichen Zeit-Raum Tempus einen Besuch abstatten, mit dessen Hilfe sie in jedes beliebige Jahr der Geschichte reisen konnten. Das Geheimnis um den verschwundenen Silberschatz der Kreuzritter musste gelöst werden!
Dass das bisher gefährlichste und unheimlichste Abenteuer ihrer Zeitreisen-Missionen bevorstand, hätten Kim, Julian und Leon bereits ahnen können, als sie den Zeit-Raum Tempus betraten, denn er war furchteinflößender, erschreckender als jemals zuvor, die vielfältigenden Geräusche waren lauter, das Pulsieren stärker. Ein Brüllen, Pfeifen, Heulen und Ticken schien sie zu warnen – und sie hätten vielleicht gut daran getan, in Siebenthann zu bleiben und das Rätsel um den Silberschatz zu vergessen, denn was sie dann in der Stadt Venedig erwartete, bedeutete Lebensgefahr vom Anfang bis zum Ende! Zwar kamen sie ganz allmählich dem Geheimnis auf die Spur, doch dass sie ihre neue Zeitreise überlebten, grenzte schon fast an ein Wunder! Und wären da nicht ein paar pfiffige Straßenkinder gewesen, die ihnen in nicht nur einen brenzligen Situation, in die sie in der Stadt, hinter deren Kulissen gerissene Machtkämpfe tobten und Intrigen geschmiedet wurden, die besser niemals ans Tageslicht kommen sollten, zu Hilfe eilten – wer weiß, ob die Freunde Siebenthann und ihre geliebte Eisdiele ( „die beste der Welt“! ) jemals wiedergesehen hätten....
Dieses neunte Abenteuer der Zeitdetektive ist sicherlich das beste, spannendste und gefährlichste, das Fabian Lenk bis dahin ersonnen hat! Es ist eines der Bücher, die man von Anfang an nicht aus der Hand legen möchte. Ein unglaublich guter Kriminalroman für junge Leser – wiewohl nicht unbedingt für 9 – 10jährige, die mir zu jung erscheinen, um die geschichtlichen Informationen einordnen und verdauen zu können. Der Autor lässt eine Epoche auferstehen, die wenig bekannt ist, der in deutschen Schulen nicht viel Raum gegeben wird, und haucht ihr das gleiche pulsierende Leben ein, das er von seinem Zeit-Raum Tempus ausgehen lässt. Man rennt mit den drei Freunden und ihrer Katze, die auch hier wieder als Lebensretterin fungiert, durch das Labyrinth der mittelalterlichen Lagunenstadt, versteckt sich mit ihnen in dunklen Ecken und auf Dachböden, flüchtet vor den gar mächtigen Feinden, von denen sie geradezu umzingelt sind – und nähert sich dabei Schritt für Schritt der erschreckenden Lösung, mit der der Autor durchaus ins Schwarze getroffen haben mag!
Wir wissen nicht, was wirklich geschah, doch so, wie er es sich ausdenkt, hätte es tatsächlich sein können. Das gilt hier genauso wie für die acht Vorgängerbände, in denen sich Realität mit Fiktion mischt, in denen reale Personen der Geschichte auf erfundene treffen, die jeweils eine wichtige Rolle spielen bei der Lösung eines Rätsels, das zu ergründen Julian, Leon und Kim mittels Tempus anreisen. Gepaart mit den bekannten und gesicherten Fakten ist dies eine großartige Mischung! Imagination und Realität komplementieren sich bei Fabian Lenk immer perfekt und sind die Grundbausteine für eine hervorragende Kinder- und Jugendbuchreihe, die ich als eine der besten einstufen möchte, die der Büchermarkt für jene Zielgruppe anbietet!

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Veröffentlicht am 27.12.2019

Gespenster, Trolle und Entenblümchen

Der kleine Drache Kokosnuss - Schulausflug ins Abenteuer
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Der kleine Feuerdrache Kokosnuss ist gar nicht fröhlich! Bei der Schulprojektwoche wurde er gemeinsam mit seinen Artgenossen Lulu und Duftikus und - zum Glück! - auch mit seinen Freunden, dem Fressdrachen ...

Der kleine Feuerdrache Kokosnuss ist gar nicht fröhlich! Bei der Schulprojektwoche wurde er gemeinsam mit seinen Artgenossen Lulu und Duftikus und - zum Glück! - auch mit seinen Freunden, dem Fressdrachen Oskar und dem Stachelschwein Matilda, dem Lehrer Dr. Blumenkohl zugeteilt. Und der eigentlich sehr nette Biologielehrer hat, davon ist Kokosnuss fest überzeugt, das allerlangweiligste Projekt angeboten: einen Ausflug in die Pflanzenwelt! Und für die interessiert sich der kleine Feuerdrache so ganz und gar nicht. Dass ihm und seinen Freunden aber ein Abenteuer der besonderen Art bevorstehen würde, kann er zu Beginn des Ausflugs ins Tal der Riesenpilze noch nicht ahnen, obwohl sein Vater Magnus sein Interesse weckt, als er anmerkt, er solle sich von den in dieser Gegend angeblich lebenden Trollen in Acht nehmen. Trolle! Das sind doch aber Fabelwesen, oder nicht? Jedenfalls sind seine Mutter Mette und der nette Biologielehrer fest davon überzeugt. Und letzterer ist sich auch völlig sicher, dass es im berüchtigten Klippenwald, dem ersten Ziel der Wanderung, auf keinen Fall spukt, wie manche erzählen. Das aber, so weiß Kokosnuss genau, ist auf keinen Fall wahr! Er und Freundin Matilda konnten sich nämlich bei einem früheren Ausflug, den Ingo Siegner, der Autor der reizenden Geschichten um Kokosnuss und seine Gefährten, in dem Band „Der kleine Drache Kokosnuss im Spukschloss“ beschreibt, vom Gegenteil überzeugen.
Da er aber die Ängste seiner kleinen Schüler durchaus ernst nimmt, verspricht Drachenlehrer Blumenkohl, in der Nacht Wache zu halten – ein Vorsatz freilich, den er nicht einhalten kann! Schon bald versinkt er nämlich in tiefen Schlaf, und so entgeht ihm eine perfekte Spuknacht, denn in der Tat versuchen nicht nur Kokosnuss alter Bekannter Gerd, ein sympathisches und überhaupt nicht furchterregendes Gespenst, sondern auch die garstige und stets übellaunige Klemenzia Klabuster von Klippenstein Dr. Blumenkohls Schülern tüchtig Angst einzujagen.... Dass der kein Wort von dem glaubt, was Kokosnuss und seine Freunde ihm am nächsten Morgen erzählen, ist ja klar!
Das größte Abenteuer aber steht noch bevor, denn nun geht’s weiter und auf verschlungenen Wegen, die dem freundlichen Blumenkohl so einiges abverlangen an nicht vorhandener Kondition, ins Tal der Riesenpilze, in dem, so des Lehrers Informationen, das letzte Exemplar des berühmten Entenblümchens wächst, das einst die gesamte Dracheninsel besiedelt hat. Und hier erlebt der kleine grüne Drachenlehrer mit den drei Hörnchen auf der Nase sein grünes Wunder und er muss seine Meinung in nicht nur einem Punkt revidieren!

Mit gewohntem Wortwitz und jeder Menge übermütiger Ideen lädt der Autor der Kokosnuss-Reihe seine begeisterten jungen – und durchaus auch älteren – Leser erneut auf die Dracheninsel irgendwo im großen Ozean ein, auf der allerhand liebenswürdige, skurrile, sonderbare und auch gar garstige Wesen mehr oder minder einträchtig miteinander leben. Und wieder bestätigt es sich, dass Kokosnuss, Oskar und Matilda nicht unbedingt in der Weltgeschichte herumreisen müssen – obwohl das natürlich auch seinen Reiz hat! -, um die ulkigsten und spannendsten Abenteuer zu erleben!
Die Phantasie Ingo Siegners scheint geradezu unerschöpflich zu sein; immer wieder lässt er sich neue Ecken auf seiner Insel einfallen, die er mit immer neuen Bewohnern besiedelt, denen er die originellsten Namen verpasst – oft auch solche, die ganz gewöhnlich sind, die man aber mit den Wesen, die sie tragen, nicht in Beziehung setzten würde! Gerd, das Gespenst, Wolfgang, der Troll, oder, um in Kokosnuss eigener Familie zu bleiben, Mette und Magnus für die beiden riesigen Feuerdrachen, die Kokosnuss Eltern sind. Und die meisten Wesen handeln gar nicht so, wie man es landläufig von ihnen erwarten würde, weil man es so aus anderen Büchern kennt. So lernt man in vorliegendem Band den Troll Wolfgang als neugierig-harmloses und gutmütiges Wesen kennen, vor dem man sich überhaupt nicht fürchten, sondern das man im Gegenteil richtig liebhaben muss. Und wie stets auch ziehen die witzig-originellen Illustrationen, in denen man immer eine kleine Maus, oft in einem Propellerflugzeug oder irgendeinem anderen Gefährt, finden kann, die mit der Geschichte selbst nichts zu tun hat, die Blicke auf sich und sorgen für Vergnügen!
Fazit: eine rundum gelungene Kinderbuchreihe, die aus der Masse an Büchern dieses Genres nun schon seit Jahren herausragt und von der man gar nicht genug bekommen kann!

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