Madeline Miller macht die griechischen Mythen wieder lebendig
Das Lied des AchillNachdem ich von "Ich bin Circe" so begeistert war, musste ich natürlich auch ihren vorher erschienenen Roman über den Helden Achill lesen.
Patroklos ist ein junger griechischer Prinz. Im Alter von zehn ...
Nachdem ich von "Ich bin Circe" so begeistert war, musste ich natürlich auch ihren vorher erschienenen Roman über den Helden Achill lesen.
Patroklos ist ein junger griechischer Prinz. Im Alter von zehn Jahren wird er von seinem Vater verstoßen und nach Phthia verbannt - ein kleines Land im Norden zwischen Meeresküste und Othrys-Gebirge.
Patroklos erzählt davon, wie er dort den gleichaltrigen Prinz Achill kennenlernt. Achill wurde vorhergesagt, dass er einst ein großer Held werden würde.
Achill wählt den Verstoßenen als seinen Gefährten aus, doch Achills Mutter Thetis - eine furchterregende Nymphe - versucht die beiden mit aller Macht zu trennen.
Als Achill ins Gebirge geht, um sich dort vom Zentauren Cheiron ausbilden zu lassen, folgt Patroklos ihm heimlich.
Wer die griechische Mythologie kennt, weiß, dass Helena nach Troja entführt werden wird und König Agamemnon daraufhin mit einem gigantischen Heer loszieht, um sie zurückzuholen. Die Stadt mit den riesigen, unbezwingbaren Mauern wird jahrelang belagert werden.
»Wenn du nach Troja gehst, wirst du nicht zurückkehren, sondern als junger Mann dort sterben.«
Achill erbleichte. »Ist das gewiss?«
Madeline Miller hat Altphilologie studiert und kennt sich daher mit der Antike aus.
Wie ich es aus "Ich bin Circe" kenne, macht die Autorin mit ihrer zauberhaften Sprache, die damaligen Göttinnen und Helden wieder lebendig. Man riecht förmlich den herben Duft der Zypressen und spürt die Sonne auf der Haut.
In einigen Überlieferungen werden Achill und Patroklos als Freunde bezeichnet. Aischylos dagegen beschreibt sie als Liebespaar. Auf letzteren stützt sich Miller scheinbar, als sie schildert, wie die beiden jungen Männer ihre Liebe zueinander entdecken.
Die erste Hälfte des Buches hat mir sehr gut gefallen. Die beiden Hauptfiguren sind sympathisch. Achilles wird als selbstbewusst, friedliebend und gerecht dargestellt. Die Liebeszenen zwischen den beiden Männern sind äußerst sinnlich beschrieben.
Ein Problem waren für mich jedoch die überwiegend negativen Frauenfiguren: die grausame, kalte Mutter; eine berechnende Ehefrau; Frauen, die wie Eigentum behandelt werden.
In "Ich bin Circe" war Circe der Gegenpol zu der patriarchalischen, sexistischen Kultur der damaligen Zeit. Mit ihr konnte man mitfiebern, wenn sie sich gegen gewalttätige Männer zu Wehr setzte.
Bei "Das Lied des Achill" fehlt solch ein ausgleichender Charakter. Die negativen Emotionen blieben daher bei mir, statt aufgelöst und in Genugtuung verwandelt zu werden. Als Leserin habe ich mich hier weniger wohlgefühlt als beim Lesen von "Ich bin Circe".
In der zweiten Hälfte des Buches wird die Belagerung und der Kampf um Troja beschrieben. Achill trifft aus Zorn und Stolz eine falsche Entscheidung.
»Dann wird er sterben. Alle werden sterben. Erst wenn er mich auf Knien bittet, werde ich den Kampf wieder aufnehmen.«
Verständlich, dass die Autorin an den Ablauf des ursprünglichen Mythos gebunden war. Für mich war jedoch der Sinnesumschwung Achills nicht plausibel geschildert.
Die Entscheidung Patroklos als Erzähler zu wählen, die ich sehr geschickt fand, wirkte am Ende für einen Moment sehr merkwürdig. (Patroklos stirbt vor Achill). Dies sind jedoch nur kleine Kritikpunkte.
Madeline Miller schreibt mitreißend, lebendig und spannend. Ein sehr guter, lesenswerter Roman, der mir die Geschichte Achills und das Leben in der damaligen Zeit nähergebracht hat.